Ursprung des kleinen Baurenhofes treue Magd.
Meindorf, ein fürstlicher Rath, konnte zu einem Beweiß dienen, daß es Familien giebt, in welchen sich Tugenden des Herzens fortpflanzen und verstärken, wie sich Gesichtszüge von den ältesten Ahnen her in gewissen Geschlechtern auszeichnen. Meindorfs Vater und Großvater waren geschickte und rechtschaffene Männer, deren Andenken von Greisen und Enkeln vieler Unterthanen gesegnet wurde. Denn mancher Bürger, mancher Bauer, und viele redliche Leute in niedern Bedienstungen sagten unserm Meindorf oft noch mit Dank und Verehrung: Mein Pachtbrief, mein Hauskauf, oder das Dekret meiner Anstellung ist von Ihrem Vater, von Ihrem Großvater unterschrieben, und das ist mir so lieb wie mein Dienst, so lieb wie mein ererbtes Haus. Die Bauren sagten, dieser Name hätte den Segen Gottes auf ihr Feld gebracht, und mehrere, die in Aemtern stunden, rühmten, daß sie einem dieser Männer ihre Talente und Rechtschaffenheit zu danken hätten. Herrliches, wünschenswerthes Erbe von Adel der Seele! möchtest du auch ausgebreitet [194] und gesucht werden! möchten unsere Nachkommen auch diese Art von Stammbäumen finden? um wieviel würde unser Jahrhundert glänzender seyn, als viele vorhergehende?
Meindorf, von welchem ich spreche, war einziger Sohn, und der Himmel hatte ihm auch nur einen Erben gegeben, dessen Geburt seiner vortreflichen Mutter das Leben kostete, und den Vater untröstlich machte. Eine verwittibte Schwester seiner geliebten Gattin zog, weil er sich nie wieder verheurathen wollte, in sein Haus, und half den kleinen Ernst besorgen. Eine glückliche Stunde hatte in dem holden Knaben alle Verdienste des Vaters und alle Liebenswürdigkeit der Mutter vereiniget. Es gab keinen schönern, und auch keinen edlern Jungen in der ganzen Gegend, und nie sah man so viel Güte mit so viel Festigkeit des Karakters verbunden, als man von den ersten Jahren an in dem kleinen Meindorf entdeckte. Sein Auge und seine Seele waren immer offen, und freymüthig sagte er seine Gedanken und seine Empfindungen. Sein Vater, der seit dem Tod seiner Frau an nichts Vergnügen fand, als an seinem Sohn, und ihn in den Stunden, wo er von Amtsgeschäften frey war, selbst zu bilden suchte, hatte mit einer würklich ohngewohnten Lehrart angefangen. Denn er erzälte seinem [195] Ernst bey dem Namen der Gegenstände, nach denen der Knabe fragte, so viel und so deutlich er konnte, die Geschichte des Ursprungs und der Verarbeitung der Sachen, welche ihm aufgefallen waren: – zum Beweiß, bey dem Brod zeigte er ihm die Kornähren auf dem Felde, lößte ein Paar Körner aus, führte ihn in eine Mühle, wo er ihm alles zeigte, was ihm einen deutlichen Begrif von der Zubereitung des Mehls geben konnte: – dann wurde der Becker besucht, bey welchem Ernst alles sah, was geschehen mußte, um ihn das gute Brod essen zu machen, das er liebte. So wurde er über das Wachsen der Pflanzen belehrt. Erst sah er die trockene Saamenkörner, die in die Erde gelegt wurden; dann hob sein Vater nach dem Zeitpunkt des Keimens wieder einige aus, und sprach ihm darüber. So gieng es mit allem. Meindorf machte die Fragen entstehen, die er beantworten wollte und konnte; auf diese Art wußte der kleine Ernst viel bälder alle Materialien, und kannte alle Arbeiten, die zu dem Bau eines Hauses gehörten, als er nur von ferne wußte, was ein Mann wie sein Vater thun und lernen müsse, um als ein geschickter Rath darinn wohnen zu können, denn sein Vater führte ihn immer daneben zu den geschicktesten und redlichsten Handwerksleuten, wie er ein Kleidungsstück brauchte, wie etwas von dem[196] Geräthe in dem Haus neu angeschaft wurde. Alles war Unterricht in den mechanischen Künsten, und dieses wurde die Grundlage der Hochachtung, welche der junge Meindorf für die Kunst und den Fleiß aller Art Handarbeiten bekam, und war auch die Ursache, warum er in seinen männlichen Jahren, und bey aller großen Güte seines Herzens, seine Wohlthätigkeit allein in Unterstützung alter oder durch Unglück verarmten Handwerksleute, und in Bezahlung der Lehre für arme Jungen zeigte. Wie er anwuchs, und Kenntnisse erlangte, so wünschte er sich Gelehrsamkeit, um andere unterrichten zu können, wie die Schriften der alten und neuen Weisen ihn unterrichteten. Lang wollte er Bildhauer werden, und grossen Männern Denkmäler ausarbeiten; dann wäre er gern Erbprinz eines grossen Fürsten gewesen, weil er da allen Dürftigen helfen, Arbeit geben, alle Bedrängte schützen, und alles Unrecht strafen wollte. So war er bis zu dem vierzehnten Jahre neben den gewohnten Anfangsgründen der lateinischen Sprache aufgewachsen, als seine Tante starb, und ihn zum Erben ihres schönen Vermögens machte, welches seinen Vater bewog, nur allein für seinen Sohn zu leben, und dadurch bey sich einen Wunsch zu erfüllen, den vielleicht schon tausend Väter gemacht hatten, ohne daß die Umstände es[197] ihnen erlaubten, ihn zu vergnügen. Die Aenderung, welche auch bey Hof entstanden war, beschleinigte seinen Entschluß, die Stelle, welche er bekleidete, niederzulegen, und sich ein artiges Landgut, so eben verkauft wurde, anzuschaffen, und seinem Ernst einen Geschmack an dem ruhigen Landleben zu geben, weil er leicht urtheilte, daß des jungen Menschen Anhänglichkeit an Wahrheit, Treue und Recht ihm unter Nebenbedienten aller Art Feinde zuziehen, und das Glück seines Lebens zerstören würde. Er wußte aus seiner Erfahrung, daß es Zeiten giebt, wo der Mann nicht belohnt, nicht geschätzt wird, der das allgemeine Beste dem Ueberfluß und dem Mißbrauch einiger wenigen verhärteten und übermüthigen Menschen vorzieht, und daß man sich mehr Unheil zu erwarten hat, wenn man seine Pflichten genau erfüllt, und als Vorgesetzter die andere genau zu ihren Pflichten anhält, als wenn man seinen Eid verletzt, und die Unterthanen niederdrückt. Ehe