Herrn Eduard Devrient, Mitgliede des K. Hoftheaters in Dresden, gewidmet
[9] Heinrich Laube
Gottsched und Gellert
Charakterlustspiel in fünf Akten
[Widmung]
Einleitung des Verfasser
Einleitung des Verfasser.
Die ganze Geschichte klingt wie ein Märchen.
In einer Stadt hatten sich die großen und die kleinen Kindes zusammen ein Theater errichtet. Darin spielten sie, und daraur wurden sie allmählich sehr stolz. Wie denn Kinder leicht sehr stolz werden, wenn ihnen etwas gelingt, was eigentlich den Großen zukommt. Hierbei tat indessen der Stolz nicht gut: man wollte die Darsteller und das Theater immer mehr putzen und geriet damit auf gar zu viel Geschmack für Äußerlichkeiten. Man wollte ferner durch aus Absonderliches leisten und wurde dadurch manieriert. Von den älteren Kindern bemerkten einige, daß es jetzt gar nicht mehr so hübsch sei wie ehedem in ihrer Komödie. Sie wußten nicht, woran das lag, und sagten kurzweg: Es wird nicht mehr gut gespielt. Da nahmen natürlich die anderen sehr übel, und es gab Streitigkeit, und eine große Anzahl der großen Kinder sagte endlich: Wir tun nicht mehr mit! und ging fort und kam wirklich nicht mehr wieder.
Jetzt spielen wir erst recht! sagten die Zurückbleibenden, und das taten sie denn auch. Um ja zu zeigen, daß sie gut spielten, trachteten sie nach allerlei avarten Dingen. Kurios ging das her! Was ihnen nur in der Schule vorkam aus Indien oder aus China, aus Griechenland oder aus Spanien, daraus machten sie ein Theaterstück, und wenn's nicht recht zusammengehn wollte, so ließen sie Musik dazu spielen, und da ging's zusammen. Ganz wie in der Küche, wo die Köchin vermittelst scharfer Saucen immer noch ein Ragout zustande bringt, wenn die Überbleibsel von allen möglichen Gerichten kein Gericht mehr hergeben wollen.
Einzelne Abtrünnige von den großen Kindern wurden durch dritte und vierte Hand vermocht, solche aparte Vorstellungen einmal [9] anzusehn. Nachdem dies geschehn, wurden sie durch dritte und vierte Hand gefragt, triumphierend gefragt: Na, war dies nicht außerordentlich?
Ja wohl, war die Antwort, aber es ist uns zu hoch, es unterhält uns wohl, aber es gefällt uns nicht recht!
Weil ihr nichts versteht! erwiderte ärgerlich das Personal der kleinen Akteurs und des kleinen Publikums. Heut' kommt ein Erwachsener zu uns, und sieht unsre Künste an, der wird euch sagen, was eine Harke ist.
So geschah's. Und als der Erwachsene die Vorstellung angesehen hatte, fragten sie ihn stolz: was er dazu meine? Liebe Kinder, sagte er, ich möchte euch nicht betrüben, aber ich glaube, eure Geschichte wird ein schlechtes Ende nehmen. Ihr habt euch den Magen verdorben durch Näscherei, und nun bringt ihr schon lange keinen gesunden Appetit mit zu eurer Theatermahlzeit. Euren Köchen da oben geht es um kein Haar besser, und deshalb sind sie auf lauter scharfe Saucen bedacht. Ihr müßt eure Bude zuschließen und ein Jahr hungern, sonst wird euch bald nichts mehr übrig bleiben gegen eure innere Langeweile, als nach Art der überreizten Römer Tierhetzen zu veranstalten. Löwen und Tiger habt ihr nicht, ihr werdet also wohl Hunde nehmen müssen. Dahin wird's kommen. Denn wenn man den Geist überreizt dadurch, daß man ihn ohne Hilfe des Herzens zu immerwährender Bewegung anspornt, so stumpft man ihn ab und versinkt einmal plötzlich auf tierische Gelüste. Wie gesagt, schließt eure Bude zu und fastet. Vielleicht kommt euch allmählich wieder der Sinn für Natürlichkeit und Einfachheit, den ihr dadurch verloren habt, daß ihr das Außerordentliche früher habt besitzen wollen als das Ordentliche. Nach diesen Worten erhob sich ein widerwärtiges Kindergeschrei: Steinigt den Böotier! Steinigt den Barbaren! Da aber nicht gleich Steine zur Hand waren, und der Erwachsene mit leichter Mühe die nächsten kleinen Helden beseitigte, so blieb's bei dem Geschrei, und er ging unbeschädigt von dannen.
So klingt's, wer mag es deuten?! Wehe dem heutigen dramatischen Schriftsteller, der nicht den Mut hat, etwas Eigenes zu wollen, der nicht den Mut hat, etwas anderes zu wollen als das zehnfach verschiedene Urteil eines in Wandelungen begriffenen Publikums, als die hundertfach verschieden fordernde Kritik zu wollen scheint; wehe [10] vollends demjenigen, der sich von manieriert gewordenen Hauptstädten Gesetze vorschreiben ließe. Die Spaltungen und Widersprüche auf der einen Seite, die Kapricen auf der anderen Seite sind nur ein sicheres Zeichen, wie groß das Bedürfnis neuer Wege ist. Nicht das Publikum, nicht die Kritik erfindet die neuen Wege. Sie sagen nur nein, sie sagen nur ja; der Autor muß erfinden. Jenes Nein und Ja sind ihm Fingerzeige, nicht aber Gesetze. Oder sollte diese Ansicht dem Autor zu viel zumuten und zutrauen und der Kritik und dem Publikum zu wenig einräumen? Diese vorwurfsvolle Frage ist meines Erachtens nur richtig, wo es sich um Formen handelt, welche in geringere Berührung kommen mit dem unmittelbaren Leben, und welche deshalb gesicherter sind vor täglichen Einflüssen. Das Drama ist unmittelbare Schlacht. Das Drama besteht nur durch immerwährende Eroberung, der Dramatiker muß den Mut der Anmaßung haben, und wenn er ihn nicht hat, so muß er ihn suchen. Was er bringt, das will und soll unmittelbare Gegenwart werden: diese ist nicht zu gewinnen durch bloße Befolgung von Regeln, welche gestern das Leben trafen, sie ist nur zu gewinnen durch immer neues Leben innerhalb alter Regeln. Die Kritik hat die Regeln, das Publikum besitzt das Leben, der Autor muß beides in sich vereinigen zu einer unerhört neuen Gestalt. Nur dann wird er schöpferisch. Man kann diese neue Gestalt verwerfen, entweder von seiten der Kritik oder von seiten des Publikums: der selbständige Hauch, welchen sie mit sich gebracht, wird dennoch befruchten und weiter zeugen. Ja, Publikum und Kritik können sie verwerfen, der Autor wird dennoch das Recht gehabt haben zu seinem selbständigen Wege, und er wird mit seiner Niederlage einflußreicher und lobenswerter sein als der Verfasser nach Rezepten, der nicht siegt und nicht fällt. Wer auf dem Theater eine Niederlage nicht wagen und erleiden kann, der wird auch das Theater nicht fortbewegen.
Ich kam von Berlin zurück mit der herben Erfahrung, ein Drama, Rokoko, unwirksam gesehen zu haben, welchem ich Wirksamkeit zugetraut, welches Wirksamkeit bewährt hatte. Am selbigen Abende meiner Rückkehr fand ich die sechste Vorstellung desselbigen Stückes im Leipziger Theater, und fand das Haus so überfüllt, daß ich Freund Kuranda, welcher das Stück noch nicht gesehen, hinter den Kulissen ein dürftiges Plätzchen verschaffen mußte. In Berlin, mußte ich ihm sagen, würden wir schon für die dritte Vorstellung die schönsten [11] Plätze in größter Anzahl und größter Auswahl finden! Und es ist hier wie dort ein und dasselbige Stück! Woher kommt das? Bloß von der Aufführung? Bloß vom Publikum? Allerdings ist ein Theaterstück ganz wie ein Segelschiff den Steuer- und Bootsleuten vorzugsweise, den berechenbaren Winden und Wellen und den unberechenbaren Winden und Wettern des Zufalls preisgegeben. Eine glückliche Fahrt beweist nicht immer die Güte des Schiffes, eine unglückliche Fahrt beweist nicht immer die Untauglichkeit des Schiffes. Zahlreich wiederholte glückliche Fahrten sind allerdings ein wichtigeres günstiges Zeugnis als ein Schiffbruch ein ungünstiges Zeugnis ist für das Schiff. Aber ein Schiffbruch ist doch immer lehrreicher als eine glückliche Fahrt, wie jedes Unglück lehrreicher ist als gutes Glück. Was ich auch der Aufführung zubürden mußte, ich war doch nicht so verblendet, darin allein die Erklärung zu suchen. Und so fand ich denn, daß man in Deutschland auch bei der Abfassung des Stückes einem verderblichen Aufführen desselben vorbauen müsse, und daß man ein ungenügendes Verständnis in der Anlage des Stückes vermeiden müsse und könne.
Worin bestünden dergleichen Sicherheitsmaßregeln gegen eine ungenügende und besonders gegen eine unklare Aufführung? Gegen ein ungesammelt hörendes, zerstreutes, in seinen Sympathien schwankendes Publikum? In Folgendem:
Man wähle starke, naheliegende Interessen, starke, ja grobe Züge; wenig Interessen, wenig Züge; einen starken Mittelpunkt und massenhafte Gruppierung um denselben, und nur um denselben; große Einfachheit in der Exposition, sorgfältiges Vermeiden einer Führung des Stückes durch Wendungen, welche nicht alle sichtbar aus den Charakteren und aus der in Bewegung gesetzten Handlung entspringen; nachdrückliche Wiederholung dessen, worauf der Nachdruck liegt; große Sparsamkeit in dem bloß Geistreichen, in alledem, was die Verstandesoperation übermächtig zeigt; nachdrückliche Behandlung dessen, was den Menschen in seinen Gefühlen darstellt, und alledem entsprechend die einfachste, natürlichste Rede.
Wie beleidigend! mag man sagen, solche Hausmittel auszubieten! Als ob wir krank wären, und so recht bauernkrank!
Wir? Das ist eine unrichtige Bezeichnung. Ich glaube, es ist in unserem Vaterlande wenigstens ebensoviel Bildung, ja noch mehr Bildung als in irgend einem Lande. Wäre diese Bildung so leicht [12] wie anderswo vereinigt, wäre diese Bildung die herrschende Stimme in unserm Theater, dann wäre es allerdings nicht nötig, von einer solchen Kur zu reden. Aber die Erwachsenen haben das Theater zu lange schon aufgegeben, deshalb ist die Entwickelung des Theaters gestört worden. Ein gemischtes Publikum richtet in der Arena, und doch verlangen die Besten, daß auch ihnen gleichzeitig Genüge werde. Was ist da anders übrig, als die Form dergestalt zu vereinfachen und von dieser Einfachheit dergestalt organisch aufzubilden, daß sich die zersprengten Teile des Publikums allmählich wieder in einem kernigen Mittelpunkte begegnen können! Ist der Kern wieder gewonnen, wird auch die Feinheit gewonnen werden.
Und was ist dieser Kern? Ist er vorhanden? Und bietet er vielleicht gar in seiner einfachen Tüchtigkeit all' jene Eigenschaften, welche oben durch sogenannte Hausmittel angedeutet worden sind? Freilich! Auf so viel Umwegen kommt man zum Nächsten. Dies Nächste heißt: nationales Schauspiel. Betrachten wir's in der Nähe, so werden sich alle obigen Eigenschaften und Kennzeichen daran bemerklich machen. Starke, naheliegende Interessen soll man wählen; wo gäbe es stärkere und näher liegende als daheim? Wessen bedarf's denn, um sich für die Heimat zu interessieren? Nichts als eines natürlichen, gesunden Sinnes. Und fehlen uns etwa die starken, ja groben Züge? Ei, es erscheint schon stark und grob, was uns so nahe vor Augen ist, und daß wir nicht hoch hinaus dürfen, dafür ist gesorgt. Was sich in die Regentengeschichte hinauf versteigt, das ist nicht erlaubt. Man will offenbar unserm Anteil eine ganz andere Richtung geben, man will die regierenden Familien ausgeschlossen sehn von dem mächtigen Kultus einer Kunst, welche so lebendig eindringt in alle Klassen. Man will uns bürgerlich haben um jeden Preis. Wer verliert dabei? Die Nation, welche sich bilden will, welche Mittelpunkt werden will für massenhafte dramatische Gruppen; sie wundert sich eine Zeitlang, daß die Häupter unsrer Reichsgeschichte von ihr ausgeschlossen sein sollen, aber sie ist gehorsam, und »man gewöhnt's!«, wie Bauernfeld in seinem »Deutschen Krieger« sagt.
