122. Das alte Schloß zu Raesfeld.
Mündlich.
Auf dem alten Schloße zu Raesfeld ist's nicht recht geheuer, darum wohnt nun schon seit über hundert Jahren niemand mehr auf demselben, und es verfällt immer mehr und mehr. Das ist aber so gekommen. Der letzte Sprößling der vorigen Besitzer war etwa in einem Alter von sechs Jahren, als er von dem kalten Fieber befallen wurde; da war er einst in der Küche und erzählte, der Arzt würde kommen und ihm etwas gegen das Fieber verschreiben; dieser ist denn auch nachher gekommen, das Kind ist hinaufgegangen, aber nicht wieder heruntergekommen, und man erzählt, daß es erst getödtet, und dann in die Wand gemauert worden sei; diese hat aber später einen großen Riß erhalten, und so ist das Verbrechen zu Tage gekommen. Andere sagen, das Gewölbe, in dem der junge Graf beigesetzt worden, habe einen Riß erhalten zum Zeichen, daß der Tod desselben kein natürlicher gewesen, und seitdem ist es im Schloße nicht mehr geheuer. Zuletzt hat auf demselben noch eine Wirthschafterin mit ihrer Tochter gewohnt; die haben eines Abends am Herd geseßen, da haben die beiden Thüren begonnen zu klappern, und die Flamme ist plötzlich [114] hell aufgelodert und es hat im Feuer geschürt, sodaß die Dirne die Mutter gefragt hat, ob sie denn nichts sehe, aber die Mutter hat ihr geheißen still zu schweigen, daß sie beileibe kein Wort weiter reden möge. Nach einiger Weile ist dann alles wieder still geworden, aber da hat die Wirthschafterin nicht länger auf dem Schloße bleiben mögen, und seitdem ist es ganz verlaßen.
Ueber eingemauerte Kinder, aber zu anderm Zweck, vgl. Panzer, Beiträge, II, 254 fg., 559 fg.; Schambach u. Müller, Nr. 6 mit der Anm., 14, 16, 23, 24; Pröhle, Oberharzsagen, S. 8; Grimm, Mythologie, S. 40.