Meindorf aber einen letzten entscheidenden Schritt machte, so wollte er seinen Ernst prüfen, und blieb unter dem Vorwand einer Unbäßlichkeit einige Tage zu Hause, wo er seinen Sohn um sich hatte, und ihn beobachtete. Seine Freude über den Fortgang, welchen der Verstand und das Herz seines Ernst in Wissenschaften und Tugend gemacht [198] hatten, war ausserordentlich: der junge Mensch war daneben, wie eine Eiche in ihrem wahren Boden zu Schönheit und Stärke emporwächst, groß, gutgebildet, ungekünstelt in seinen Bewegungen, und in dem Wohlwollen seines Herzens. Die Reinheit seiner Sitten und seines Bluts gab seinem Gang, seinen Blicken, und all seinem Bezeugen etwas eigenes und sehr gefälliges. Sein Vater fragte ihn in diesen Beobachtungstagen nach den Wünschen und Entwürfen, die er für sich machte, und sagte ihm, daß es nun Zeit wäre, daß sein Ernst und er miteinander überlegten, welche Beschäftigung des Geistes, oder welche Kunst sein geliebter Sohn wählen, und sich darauf befleissen wollte. Er eröfnete ihm dabey den Ertrag seines Vermögens, und wie sein Ernst ohngefähr davon würde leben können, wenn er sich nur einigen Lieblingskenntnissen wiedmen wollte, und was er dadurch für einen Rang in der menschlichen Gesellschaft erhalten, und wie weit er auf Ehre und Hochachtung in den Seelen rechtschaffener Leute würde zählen können. – Dann zeigte er ihm den Ruhm, den Nutzen und die Verdienste, die er in der Laufbahn der Gelehrten als Theolog, Jurist und Medikus erlangen könnte. Der Militairstand, und jede Klasse der Künstler und Handwerker kam auch vor, und er redete dem Jüngling [199] immer mit dem Ton der Verehrung, die das wahre Verdienst aller Stände von dem gerechten einsichtsvollen Mann erhält, wobey Meindorf seinen Sohn versicherte, daß er, er möge wählen was er wolle, damit zufrieden seyn würde, weil er sicher sey, daß sein Ernst in jedem Stand des Lebens als ein rechtschaffener Mann erscheinen, und seine Talente edel und auch glänzend zeigen würde. Sein Sohn sagte, er wünsche kein Amt und keinen Titel, aber ein Landgut, und auf diesem eine Fabrike, wo arme Jungen leicht etwas lernen könnten, ihr Brod zu gewinnen, und diese Jungen wollte er dann in Ordnung halten, daß sie gut unter sich wären, und fleißig bey ihrer Arbeit. Meindorf war über diese Erklärung sehr vergnügt, und beredete sich nun mit seinen zwey Jugendfreunden, Söhnen eines Kaufmanns, die brüderlich die Handlung ihres Vaters fortführten, das Vermögen unsers Meindorfs mit einschlossen, und bey den größten Gewinsten mittheilen liessen. Seltenes Beyspiel von Freundschaft und Wohlwollen, das nur in den Söhnen eines edelmuthigen B...e wahr seyn konnte. – Diese Brüder überlegten die Sache, und in acht Tagen reißten sie mit Meindorf auf das Land, wo sie eine sehr vortheilhafte Lage zu einer Handlungsfabricke fanden. Einer von ihnen übernahm die [200] Sorge der Fabricke, und der andere behielte die von der Handlung in der Stadt. Meindorf schenkte ihnen den Theil des Erdreichs von seinem Gut, worauf ihre Gebäude geführt wurden, und die übrige Kosten wurden gemeinschaftlich getragen. Zwey artige Wohnhäuser kamen an das Ufer des Flusses, der Zwischenraum wurde zum Hof-Bau- und Packplatz bestimmt. Mitten in der Tiefe dieses Platzes erhob sich das Vorraths- und Arbeitshaus, und von diesem zu beyden Seiten, gegen die hübsche Häuser der Herrn stunden vier artige Wohnungen, jede für zwey Familien der Arbeiter, mit kleinen Höfen und Gärtgen dazwischen, nicht nur wegen der Verschönerung des ganzen, sondern auch um bey entstehendem Feuer die Gefahr so klein zu machen, als möglich. Der Zufall wollte, daß von Meindorfs Hausplatz hin der vorige Gutsherr von dem ehemals dagestandenen Wald ohngefähr hundert Morgen aufrecht erhalten hatte, da ließ Meindorf das Ackerfeld von dem Haus an bis an das Gehölze mit lauter hochstämmigen Obstbäumen aller Art besetzen, um den herrlichen Genuß blühender Bäume ganz nah an seinen Wohnzimmern zu haben. Schöne Staudengewächse, Blumen und der Gemüßgarten erhielten ihren Boden gerad an der Seite des Hauses längst dem Fluß, um die [201] Aussicht auf das Dorf Ruhberg und auf die Felder der Bauren frey zu halten. Die Erhöhung des untersten Stockwerks über den Hof und Garten betrug sechs Stufen. Dort ließ er gegen den Garten zu niedere Gewölber mit runden Fenstern machen, worinn der Gärtner Gewächse und Handwerkszeug aufheben konnte. Zwischen den Fenstern wurden Spalierbäume, Rosen, Jasmin und Weinstöcke gesetzt, und ihre Zweige über die runden Fenster gezogen, und niedrige Pflanzen stunden an ihren Füssen, über diesem Gartengewölbe lief ein offener Gang, auf den man aus den daran stossenden Zimmern gehen konnte. Die Brustmauer, die Wand, und die breite Stiege in den Garten waren mit Blumentöpfen von der schönsten Form, und den artigsten Blumen besetzt; gegen den Fluß zu deckten Weinreben eine halbe Laube. Dieses alles ordnete der alte Meindorf an, ehe er seine Stelle mit Erhaltung einer Pension niederlegte, und dann mit seinem Ernst und einem armen aber geschickten jungen Maler nach Rom abreißte, um als Mann mit seinem Sohn zu geniessen, was er als Jüngling sich oft gewünscht hatte. Einfache Kleidung, Mäßigkeit in ihrer Nahrung, ohne den Prunk eines Bedienten, und aller Ausgaben der Eitelkeit, konnten sie von ihren Einkünften recht [202] artig leben. Nun lehrte Meindorf seinen Ernst noch ganz Latein, und die alte römische Geschichte. Cicero, Horaz, Tacitus, Virgil, Plinius, und andere wurden auf Plätzen in der Stadt und auf dem Lande gelesen, wo er seinem Ernst sagen konnte: »hier, mein Sohn! bist du auf der Stelle, die der grosse Mann ehemals betrat: – hier redete Cicero für die Freyheit und Recht: hier schrieb er an seinen Attikus« – Er führte ihn zu den Ueberresten seines Landhauses, und auf den Platz, wo Cicero das größte that, da er so ruhig seine Sänfte halten ließ, und seinen Mördern den Kopf darbote. »Da sann vielleicht Horaz das erstemal auf die Ode, welche die erste war, die du fassen konntest, und dich so darüber freutest.