Unsre bürgerlichen Zustände ferner, auf welche wir somit angewiesen sind, bieten von selbst eine einfache Exposition, schließen von selbst eine vorherrschende Führung durch Intrige aus, drängen von selbst auf Charaktere, welche nicht in übermächtiger Verstandesoperation, sondern auch besonders in gemütlicher Wendung sich [13] entwickeln, drängen von selbst auf einfachste, natürlichste Rede. Ein nationales Schauspiel zu suchen in der Tat, nicht in unbestimmten Phrasen, dies war die Lehre meiner Theaterschicksale, war die Antwort auf meine erstaunten Fragen.
Ich nahm mir Lehre und Antwort zu Herzen und wartete geduldig ab, ob mir ein heimatlicher Stoff und eine heimatliche Form sich bilden werde. Verzichtend legte ich alte Pläne zur Seite. Eins wußte ich endlich: Wer im Theater wirken will, muß die Gelüste und Wendungen besonderen Geistes und überraschender Laune verabschieden.
So lagen mir die Dinge im Winter zwischen 1844 und 45. Da kam an einem verschneiten Wintertage Robert Heller zu mir und sagte in seiner heiteren Weise: Was meinen Sie, Heinrich Laube, wäre es nicht auch bei uns tunlich wie in Frankreich, gesellschaftlich ein Theaterstück zu machen? Ich weiß einen guten Stoff!
Wirklich einen Stoff?
Wenn Sie so ernsthaft fragen, nein, bloß eine Gegend, eine Figur, einen Charakter, einen Vorfall, gleichviel, was meinen Sie zu einem Gesellschaftsstück?
Wenns ein Lustspiel werden soll, und die beiden Leute einander richtig ergänzen, so mag's wohl tunlich sein.
Nun, ich dächte, wir ergänzten einander gegenseitig, und natürlich müßte es ein Lustspiel werden. Gottsched ist der Held! Das Theater der Neuberin, die Hanswurstvertreibung und die Hanswurstwiederkehr könnte der Mittelpunkt werden.
Kurz, wir vertieften uns wirklich in dieser und einer zweiten Unterredung: was für Personen herbeizuziehen wären, und ob nicht auch Gellert mitspielen könne, und – hiermit war unser gemeinschaftlicher Eifer zu Ende. Je näher man an die Dinge und Charaktere rückt, desto deutlicher sieht man ein, daß die konsequente Durchführung des Eigenwillens ein Bedürfnis ist bei literarischer Schöpfung, und daß etwas innerlich Starkes nicht geschaffen werden kann in solcher gesellschaftlichen Produktion. Sie genügt nur für Stücke, welche im äußerlichen Aufbau und in abwechselnden Szenen ihr Genüge finden.
Ich verreiste außerdem, und wir sahen uns monatelang nicht wieder, und als wir uns wiedersahn, war uns das Thema vergessen. Vergessen? Wer hat die innern Gegenden in uns ergründet, welche [14] man Gewissen nennt! Gewissen ist eine unglaublich weite und mannigfaltige Landschaft. Da herrscht nicht bloß die Moral, da herrschen alle möglichen Systeme und Formen, die uns am Herzen liegen. Was wir zu wissen und zu besitzen für nötig erachtet haben einen Augenblick lang, das wird unser Gewissen. Dort ruht es, was der unabhängigste Menschenteil in uns jemals angeregt, dort gestaltet es sich sogar in völliger Verborgenheit oft jahrelang, und wenn der richtige Anstoß kommt, dann entdecken wir mit Schrecken oder mit Freuden, was in uns fertig geworden sei.
Nicht Gottsched war mein Gewissen geworden, sondern Gellert, welcher in den zwei Unterredungen nur so nebenher berührt worden war, und als die stille Stunde kam, in welcher man in sich schaut, in die dunklen Vorratskämmerchen des Innern schaut, hinter die wunderlich bemalten Vorhänge beseitigter Phantasiegebilde schaut, als diese Examenstunde kam: – da saß der kleine Mann im hechtgrauen Kleide, mit der schmächtigen Nase, mit den guten Augen fertig angekleidet da, den Spazierstock in der Hand, und sagte lächelnd zu mir: »Na, wollen wir anfangen?«
Herr Professor!
»Bloß außerordentlicher, lieber Herr Nachbar aus Schlesien, und deshalb können Sie schon dreister mit mir umspringen. 's ist wohl wahr, was ich da in Ihrem Gesichte lese, daß ich mir später bittre Vorwürfe machen werde, wiederum dem Theaterspiel, Gott verzeih mir's, die hilfreiche Hand, ja diesmal sogar meine ganze kleine Person geboten zu haben. Man wird schelten, ja, ja, man wird auch mit Recht schelten, daß ich meiner Würde als Lehrer christlicher Moral nicht immer eingedenk geblieben sei, indem mit dieser Würde der Theaterspektakel doch nicht recht vereinbar ist. Aber, lieber Gott, es könnte doch auch aus dem Theater eine recht preiswürdige Schule gemacht werden – unterbrechen Sie mich nicht mit Vorwürfen, ich weiß wohl, daß ich damit altmodisch geworden bin! aber es war doch etwas Gutes an diesem lehrsamen Gedanken meiner Zeit, vielleicht ließe er sich nach Art des Ovidius metamorphosieren, was meinen Sie? Machen Sie keine Umstände mit mir, ich bin über fünfundsiebenzig Jahre tot, und Sie müssen am besten wissen, was etwa von mir noch lebendig ist unter den Menschen, und bloß das müssen Sie an mir herauskehren. Am Ende ist's doch wohl das Beste, weil [15] es lebendig geblieben ist, was meinen Sie? Sie sehen ja doch, ich lasse mir's gefallen, daß ich Komödie spielen soll!«
Allerdings war ich von lange her willens, nur das herauszukehren an geschichtlicher Person und Begebenheit, was lebendig geblieben ist. Diese Lehre war mir bei der »Bernsteinhexe« tief eingeprägt worden. Und zum Teil darum wurde mir Gottsched Nebenperson, obwohl er doch eigentlich viel wirksamer angetan zu sein scheint für ein Lustspiel. Der Leser möge sich an das erinnern, was ich in der Einleitung zu »Rokoko« über die innere Form des Lustspiels gesagt. Ich hielt mich für talentlos zu einer ganz heiteren Form, welche sich nur in Kraft der Wendungen und Abwechselungen schaukelt, und welche der Gegensätze nicht bedarf. Ich habe mich leider nicht bessern können in diesem Mangel und brauche immer noch einen starken ernsthaften Halt auch für die Komödie. Diesen Fehl möchte ich weder verleugnen noch verkleinern, es ist wirklich ein Fehl, und ein größerer Fehl als vor unserm Publikum sichtbar wird. Unser Publikum nämlich ist auch nicht absonderlich begabt gegenüber der echtesten und freiesten Lustspielform, es ist verzweifelt geneigt zu der abgeschmackten Äußerung, nachdem es sich notabene eben ungemein belustigt hat, zu der Äußerung: das war aber doch lauter dummes Zeug! Es weiß die reine Lustigkeit nicht recht zu würdigen. Dieser Mangel entschuldigt freilich den meinigen nicht im mindesten. Es ist beim Publikum ein Mangel, der nur die Kehrseite ist von einem großen Vorzuge des deutschen Publikums. Der Humor wirkt mächtiger im deutschen Publikum als die bloße Lustigkeit. Wir sind »ernsthafte Kanaillen«, wie sich ein Grobian ausgedrückt hat, welche das Lachen nur als Mitgift einer soliden und ernsthaften Braut brauchen können. Fehlt dieser solid ausgerüstete Brautstand, so sprechen wir leicht von einer reizenden Komödie verächtlich wie von einem Freudenmädchen. Deshalb könnte man sich wohl über den Mangel echter Komödienform mit leichtem Gewissen entschuldigen wie mit etwas »Ungermanischem«, was eben nur bei den romanischen Völkern zu suchen sei. Aber dies Gewissen ist leicht, diese Entschuldigung ist nicht viel wert. Die echte Komödienform ist auch uns, das heißt, einem starken Lustspieltalente auch unter uns erreichbar, wenn sie auch noch selten oder gar nicht erreicht worden ist.
Genug, ich habe nicht den Mut und also auch nicht das Talent für solche Aufgabe, und mochte und konnte nicht auf Gottscheds [16] Hanswurstgeschichte ein Stück bauen, wie anfangs in den Unterredungen mit Heller unsere Absicht war, und wie Heller allein wahrscheinlich besser vermocht hätte als in Gemeinschaft mit mir. Ich konnte diesen lustigen Bestandteil des Themas nur streifen, und als das Stück fertig war, mußte ich mir eingestehn, daß auch dies Streifen ungeschickt genug geraten war und zum Vorteil der Aufführung herausgestrichen werden könne. Was denn auch geschah. Bei diesem Herausstreichen erinnerte Marr sehr richtig, daß ich diesen Bestandteil auch für den Druck weglassen möchte, weil aus ihm ein ganz anderes Stück noch zu machen sei. Ich kann es aber nicht machen, es liegt über meiner Fähigkeit. Vielleicht veranlaßt diese Partie einen anderen, der sich begabter fühlt, zu solcher Gottsched-Komödie. Während ich dies schreibe, wird bereits von Wien aus ein Stück »Karoline Neuber« 1 angekündigt, welches sich den Andeutungen nach mitten in diesen Kreis hineinbegibt. Die Ausgabe ist also vielleicht schon gelöst, welche ich nicht lösen konnte.
Mein Stützpunkt sollten die Charaktere sein, der deutsche Pedant in seiner prahlerischen Hohlheit, der deutsche Gelehrte in seiner Schüchternheit, in seiner inneren, endlich zur Äußerung genötigten Tüchtigkeit, mein Mittelpunkt sollte Gellert sein. Gottsched vorauf mit dem Titel und im Titel, und Gellert bescheiden hinterdrein und den Nachdruck und den Sieg still in sich tragend.
Das Element, welches Gellert bezeichnet und vertritt, ist grunddeutsch. Es nötigt von selbst zu nationaler Form, zu nationalem Ausdruck. Nur darum ist der Name und der Begriff Gellert so unvergeßlich, so unverwüstlich geblieben. Seht in die Literaturgeschichten! Da werdet ihr diesem Manne ein so dürftig Plätzchen, ein so beschränktes Lob eingeräumt finden! und der kritische Historiker wird sich dafür noch entschuldigen, als ob er zu viel eingeräumt habe. In diesem Punkte liegt das Geheimnis eingesargt von der Wirkungslosigkeit einer künstlichen Literatur, von der Entstehung und Preisung eines künstlichen Theaters, welches keinen rechten Halt, keine sichre Stütze findet in dem Publikum, weil es seinen Halt und seine Stütze nicht in der Nation gesucht hat. Diese weiß einen einzigen aber echten Ton des Schriftstellers höher zu achten als die zehnfache [17] künstlich durchgeführte, künstlich zusammengesetzte Melodie. Das Herz ist beteiligt und getroffen bei jenem einzigen Tone, bei dieser künstlichen Melodie aber nicht. Und das Herz einzurechnen hat unsere kritische Geschichte so lange vergessen. Der Herzenston Gellerts war Epoche machend in Deutschland, ihn erkannte der gesunde Instinkt der Nation, und obwohl ihn die Kritik nicht zu würdigen gewußt, so ist dies Verdienst Gellerts doch trotz aller Literaturgeschichten unvergeßlich und unverwüstlich am Leben geblieben in Deutschland, ein sicheres Zeichen, daß sich ein Volk immer besser auf den Kern versteht als die Gelehrsamkeit. Nach unserer heutigen Erkenntnis verdient Gellert eine viel wichtigere Stelle in der Literatur, als ihm bisher zugestanden worden ist, weil er in einfacher Form und einfachem Ausdrucke das wirklich deutsche Leben zuerst literarisch wirksam gemacht, dergestalt wirksam gemacht hat, daß seine besseren Sachen heute noch nach beinahe hundert Jahren klassische Kraft ausüben. »Wie groß ist des Allmächt'gen Güte, ist der ein Mensch, den sie nicht rührt!« und ähnliche Lieder Gellerts sind heute noch musterhaft in dem klaren, wohllautenden, natürlichen Ausdrucke eines einfachen, herzlichen Gedankenganges. Darin liegt ein Triumph der Kunst, welchen man nur übersehen kann, wenn man den Wald vor Bäumen nicht sieht. Haben wir doch neuerer Zeit eine ähnliche Erfahrung gemacht von so schreiender Gewalt, von so erschreckendem Unrecht, und sie hat doch so wenig genützt! Das Rätsel muß also wohl tief mit unseren literarischen Fehlern verwachsen sein: Schiller trat Bürgers Gedichte in den Staub, in jenen kritischen Staub, welchen wir mit so viel Ernsthaftigkeit und gerichtlicher Würde selbst zu bereiten wissen, ehe wir das Schlachtopfer vom Armensünderschemel stoßen. Schiller, unser geliebter Schiller tat's in einem schwachen Momente, da er sich in Kategorien die Kraft des Auges stumpf gesehn, er tat's gegen einen Dichter, welcher nach Gellert den unmittelbarsten deutschen Ton und Sang mit heute noch unübertroffenem Wurf zu treffen wußte, tat's gegen Bürger, der gerade in diesen rezensierten Formen Größeres leistete als Schiller selbst! Konnte dies Unglück geschehn, wie muß man auf der Hut sein! Und gewiß, gerade des Dramatikers Beruf kann es sein, solche Sünden der Literatur zur Absolution zu bringen dadurch, daß er Poeten zu Helden auf der Bühne macht, welche geliebte Eigenschaften der Nation und nicht bloß der Literatur an sich tragen. Dadurch [18] wird eine Ausgleichung möglich für beide Teile, für Literatur und für Nation.
