[89] Vergänglichkeit
O wie die Jahre lasten auf den Toten!
Die ungeheure Grabesdunkelheit
Um ihre Häupter tausendfach verdichtet,
Die Erde über ihnen aufgeschichtet
Und alles Erz und Stein darauf errichtet,
Wiegt nicht so schwer auf ihnen wie die Zeit.
Zuerst vom Reich des Lebens abgeschnitten,
Sind sie in unsern Kreis noch eingebannt.
Sie schweben schattenhaft vor unsern Sinnen
Und haben teil an all unserm Beginnen
Und halten uns bei Tag und Nacht tief innen
Mit ungebrochner Wesenskraft umspannt.
Allmählich aber bricht in sich zusammen
Das lebensgleiche Trugbild ihrer Macht.
Auf ihren Gräbern welken und verbleichen
Die Liebesgaben und die Namenszeichen,
Und aus dem Sinn der Lebenden entweichen
Die Schatten immer tiefer in die Nacht.
Weitab verflattern frühere Geschicke,
Erkennbar kaum dem Blick und abgeschwächt:
Von Vater, Mutter nennst du so die Namen,
[90]Wie du von Ahnen sprichst, die vor dir kamen,
Und später Enkelspross aus deinem Samen
Ist dir ein fremdgeartetes Geschlecht.
Die Nachgebornen eilen von den Stätten,
Wo sich versammelt ihrer Väter Staub.
Sie ziehen ihres Wegs dahin und ahnen
Nicht, was sie treibt die selbstgewählten Bahnen
Und sind in ihrem Innersten den Manen
Urväterlichen Blutes kalt und taub.
O wie die Jahre lasten auf den Toten!
Die ungeheure Grabesdunkelheit
Um ihre Häupter tausendfach verdichtet,
Die Erde über ihnen aufgeschichtet
Und alles Erz und Stein darauf errichtet,
Wiegt nicht so schwer auf ihnen wie die Zeit.