« – Mit dem Eutropius in der Hand besuchten sie das Kapitol und das Koliseum. – Meindorf bedauerte wie die edle Madame du Boccage, daß Trajans Aschenkrug von seiner Stelle gestossen wurde, dessen grosse gute Seele ein Hauch unsers Gottes war, wie unsere Tugenden es sind. Bey Virgils Grabmal sagte er: »hier ruhet die Asche des friedlichen Sängers der Schönheiten der Natur: gewiß nährten die aufgelößten Theile seines Körpers den ersten Lorbeerbaum, der sein Grab beschattete, und die, welche wir sehen, sind ehrwürdige Enkel dieses ersten[203] Baums.« Dieß alles gab dem Karakter des Jünglings eine Würde und Erhabenheit, die ihn glücklich und schätzbar machte. Die Geschichte des neuen Roms und der Künste lernte Ernst in der italienischen und griechischen Sprache, durch welche sein Vater zugleich seinen Geschmack bildete. Die Naturgeschichte des Landes endigte ihren Aufenthalt, der drey Jahre gedauert hatte, während welchen sie ganz Italien durchstreiften. Indessen hatte der Maler seine Talente zur Vollkommenheit gebracht, Ernst selbst zeichnete sehr schön und leicht jedes Bild, jede Gegend, und jede Gedanken, die er darstellen wollte. Nun besuchten sie die griechische Inseln, nachdem auch Spanien, Portugall, Engelland und Frankreich, unser Teutschland, und besonders die Schweiz. Kein Wunder der Natur, keines der menschlichen Kunst blieb ohngesehen und ohnverehret. Am Ende des achten Jahrs ihres Herumwanderns kam Ernst im halben May als ein vortreflicher junger Mann in sein Vaterland zurück. Meindorfs Freunde hatten Nachricht von dem Tag der Ankunft, und alles war nach seinem Willen zubereitet. Denn er hatte von jedem fremden Land, das er mit seinem Sohn durchreißte, die beste Karte in das Grosse zeichnen lassen, die Hauptstadt, das prächtigste Gebäude und den schönsten [204] Garten gemalt, das Bild der damals schönsten Frau, und dieß von einem dort gefundenen Freund in der Nationalkleidung, und das von einem auszeichnenden Volksfest hatte er sich auch geschaft, so wie die Risse der Stühle, Geräthe und Bettung, nebst den in dem Land verfertigten Zeugen zu Küssen und Vorhängen, wie er es bey Leuten seines Standes gefunden hatte. Damit wurden der Saal des zweyten Stocks und vier Zimmer verzieret, und in jedes auch die Geschichte des Lands, und die Werke der vornehmsten Schriftsteller aufgestellt. Der Saal wurde dem italienischen Geschmack geweyht; Brustbilder, Vasen und zwey Genii zierten ihn. Der erste Stock aber war ein willkürlicher Auszug und Mischung alles dessen, was ein vernünftiger Mann in fremden Landen als nützlich und angenehm ansieht, und in seine Heimat mitbringt, wodurch unser guter Meindorf dem teutschen Geist folgte, der sich immer die Erfindungen anderer Nationen gefallen läßt, und sie annimmt. Dieses war also eine Art Grille in dem so schätzbaren Mann. Aber es machte ihm Freude, und vergnügte auch alle, die es sahen, ohngemein, wenn sie sich nun so in der Stube eines griechischen Kaufmanns, eines Spaniers, oder in Engelland und Frankreich dachten, oder in dem römischen [205] Saale herumspazirten. Die Fabricke war in völligem Gang, die Bäume alle, und die Stauden schön gewachsen, und in völliger Blüthe, der Kaufmann sehr vergnügt, die Arbeiter wohl und zufrieden, alle auf den Abend der Meindorfe ihrer Ankunft festlich gekleidet, alle Fenster mit farbigen Glaskugeln, die als Blumengewinde aufgehängt waren, beleuchtet, die Mäste, Segelstangen und Vordertheile der zwey grossen Schiffe, und die Bäume am gegenseitigen Ufer auch damit umwunden: auf dem grossen Vorrathshause laß man: – Es lebe Meindorf. – In dem Hof stunden drey Zelten, wovon die zwey größte den Arbeitsleuten, und die in der Mitte für die Meindorfe und gebettene nachbarliche Freunde ware. Niemand erinnerte sich, jemals einen so fröhlichen Abend gelebt zu haben. Auf den Schiffen war eine artige Musik, die erst aufhörte, als alles schlafen gegangen war. Meindorf hatte wohl so etwas gewünscht, um seinem Ernst den künftigen Aufenthalt gleich bey dem ersten Anblick recht gefällig zu machen, aber dieses so ordentliche und liebliche Fest hatte er nicht erwartet. Sein geliebter Sohn schien nicht allein vergnügt, sondern gerührt, und dieß freute seinen Vater noch mehr. Ernst gefiel sich bey den Arbeitsleuten, und er gefiel auch [206] ihnen durch seine freundliche offene Mine. Einer von ihnen sagte:
»Sie hätten immer vermuthet, er würde eine hübsche junge Frau aus den fremden Landen mitbringen. –«
Ernst war aber artig genug, um zu sagen:
»Daß er ein teutsches Mädchen wolle, und auch hoffe, daß, da sie alle so glücklich gewesen, liebenswürdige Frauen zu finden, so würde auch eine für ihn gewachsen seyn.«
Die Weiber waren alle über diese Höflichkeit sehr vergnügt, und baten ihn, jetzo mit seinem braven Vater dazubleiben, und für ihre Kinder sorgen zu helfen, wie er für die Eltern sorgte. Diese Bitte bewegte des edlen jungen Mannes Herz. Er sah um sich, und umfaßte ein paar Knaben, die am nächsten bey ihm standen: –
»Ja, meine Lieben! ich bleibe jetzo hier. Meine Kinder sollen mit den eurigen erzogen werden, und ich will alles thun, was ich zu eurem Wohl beytragen kann, denn von meiner ersten Jugend an waren arbeitsame und geschickte Hände meinem Herzen werth. –«
Was für ein inniges Vergnügen verbreitete hier der junge Mann über alle die guten Leute, und wie viel stillen und lauten Segen erhielt er dafür? seiner [207] Ankunft zu lieb hatten sie sich gepuzt, und ihre Häuser geschmückt, aber seinem guten Herzen gaben sie das ihrige, und wünschten nun sich und dem alten Meindorf Glück.