Mit Gellert war eine Probe zu machen. Eine zweite und dritte Generation nach ihm herrscht jetzt in Theatern; – ist die Stellung welche er in der Literaturgeschichte einnimmt, wirklich so untergeordnet, dann wird seine Erscheinung auf den Brettern nicht elektrisch, sondern nur wie eine Kuriosität wirken, dann wird der Anklang an seine Verse schwach und unmächtig sein, die Kunstkritik, welche den besonderen Sinn des Vaterlandes nicht in Rechnung zu bringen weiß, wird Recht behalten, und der ganze oben erwähnte Gedankengang wird irrtümlich sein, daß auch die höchste Kunst sich organisch aus den tieferen Eigentümlichkeiten einer Nation entwickeln und bilden solle, dieser Gang wird mißlich erscheinen, ich selbst aber werde eine abweichende Lehre erhalten: in der Form des Dramas so ganz und gar dem Sinne deutschen Publikums entgegengegangen zu sein.
Was ich später von der Wirkung des Stückes zu erzählen habe, möge der Leser als Antwort auf diese Zweifel betrachten.
Einmal über die Frage nach dem Mittelpunkte des Stücks entschieden war ich natürlich sofort auf die zweite Frage angewiesen. Wie war Gellert in all seinen Beziehungen, und was ist von diesen Beziehungen als nachdrücklich zu benützen für die Darstellung auf der Bühne, was ist zu übergehen?
Gellert war kein geistiger Führer seiner Zeit, er war nur ein talentvoller Leiter, und sein Talent war so wirksam, weil es ein blanker Spiegel seines Charakters wurde. Was er lehrte, mag in bezug auf seine Schöpfungskraft nicht erheblich sein, weil es sich innerhalb der durch herrschende Sitte und Religion gegebenen Grenzen verhielt; wie er es lehrte, das war die ihm eigentümliche Tat, welche ihn zu einem Helden seines Vaterlandes machte. Der Inhalt selbst konnte also für mich im Hintergrunde bleiben, die Form schon brachte mir das, dessen ich bedurfte, und Gellerts Form war eben Gellerts Person, Gellerts Charakter. Seine Person und seinen Charakter in Verhältnissen darzustellen, in welchen er sich auch noch heutiger Bildung entsprechend äußern durfte, das war die Aufgabe.
Wäre der Grundsatz falsch, daß man für den Theaterhelden nur das lebendig Verbliebene ausbilden solle, dann hätte selbst die populäre Figur Gellerts einen schweren Stand auf der Bühne. Ich will nur einen Zug erwähnen. Gellert war fromm; nicht nur im[19] allgemeinen fromm, sondern auch christlich fromm. Das heißt: die dogmatischen Hauptpunkte des christlichen Bekenntnisses waren ihm außer Zweifel, er war, wie man es heutigentages nennt, gläubig. Die direkte, persönliche Vermittelung Christi zum Beispiel war sein Trost im Sterben; er erwartete den ganz persönlichen Heiland, welcher zu ihm treten und ihn zu Gottes Thron geleiten würde, sobald der letzte Atemzug des irdischen Körpers verhaucht sein werde.
Diese naheliegende Vorstellung von Lohn und Strafe gibt eine ganz andere Grundlage für die Moral, als sie heutiges Tages seit der Kant'schen Epoche die herrschende ist. Heut' würde ein solcher Moralist unsern Pietisten ähnlich sehn und dadurch die Sympathie des Publikums auf der Stelle verlieren. Und Gellert war auch keineswegs ein Pietist. Wenn man also alle Züge einer geschichtlichen Figur anbringen wollte, so würde man geradezu die Figur verzeichnen, da man ja doch innerhalb der festen Formgrenzen nicht das ganze Leben des Mannes mit allen Erklärungen und Ergänzungen geben kann, sondern nur das Charakteristische und Seelenvolle herausbilden muß. Man würde die Figur verzeichnen auch für jede andere Form, nicht bloß für die Theaterform. Deutet nicht diese Bemerkung darauf hin, daß die Forderung des bloß lebendig Verbliebenen für das Theater eine tiefe ästhetische Berechtigung hat? Eine Wahl muß jedenfalls stattfinden unter den Materialien, welche eine geschichtliche Person bilden; für diese Wahl hat jede Kunstform ihren eigentümlichen Seelenpunkt. Der eigentümliche Seelenpunkt für die Theaterform ist derjenige Lebenshauch, welcher unmittelbar lebendig und dauernd verblieben ist. Fast alle Kunstformen, welche wirken sollen, werden einen ähnlichen Anspruch machen, aber keine wird so empfindlich sein in Forderung der Unmittelbarkeit als die Theaterform, weil keine andere so unmittelbar mit und von Menschen zu Menschen dargestellt wird.
Ginge man von diesem Grundsatze ab, wo bliebe da die Popularität Gellerts, welche ihn zum Helden für das Theater empfiehlt? Die Popularität ist eben daraus entstanden und besteht eben dadurch, daß jedermann ein dauernd Lebendiges in Gellert findet. Das Populäre ist ja eine Haupterscheinung des dauernd Lebendigen und ist ein wichtiger Teil dessen, was ich für den geschichtlichen Theaterstoff unerläßlich nenne.
[20] Die Weltgeschichte bewegt sich nur um eine kleine Anzahl von Grundgedanken. Mit einem derselben seinen Helden in Verbindung zu bringen, ist Aufgabe des Autors, der eine starke Wirkung erregen will. Wehe ihm, wenn er sich in die hundert Nebengedanken einwirren läßt, welche jeder Epoche eigen sind. Diese Nebengedanken wechseln mit der Mode, und was von ihnen der Theaterheld mitbekommen darf zur Ausrüstung, das muß wohl erwogen und mit dem herrschenden Geiste der Zeit ausgeglichen sein.
Es mußte mir also darum zu tun sein, daß meine Komödie für Gellert Situationen darbot, welche seinen populären Kern enthüllen konnten, ohne das zu berühren, was von den Nebengedanken der Gellertschen Epoche und Person altmodisch geworden ist. Letzteres das Negative also, habe ich als Praktiker hinlänglich vermieden, ich glaube aber nicht, daß mir jenes, das Positive, hinlänglich gelungen ist. Es sollte ein Lustspiel werden, und dadurch allein schon wurde mir die breitere Entwickelung der Gellertschen Eigentümlichkeit sehr beeinträchtigt. Sie bietet sich wohl zu einzelnen Zügen einer lieblichen Laune, nicht aber zu freier Teilnahme an völliger Lustigkeit. Wenn man in Leipzig lebt, so kann man ohne Bücher heute noch erfahren, in welcher tief verehrten und für Lustspielszenen schwer verwendbaren Bedeutung Gellert im Gedächtnisse der Menschen lebt. Er war die geistliche Oberbehörde der Stadt. Nicht die offizielle, sondern, was viel mehr sagen will, die freiwillig und nur innerlich erwählte. Die Herzen gehörten ihm, er war gleichsam das persönliche Christentum, welches jedermann liebte und verehrte. Noch heutiges Tages [1847] darf man in dem Walde bei Leipzig, welcher bis an die Stadt heranreicht unter dem Namen »Rosental«, nicht fahren noch reiten. Der Bürger will dort vor Staub und auch vor jeder symbolischen Nähe einer Aristokratie gesichert sein. Nur für Gellert allein ward eine Ausnahme gemacht. Seiner Gesundheit wegen mußte er reiten, und da die weitere Umgebung der Stadt keinen so schattigen Reitweg darbot wie das Rosental, so bat man ihn, es für sein Roß und seine Person zu benutzen. Und wenn der kleine, magere Mann auf dem Schimmel 2, welchen ihm Prinz Heinrich geschenkt, dort erschien [21] und langsam zwischen den Spaziergängern hindurch ritt, so blieb jedermann ehrerbietig stehen und zog seinen Hut und grüßte ehrfurchtsvoll, und die Mütter hoben ihre Kinder in die Höhe, damit sie ihn sehen könnten, den Herrn Professor Gellert. Damals war Dresden noch drei Tagereisen von Leipzig entfernt, und doch ließ der Kurfürst, als jenes Reitpferd Gellerts gestorben war, ein schön gezäumtes Roß hinüberführen von Dresden nach Leipzig, damit der kränkliche Herr Professor Gellert ja wieder reiten könne, ja er schickte, als Gellert schwer erkrankte, seinen eigenen Leibarzt Demiani, und dieser mußte täglich eine Stafette nach Dresden senden mit Nachrichten über Gellerts Zustand. Gellert war tief gerührt von dieser Fürsorge und »dankte Gott mit lauter Stimme dafür. Aber, setzte er hinzu, als ob er fürchtete, daß ihn seine Freude darüber zu weit führen möchte: Verlasset Euch nicht auf Fürsten! Sie können nicht helfen, wenn sie auch noch so gütig sind und gern helfen wollen. Meine Hilfe kommt vom Herrn! Und wie er immer gewohnt war, unter seinen Leiden an die Leiden des Erlösers zu denken, so wiederholte er auch jetzt: daß er als ein Untertan von seinem Herrn so viel Mitleid genösse, da doch sein Heiland von den Menschen nicht einmal hätte Gerechtigkeit erlangen können!« 3
Als er wirklich im Dezember 1769 starb, brach eine allgemeine Wehklage aus, und man wallfahrte förmlich nach seinem Grabe auf dem Johanniskirchhofe. Der Magistrat mußte es geradezu verbieten, weil es äußerlich und innerlich störend wurde. Und heute noch ist sein Grab das allgemein gesuchte Auge des großen Gottesackers, heute noch kennt jedes Kind in Leipzig Gellerts Grab, nicht minder wenigstens als das Denkmal, welches ihm auf einem Hügel der Promenade errichtet worden ist, noch heute lebt er mit seinen Liedern und seinen Fabeln. Gellert ist also heute noch nicht bloß durch kanonisches Dekret, sondern durch lebendig erwachsene Überzeugung der Schutzpatron von Leipzig.
