[191] Die beiden Abenteurer und der Talisman

Zum Ruhme führt kein blumenreicher Pfad.
Als Zeuge nenn ich Herkules und seine Tat.
Der Gott hat kaum wohl einen seinesgleichen,
Sei's in der Poesie, sei's in historischen Reichen.
Doch soll von einem hier berichtet sein,
Der angetrieben war von alten Talismanen,
Dem Glücke nachzugehn im Lande der Romanen.
Er reiste nicht allein.
Sein Freund und er gewahrten einen Pfahl,
Der eine Tafel trug, auf der zu lesen:
»Herr Abenteurer, lüstet's dich einmal,
Zu sehn, was keinem sichtbar noch gewesen
Von Rittern oder fahrenden Gesellen,
So teile dieses Stromes Wellen.
Den Elefanten, der am andern Ufer liegt,
Den steinernen, heb auf
Und trage ihn den Berg hinauf,
Der dort in Wolken seine Stirne wiegt;
Doch trage diese Last
Bis auf den Gipfel ohne Rast.«
Da sprach der Freund: »Nein, das fällt mir nicht ein!
Der Strom ist tief und wird gefährlich sein.
Doch angenommen, daß ich ihn durchquere,
Was soll's, daß ich mich mit dem Vieh beschwere?
Welch lächerliches Unterfangen!
Ein Elefant aus Stein
Kann höchstens ein paar Schritt von uns zu tragen sein;
Doch auf den Gipfel zu gelangen
Ganz ohne Rast
Mit solcher Last,
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Kann dann nur möglich sein,
Wenn jener Elefant aus Stein
Ein Zwerg ist, ein Spazierstockgriff.
Wo ist der Sinn, die Ehre bei dem Spiel?
Die Inschrift ist nichts andres als ein Kniff,
Ein Rätsel für ein Kind, ganz ohne Zweck und Ziel.
Drum laß ich Euch allein mit Eurem Elefant.«
Der Sprecher ging. Der Abenteurer springt
Geschloßnen Auges in die Flut
Und schwimmt hinüber an den Strand.
Und als er dort sich auf das Ufer schwingt,
Erblickt er alsobald den Elefant,
Der schwer im Sande ruht.
Er nimmt ihn, trägt ihn fort, kommt auf der Höhe an,
Sieht einen Park und eine Stadt sodann.
Der Elefant trompetet ein Signal,
Da kommt bewaffnet Volk herbei mit einemmal.
Ein andrer wäre wohl bei dem Alarm
Entflohn, doch dieser, statt zu weichen,
Beschließt, mit kühnem Arm
Zu trotzen allen Streichen
Und als ein Held zu sterben.
Wie staunte er, als er vernahm,
Daß die Kohorte ihm zu huldigen kam
Und ihn zum Könige zu werben.
Er ließ sich erst ein wenig bitten
Und sprach, es sei nicht eben leichte Bürde;
Mit gleichem Wort hat Sixtus es gelitten,
Daß man ihm antrug Papsteswürde.
(Wenn man mir böte, hier auf Erden
Ein König oder Papst zu werden,
Ich hätte solche Frage nicht verneint.)
Auch jener hat sein Sträuben nicht so ernst gemeint.
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Den Schnellbereiten nimmt das Glück zum Herrn!
Der Kluge schreite drum zur Tat,
Bevor die weise Überlegung naht
Mit ›Wenn‹ und ›Aber‹ und mit gutem Rat –
Das blinde Glück folgt blinder Kühnheit gern.

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TextGrid Repository (2012). La Fontaine, Jean de. Versfabeln. Fabeln. Die beiden Abenteurer und der Talisman. Die beiden Abenteurer und der Talisman. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-D9FA-E