Den andern Morgen führte Meindorf seinen Sohn auf den grossen Gang von welchem man den schönen Wald blühender Obstbäume, und die über ihn hervor ragende Gipfel der Birken und Tannen sehen konnte. Ernst war entzückt, und freute sich, daß in diesen acht Jahren ihrer Abwesenheit Gebäude und Gewächse so vollkommen geworden seyen, und daneben so viele gute Menschen nützlich und vergnügt da lebten. –
»Dieses Jahr essen wir schon Früchte, die wir damals nur pflanzen liessen – wir wohnen in dem angenehmen Haus, wozu wir nur die Stelle anzeigten, und ich sehe alle Leute arbeiten, die ich vor unserer Abreise erst wünschte. – Lieber, theurer Vater! haben Sie Dank für alles, was Sie diese acht selige Jahre für mich waren! – Gott lasse Sie nun Ihre Ruhe in Meindorf glücklich geniessen.«
Sein Vater umarmte ihn:
»Lieber Ernst! ich danke Gott herzlich für die Seele, welche er dir gab. Ich besitze in dir alles gute doppelt, was er in mich legte. [208] Diese blühende Obstbäume sind mir das Sinnbild deiner Jahre, jede Gattung des Verdienstes eines guten Weltbürgers blüht in deinem Geist und Herzen. – Gott leite dich bis zu der Reife, und lasse mich die würdige Früchte von der Blume sehen, die mich erquickte!«
Viele Tage giengen nun mit Besuchen der Menschen und der Gegend vorüber. Ernst wollte nach der Reihe alles sehen, und in der Fabricke alles lernen. Er sah bald, daß der würkliche Kunst- und Handlungsgeist eine ganz andere Gattung ist, als der von den Gelehrten, von welchen oft das größte Genie nicht fähig wäre, einen Handlungsplan auszuführen, da man im Gegentheil Beweise genug hat, daß Kaufleute neben ihrer Handlung sich in wichtigen Theilen von schöner Kenntniß rühmlich zeigten. Beyde Meindorfe hatten in den acht Jahren ihres Herumwanderns einen so grossen Vorrath von gründlichen Kenntnissen, Erfahrung und Nachdenken mitgebracht, der noch vielen zu einer Würze von Weisheit und Klugheit dienen konnte. Sie freuten sich still, ohne pralen, dessen, was sie gesehen, und über dieß, was sie zu Haus antrafen. Meindorf hatte mit vieler Ueberlegung seine Reisen mit den nördlichen Gegenden unsers Europa [209] beschlossen, um eine allmälige Aenderung in die Bilder und in die Gefühle zu bringen, welche sein Sohn auswärts gefaßt hatte, damit der Unterschied, wenn er nun sogleich von Rom und Paris nach Meindorf gekommen wäre, nicht schmerzlich seyn möchte. Ernst war über die Gegend und das Landgut äusserst vergnügt, und sein Vater gab ihm die vier Zimmer des dritten Stockwerks ganz, um sie nach seinem Geschmack einzurichten. In diese brachte er seine Bibliotheck, und der schätzbare Pfarrer von Ruhberg war oft bey ihm, um eine Sammlung mathematischer und physikalischer Instrumenten zu ordnen, und zu gebrauchen. Zwey grosse Welt, und Himmelskugeln, Sehrohre – alles dieß wurde dort aufgestellt, und Ernst Meindorf bat, im Sommer auch da wohnen zu dürfen, weil die vier kleine Zimmer nur über den Mauern des Saals in der Mitte stunden, und hingegen auf beyden Seiten schöne Altanen mit Vasen besetzt waren, ihm Neapel zurückriefen, und er sich freute, Nachts bey einem gestirnten Himmel, den er mehr als den Mondschein liebte, noch lang, wenn alles umher ruhig war, wenn die ganze Natur schlief, sich dort aufzuhalten, und tausend Erinnerungen zurück in seine Jugend, und Wünschen für seine künftige Tage nachzuhängen. – Er konnte wohl einsame [210] Stunden ertragen, und den ganzen Himmel über sich offen sehen, denn er liebte die Tugend und Gott. Er war mit unverletztem Herzen und Sitten in seiner Heimat angelangt. Sein vortreflicher Vater hatte die hohe Kunst gefunden, die Idee des Vergnügens auf den Weg der Wissenschaften zu leiten. Kenntnisse waren das Ziel des Ehrgeitzes und der Freuden des jungen Meindorf bis zu seinem zwey und zwanzigsten Jahr, da er mit seinem Vater zurückkam.
Er bemerkte bey seinem nächtlichen Aufenthalt auf der Altane, viele Zeit immer Licht in einem abgelegenen Hüttgen, während daß sonst nirgends ein Funke zu sehen war. Es gab ihm die Begierde zu wissen, was wohl in diesem Hüttgen vorgehen möchte, und da er gelehrt worden, daß eine großmüthige Seele niemals eine Vermuthung mittheilt, aus welcher jemand eine Unruhe oder ein Schaden entstehen könnte, so sagte er nichts von diesem Licht, und von seinem Verlangen, die Ursache zu wissen. Aber er gieng einst, nachdem alles schlief an das kleine Gärtchen vor der Hütte, stieg über die Hecke, und beobachtete zwischen den Zweigen einer Hollunderstaude, was in der Stube vorgieng. Das erste, so er sah, war eine liebenswürdige Person von neunzehn Jahren, die an dem Tisch stund, und mit [211] der traurigsten Mine aus einem Medicinglaß Tropfen in einen Löffel zählte, indem stille Thränen über ihre Wangen herunterträufelten. Ihre Kleidung war von geringem Zeug, aber nicht nach bäurischer Art gemacht, sondern in der Form, wie Leute eines gewissen Standes sich tragen. Sie war ohne Haube und Halstuch, hatte schöne braune Haare, eine gefühlvolle Bildung, weiß, aber sehr blaß, edlen Wuchs, und Anstand in allen Bewegungen. Er staunte, und beobachtete um so eifriger. Das Mädchen nahm die Lampe von dem Tisch und trug sie zu einem Bett, worinn eine kranke Frau lag, welcher sie den Löffel mit Arzney gab, und mit der rührendsten Stimme dabey sagte: »Gott segne es, liebe Mutter! –« Schwach antwortete die Frau:
»Ach! der Ewige segne dich, meine liebe Tochter! mit allem dem guten, was er einem tugendhaften Kind verheissen hat.«
Auf einer Bank lag etwas Weißzeug, und in einer andern Ecke der Stube lagen zwey Kinder in einem Bett. Ernst blieb wie eingewurzelt stehen, das gute Mädchen brachte die Lampe wieder auf den Tisch, und zog den armen Vorhang an dem Bette der Kranken zu, band ihre weisse Schürze ab, die sie nett zusammenlegte, und sich dann auf einen neben dem Bett liegenden Strohsack setzte, ihre [212] Hände faltete, und leiß betete. Eines der Kinder wurde unruhig, sie gieng zu ihm, besänftigte es auf das liebreichste, und bliebe lang bey ihm knieen. Die Kranke erwachte wieder, und sprach mit ihrer Tochter ängstlich über den wenigen Schlaf, den sie nun seit so vielen Tagen geniesse: »Du wirst unterliegen, meine Meline! du verzehrst dich – für mich und die Kinder.« Nun fieng das kleine Mädchen auch an zu reden, und Meline bat sie, ihre kleine Schwester nicht zu wecken, sondern stille zu schlafen, bis die Vögel wieder sängen, und sie dann von ihrer guten Mutter Milch und Blumen bekommen würde. Endlich wurden alle ruhig, und Meline selbst schlief auf ihrem elenden Lager ein. Ernst Meindorf gieng langsam, und so in seinen Gedanken vertieft nach Haus, daß er bey dem Auf- und Zumachen der Hausthüre gar nicht behutsam war. Sein Vater erwachte, und eilte mit Schrecken aus seinem Bett, um nachzusehen. Als er sein Zimmer öfnete, sah er bey dem Schein der Stiegenlampe seinen Sohn hinaufgehen. Es war zwey Uhr in der Nacht vorbey. Nie hatte er Ursach gehabt zu vermuthen, daß sein Ernst nächtliche Gänge machte, und diese unterscheidende Tugend seines Sohns war ein Glück für sein väterliches Herz, wie die Kenntnisse seines Ernst sein Stolz waren. Um [213] so mehr schmerzte ihn die Entdeckung, daß er sich betrogen hätte. – Er rief aus:
O mein Sohn! wo kommst du her?