Diesen in einem Lustspiele aufzuführen, welches in Leipzig zuerst dargestellt werden sollte, war ein Wagstück, welches mir in der Komposition manche beschränkende Rücksicht auflegte. Wie sehr mich diese Rücksicht beschränkt, erkenne ich zum Teil erst jetzt. Ich [22] bin offenbar jedem intimeren Verhältnisse Gellerts aus dem Wege gegangen, damit er so viel als möglich öffentliche Person bleibe. So ist von dieser Seite schon etwas Breitspuriges in die Komposition gekommen, und diese breite Spur ist noch obenein erweitert worden durch den oben erklärten festen Vorsatz: den Gang in großen, nicht zu verkennenden Strichen anzulegen, die Intrige dergestalt zu vermeiden, daß sich lediglich die Dinge durch sich selbst intrigieren sollten, und um einen einzigen Mittelpunkt alles zu gruppieren, ja mit wiederholtem Nachdrucke immer wieder nur um den einen Punkt zu gruppieren. Dies ist die Gefahr vor einem brutalen Kriegsgerichte. Selbst eine verzweifelt große Einheit und Einfachheit entstand aus der Erfahrung: dem so verschiedenen und so gemischten Theaterpublikum dürfte mit oberflächlich zufahrenden Schauspielern keinerlei Schwierigkeit des Verständnisses zugemutet, keine Möglichkeit der Abirrung gelassen werden. Kurz, die oben aufgezählten Hausmittel sind hier redlich angewendet worden, und die mitunter etwas zage Hoffnung tröstete mich: auf solchem Wege kann eine nationale Form gefunden werden.
Eine echt deutsche Schwierigkeit entwickelte sich übrigens in dem Stücke, und ich habe sie mit voller Absicht zu entwickeln gesucht: dies ist der Gegensatz zwischen Sachsen und Preußen. Wir wissen alle, daß der Preuße im westlichen Deutschland besonders unpopulär ist. In Sachsen ist dies noch ärger: er ist geradezu verhaßt. Das hat einen ganz natürlichen und einen klaren geschichtlichen Ursprung. Hier ein Naturell mit ausgesprochener Anlage für gebildete Form, dort ein Naturell mit ausgesprochener Anlage zu übergreifender Handlung. Hier eine geschichtliche Vergangenheit, welche gegründete Ansprüche entwickelte auf die erste Stellung im protestantischen Norden, dort eine Neuzeit, welche die Ansprüche nicht nur, sondern auch einen großen Teil von sächsischem Land und Leuten an sich gerissen – diese Antipathien in einer Komödie zu vereinigen, dergestalt zu vereinigen, daß hier wie dort eine hinreichende Genugtuung empfunden wurde, das war eine nicht geringe Schwierigkeit, war aber doch meines Erachtens ein würdiger Nebenzweck für ein Nationalschauspiel. Gellert schien mir dafür ein trefflicher Vereinigungspunkt. Unsre literarischen Größen sind die glücklichsten Vertreter einer Einheit, deren wir so tief bedürftig sind. Den Südwesten herbeizuziehen in dem lebhaften Cato, und in Nebenfiguren [23] noch andre Landschaften zu beteiligen, war eine natürliche und, wie mir's scheint, wohltätige Erweiterung solchen Zweckes. Diese Absicht ist denn auch in den verschiedenen Hauptstädten vollständig erreicht worden: man hat die preußische Macht in Dresden und Leipzig und am Rhein, man hat die sächsische Tüchtigkeit in Berlin harmlos hingenommen in solcher Vereinigung, die auf billige und gerechte Anerkennung begründet ist. Sogar der sächsische Dialekt, welchen man eigentlich auf den sächsischen Theatern übelnimmt, hat sich mit heiler Haut auf den sächsischen Schlachtfeldern hindurchgeschlängelt.
All' diese Absichten im breiten und ganzen sind denn auch von der Mehrzahl der Kritiker erkannt und im wesentlichen gebilligt worden. Die Schulkritik hat ihr kopfschüttelndes Bedenken ausgesprochen über die gar so einfache Form. Das ist ihr Recht und ihre Schuldigkeit. Sie hat zu konservieren, und die stete Wiederholung bewährter Grundsätze ist uns heilsam, die wir unsrerseits nach neuer Eroberung trachten müssen, die wir aber unsre Schuldigkeit am ungenügendsten erfüllt haben, wenn wir bloß das Lob der Schulkritik ernten. – Mehrere achtungswerte Kritiker haben ihr Erstaunen und ihre Mißbilligung ausgesprochen über die vielfache Äußerung politischer Tendenz, welche in diesem Stücke hervortritt, und dies ist ein Thema, welches genauere Betrachtung verdient. In dem vorliegenden Falle bin ich gemeint, keinen Fußbreit vom ein genommenen Terrain aufzugeben und dem Angriffe ganz und gar die Spitze zu bieten.
Ist es ein würdiges Streben, und ein solches ist es, und lohnt es der Mühe, und das tut es, die dramatische Kunst auf Kern und Wesen einer Nation zu gründen, also ein Nationaldrama zu erstreben, so wäre es doch verwunderlich, wenn Lebensinteressen der Nation nicht den Lebenspunkt eines Dramas bilden dürften. Wie? Das Ganze sollte national sein und das einzelne nicht, oder gar die Seele nicht? Lebensfragen der Nation sollten nicht geeignet sein, das Pathos eines Dramas zu bilden?
Das wäre doch wohl eine Konfusion! Sie ist nur daher entstanden, daß man politische Tagesfragen und Stichworte verwechselt hat mit tieferen Tendenzen der Politik und Nation. Tagesfragen und Stichworte sind allerdings nur jene »Nebengedanken, welche mit der Mode wechseln«, und auf welche man sich nicht stützen darf, wenn man einen dauernden Charakter, einen dauernden Inhalt [24] gewinnen will. Aber das Gesellschaftsleben, das Staatsleben, das Nationalleben hat in seinen tieferen Tendenzen Momente des Pathos, welche eine Tragödie erfüllen können. Ich will der Kürze wegen nur an Regulus erinnern. Um wieviel mehr wird es Momente bieten können für Schauspiel und Lustspiel. Die Uneigennützigkeit des Charakters, die Hingebung an das Allgemeine werden ja neben dem Verhältnisse zur Religion am stärksten hervortreten können im Verhältnisse zum Staats- und Nationalleben. Ist man weniger tüchtig, wenn man der Überzeugung Opfer bringt, als wenn man der Neigung opfert? Also, so wie das Verhältnis zu einer geliebten Person der Kernpunkt eines Dramas sein kann, so kann auch das Verhältnis zur Gesellschaft, zum Staate, zur Nation der Kernpunkt werden. Namentlich zur Nation, welche eben eine erweiterte Persönlichkeit und dem abstrakten Begriffe ganz und gar entrückt ist.
Dies zugegeben, wird es doch nur darauf ankommen, ob das Stück im ganzen darauf angelegt ist, daß es in Entwickelung solcher Verhältnisse sein Pathos suchen und finden kann. Ist dies der Fall, und bei »Gottsched und Gellert« ist es der Fall, dann sind die wirksam hervortretenden Tendenzen nicht mehr Phrasen, welche gelegentlich und ohne Notwendigkeit hervortreten, sondern sie sind die organischen Blüten desjenigen Pathos, in welchem das Stück wurzelt, sie gehören ihm also nicht nur mit Fug und Recht, nein, sie sind ihm unerläßlich zur Erfüllung seines Wuchses.
Die nähere Frage betrifft nun die gerichtliche Möglichkeit. Mit gutem und strengem Rechte darf man fragen: sind diese Tendenzen am Schlusse des Siebenjährigen Krieges vorhanden, oder sind sie auch nur möglich gewesen? Wenn sie nur möglich gewesen sind, so halte ich mein ästhetisches Gewissen für vollkommen gedeckt. Und ich meine: sie sind nicht nur möglich, sie sind vorhanden gewesen. Nicht nur das ist vorhanden, und besonders für die poetische Verwertung vorhanden, was aller Welt vernehmlich, was lebendig sich äußert, sondern auch das, was überhaupt lebt, wirklich lebt. Und wenn ich Lessing lese, welcher damals in der ersten Blüte seiner Kraft schrieb, wenn ich nur seine »Minna von Barnhelm« lese, das Lustspiel, welches aus dem Siebenjährigen Kriege emporwuchs, da finde ich in dem Verhältnisse Tellheims des Preußen zu Minna der Sächsin diese ganze Welt der Gegensätze, welche sich ausgleichen[25] wollen, welche das tiefe Bedürfnis fühlen und das tiefe Bedürfnis des Autors verraten: deutsche Gegensätze auszugleichen. Das wäre mir Quelle genug. Man vertiefe sich aber doch in die Gemüter der Deutschen nach dem Siebenjährigen Kriege, nach einem solchen Kriege unter Brüdern, und frage sich, ob jene Menschen nicht auf ähnliche Gedanken kommen mußten, wie sie in den letzten zwei Akten dieses Stückes ausgesprochen werden! Man taste an Gottsched herum nach politischen Wünschen, an diesem Gottsched, der teils aus Eitelkeit, teils aus wirklich ihm eigenem Organisationssinne die deutschen Mächte in Mittelpunkten vereinigt sehen wollte; man taste in Gellerts Äußerungen, an Gellerts Herzen herum, ob dieser grunddeutsche Mann nicht gleiche Liebe für jeden deutschen Stamm hegen, und ob er nicht für diese Liebe eine leichter faßliche Form wünschen mußte. Man frage nach dem Charakter des Prinzen Heinrich, der schon aus Selbstgefühl neben dem gewaltsamen Bruder liberale Prinzipien gern besprach! Als erobernder preußischer Kriegsfürst begriff er zwar die mögliche größere Einheit des Deutschen Reiches innerlich nur in preußischer Herrschaft; neben Gellert aber und in größter Wallung beim ersten Friedensschimmer, bei einem Friedensschimmer, welchen er selbst zu Wege gebracht, konnte er da nicht diesen Gedanken neuer Einheit, mußte er ihn nicht großmütiger und freier aussprechen? Er mußte, wenn man nur im einfachsten psychologischen Gange dem Charakter und der Situation folgt bis zum notwendigerweise lebhaften Ausdrucke. Cato endlich ist ein enthusiastischer Adept Lessings. Meinen nicht stets die Adepten ihre Meister ergänzen und überbieten zu müssen? Ergänzt und überbietet den Verfasser der »Minna von Barnhelm«, werden da nicht Gedanken und Ausdrücke von selbst wachsen wie die Gedanken und Ausdrücke Catos? Daß der Bediente Schladritz als praktischer Hanswurst neben Gottsched erscheinen und praktisch die äußerliche Reform des Aristarchen verhöhnen kann, das finden wir natürlich, daß aber das Wichtigere in gleicher Folgerung sich ereignet haben könne, das bestürzt uns, weil es zu deutlich unserm jetzigen Bewußtsein entspricht. Wir sind so schüchtern! Das entsprechende Geringere lassen wir uns gefallen, das entsprechende Größere erschreckt uns. Versichern kann ich wenigstens, daß ich jedes Wort sorgfältig erwogen, ob es 1762 habe entstehn können, und daß wenigstens ein wirklicher Anachronismus nicht in meinem Prinzip gelegen. Freilich [26] wird sich die gründliche Erörterung immer wieder auf den Grundsatz zurückwenden müssen, daß mir für das Drama der Begriff des Anachronismus ein enger zu begrenzender sei, als er herkömmlich begrenzt wird, und daß ich eben weiteren Spielraum verlange mit der Forderung: der Dramatiker soll für das Theater auch in der Geschichte nur das erwählen, was noch lebt, und was der Gegenwart entspricht durch dauerhaft gebliebene Lebenszeichen.
Kann man mir die Forderung zugeben und muß doch die Folgerung, wie ich sie gestaltet, verwerfen, nun dann muß ich mich bescheiden. Man möge mir nur dann einräumen, daß der Fehler nicht unbedacht entstanden sei. Die wir mit bewußter Verwegenheit neue Hilfsmittel und Wege für das Drama suchen, wir bitten ja nur um Anteil, nicht aber um Beifall. Unser Weg ist dornig und weit, eben weil es nicht ein ausgetretener sein soll: wir hätten uns schlecht beraten, wenn wir einen Beifall hofften, oder gar auf einen Beifall Anspruch machten, welcher höchstens am Ziele zu finden sein kann. Und schwerlich wird einer von uns das Ziel erreichen! Schwerlich täuscht sich einer von uns darüber, daß wir nur einen Vortrab bilden. Wie viel muß noch geschehen und sich bilden, ehe das wirkliche deutsche Heer in Masse vordringen und einen wirklichen Generalstab an seiner Spitze ausbilden kann!
