169. Die Glocke zu Attendorn.

Firmenich, Germaniens Völkerstimmen, I, 355.


Vor dem Brande (1783) wohnte zu Attendorn ein Mann mit Namen Happlenpapp, der war arm und ging auf Tagelohn. Der ging einmal morgens vor das Waßerthor und sah auf der Brücke zwei Leute, die etwas sehr eifrig überlegten. Da er nun dachte, das muß wol etwas Wichtiges sein, stellte er sich auf die andere Seite der Brücke, schaute ins Waßer und that, als achte er gar nicht auf die beiden andern. So hörte er denn, daß sie von Bremen sprachen und sagten, daß der, welcher in so und so viel Tagen da wäre, viel Geld im Handel verdienen könne, darum ging er, als er genug von der Sache wußte, nach Hause. »Frau, koch mir geschwind einen Brei, ich muß weit, weit fort.« Die Frau, wenn auch vorwitzig, wie die Weiber alle [163] sind, sah doch wol ein, daß was Besonderes mit dem Happlenpapp vorgegangen war und fragte nicht lange wie, was, warum? sondern holte ein Pfund Mehl und kochte ihm den Brei. Happlenpapp aß bis er satt war, nahm das Uebrige mit und ging. In Bremen fand er alles, wie die zwei Leute unter sich gesagt hatten und kam bald zu großem Reichthum.

Um diese Zeit wurde zu Attendorn eine Glocke gegoßen und dazu wie überall terminirt. Als sie zu Happlenpapp's Hause kamen (er selbst war nicht daheim), sagte die Frau, sie hätten nichts, was zur Glockenspeise tauge, doch läge unter der Treppe eine Gans von Blei (Bleikuchen), die ihr Mann von Bremen geschickt hätte, wenn sie die brauchen könnten, sollten sie sie kriegen. Der Meister besieht die Gans, probirt sie und findet, daß inwendig Silber ist, läßt sich aber nichts davon merken, denn er wollte sie für sich behalten. Kurz drauf mußte er verreisen, befahl aber vorher seinem Gesellen nicht zu gießen, bis er zurück wäre. Der Geselle wartet ein paar Tage, da kann er sich aber nicht mehr halten, schmilzt und gießt. Die Glocke geräth prächtig und hat einen ausgezeichneten Klang. An dem Tage, wo sein Meister zurückkommen wollte, ging er ihm voll Freuden entgegen und erzählte ihm sogleich die ganze Sache. Der Meister, der gleich merkte, daß die silberne Gans mit darin war, gerieth außer sich vor Zorn, zog sein Meßer aus der Tasche und stach den Gesellen todt. Er wurde aber sogleich ergriffen und zur Strafe von vier Ochsen geviertheilt. Davon hat bis auf diesen Tag die Stätte, wo das geschah, den Namen »Viertel«.


Vgl. Grimm's Deutsche Sagen, Nr. 126; unten Nr. 340, 395 mit der Anm.; Schöppner, Nr. 415. Der Eingang zu dieser Sage erinnert an die oft wiederkehrende über den Traum vom Schatz auf der Brücke; Grimm, Deutsche Sagen, Nr. 211; [164] Müllenhoff, Schleswig-holstei nische Sagen, Nr. 279; bemerkenswerth ist, daß sie sich mit denselben Zügen auch in Schottland findet; Chambers, S. 12; aus England und Irland ist sie auch schon von Müller nachgewiesen, Niedersächsische Sagen, Anm. zu Nr. 136.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen. Erster Theil. Sagen. 169. Die Glocke zu Attendorn. 169. Die Glocke zu Attendorn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-CB7B-E