Ernst kehrte um, lief seinem Vater zu, fiel an seinen Hals:
Vater! lieber Vater! was hab ich gesehen! Meindorf wurde nun äusserst betroffen. Er nahm ihn in seine Stube, und fragte freundlich nach der Ursache der ohngewohnten Bewegung, in der er ihn auch in einer so ohngewöhnlichen Stunde sehe. Der junge Mann erzählte nun ganz genau alles, was er so viele Nächte bemerkt, und wie er endlich zu dem Entschluß gekommen sey, an die arme Baurenhütte zu gehen, wo er dann diesen Auftritt von Armuth und der kindlichen Liebe gesehen und gehört habe. Er setzte die Bitte hinzu, daß sein Vater doch morgen Abend selbst mit ihm hingehen möge. Meindorf kannte das wahre offene Herz seines Sohns, der ihm niemals eine Unwahrheit gesagt, niemals Ränke oder List gebraucht hatte. Und da er den starken Eindruck bemerkte, den dieser Auftritt in der Seele seines Sohns gelassen hatte, so konnte er als ein weiser Mann auch denken, wie fruchtloß jede Vorstellung seiner kältern Vernunft und Sinne jetzo seyn würde. Er versprach seinem Ernst, mit ihm hinzugehen, und bat ihn nur, sich [214] zu beruhigen, und sicher zu seyn, daß er alles für die arme Mutter und die gute treue Tochter thun würde. Dieses machte den jungen Mann sehr glücklich. Er dankte seinem Vater, und gieng in sein Zimmer, aber nicht schlafen. Er sah nach der Hütte, und Melinens Bild war vor ihm. Auch den Tag über sah und dachte er nichts anders. Sein Vater blieb auch ohne weitern Schlaf, durch die Betrachtung munter, wie leicht es nun geschehen könnte, daß selbst die fortdaurende Liebe für jede Tugend, welche er in das Herz seines Ernst gegraben hatte, eine Grundlage von Kummer für ihn und seinen geliebten Sohn werden könnte. Denn die lebhafte und umständliche Beschreibung, welche Ernst von der Bildung, von der Anmuth jeder Bewegung des Mädchens, von ihrer sanften Stimme, ja selbst von ihrem Namen Meline gemacht hatte, war ihm Beweiß, daß die heimliche Liebe eben so viel Antheil an dem schönen Gemälde hatte, als die Bewunderung für Melinens kindliches Bezeugen gegen ihre Mutter. Vater und Sohn wünschten also beyde, daß der Tag bald vorübergehen möchte, um auch bald aus der Unruhe zu kommen, in welcher sie sich befanden. Endlich kam die gewünschte Nacht, und der kluge liebreiche Vater gieng an der zitternden Hand seines Ernsts an das Fenster des Hüttgens. [215] Die kranke Frau saß auf einem Stuhl, von Meline unterstützt, und lehnte ihren Kopf an den Busen ihrer treuen Tochter. Eine gut gekleidete Bürgersfrau machte das Bett zurecht, und half dann mit Meline die Kranke wieder hineinlegen, welche ihnen liebreich dankte, und nun zu ruhen verlangte. Meline und die Frau kamen miteinander an das Fenster, öfneten es leise, und knieten sich auf die Bank, um zum Fenster hinaus zu sprechen, damit sie die Kranke nicht störten. Meline fieng an:
»Nicht wahr, liebe Suße! meine gute Mutter ist heute viel schwächer, als alle vergangene Tage?«
Hier weinte sie, und Meline faßte das Wort mit einer sanften und rührenden Gelassenheit: –
»Was soll aus Meline werden, willt du sagen, treue redliche Seele! das einzige, das uns von Reichthum und Freunden blieb! – Ach, Suße! alles was der Ewige will. – Er, der diesen Gestirnen ihren glänzenden Lauf vorschrieb, wird auch in Zukunft den Weg meines Lebens bezeichnen, und du wirst mich [216] nicht verlassen.«
Thränen erstickten ihre Stimme. Sie hieng an dem Hals der Frau. Beyde schwiegen einige Zeit. Endlich fieng Suße an:
»O so lang ich lebe, sollen Sie haben, was ich meinen Kindern gebe, und stirbt mein Mann vor mir, da müssen Sie einen Kindstheil von dem annehmen, was ich an dem erworbenen Vermögen bekomme. Aber, mein Gott! das ist doch wenig, und unsicher, denn ich kann früher sterben.«
Meline dankte ihr für ihr gutes Herz, und sprach fort:
»Daß sie schon oft in den durchwachten Nächten an dem Krankenbette ihrer Mutter nachgesonnen, was sie thun wolle, und sie dächte sich bürgerlich zu kleiden, und als Kinderwärterin in ein gutes Haus zu gehen. – Denn du weißt, liebe Suße! wie gerne ich deine Kinder um mich habe, und wie gerne sie bey mir sind. Ich habe mich freylich auch deswegen an sie geheftet, weil du meine Jugend gepflegt hast, und jetzo die Wohlthäterin meiner Mutter geworden bist. Aber ich finde es auch so süß, mit den unschuldigen Geschöpfen zu leben, und für sie zu sorgen. Denn seit ich erwachsene [217] Menschen kenne, weiß ich von nichts als Kummer und Unrecht, womit sie meine rechtschaffene Eltern bis in das Grab verfolgten, und sie waren beyde so gut, so fromm wie du.«
O mein Gott! sagte Suße: – »das kann ich nicht leiden. – Sie, eine Magd in Bürgerkleidern! – werden Sie lieber Kammerjungfer, so behalten Sie doch ihre rechtmäßige Tracht, und werden geehret. Wenn ich eine Dame wäre, ich freute mich, Sie bey mir zu haben.«
»Gute Suße! ja wenn du der Dame, zu der du mich bringen willt, dein Herz geben kanst. Aber ich will nicht Kammerjungfer werden, meine Gestalt würde mir tausend böse Stunden geben, und ich müßte munter seyn, das kann ich nicht mehr. Laß mich noch eine Zeitlang bey deinen Kindern, und dann hilf mir in den Dienst einer guten Mutter, wie du bist. Die wird mich lieben, wenn sie sehen wird, wie zärtlich und treu ich für ihre Kinder sorgen werde. Es däuchte mich so etwas tröstliches zu seyn, wenn mein gutes tugendhaftes Herz nun die Aufsicht über die Unschuld und den anwachsenden Geist der kleinen Engel hätte. Bürgerliche Kleider hast du mir ehrwürdig gemacht, was für ein Herz trägst [218] du unter diesem einfachen Wämschen. Das erste, was ich anziehen werde, muß von dir seyn, das ich mir zurecht machen will.«
Suße erhob ihre Hände betend:
»Gott im Himmel! du siehst, du hörst das alles! o schaffe Rath. Oder nimm Mutter und Tochter zugleich aus der bösen Welt!«
Unser Ernst Meindorf, der von dieser Unterredung ganz hingerissen, ganz für Meline eingenommen war, konnte sich in diesem Augenblick nicht mehr zurückhalten, und rief:
O nein – nein!