Aber »das Geheimnis des Langweilens besteht darin, daß man alles sagt«. Ich eile also zu einem kurzen Berichte, welches Schicksal das Stück vor dem Theaterpublikum gefunden habe. Lebte Gellert wirklich noch? Er lebt noch und lebt noch vollständig wirksam in seinen Fabeln. »Um das Rhinozeros zu sehen« schlug überall ein wie der Blitz und zwar in alle Klassen des Publikums. Das Stück hat durchgängig eine gute Aufnahme gefunden, und selbst an vernachlässigen Bühnen, die sich allmählich eine Geschicklichkeit angeeignet im Erwürgen neuer Stücke, selbst da hat es eine Lebenskraft bewährt, welche offenbar nur dem nationalen Stoffe und nationaler Form entsprossen ist. Denn was etwa an Verdienst der Autor seiner Ausführung zuschreiben möchte, das töten solche Bühnen durch ungenügende Besetzung und Einstudierung.
Die beste und, wie es scheint, eine dauernde Stätte hat es gefunden: in Dresden unter Eduard Devrients Regie, in Leipzig unter Marrs, in Mannheim unter Düringers Regie, in Braunschweig unter Köchys Leitung, und – in Berlin unter Schneiders [27] Regie. Und in Berlin hatte noch der neutrale Prinz Heinrich in den beteiligten General Seydlitz verwandelt werden müssen. Berlin hat mir also Recht gegeben. Nach der Aufführung »Rokokos« sagte ich: Hierher gehören Stücke ganz anderer Beschaffenheit, Stücke mit starken Strichen, und bei der Aufführung von »Gottsched und Gellert« sagte das Berliner Theaterpublikum unter vergnügtem Händeklatschen: Ja wohl! – Ist das nicht eine Genugtuung? Ach nein. Wer diesen Dingen mit Liebe gefolgt ist, der wird meinen Seufzer wohl verstehen.
Die Wiener Zensur fand auch dies Stück wieder nicht zulässig. Dies war das vierte, welches nicht absolviert werden konnte. Die Sünden schreien zum Himmel.
In Kassel tötete das Publikum dieses deutsche Charakterlustspiel. Man hatte so unbedacht und lebhaft applaudiert, daß eine Wiederholung nicht stattfinden durfte. Ein üppiger Tod unter Blumen.
In Dresden ward es auf den Proben durch ein vielfältiges Wer da? fast zum Tode erschreckt. Zwei Monate vor diesen Proben hatten die unglücklichen Augustereignisse in Leipzig stattgefunden, und gute Freunde hatten ausgesprengt: Dies Stück mit seinem Streite zwischen Professoren und Soldaten sei rasch mit Bezug hierauf verfaßt worden. Als ob dieser Streit von heut' und gestern wäre! Jedenfalls würde darin von seiten des Militärs mit Schießen gedroht. – In diesem kritischen Augenblicke zeigte Herr Eduard Devrient, der damals noch zu bester Aussicht für ein gutes Schauspiel die technische Leitung führte, das erforderliche kalte Blut und die so seltene moralische Tapferkeit. Er gab nach in unbedeutenden Einzelheiten, welche mißdeutet werden konnten, und verteidigte unbeirrt von furchtsamem Geschrei die berechtigte Existenz des Stückes. Glücklicherweise ist auch dort die entscheidende Behörde, die Intendanz, einer gründlichen Beweisführung gern zu Willen und sogar in guter Charakterkraft gern bereit, mancherlei auf sich zu nehmen, was mißlich und herb erscheinen könnte, und was denn einmal bei einer Begegnung zwischen strenger Hofform und neuen Theaterstücken nicht immer zu vermeiden ist. Ausstreichen und Verbieten beseitigt es freilich, aber nur auf unsre Kosten. Wir sind also gewiß zu Dank verpflichtet, wenn die Intendanz mit selbständiger Kraft auch einen Teil der Übelstände auf ihre Schultern nimmt, und diesen Dank bin ich schon zum öfteren Herrn von Lüttichau in Dresden schuldig geworden.
[28] So ward es denn möglich, daß Herr Eduard Devrient das Stück in einer rasch einherschreitenden Gruppe vorführen und als Gellert an der Spitze ihm einen durchaus wohltätigen und schönen Erfolg sichern konnte. Eine überraschende Porträtähnlichkeit mit Gellert, eine tief innerliche moralische Haltung, unschätzbar für den außerordentlichen Professor der Moral, und ein aus dem tiefsten Innern dringender moralischer Nachdruck in den letzten Akten gaben meinem Stücke denjenigen Kernpunkt, aus dem ich es zu entwickeln, auf den ich es zu begründen gesucht hatte, und sicherten ihm solcherweise die in der Wurzel feste Existenz. Welch ein Gegensatz zu dem kernlosen »Rokoko« in Berlin, welch ein neuer Beweis, daß nachdrücklicher Kern im Mittelpunkte weiter hilft als zehnfache virtuose Zier. Kommt dann diese schöne Anzweigung und Verzweigung hinzu, wie sie das Dresdner Theater gewährt mit seinen wohltuenden Frauengestalten in Fräulein Bayer und Berg, in seinem künstlerisch ausgebildeten Emil Devrient, in seinem wirksamen Komiker Räder, mit dessen Schladritz nur der Schladritz Herrn Gerns in Berlin um den Preis der heiteren Wirkung ringen kann, kommt dann hinzu, daß auch Nebenzweige, wie Herr Porth als Prinz Heinrich, fest und eigentümlich ihren Platz ergreifen, dann entsteht ein Komödienensemble, welches leider eine Seltenheit geworden ist in Deutsch land.
In diesem bewußten Trachten nach einer Ensemblekomödie, oder um es besser auszudrücken, nach einem ganzen Schauspiele ist uns Herr Eduard Devrient so tüchtig hilfreich gewesen, daß wir Autoren schon deshalb allein ihm die lebhafteste Erkenntlichkeit schulden. Seine Schuld war es nicht, daß seine gut angelegte Wirksamkeit in Dresden so früh und so jählings unterbrochen wurde.
Es ist mir also eine besondere Genugtuung, ihm »Gottsched und Gellert« widmen zu dürfen. Ich möchte mit dieser Widmung, nicht nur ausdrücken, wieviel Wesentliches ihm das Gelingen dieses Stückes zu danken hat – ich möchte auch ausdrücken, daß wir Autoren jede Gelegenheit ergreifen, unsre Erkenntlichkeit an den Tag zu legen für eine gewissenhafte Sorge um deutsches Schauspiel.
[29]Fußnoten
1 Von Ritter, welcher wohl nur den Rüstungsnamen bildet für die geist- und talentvolle Frau von Winzer.
2 In einer Berliner Zeitung hat ein Graf Kaltreuth Einspruch getan wegen dieses Schimmels. Er habe seinem Ahnherrn gehört und sei von diesen an Gellert geschenkt morden. An der Tradition sei nur so viel richtig, daß Prinz Heinrich dies Roß in der Freiberger Affäre geritten habe. Pflichtschuldig bemerke ich dies hier. Aber aufklärende Bemerkungen bleiben immer ohnmächtig gegen eingelebte Traditionen.
3 Cramers Bericht über Gellerts letzte Tage.
Personen
Personen.
- Prinz Heinrich von Preußen.
- Graf Bolza.
- Johann Christoph Gottsched, Professor der Philosophie und Dichtkunst, der Logik und Metaphysik, Dezemvir der Universität, Senior der Philosophenfakultät und der Fürstenkollegiums usw.
- Christian Fürchtegott Gellert, außerordentlicher Professor der Moral.
- Cato.
- Siegmund, Wachmeister.
- Gottfried, Reitknecht.
- Schladritz, Diener Gottscheds.
- von Wedell, Adjutant beim Prinzen.
- von Zastrow, Adjutant bei Seydlitz.
- Gräfin von Manteuffel.
- Wilhelmine, deren Tochter.
- Luise Adelgunde Viktorie Gottschedin, geborene Kulmus, Gottscheds Frau.
- Katharine, Jungemagd in Gottscheds Hause.
1. Akt
1. Szene
Erste Szene.
Keine Widerrede! Er hört, Schladritz, meines Willens Meinung und hat sich auf der Stelle darnach zu achten.
Ich wollte mich nur Dero Wohlwollen fernerhin empfehlen – Entfernt sich unter Bücklingen von der Tür, welche offen bleibt.
Bitte ehrerbietig. Macht ein Schnippchen gegen die offne Tür, kommt einige Schritte vor und sagt ins Publikum. Der bildet sich ein: weil er mich aus dem Hause jagt, wären wir fertig miteinander. Gehorsamer Diener! So leicht wird man einen guten Diener nicht los. Wird sich wundern! Wenn ich erst anfange auszuziehn, da ist's noch ein weiter Weg bis zum Auszuge, und jetzt fang' ich noch lange nicht an; vorderhand laß ich aber alles 'rein ins Staatszimmer, was nur 'rein will, Krethi und Plethi. – Es klingelt außen hinter der Hinterwand. Aha, da klingelt's schon! Im Abgehen nach dem offnen Zimmer Gottscheds blickend. Wird sich wundern.
Geh Er nur jetzt, Schladritz, der Herr ist im Zorn. – Während Schladritz eine Gebärde macht, als verstünde er sich schon [31] darauf, und abgeht, wendet sie sich zu der offen bleibenden Tür und sagt zu dem innen bleibenden Gottsched. Wir können doch aber wirklich nicht ohne Domestiken sein, am wenigsten in diesem Augenblicke, welcher an jedem Tage die feindlichen Truppen wieder hereinbringen kann nach Leipzig!
Kein Wort an ihn! Alle Mitglieder der Fakultät sind auf meinen Ruf sogleich erschienen, nur er ist noch nicht da – soll's empfinden!
2. Szene
Zweite Szene.
Sie haben recht! Den Preußen gegenüber ist er fast so mächtig, als Sie am Hofe zu Dresden mächtig sind, und die Preußen –
Die Not! Es war ja vorbei mit der Sicherheit [32] meines Aufenthalts! Prinz Heinrich von Preußen rückte mit seinem Heerteile in die Berge hinauf, und man erwartet in der Gegend von Freiberg eine Schlacht. Seydlitzens Reiter durchstreiften alle Schluchten, und gerade dieser verwegene Offizier verfolgt mich persönlich, er beschuldigt mich der Parteigängerei für Österreich, im Grunde aber will er liebes Kind werden bei den Deutschen, indem er den Italiener in mir auf Tod und Leben verfolgt; ja er hat sogar seinen Soldaten ein Signalement meiner Person mitgeteilt!
Aber warum haben Sie sich denn hier herab in die Ebene gewendet, warum nicht nach dem viel sicherern Böhmen hinüber?
Ich war überrascht worden; ich sah mich abgeschnitten von der böhmischen Grenze, und Galant. mein Magnet zog mich nach Norden! Meines Herzens Gedächtnis ist ein dringender Gläubiger: es ist fast ein Jahr, meine Gnädigste, daß Feldmarschall Daun Sachsen und Dresden sicherstellte, und daß ich Sie sehen und Ihnen meine Huldigung andeuten konnte.
Mein Gemahl, Herr Graf, ist kein Freund solcher Galanterien, wenn sie an seine Frau gerichtet werden, und Sie bedürfen in diesem Augenblicke gar sehr seiner Hilfe. Er hat soeben ein dringendes Geschäft, welches der nahe und vielleicht einrückende Feind nötig macht. Entschuldigen Sie, daß ich noch eine Weile zögere, ihm Ihre Ankunft mitzuteilen. Setzen Sie sich! Zeigt auf einen Stuhl am Sofa, während sie selbst das Sofa einnimmt. und lassen Sie uns überlegen, wie Sie hier in Leipzig am sichersten zu verbergen sind. Was für einen Plan haben Sie selbst? Was für Anknüpfungen und Bekanntschaften haben Sie?
Gar keine, meine Verehrungswürdige, als mit Ihnen. Sie wissen, daß die Sachsen, und die Leipziger besonders, schlecht zu sprechen sind auf meinen Vater und auf mich. Diese Leute bilden sich ein, wir benachteiligten sie, weil wir die Meißner Porzellanfabrik ausgebeutet. Sie machen es uns zum Vorwurf, daß wir, [33] Italiener sind, und daß man unsre Landsleute überhaupt in Dresden leiden möge. Sie hassen uns, weil Graf Brühl uns wohlwill. Kann ich bei einem dieser Leute Hilfe ansprechen in der Gefahr, welche mich plötzlich umringt?
