7. Das weiße Kätzchen.

Mündlich aus Hahnenklee bei Lautenthal.


Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, von denen der jüngste etwas albern war und von den andern immer gering geachtet und zu den niedrigsten Arbeiten gezwungen wurde. Als der König nun alt wurde, sagte er zu seinen Söhnen: »Ich bin jetzt der Regierung müde, ziehet aus und wer von euch mir einen Kahn, an dem weder Nagel noch Pflock ist, heimbringt, der soll das Königreich und die Krone haben.« Da zogen sie alle drei aus, aber die beiden ältesten sprachen zum jüngsten: [331] »zieh du nur allein hin, wo du Lust hast, du bringst den Kahn doch nicht« und verließen ihn mitten in einem Walde. Da setzte er sich auf einen Baumstamm und verzehrte sein Frühstück, und wie er da saß, kam ein kleines weißes Männchen daher, das fragte ihn, wohin er denn wolle. Der Königssohn erzählte ihm alles und sagte: »Setz dich doch her zu mir, und iß mit; ich habe noch Eßen genug, das reicht wohl für uns beide.« Da setzte sich das weiße Männchen zu ihm und als es gegeßen hatte, legte es seinen Kopf auf den Schooß des Königssohnes und schlief ein. Da wehrte ihm der Königssohn die Fliegen ab, daß sie es nicht wecken möchten, und als es nun wieder erwachte, hieß es den Königssohn mit auf sein Schloß kommen, da solle er haben, was er suche. Da ging der Königssohn mit und als sie nun in's Schloß kamen, sprang dem Männchen ein weißes Kätzchen entgegen, das sah ihn so wehmüthig an und drängte sich auch an den Königssohn und machte einen Buckel und er kraute es im Kopf und da war es so freundlich und sah ihn an, als hätte es sprechen mögen. Im Zimmer aber setzten sie sich an einen Tisch und nun trug das Kätzchen Schüßeln und Teller herbei und sie aßen und tranken, und das Kätzchen setzte sich auch mit an den Tisch und aß auch mit. Als sie sich nun aber an Speise und Trank erquickt hatten, führte das weiße Männchen den Königssohn in ein Nebenzimmer, da stand eine lange Reihe von Kähnen, an denen war weder Pflock noch Nagel. Davon mußte sich der Königssohn einen aussuchen, und als er ihn nun mitnehmen wollte, sagte das weiße Männchen: »Nein, damit sollst du dich nicht beschweren, zieh nur ruhig heim, ich will ihn dir schon nachschicken.« Das war der Königssohn zufrieden, nahm Abschied und zog wieder heim. Als er am Hofe seines Vaters ankam, waren die andern [332] beiden Brüder auch schon da, und als sie nun sahen, daß er keinen Kahn mit sich brachte, riefen sie: »wir wußten's ja gleich, du wirst den Kahn nicht bringen!« Der jüngste aber sagte: »wartet nur ein wenig, der meine kommt nach«, und wie er das noch sagte, kamen auch schon die Sklaven mit seinem Kahn daher und das gab ein Glitzern und Blinkern in der Sonne, daß sich alle die Hand vor die Augen halten mußten. Da mußte denn der Vater wohl sagen, daß des jüngsten Kahn der beste sei, denn an denen der beiden andern war doch hier und da ein Pflock oder Nagel zu sehen; aber das Königreich mochte er ihm doch nicht geben, sondern sagte, sie müßten noch eine Probe bestehn, wer ihm die feinste Stiege Leinwand brächte, der solle König sein. Da zogen sie alle drei wieder aus und als sie in den Wald kamen, verließen die beiden älteren wieder den jüngsten und sagten: »wo du den Kahn geholt, magst du auch die Stiege Leinwand holen!« und gingen davon. Als sie nun schon weit weit fort waren, da kam das weiße Männchen wieder, und er theilte wieder sein Frühstück mit ihm und es fragte ihn, wohin er wolle, und er erzählte ihm alles. Da nahm ihn das weiße Männchen wieder mit auf sein Schloß und das weiße Kätzchen war auch wieder da, und sie aßen und tranken wieder wie das erste mal und das weiße Kätzchen aß auch mit am Tisch und setzte sich neben den Königssohn und er streichelte ihm den Rücken, daß es einen Buckel machte und sich so recht an ihn drückte. Als sie nun gegeßen und getrunken hatte, sprang das Kätzchen fort, kam aber gleich wieder und brachte dem Königssohn eine Haselnuß, und das weiße Männchen sagte ihm, damit solle er nur heimgehn. Da zog er fort und kam wieder zu seinem Vater; die beiden anderen waren aber auch schon da und hatten jeder eine prächtige Stiege Leinwand gebracht; nun gab er seinem [333] Vater die Haselnuß, und als er diese aufmachte, lag ein Gerstenkorn drin, und als er das öffnete, lag eine Stiege Leinwand drin, die glänzte wie Seide und war so fein, daß man die Fäden gar nicht sehen konnte. Aber der Vater mochte dem jüngsten doch das Reich noch nicht geben und sagte: »Aller guten Dinge sind drei, zieht noch einmal aus und wer mir die schönste Prinzeßin heimbringt, der soll das Reich haben.« Denn er dachte, den Kahn und die Leinwand mag er wohl von einer Hexe bekommen haben, aber eine Prinzeßin bringt er nimmermehr. Da zogen sie alle drei wieder aus und es ging alles wie an den beiden vorigen malen; als der jüngste Königssohn aber dem weißen Männchen seine Aufgabe gesagt und mit ihm in's Schloß kam, da sagte dieses zu ihm: »nun haue dem Kätzchen die vier Pfoten und den Kopf ab;« aber das wollte der Königssohn nicht und sagte, seinem lieben Kätzchen könne er nichts zu Leide thun; doch beruhigte ihn das weiße Männchen wieder und sagte, er solle es nur thun, es würde noch alles gut werden. Und da nahm er denn das Kätzchen, legte es auf einen Block und hieb ihm die eine Pfote ab; da gab es einen gewaltigen Donnerschlag, daß das Haus erbebte, und als er sich von seinem Schrecken erholt und auf das Kätzchen blickte, da sah er statt der Pfote ein Menschenbein und merkte sogleich, daß es eine Verwünschung sei. Da hieb er schnell auch die anderen Pfoten und den Kopf ab und da stand auf einmal die schönste Prinzeßin von der Welt vor ihm und war erlöst und das weiße Männchen, und alles was sonst noch im Schloße verwünscht gewesen, war auch erlöst, und er heiratete die Prinzeßin und zog heim zu seinem Vater und bekam nun zu deßen Königreich noch das seiner Braut hinzu.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. B. Märchen. 7. Das weiße Kätzchen. 7. Das weiße Kätzchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-C2C8-2