Beyde Personen erschracken, schrien auch, und machten eilig das Fenster zu. Die zwey Meindorfe machten sich zurück. Ernst war sehr traurig über den Schrecken, den er Melinen verursacht hatte, und daß er sich dadurch auch des Vergnügens beraubte, sie noch öfter zu beobachten, und reden zu hören. Sein Vater schwieg auch, Meline hatte ihn gerührt. Er konnte sich keine bessere Schwiegertochter wählen. Das dachte er, als ihm die Bewegung der Hand seines Sohns, die eine von seinen Händen hielt, die Gesinnung von Ernsts Herzen zeigte, denn diese Hand, welche ihn oft sanft drückte, dann jeden Finger allein auflegte, und ein andermal sich stark zusammenballte, sagte ihm alles, [219] was in der Seele seines Sohns vorgieng. Es waren lauter Bitten für Meline und um Meline. Als sie aber in Meindorfs Stube waren, und sich anblickten, wurden beyde bewegt, und Ernst, der seinen Vater umfaßte, fieng an: –
»Theurer, gütiger Vater! mein Herz war nie vor Ihnen verschlossen. Lesen Sie auch jetzt darinn. Ich liebe Meline – mehr, viel mehr als ich Ihnen sagen kann. O lassen Sie mich das edle Mädchen und ihre Mutter aus dem Elend reissen! machen Sie mein Glück vollkommen – werden Sie Melinens Vater! Sie haben für mich mein ganzes Leben gethan, was nie kein Vater that. Ach thun Sie auch dieses. – Geben Sie die tugendhafte Meline mir zur Gattin –«
Er war von dem Hals seines Vaters bey dieser Bitte zu seinen Füßen gesunken, die er umarmte. Sein Vater hob ihn auf, und drückte ihn an seine Brust: –
»Ja, mein Ernst! wenn Meline dein Herz und dein Glück lieben wird, wie du ihre Seele und ihr Wohl liebst, so soll sie meine geliebte Tochter werden. – Morgen will ich Gelegenheit suchen, mit der guten Suße bekannt zu werden. Melinens kindliche Treue und ihre [220] Ergebung in den göttlichen Willen hat mich gerührt. – Ich bin Vater, und es soll mich freuen, wenn das Glück meines guten Sohns die Belohnung der Tugend einer guten Tochter wird.«
Mit Entzücken küßte Ernst die Hände seines gütigen Vaters, dankte und segnete ihn. Beyde giengen mit Entwürfen auf den folgenden Tag schlafen – der alte Meindorf mit allem, was er die Frau Suße und den Pfarrer von Ruhberg fragen wolle, und der junge mit dem, daß er bey Tag an dem Gärtgen der Hütte sich zeigen wolle, damit Meline ihn einmal sehen möge, und er ihr vielleicht gefalle, ehe man noch von ihm spreche. Denn er besorgte, die unglückliche Umstände der Mutter würden zu einem Beweggrund der Ueberredung gebraucht werden, und das theure Mädchen ihm ihre Hand geben, ohne daß ihr Herz die geringste Neigung hätte. Er gieng einfach und artig gekleidet, mit einem Schmetterlingsnetz an seinem Stock in das Feld, eilte von Ferne hin und her, gleich als ob er Schmetterlinge haschen wollte, und näherte sich auf diese Art mit klopfendem Herzen der Hütte, und lehnte sich an einen etwa dreysig Schritte entfernten Baum, der auf einem etwas erhöhten Acker stand. Ein kleiner Junge des Dorfs kam ganz erwünscht [221] mit einigen Schafen auf diesen Stoppelacker, und stimmte auf seiner Schwebelpfeife ein Liedchen an. Ernst winkte ihn zu sich, und bat den Jungen noch einige Stückchen zu blasen. Meline öfnete das Fenster, und kam bald darauf mit den zwey kleinen Mädchen in den Garten, horchte dem Liedchen zu, und hob bald das eine, bald das andere von den Kindern liebreich in die Höhe, um ihnen die Schafe zu zeigen, und den Jungen, der die Liedchen spielte. Sie blickte auch nach Ernst hin, aber bey der mindesten Bewegung, die er machte, wandte sie sich ab, gieng öfter an das Fenster, um nach ihrer Mutter zu sehen, untersuchte aber auch aufmerksam die Fusstapfen, die sie dort erblickte, und folgte ihnen bis an die Hecke, über die sie noch in den Acker nachsah, auch nach Ernst schaute, nachdenkend eine Bewegung mit dem Kopf machte, und sorgfältig alle Zweige und gebogene Aeste der Hecke aufrichtete, welche durch das Uebersteigen der zwey Meindorfe zerknickt waren. Indessen hatten sich die Schafe zu weit entfernt, und waren an ein gesäetes Feld gekommen. Der Junge sahe den Feldschützen von Ferne, und wurde sehr ängstlich vor der Strafe. Ernst lief mit ihm, die Schafe wieder zusammen zu treiben, und hielt den Dorfschützen ab, als dieser den Knaben abstrafen wollte, redete ihm zu, und [222] schenkte ihm etwas. Meline war durch das Schreyen des Jungen, und das Laufen des guten Meindorf von ihren Betrachtungen über die Fusstapfen abgekommen, und bis in die Spitze des Gärtchens geeilt, um zu sehen, was es gebe. Sie jammerte um den armen Knaben, als sie den Knittelstock des Schützen gegen ihn erhoben sah. Denn seine ländliche Liedchen voll Einfalt hatten sie gefreut, und sie konnte sich nicht enthalten, dem guten Meindorf einen Dank zuzunicken, als sie sah, daß er ihn von den Schlägen rettete. Ernst flog gegen sie halb ausser sich vor Freude, daß ihr diese Handlung gefallen hatte. Aber Meline gieng erschrocken und erröthend zurück. Ernst blieb auch einige Schritte von dem Gärtchen plötzlich stehen, und rief seine Hände auf die Brust legend:
»O fürchten Sie mich nicht, Meline! scheuen Sie mich nicht!«
Sie staunte. Der Ton dieser Stimme war ihr bekannt. Sie gieng weiter gegen das Haus zurück, mit den Mädchen an der Hand, sah noch auf Ernst, und der Ton des Nein, o nein! schallte wieder neu in ihr Gehör. Noch einmal blickte sie auf den Jüngling, und eilte in die Hütte. Ernst trat eben so schnell an die Hecke, und rief:
»Meline! ein Wort, hören Sie mich an!
[223] Aber sie blieb weg, und er lehnte sich mit Sorge an die Hecke, weil er fürchtete, ihr mißfallen zu haben. Einige Zeit nachher sah er seinen Vater, der ihm winkte. Er eilte ihm zu:
»Lieber Sohn! was machst du hier?«
»Ich sah nach Meline.«
»Sey gedultig. Ich hoffe, daß wir sie beyde bald auf immer sehen werden. Ich war bey dem Pfarrer, und erkundigte mich nach Meline und Suße. Diese ist die Frau des Wirths, und eine treue Freundin, die selten in der Welt erscheint. Sie war ehemals Magd bey Melinens Eltern, deren Name, und durch zwey fremde Bankerotte verursachtes Unglück mir vor unserer Reise bekannt war. Aber sie wohnten damals so weit von uns, daß ich nicht alles von den Folgen erfahren konnte, die um so trauriger waren, weil ein Bruder von der guten Frau Grube sie noch alle dessen beraubte, was ihr nach dem Tod ihres Mannes geblieben war, da sie schon vorher auf alles mögliche Verzicht gethan hatte, um die Gläubiger zu befriedigen. Sie verkaufte nun das letzte, was noch einigen Werth hatte, und zog hieher zu der Wirthin, welche sie in ihren glücklichen Tagen ausgestattet hatte. Diese [224] gab ihr mit Liebe und herzlichem Theilnehmen das Hüttchen, so ihrem Mann an einer Schuld zugefallen war, und besorgte und pflegte sie seit dem Herbst. Ich gieng zu der treuen Seele, und sagte ihr alles, was seit vorgestern mit dir und mir in Ansehung der vortreflichen Meline geschehen sey, und wie innig du mich um die Hand des tugendhaften Mädchen gebetten hast, daß ich mit dem Herrn Pfarrer gesprochen, und ganz zufrieden seyn würde, Meline mit