Und das sagen Sie, welche mit der Literatur Englands, Frankreichs und Italiens so vertraut ist, so Hand in Hand geht, welche den Austausch zwischen den Nationen durch geistvolle Bearbeitungen so rühmlich befördert, welche das nationale Vorurteil so tätig bekämpft; das sagen Sie, deren anmutige Bildung mich im Zirkel des Kurprinzen entzückte! O, Sie sagen es gewiß nicht im Ernste! Nein, meine angebetete Frau, ich könnte mich der Gefahr freuen; denn sie treibt mich in diesem Augenblicke, Ihnen mein Herz ohne Rückhalt zu öffnen, Ihnen ohne Scheu zu sagen: daß ich bezaubert bin von Ihnen, und daß ich alles wage um ein Zeichen Ihrer Huld –
Sie vergessen, Herr Graf, daß ich keine Italienerin, daß ich eine verheiratete Deutsche bin – o mein Gott!
3. Szene
[34] Dritte Szene.
Er ist in seidenem Schlafrock. Im Gehen spricht er. Man kann nicht drei Zeilen mehr in gesammelter Muße schreiben! Zur Tür hinausrufend. Licht! Zurückkommend. Was gibt's denn schon wieder? Was seh' ich! Graf Bolza?!
Zu Ihrem Dienst und um Ihren Schutz bittend, verehrter Herr Professor, der Sie ruhmvoll über allen politischen Stürmen dastehn, ein Leuchtturm vor sicherem Hafen für alle Verirrte!
Erlauben Sie, daß ich das nur für einen Ausdruck Ihrer Bescheidenheit halte. Professor Gottsched steht als Gesetzgeber in schöner Kunst und Wissenschaft mit allen Potentaten des Reichs auf vertraulichem Fuße. Er schützt den Genius und fördert die Sprache Germaniens, auch während der Krieg die Länder Germaniens verheert! Seinem Hause wird jeder Potentat das Recht des Asyls gestatten für einen Verfolgten, auch König Friedrich von Preußen würde es, wenn es zum äußersten käme. Denn es ist in Dresden wohlbekannt, daß König Friedrich den Professor Gottsched in Leipzig wie einen Verbündeten behandelt.
Sie wollen aus Artigkeit nicht hinzusetzen, Herr Graf, daß man ebendeshalb in Dresden nicht gerade überfließe von Wohlwollen für den Professor Gottsched in Leipzig und daß es all der günstigen Stellung bedürfe, so die Frau Professorin Gottsched am kursächsischen Hofe genießt, um das Weltbürgertum des Leipziger Professors zu übersehn. Sie sind so höflich, dies nicht auszusprechen, und Sie sind so zartsinnig, auch nicht einmal anzudeuten, daß Sie mir für gewährten Schutz ersprießliche Dienste leisten könnten bei Dero Gönner, dem Herrn Grafen Brühl, dessen Gönnerschaft ich mich allerdings nicht rühmen kann – aber, Herr Graf, dies alles ist von keinem Gewicht zwischen uns! Von keinem Gewicht! Es ist mir im Gegenteile eine Satisfaktion, feurige Kohlen auf das Haupt des Herrn Grafen Brühl zu sammeln, indem ich dem Herrn [35] Grafen Bolza allen mir zu Gebot stehenden Schutz zuwende, wenn er dessen bedarf –
und indem ich gleichzeitig bitte, diesen Schutz gegen den Herrn Grafen Brühl zu verschweigen. Dies ist mein Geschmack. Der Geschmack des Herrn Grafen Brühl besteht darin, mich durch untergeordnete Skribenten pöbelhaft angreifen zu lassen. Die Nachwelt wird richten!
Ich habe nur zu bedauern, daß es unmöglich sein wird, die edle Handlungsweise des Herrn Professors verschwiegen zu halten, auch wenn ich selbst so undankbar wäre, ihrer nicht öffentlich eingedenk zu sein.
Richtig! Sie haben bloß geruht, Licht! zu rufen. Die Physik ist aber doch noch nicht so weit, daß das Licht allein hereinspazierte ohne Bedienten, und da hab' ich mir zu schließen gestattet: ich müßte das Licht hereintragen.
Und jetzt eben kam ein Vorreiter vom reichsgräflich Manteuffelschen Hause mit Briefen und Aufträgen. –
Zu Befehl, Herr Inspektor des Konviktoriums! Ich hab' aber noch auszurichten, daß der Herr Professor der Moral, Herr Gellert –
Außerordentliche Professor – seinen Amanuensis hergeschickt, um Entschuldigung zu bitten, daß er vorhin nicht pünktlich zum Konzilium der Fakultät gekommen sei; er habe eine dringende Abhaltung gehabt, werde aber sogleich erscheinen.
Ist zu spät! Hat sich schwer zu verantworten. 's gibt keine dringenden Pflichten vor dem Rufe der Fakultät! Zu Schladritz. Ab! und fort!
Schladritz! Diesen Zettel durch den Amanuensis zurück an Herrn Professor Gellert! Schladritz nickt und geht ab.
Sie glauben also, der Mensch habe Ihren Grafentitel nur von uns gehört, und dero Name sei ihm unbekannt.
Sicherlich. Ich habe nur vorzugsweise die Seydlitzschen [37] Reiter zu fürchten, denen ich signalisiert bin. Hier in Leipzig bin ich persönlich ganz fremd.
Das wäre auch nötig; denn die Umstände haben ein bedenkliches Ansehn. Die Preußen haben einen heftigen Ton angenommen gegen die Stadt, und der General Seydlitz gerade hat sich eine so drohende Zuschrift an die Universität erlaubt, daß es jetzt offenbar gefährlich wäre, wenn Sie hier in Leipzig, und obenein bei einem Würdenträger der Universität, gefunden würden –
Ich bitte gehorsamst. Das hätte weniger zu sagen, wenn König Friedrich selbst in der Nähe wäre. Er nimmt wohl freundliche und wohlgewogene Rücksicht auf meine geringen Verdienste und meine literarische Stellung, wie denn überhaupt mit den Vornehmsten des Landes immer besser auszukommen ist, wenn man einigermaßen von öffentlichem Namen und Einfluß ist. Aber die Offiziere, selbst die höheren der Generalität, sind von geringer literarischer Bildung, und sind jetzt durch einen langdauernden Krieg dermaßen verwildert, daß sie schwerlich einer poetischen Autorität billige Berücksichtigung gewähren möchten. Hierin also liegt das Verdrießliche Ihrer Lage, und deshalb, deshalb, Herr Graf, da jeden Tag preußische Truppen hier sein können, müßten Sie für die nächsten Tage sorgfältig verborgen gehalten werden.
Ja wohl, verehrter Herr! – und ich denke, es wird nur einige Tage nötig sein. All' meine Erkundigungen lauten dahin, daß die Preußen in der Gegend von Freiberg eingeschlossen werden und dem Untergange verfallen sind: Die Generale Serbelloni und Haddik drängen von Dresden her gegen sie, und der Prinz Stollberg zieht ihnen mit dem Reichsheere von Chemnitz in den Rücken! In diesem Augenblicke schon kann Prinz Heinrich von Preußen mit seinem kleinen Heere vernichtet, kann Sachsen befreit sein. Der König steht in Schlesien, von Dauns Übermacht gefesselt, der Krieg ist, Gott sei Dank! dem Ende nahe, und es handelt sich also wirklich nur um Sicherheit für wenige Tage gegen die flüchtigen Preußen, welche nach der Mark entrinnen wollen.
Der drohende Ton Seydlitzens gegen die Leipziger Universität ist gewiß nur aus der gefährlichen Lage entsprungen, in welcher sich die Preußen befinden, und über welche sie durch Hochfahrenheit die Welt täuschen wollen.
Ja, ja, dies ist gar wohl möglich, dies ist sogar wahrscheinlich, und der General soll an uns Männern der Universität eine feste Mauer finden gegen seine Reiter! Ja, also Verborgenheit auf einige Tage, Herr Graf, und ich mache mir eine Ehre daraus, Ihnen zu diesem Ende –
Sei unbesorgt! Was ich tun will, pflege ich ganz zu tun. Ich mache mir eine Ehre daraus, Ihnen, Hochgeborner Herr, mit besonderer Rücksicht auf Herrn Grafen Brühl mein eigen Hans zum Zufluchtsorte anzubieten.
Sie mißbrauchen Ihre Lage! Laut. Es ist nicht möglich, weil – weil der Herr Graf gerade in unserm Hause am meisten ausgesetzt sein würde –
Du willst dich ohnedies den Befehlen des Generals Seydlitz widersetzen: das gibt Nachfragen, Widerspruch, Besuch, Zudrang unberechenbar; die preußischen Offiziere werden ins Haus kommen, werden zu dir dringen, und hier, gerade in diesem Hause, willst du einen Flüchtling verbergen, der den Preußen signalisiert ist, das ist ja nicht tunlich, ist für alle Teile zu gefährlich und darum, wie gesagt, nicht möglich.
Erlauben Sie mir eine Bemerkung. Zuerst meinen [39] respektvollen Dank, schöne Frau, für Ihre vorsichtige Teilnahme, und meinen innigen Dank, daß Sie mich und Mit Bezug. sich für gefährdet erachten, wenn ich in Ihrer Nähe bliebe. Ich glaube, es ist ein Ausweg vorhanden. So viel ich mich erinnere, kennt der Herr Professor meinen Landsmann, den Grafen Serbelloni, welcher das österreichische Heer bei Dresden kommandiert –
Ja, es ist ein artiger Mann, welcher mir durch meine Frau eine schöne Ausgabe des Tasso verehrt hat –
Ein paar geschriebene Worte von Ihnen würden mir einen Geleitsschein vom Grafen auswirken, einen Geleitsschein, welcher mich durch die österreichischen Vorposten und Truppenabteilungen hindurch ließe bis nach Dresden –
Allerdings: die deutsche Partei in Wien hat es durchgesetzt, aber mein Landsmann ist noch bei Dresden und für unsern Zweck noch allmächtig. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die österreichischen Vorposten jetzt schon bis in die Gegend von Oschatz vorgeschoben, da es sich, wie gesagt, darum handelt, den Prinzen Heinrich einzuschließen. Ein Postkurier gelangt in sechs Stunden bis Oschatz, und binnen zehn bis zwölf Stunden würden die Vorposten Ihren Brief an den Grafen befördert, des Grafen Antwort zurückgebracht und unserm Kurier eingehändigt haben. In neuen sechs Stunden wäre unser Bote wieder hier, so daß ich also in spätestens vierundzwanzig Stunden den Geleitsschein haben und zugleich erfahren könnte, ob die Straße nach Oschatz von Feinden frei wäre, und ich mich aufmachen könnte. So bedürfte ich Ihres Asyls nur auf vierundzwanzig Stunden, und bedürfte jetzt nur Ihrer großen Güte wegen des Briefes und wegen des Postkuriers; denn ich selbst könnte wohl in diesem Augenblicke hier in Leipzig einen Postkurier nicht befördern, ohne mich zu verraten, da man auf der Post wahrscheinlich von den preußischen Agenten bewacht sein wird. Dem Herrn Professor Gottsched aber, welcher das Wohl der Universität in kritischem Augenblicke zu wahren hat, wird man ohne Argwohn zu Willen sein, besonders da man ihn als eine neutrale Macht in steter Verbindung weiß mit allen Potentaten.
Schreiben, gnädige Frau? Sehr richtig. Erstens aber wäre ein Brief von mir nicht von solchem Gewicht, als ein Brief vom Herrn Professor, und zweitens ist es doch möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, daß der Brief bis Oschatz von preußischen Streiftruppen aufgefangen würde. Wäre dann der Brief von mir, so nötigte man den Kurier zur Umkehr nach seinem Ausgangspunkte und fände hier mich, den Briefsteller. Ist der Brief aber vom Herrn Professor Gottsched unterzeichnet, so läßt man ihn wohl als politisch unverfänglich ohne weiteres passieren. Außerdem könnte der Herr Professor nach dem Stande der Kriegsangelegenheiten fragen in bezug auf die Zumutungen gegen die Universität. Dadurch würde der Brief halboffiziell, indem Verhaltungsmaßregeln von der kurfürstlichen Regierung in Dresden erbeten würden. So erführe der Herr Professor binnen vierundzwanzig Stunden genau, wie die Ausichten ständen, und wie weit er gegen den barbarischen Reitergeneral Opposition machen könne in Sachen der Universität, und endlich hätte er sich zugleich gegen die kursächsische Regierung hin den Rücken gedeckt.
Doch! doch! Richtig! Der Reitknecht von Manteuffels ist ja da! Er wird ja aus der Oschatzer Gegend kommen. Kann er nicht den Brief bestellen?
