[205] Der Fuchs, der Wolf und das Pferd
Ein recht verschmitzter Fuchs, doch noch ein ganzes Kind,
Sah einst das erste Pferd in seinem Leben.
Zum nächsten Wolfe lief er da geschwind,
Dem auch nicht viel Erfahrung noch gegeben:
»Freund, eile, denn ich sah soeben
Ein Tier auf unsrer nahen Wiese springen,
So groß und schön, daß es mich ganz entzückt.«
»Ist es so stark, uns beide zu bezwingen?
Beschreibe mir das Bild, das dich berückt,«
Sprach da der Wolf voll Überlegenheit.
»Wär ich ein Maler oder ein Student,
Der gut die Kunst der schönen Rede kennt,
So wäre das mir eine Kleinigkeit,«
Entgegnete der Fuchs, »und leicht sollt es gelingen,
Dir jetzt schon das Entzücken beizubringen,
Das, siehst du erst das Tier, wie mich dich brennt.
Doch komm – wer weiß, vielleicht beglückt uns heute
Fortuna mit ganz auserlesner Beute.«
Sie gehn. Das Pferd, als es die beiden sah,
War weniger entzückt und wäre gern entflohn,
Doch unser Fuchs begrüßt es schon.
»Verehrter Herr,« sprach er und trat recht nah,
»Seht her, wir stehn in Demut da,
Um Euer Gnaden zu befragen,
Welch edlen Namen Sie wohl tragen?«
Das Pferd indes war auch nicht dumm:
»So lest ihn selbst, ihr Herrn, kommt her,
Ihn zu entziffern ist nicht schwer,
Mein Schuster schrieb ihn um den Huf herum.«
[206]Der Fuchs darauf mit ganz verlegnem Stammeln:
»Ich wußte keine Kenntnisse zu sammeln,
Ich kann nicht lesen, hatte weder Geld noch Zeit;
Bei meinen Eltern herrschte Not und Sparsamkeit,
Ein Loch zum Wohnen war die ganze Habe –
Jedoch der reiche Wolf besitzt die Gabe.«
Der Wolf in seiner Eitelkeit
Trat dicht herzu, die Schrift zu lesen.
Wär er doch lieber nicht so dreist gewesen!
Denn mit vier Zähnen mußte er's bezahlen
Und mit noch andern Wundenmalen.
»Gevatter,« sprach der Fuchs, »dein Fall beweist,
Daß es mit Recht im Sprichwort heißt:
›Der Kluge meide das, was er nicht kennt‹ –
Befolgtest du's, so wärst du jetzt nicht Patient.«