meinem einzigen guten Sohn verbunden zu sehen, wenn sie dich lieben, und auch mit dir glücklich seyn könnte. Nie, mein Sohn! nie werde ich die schluchzende Stimme, und den abgebrochenen Segen vergessen, der aus der wahren Seele dieser Frau strömte. Sie fiel auf ihre Knie, und dankte dem allmächtigen Beschützer der Witwen und Waisen herzlich, und ergoß sich dann in Erzählung des Lobes ihrer alten Herrschaft, die keinen andern Fehler hatte, als daß sie zu gut waren. Nun kam der Arzt, nach dem ich in die Stadt schickte, um Melinens Mutter beyzustehen, und dieses war bey der guten Suße das Siegel meiner Aufrichtigkeit. Sie wird kommen, diesen Nachmittag dich zu sehen, [225] und von des Doktors Urtheil über die Kranke Nachricht zu geben. Der Zufall wollte, daß der Wirth mit dem Arzt aus der Stadt ritte, und beyde miteinander abstiegen. Die rothgeweinte Augen der redlichen Suße machten ihrem Manne Nachdenken. Er zupfte sie, und deutete auf die Hütte: – Was giebt's, Suße! steht es so schlecht? Sie ergrief seine Hand: – O nein, lieber Mann! es ist gut, über alles gut. Da – der Herr Meindorf will Vaterstelle an Melinen vertretten. Denke nur – freue dich – das gute Werk haben wir angefangen – da, danke ihm – sage, Gott vergelte es für meiner Suße ihre gute Frau – Herr Meindorf! mein Mann ist brav und wohlthätig wie Sie. Er ist wohl werth, daß Sie ihm die Hand reichen. – Ich that es, und sie nahm den Doktor, um ihn zu der Kranken zu führen. Der Wirth, ein sehr vernünftiger Mann, erzählte mir nun alles, was er von den Umständen der Frau Grube und ihrer Tochter wußte, seit sie in seinem Hause sind. Alles ist traurig, und alles ist löblich.«
Oft war Ernst währendem Heimgehen stillegestanden, hatte seines Vaters Hände gedrückt, gen Himmel und gegen Melinens Wohnung gesehen, und mit [226] Ungeduld erwartete er den Anblick der Wirthin. Er aß stehend am Fenster gegen die Landstrasse zu. Sein Vater tadelte ihn nicht, und lächelte nur, als Ernst den Muth nicht hatte, der Frau entgegen zu gehen, die mit seinem Schmetterlingsnetz in der Hand ganz eilfertig und munter gegangen kam. Sie betrachtete den jungen Meindorf von Kopf bis zu Füßen, und schien in ihrem Herzen vergnügt über ihn. Der Vater fragte sie:
»Liebe Frau Suße! hat Sie gute Nachricht?« Ja, Gottlob! der Doktor sagt, meine Frau werde wieder gesund, wenn sie keinen Kummer mehr habe. O Herr Meindorf! Sie halten doch Wort!
sagte sie mit Darreichung ihrer Hand. – Meindorf sagte:
»An uns fehlt es nicht, aber an Meline kann es fehlen, und dannoch werde ich der Frau alle Dienste leisten, die ich kann.«
Ernst wurde hier blaß und roth. Die Wirthin ließ nun die Hand des Vaters gehen, und trat mit erhobenen Händen zum Sohn:
O junger Herr! Gott lohne Sie ewig! Sie haben Mutter und Tochter vom Tod errettet. Es wird Sie nie reuen. – Meline ist von dem ersten Tag ihres Lebens ein Engel gewesen. [227] Ich war dabey, als sie zur Welt kam, und ich habe sie bis zum eilften Jahr erziehen helfen. – O Sie werden glücklich, gewiß recht glücklich.
Nun betrachtete sie ihn wieder, lächelte vor sich hin, und zum Vater.
Ist es wahr? – hat Meline dieß gesagt?
Nun erzälte die Wirthin, daß wie der Doktor mit der Kranken zu ihrer Ermunterung gesprochen habe, so hätte Meline sie auf die Seite gezogen, und gesagt: »Suße! ich habe den Menschen gesehen, der uns gestern Abend so erschreckte. Es ist ein hübscher artiger Mensch, und recht gut denn er hat einem Baurenbuben helfen die Schafe suchen, und hat ihn von Schlägen gerettet. Er kam an das Gärtchen, und rief mich bey meinem Namen. Da habe ich die Stimme deutlich erkannt, die gestern – Nein, o nein! sagte. Er habe sie gejammert, als er nach ihr rufte, aber es wäre ihr ohnmöglich gewesen, im Garten zu bleiben: Er sehe gut aus, und seine Stirne sey aufrichtig: Er habe sein Netzgen an der Hecke stehen lassen, da hätte sie es geholt: – Sie solle doch suchen, zu erfahren, wer er sey.« – Ich drückte ihre Hand, und sagte; – »Ich weiß, ich [228] weiß es schon. Lassen Sie nur erst den Doktor gehen. Der Himmel ist offen über uns alle. O wie viel Gold ist mir die Hütte werth! – und da das Fenster. – Da, sehen Sie, das Dach von dem schönen Haus dort! Meline! das ist Ihre, der liebe Gott herrscht darinn, und Sie werden die Frau davon. – Ich habe mich nicht halten können, fuhr sie fort, ich mußte ihr das gute bald sagen, sie hat so viele Jahre nichts als Jammer gehört, und kein Glück gehoft. Die gute Meline zitterte, setzte sich, sah auf den Boden. Ach! dachte ich, das Zittern vor Freude schadet nicht, und die Freudenthränen beissen einen nicht in den Augen. Der Doktor gieng, und sagte, er wolle Arzneyen schicken, man solle nur die Kranke zu ermuntern suchen. Da sagte ich leiß zu Melinen: das will ich und Herr Meindorf, geh du nur – und flugs war ich an dem Bette meiner guten Frau. Ich fragte sie: liebe Frau! Sie haben so viel Kreuz getragen. Ich hoffe, das gute Glück, so ich weiß, solle Sie aufrichten. Sie schaute mich ganz wundersam an, und da habe ich ihr alles erzält, was Sie mir sagten, und wir dankten Gott alle drey, und beteten um einen glücklichen Ausgang. Ich lief zum Herr Pfarrer, und holte ihn zu meiner Frau, daß er ihr alles recht gescheid erzäle, wer Sie sind, und von Ihrem Sohn auch. [229] Meline hat kein Wort verlohren, und guckte recht oft nach dem Dach von Ihrem Haus, da bin ich nun fort, ihnen alles zu sagen. Aber lieber, guter Herr Meindorf! ich habe gesagt, Sie kämen heute noch selbst. – O Sie müssen es thun, denn sonst fürchtet die alte Frau heut Nacht, es sey alles verschwunden.«
Ernst blickte mit Sehnsucht auf seinen Vater. Dieser nahm seinen Stock und Hut: –
»Komm, Ernst! komm, wir wollen nicht auf den Trost warten lassen, den wir geben können.«
Was ein Gang! was für Empfindungen in diesen drey Redlichen! Meline sah sie kommen, und warf sich an dem Bett ihrer Mutter neben dem Pfarrer auf die Knie. Die Wirthin lief voraus, aber sie konnte nichts sagen, als: – Herr Meindorf kommt. Alle sahen sich an, keines konnte sprechen als Ernst, der sich neben Meline hinkniete, und ihre Hand nahm –
»Meline! theure Meline! sehen Sie meinen Vater! –«
Sie erhob ihren Kopf, blickte erröthend auf Ernst, und dann unverwandt den alten Meindorf an. Dieser näherte sich dem Bette:
»Ehrwürdige Frau! Sie wissen von dem [230] Herrn Pfarrer, und von der treuen Frau Suße, warum ich Sie besuche, – wollen Sie meinem Sohn erlauben, mit Ihrer Meline in dem Gärtchen zu sprechen, denn Ihre Tochter soll frey seyn? – Schätzbares Kind! wollen Sie meinem Sohn das Glück gönnen, Ihnen sein Herz zu öfnen? Er ist tugendhaft, wie Sie es sind.«
Meline sah auf ihre Mutter. Diese sagte:
»Geh, mein Kind! in Gottes Namen, und zeige auch Herrn Meindorf deine Gesinnungen. Er wird dich lieben, wenn er dich kennt, wie ich dich kenne.«
Meline küßte die Hand ihrer Mutter. Ernst that es auch, hob Melinen auf, umarmte seinen Vater, und gieng mit dem zitternden Mädchen an der Hand in das Gärtchen. Er führte sie an den Hollunderbaum, nah an dem Fenster.