Wahrhaftig! – Schreibe, schreibe! Ich besorge das! Zur Tür eilend. Der Reitknecht! Gottfried! Ist's Gottfried? Ja, sehr gut! Komm herein, Gottfried, schnell, schnell!
4. Szene
[41] Vierte Szene.
Die Herrschaft ist gestern abend schon 'nein gefahren und hat vor Schlafengehen die Briefe im »Löwen« geschrieben.
Ne, 's ist mausestill auf der ganzen Straße, aber droben im Gebirge über Döbeln 'naus, da hat's gepocht! ach Herr Jes, da hat's gepocht, schon vorgestern, da soll reene der Teufel los sein. Mir haben uns immer mit den Ohren auf den Erd boden gelegt, und der Erdboden der bubberte nur immer so!
O ne! 's ist en alt Husarenpferd von den Zietenschen, en ausrangiertes, weil's dämpfig is, aber wenn's warm wird, da kommt die Puste in Zug, und 's pfeift nur so!
In sechs Stunden? Heeren Se, ne! Ich muß hier noch Briefe abgeben, der Zietensche muß fressen, ich soll en bißchen feine Bäckerware kofen, und hernachen ist's och erst Oktober gewesen, und das ist der schlimme Pferdemonat –
Nu ja, ja, wenn's so fix sein muß, und wenn Sie's so meenen, sehn Se, ja doch, ja! – Da nehmen Se mer wohl die Briefschaften ab, Herr Professor, 's wird wohl's Meeste für Sie selber seinÖffnet seine Ledertasche und übergibt drei Briefe. und die Herrschaft wollte zu Mittag hier sein.
Nu, Hunger wird se wohl kriegen; denn unterwegs sieht's jetzt erbärmlich aus, und das Frölen Konteß hat 'nen gesunden Appetit.
Dann muß ich Anstalt treffen!Aufstehend und fortgehend. Die Unterschrift fehlt noch, Gottsched, und das Datum. Besorg' deine Sache gut, Gottfried, 's ist von Wichtigkeit für den Herrn Grafen. Ab.
Beim zweiten lächelt er und sagt vor sich hin. Es ist ein sehr liebenswürdig Mädchen! Sehr! Beim dritten. Aha, für meine Frau! Ja, ja Die Briefe auf den Tisch legend. unterschreiben. – So. – Adressieren – Graf Serbelloni Tut beides und siegelt den Brief.
I bewahre! Wissen Sie's denn nicht: Der gnädigste Herr Graf steht ja bei der Reichsarmee, mit Respekt zu sagen! Na ja, mit Respekt! er ist nicht dabei gewesen bei Roßbach, sonst wär's wohl anders gegangen, ja! Ne, die gnädigste Frau Gräfin und Frölen Konteß kommen alleene, weil's gerade sicher ist, und weil's nach der Kanonade von vorgestern auf dem Dorfe wohl nicht mehr auszuhalten sein wird. Denn wenn die Retirade losgeht –
Nicht doch, die Kroaten sollen nicht schreiben, einer von ihnen bringt den Brief zum nächsten Vorposten, und du wartest bei den andern fünf, bis Antwort kommt!
Ja vorwärts, Zietenscher! Wendet sich. Und wenn ich hinkomme, sag' ich en scheenes Kompliment vom Herrn Professor Gottsched an die Herrn Krawaten. –
Er hat ja nichts zu tun als abzugeben und zu warten! – Apropos in einigen Stunden sind Manteuffels hier, sind Sie den Damen vielleicht bekannt? Und scheint es dann etwa ratsam, ihnen auszuweichen?
Bekannt? Wie Sie's nehmen. Ich glaube nicht, daß sie mich persönlich kennen, aber möglich ist es allerdings. Mein Vater nämlich steht im Verkehr mit der Familie und hat mir Andeutungen gemacht, daß er mit dem Grafen Manteuffel ziemlich einig sei über eine Verbindung zwischen mir und der Komtesse.
[44]Glauben Sie? Das kann wohl sein. Die Kriegsunruhe hat bisher jede weitere Betreibung des Projektes verhindert. Ich fand auch nicht für nötig, die Sache zu beeilen, da die Komtesse noch jung ist und ich selbst noch zerstreut bin. Ich habe sie nie gesehen, und es sollte noch darauf ankommen, ob wir Gefallen an einander fänden. Unterdes liest Gottsched noch einmal lächelnd das Billett. Finden Sie denn in den Briefen irgend eine Andeutung darauf?
Trotz alledem kann sich die Frau Gräfin einmal in Dresden umgesehen haben nach ihrem wahrscheinlichen künftigen Schwiegersohne und kann mein Äußeres kennen.
Nun dann ist es doch wohl geratener, daß Sie bei Ankunft der Damen nicht zugegen sind, und daß ich erst hinhorche. Neue Mitwisser und besonders Damen –
Ich sehe den Professor Gellert mit einem Fremden von der Ritterstraße herüber auf unser Haus zukommen. Bringen Sie sich in Sicherheit, Herr Graf!
Gellert? Schwerlich. Er ist selten oder gar nicht in Dresden, und ich bin ihm meines Wissens nie begegnet. Unmöglich ist es freilich nicht.
Welches Zimmer? Ich bin und bleibe dagegen, daß der Herr Graf sich vierundzwanzig Stunden in unserm Hause verberge –
Ich aber, Adelgunde, befehle, daß dem [45] Herrn Grafen sogleich ein Zimmer eingeräumt werde, und zwar dies da Auf die zweite Tür rechts deutend. da, das Putzzimmer!
Ich höre draußen sprechen! Kurzum! Zögern Sie nicht, Herr Graf, um nicht überrascht zu werden. Schließen Sie sich ein!
Adelgunde, deine Unhöflichkeit gegen einen Mann von solcher Bedeutung in Dresden setzt mich in maßloses Erstaunen!
5. Szene
Fünfte Szene.
Der Herr Professor der Beredsamkeit versprechen sich auffallend mit dem Worte Polizei: ich bin bereits mehrere Jahre im Hause des Herrn Professors, eines Haupthauptes unter den Häuptern der Universität, ich habe einige Jahre vorher nur Stiefeln und Kleidungsstücke von Akademikern behandelt, ich gehöre durch Verjährung den Strafmitteln der akademischen Behörde, mir gebührt also von Gott und Rechts wegen der Pedell, wenn ich wirklich gewaltsam diesem Hause entführt werden soll!
Er ist ein unverschämter Mensch, so mich dergestalt reizt, daß ich meiner Würde vergessen und Ihm eigenhändig über die Schwelle helfen werde.
Gottsched, mäßige dich und habe doch ein [46] Einsehn! Du quartierst Besuche ein, wir erwarten in nächster Stunde Fremde, es kommen fortwährend Leute, du weißt, daß die Jungemagd Katharine als Marketenderin davongegangen, und du willst durchaus den einzigen Diener augenblicklich aus dem Haufe jagen, was soll denn daraus werden?! Geh Er, Schladritz, und laß Er Herrn Professor Gellert eintreten.
Ich habe Gellert übrigens gebeten, uns so schnell als möglich Sieht sich um, ob auch Schladritz fort sei. einen Diener nachzuweisen, und ich habe dir selbst dringende persönliche Eröffnungen zu machen!
Plunder! Plunder! Plunder! Gibst mich preis vor dem Domestiken, bestellst Diener bei diesem Duckmäuser Gellert, kompromittierst uns vor dem Grafen, kompromittierst mich hier, sprichst von persönlichen Eröffnungen im Augenblicke, da dieser mein versteckter Widersacher Gellert an der Schwelle steht, da das Wohl und Wehe der Universität auf meinen Schultern liegt, zerstreust mich, befängst die Verfassung meines Gemüts in solchem Augenblicke – Plötzlich vor ihr stehen bleibend. laß mich in Ruh, Adelgunde Gottschedin, verlaß mich!
6. Szene
Sechste Szene.
Entschuldigen Sie mich, Herr Professor der Moral, daß Sie mich [47] im Schlafrocke überraschen: ich war Ihres Besuches nicht mehr gewärtig, da Sie die ehrenvolle Einladung der Fakultät vor zwei Stunden übersehen zu dürfen geglaubt!
Sie beschämen mich, Herr Professor; denn ich bin sehr im Unrechte, nicht zu rechter Zeit gekommen zu sein. Die Wahrheit zu sagen: ich hielt es anfangs für eine irrtümliche Bestellung, da ich, wie Sie wissen, nur außerordentlicher Professor –
Und nicht mit Sitz und Stimme in der Fakultät betraut sind. Um so eifriger hätten Sie die Auszeichnung empfinden und ihr Folge leisten sollen!
Ganz gewiß! Aber, lieber Gott! seit der Krieg von neuem unsre Landschaft überschwemmt, gibt es wieder so viel Unglückliche, welche des Trostes und Rates bedürfen, daß man selten Herr ist seiner Zeit.
Die Pflichten des Amtes stehen über den Pflichten des Herzens. Und unser Amt verlangt jetzt gerade ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Entschlossenheit. Der Krieg wird zudringlich auch gegen uns. Jetzt erst verändert er seine Stellung und blickt auf den links stehenden Gellert, mit einer Handbewegung auf den Stuhl am Sofa zeigend, während er sich von rechts einen Stuhl holt und im Gehen danach weiter spricht. Beide setzen sich aber nicht. Solch ein Fall hat die Fakultätssitzung, zu welcher Sie geladen waren, beschäftigt. Es handelt sich um einen Eingriff, in unsre Rechte, um einen Eingriff, welchen wir mit aller Nachdrücklichkeit zurückweisen müssen. Und da Sie, Herr Professor Gellert, durch Ihre kleinen Schriften, wenn auch nicht einen literarischen, doch einen gewissen moralischen Einfluß ausüben auf das deutsche Publikum, wenigstens auf einen Teil des selben, so haben wir es für zulässig erachtet, Ihren Namen unsrer Protestation beizufügen.
Ja. Ein preußischer Reitergeneral hat sich gestattet, der Universität ungebührliche Vorschriften zu machen. Er will uns vorschreiben, was gelehrt oder nicht gelehrt werden soll vom Katheder, namentlich in Sachen der Geschichte und Rechts-Philosophie, indem er sich darauf bezieht, daß der Kriegszustand und die gereizte Stimmung in Deutschland augenblicklich solche Einschränkungen erheische.
Das letztere ist wohl nicht unrichtig: es ist herzzerreißend, daß deutsche Völkerschaften einander gegenseitig zerfleischen –
[48]Sie verwechseln wiederum das Herz mit dem Amte, Herr Professor. Niemand von uns hat ein Wohlgefallen an dem inneren Kriege, aber je trauriger das gemeine Wesen durch einander geschleudert wird, desto unerläßlicher ist es für jeden einzelnen, auf seinem Posten fest zu stehn, seinen Posten zu verteidigen. Unser Posten ist die akademische Lehrfreiheit. Wir vertreten die Wissenschaft, welche nicht abhängig sein darf von der Politik des Augenblicks.
Deshalb haben wir eine Protestation aufgesetzt gegen die Zumutungen des Reitergenerals. Es ist Ihnen gestattet, sie mit zu unterzeichnen, und wenn dies geschehen ist, soll sie aufs Rathaus getragen werden, um nötigenfalls durch die städtische Behörde den soldatischen Herren vorgelegt zu werden.
Wird aber nicht dieser herausfordernde Schritt das soldatische Ungewitter heraufbeschwören über unsre arme Stadt?
Ei, ist unser moralisches Ansehn nicht eine größere Macht als die brutale Macht der Waffen? Herr Professor, ich verwundere mich höchlich. Sie so kleinmütig zu finden!
Ich bin ein ängstlicher Mann und nicht geeignet zu öffentlicher Opposition. Ich fühle und fürchte zu sehr unsre Schwachheit.
Ach nein! Ich freue mich eigentlich unsrer Tapferkeit, da ich sie uns gar nicht zugetraut hätte. Gott gebe nur, daß wir auch, und besonders ich selbst, in Tapferkeit bestehn mögen, wenn es zur wirklichen Probe kommt.
Wahrscheinlich wird Ihr Heldenmut gar nicht weiter [49] herausgefordert werden. König Friedrich ist ein Freund der Wissenschaft und weiß deren Unabhängigkeit zu schätzen. Er würde im Falle der Not, wenn er unsre bündige Protestation erfährt, seinen Kriegsleuten den Eingriff verweisen. Außerdem kann ich zu Ihrer Beruhigung hinzusetzen, daß die preußische Armee in Sachsen jetzt wahrscheinlich schon vernichtet und das Ende des Krieges vor der Tür ist.