»Hier, Meline! sah ich Sie das erstemal. – Kommen Sie, ich will Ihnen mein ganzes Leben erzälen.«
Sie setzten sich, Ernsts Herz ergoß sich in Ausdrücken der Liebe und Verehrung seines Vaters, je nachdem er etwas Wichtiges von seiner Jugend, und der Bildung seines Herzens erzälte – seine Reisen, seine Zurückkunft, und auf die Altane seines [231] Hauses zeigend, seine entstandene Neugierde und Liebe. –
»Wenn Sie aber, theure Meline! nicht glauben können, daß in so kurzer Zeit eine so wahre und innige Zärtlichkeit entstehen konnte – o so sagen Sie mir, wie ich sie Ihnen beweisen kann –«
Und er faßte eine ihrer Hände, sah zärtlich und traurig auf die tief schweigende Meline:
»Ach! wenn Ihr Herz einen schätzbaren glücklichen Jüngling liebt, o so sagen Sie es auch. Mein Herz soll schweigen, soll keine Wünsche haben, die gegen Ihr Glück, gegen Ihr Vergnügen arbeiteten. – Ihre ehrwürdige Mutter, Sie und Ihr Geliebter sollen doch an meinem Vater und mir Freunde haben, wie Ihre Suße ist.«
Meline drückte seine Hand mit ihren beyden Händen, blickte äusserst gerührt ihn an, konnte aber nicht gleich die Worte finden, mit denen sie ihre Gesinnungen ausdrücken wollte. Ernst glaubte nun, er habe die Gemüthsverfassung von Meline errathen, und stotternd wiederholte er seine Versicherung von Beystand für ihre Mutter, und für den Mann, der ihn elend mache. Meline sagte dann:
»O geben Sie meinem Schweigen und meiner [232] Unruh keine andere Auslegung, als die Unmöglichkeit, mich zu fassen. – Denken Sie, was das ist! – diesen Morgen steh ich noch arm, und mit dem Gedanken des größten Unglücks vor mir auf, und jetzo zeigt sich eine Zukunft, die ich nicht glauben kann. – Ich weiß wohl, daß ein göttlicher Fingerzeig alles verändern, alles bessern kann. – Aber, mein Gott! verdiene ich dann, daß Wunder für mich geschehen!«
»Liebenswürdige Meline! Ach, wenn Ihr Herz mit keinen andern Empfindungen zu streiten hat, als mit dem Staunen über die jähe Aenderung, so bin ich glücklich. – Sagen Sie nur, meine Beste! daß, wenn Sie denken, Gott wolle durch mich Ihre Mutter unterstützen, daß es Ihnen nicht unangenehm ist, daß er mich dazu ausersah. – Ich will nichts, Meline! nichts als diese Versicherung. Ich bin hier fremd, meine Liebe! niemand kennt mich, als Gott, und mein Vater. Man weiß nur, daß ich Vermögen habe. Von meinem Herzen und für mich kann niemand sprechen, wie für Sie von allen gesprochen wird.«
Meline sah mit freudiger Zärtlichkeit ihn an:
»Beruhigen Sie sich, vortreflicher, edler Jüngling! [233] ich versichere Sie, daß ich noch nie keinen Mann sah, der mir so gefallen hätte, wie Sie mir gefallen, und ich danke Gott, daß ich Ihr Herz und Ihr Leben so kennen lernte, wie jetzt. Denn ich hätte Sie geliebt, wenn Sie der Mann eines andern Mädchens gewesen, oder wenn ich ihre Geschichte nur in einem Buch gefunden hätte.«
Ernst schloß sie mit all seinem Feuer in seine Arme, und mit Entzücken rief er aus:
»O mein Vater! wie froh bin ich, nie keinen Freund gehabt zu haben, als dich, und nie keine Geliebte, als Meline! – Kommen Sie, kommen Sie zu unsern geliebten Eltern!«
Sie giengen einander am Arm in die Stube. Ernst fiel seinem Vater um den Hals:
»O meine Mutter! wie glücklich bin ich! Meindorf hat das Herz eines Engels.«
Ernst rief Meline! sie sah auf, ihr Geliebter hielt einen Arm seines Vaters umschlungen, und beyde giengen ihr zu. Der alte Meindorf umfaßte sie –
»Wollen Sie meine Tochter seyn? –«
[234] Sie schmiegte sich weinend an seine Brust, und ihre Mutter erhob ihre Hände –
»O Gott! stärke mich, dieses Glück zu tragen! segne! segne meine Kinder, ihren Vater, und meine Suße. –«
Sie stammelte. Suße hielt ihr Salz vor, Ernst und Meline unterstützten sie. Suße schluchzte ein Gottlob. – Der Pfarrer dankte der Vorsehung, und sagte:
»O Erde! wenn du auch allerwegen Dornen und Disteln trügest, so würde unter dem Fustritt dieser Tugendhaften ein neues Paradieß entstehen.«
Sie wurden den andern Tag in der Hütte an dem Bett der Mutter getraut, weil Meindorf die Kranke aus dem niedern Stübchen weghaben wollte. – Ernst sagte seiner Meline, als er ihre Hand noch nach dem priesterlichen Segen hielt:
»Wenn ich einst krank bin, so reiche mir auch die Hülfsmittel mit dieser Hand. Laß auch eine Thräne der Liebe um deinen Ernst hineinträufeln, wie ich vorgestern hundert aus deinen schönen Augen in den Löffel fallen sah, als du die Arzneytropfen für deine Mutter zältest. – Denn ich will es als Gatte verdienen, wie unsere Mutter es als Mutter verdiente.«
[235] Wie selig war Meline! Ernst liebte die Tugend in ihr, und wie hätte sie dem edlen jungen Mann ihre Zärtlichkeit versagt, der ihr nichts als ihr Bild und ihr Glück in seiner Seele zeigte? Die Mutter wurde Abends in das Haus ihrer Kinder getragen, wo sie wieder auflebte, glücklich wie Vater Meindorf. Erst nach langen Jahren grau und lebenssatt, da Ernst und seine Meline ihnen eine ohnunterbrochene Liebe und Ehrfurcht bezeugt hatten, starben sie. Meindorf hatte von dem Wirth das Hüttchen gekauft, schafte noch Güter dazu, und schenkte es der Wirthin. Zum ewigen Andenken aber solle es den Namen, der Hof treue Magd tragen. Meline erzog Sußens Mädchen wie ihre Kinder, und oft saß sie in dem Arbeitshaus bey den Knaben und Mädchen, und ermunterte sie zur kindlichen Treue und Liebe, und erzälte, wie Gott sie gesegnet habe. – Ernst sagte dann seinen Töchtern von der Liebenswürdigkeit, die ihre Mutter in der größten Armut durch die Tugend erhalten habe. – Suße blieb immer die vertraute Freundin, und den Arbeitsmädchen zum Beyspiel des schätzbaren Verdiensts einer treugesinnten Magd, welche der Trost und das Glück ihrer Herrschaft geworden sey.
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