Das änderte wohl innerlich an unserm Schritte nichts. Wenn wir ihn tun, so müssen wir ihn doch auf jegliche Gefahr hin tun. Darf ich Sie wohl bitten, mir die Schrift zu zeigen?
Noch eins! Der General Seydlitz stellt noch eine Forderung, gegen welche wir uns milder verhalten können. Es tauchen jetzt überall, je länger der Krieg dauert, kleine Gelegenheitschriften auf voller Naseweisheit. Ich meine nicht die Herren Gleim und Konsorten, welche die alltäglichen Dinge in Verse und Reime bringen und hier mit dem alltäglichen Publikum schmeicheln, welches solchergestalt denn auch Poesie zu genießen vermeint. Ich meine auch nicht unsre vorlaute ästhetische Jugend, welche meine Vertreibung des Hanswurstes von der deutschen Bühne bekrittelt, die Herren Mylius, Lessing, und wie sie sonst Namen führen. Dergleichen ist nicht erheblich, genug –
Ich glaube nicht nur, ich weiß es. Was ich aber meine, sind die Flugschriftenschreiber über Krieg und Frieden. Es ist erstaunlich, was alles sich jetzt zudrängt auf den politischen Markt und mitsprechen will – Man hört außen Gezänk zwischen Schladritz und Cato; Gottsched wendet sich nach hinten. Wer ist da?
Kurz und gut, es ist vor einigen Tagen hier in Leipzig eine der dreistesten dieser Flugschriften erschienen unter dem gemeinen Titel: »Pro patria! Landsleute, schlagt Euch nicht untereinander, sondern schlagt die Fremden aus dem Lande«, das heißt die Russen, Schweden und Franzosen.
Was gibt's hier? Cato erscheint. Wer ist Er? Schladritz erscheint neben Cato, und während Gottsched ins Zimmer zurück- und Cato eintritt, sagt, ebenfalls eintretend.
Ein Grobian ist's, Herr Professor, der sich erlaubt hat, mir eine Ohrfeige zu geben, weil ich ihn von der Tür wegjagen wollte!
Halten zu Gnaden, hochgelehrter Herr Professor, dieser gütige Herr da Auf Gellert deutend. hat mir Hoffnung gemacht, in Ihren Dienst eintreten zu dürfen.
Die Frau Professorin ließ mich vorhin wissen, daß Sie einen Diener brauchten, und dieser junge Mensch da hatte sich kurz vorher bei mir gemeldet mit dem Ansuchen um einen kleinen Posten, womöglich in dem Hause eines Gelehrten –
Und besonders im Hause des berühmten Herrn Professor Gottsched, der bei mir zu Hause in Franken so erstaunlich in Ehren steht. Wenn meine Mutter erfährt, daß ich hier untergekommen bin beim Könige der schönen Schriften, und mich durch ordentliche Aufführung dort halte, so vergibt sie mir alle Jugendstreiche, und ich wäre der glücklichste Bursche, hochverehrter Herr Professor, wenn ich mitten in der Bücherregierung Schuhe putzen, Röcke ausklopfen, Bücher aufschneiden und mitunter gar ein Buch lesen könnte von Ihnen, hochgelehrter Herr! Ich würde mir auch alle ersinnliche Mühe geben, Ihnen alles an den Augen abzusehen und alles im Hause so glatt und so leise und so fix zu besorgen, daß die Wirtschaft stille an Ihnen vorüberhuschte, wie eine eingeölte Maschine, und daß Ihre großen Gedanken nicht eine Minute mehr gestört würden, ich bitte recht schön, verehrungswürdigster Herr, machen Sie einen Menschen glücklich, dessen Glück darin besteht, Ihr Bedienter zu werden!
Aber erlauben Sie, Herr Professor, wenn man Ohrfeigen kriegt, so darf man sich doch wohl erkundigen, von wem man sie gekriegt hat –
Ach, lieber Gott, der Mantel deckt meine Schwäche. Meine Kleidungsstücke sind bei den Kriegszeiten dünne geworden, und neulich haben mich auf der Landstraße die Kroaten ausgeplündert, als ordentlicher Mensch hab' ich nur mit Mühe auf Sauberkeit des Kopf- und Schuhwerks halten können, 's sieht traurig unter dem Mantel aus. Nun hab' ich ein vielleicht zu zartes Ehrgefühl und schäme mich.
In seinem Verstande nicht, aber leider in dem meinigen. Mein Leben ist verfehlt worden: ich habe hoch hinaus gewollt, und bin drunter weggekommen! Drunten gefiel mir's nicht, und da bin ich hierhin und dahin gefahren mit allerlei neuen Versuchen, und das nennen die Schriftgelehrten wohl auch Vagabundieren.
Sehen Sie, hochgelehrter Herr Professor, ich wollte durchaus studieren und hatte doch nicht das nötige Zeug dazu, weder im Beutel, noch vielleicht auch im Kopfe, aber das Bücherlesen war einmal mein höchstes Vergnügen, und so ist's denn gekommen, daß ich ein konfuses Schicksal gekriegt habe. Aber ich bin ehrlicher Leute Kind und habe mich, Gott sei Dank! durch dick und dünn immer ehrlich durchgeschlagen. Nun hab' ich seit Jahren, seit ich Ihre »Kritische Dichtkunst« gelesen, immer danach geangelt, in Ihren Dienst zu kommen, um als solider Bedienter doch auch nicht verbauern zu müssen. Bei vornehmen Leuten hat mir's nie gefallen, das bißchen Französisch und was sie Tournüre nennen, das kriegt [52] man bald weg, und damit ist's aus, 's ist nichts dahinter. Ich wollte aber dahin, wo was dahinter wäre, eine Stube Nach links in die stets offene Stube Gottscheds blickend. voll Bücher und Papier, und Schreiben, immer Schreiben und Druckenlassen, Korrektur, Revision, Aushängebogen, Herausgabe des Buchs, Aufsehn, Rezensionen, Ruhm und Ruhm, und nun so eines Ruhmes Bedienter, Professor Gottscheds Bedienter, mit der Zeit Abschreiber, Geschäftsführer im kleinen, am Ende gar eine Art Famulus, wie sie's nennen, so bloß Famulus für Haus und Hof und Küche, sehn Sie, das hat mir Tag und Nacht geträumt, und jetzt weiß ich selber kaum, ob es noch im Traume ist, daß ich endlich hier in Leipzig am Nikolaikirchhofe und zur Bedienung Empfohlener bei Deutschlands Minerva bin.
Er kann sogleich den wichtigen Gang besorgen; also die Unterschrift Geht mit einer einladenden Bewegung für Gellert nach seinem Zimmer. und dann aufs Rathaus. –
Ja, diese Flugschrift soll hier entstanden sein, und die Universität soll dafür aufkommen. Sie soll alles anwenden, den Verfasser zu ermitteln.
Und soll Sicherheit leisten für die Zukunft, daß dergleichen vorlaute Schriften nicht wieder von hier ausgehn.
Wir sind keine Polizeibehörde, und so ungern ich mich mit Opposition befasse, dagegen unterschreibe ich sogleich meinen Protest.
Nun, ich bin hierbei nicht für einen allgemeinen Protest gewesen, weil sich wirklich sehr viel unberufenes Gelichter in die Literatur drängt; aber es ist jedem einzelnen bei der Unterschrift freigegeben, über diesen Punkt seine Meinung auszudrücken.
7. Szene
[53] Siebente Szene.
So so, Herr Gottsched! Das ist Ihre Meinung! – Aber da wäre ich ja! Nahe am nächsten Ziele! Sie wird in den nächsten Stunden erwartet, wie mir Gottfried sagt und wie dieser Schladritz mürrisch bestätigt. Jetzt gilt's! Die Mama wird mich nicht erkennen Er kommt allmählich bis zum Schreibtische. und Wilhelmine wird mich nicht verraten! Was seh' ich? Dies ist ja ihre Handschrift! Ein Brief von ihr – Lesend. »Verehrungswürdiger Herr Professor! In tränenreicher Not wende ich mich an Sie, den ich über alles liebe und verehre« – was? Gottsched? Nach dem Kuvert umwendend. Nein, an Gellert adressiert! Was heißt das? – Man kommt! Zurück!
8. Szene
Achte Szene.
Aber nötig, durchaus nötig. Im entscheidenden Augenblicke muß auch der Literatus zeigen, daß er eine hohe Stellung heldenmütig zu vertreten weiß.
Unterstehn oder Nichtunterstehn, hochgelehrtester Herr, jetzt heißt's im Dienst bestehn. Ich war bisher geachteter Diener des Hauses, ich muß dafür sorgen, solang' ich die Livree des Hauses trage, daß dies Haus nicht vom Feinde überrumpelt werde, und – der Feind steht vor der Türe!
GOTTSCHED, GELLERT, FRAU GOTTSCHED UND CATO. Vor der Türe?
Das Wesen soll also reden? Bin also nicht aus dem Hause gejagt? Ich danke Ihnen, Herr Professor der Beredsamkeit! Will ihm die Hand küssen.
Erzählen, ja – ich werd's versuchen. Sehen Sie, der Türmer drüben auf dem Nikolaiturme das ist mein Vetter Allgemeines Zeichen der Ungeduld. – na, warten Sie nur! Eins nach dem andern, 's kommt schon! Mein Vetter, der Türmer, hat ein Töchterchen, das ich gern verheuraten möchte, wenn sie nur nicht eine schiefe Schulter hätte,Neuer Ausbruch von Ungeduld. bloß schief! 's ist eine Verleumdung, wenn man sie bucklig nennt –
Ich rede ja – und Er da Zu Cato. mischt sich gar nicht 'rein, Er gehört gar nicht ins Haus! Jetzt zeigt sich's, was ein ordentlicher Diener ist und Konnexionen hat. Gottsched stampft mit dem Fuße. Ja, kurz, Herr Professor! Meine schiefe Muhme also – [55] schief ist sie allerdings – muß mir bei der gottlosen Soldatenzeit alle Tage Rapport bringen, was sich etwa in der Umgegend sehen lasse, damit man sich als ordentlicher Diener mit den silbernen Löffeln und gutem Geschirr danach richten und es doppelt verschließen kann, sobald's spukt. Nun, meine Herrschaften, jetzt spukt's aber, und wie. Allgemeine Spannung. Eben ist meine Muhme gekommen: das Wetter ist klar, sie können da oben bis in die Ewigkeit sehn, und was haben sie gesehn?
Freilich! Die Zietenschen Bärmützen erkennt man auf eine Meile Wegs, und die ersten sind schon auf dem Thonberge gewesen, und über Wachau, über Liebertwolkwitz, über Borsdorf sogar, überall blitzt es von Reitern. –
Nichts verändern! Das ist ein Platzregen auf vierundzwanzig Stunden, und dann ist alles vorbei! Sie werden eilen weiterzukommen. Seien wir tüchtig, handeln wir! Er da Zu Cato. wie heißt Er?
Mein Familienname ist vorderhand untergegangen, und ich habe mir einstweilen einen römischen beigelegt, der mich in einem wunderschönen Trauerspiele begeistert hat – alleweile heiß' ich Cato, wenn der Herr Professor es erlauben!
[56]Cato! Sieh' da Zu seiner Frau. Viktoria, man dringt ins Volk mit Trauerspielen! Also Cato? Ein Bedienter darf aber nicht Cato heißen; später mehr davon – jetzt eile Er da hinein Auf sein Zimmer zeigend. im Wandschrank links hängt eine neue Livree des Hauses Gottsched, die lege Er an, und in ihr – Feierlich. schreite Er aufs Rathaus und übergebe dem Herrn Bürgermeister diese Schrift, die Protestation der Fakultät, redigiert vom Senior der Fakultät, Professor Gottsched.
Ja! Ich kämpfe für mein Bedientenrecht! Er kann die Livree auch gar nicht anziehen, sie ist Ihm viel zu kurz!
2. Akt
1. Szene
Erste Szene.
Jawohl! jawohl! Das versteht sich! Er ist unruhig bis an die Mitteltür gegangen und hat den rechten Flügel derselben aufgemacht, nach links hinübersehend. Ah, da kommt Er! da ist Cato! – Hier herein, Cato! Hierher, hierher! und er zählt ausführlich, erzählt!
Der hatte aber viel zu tun und, wie es schien, den Kopf erstaunlich voll, als ob sich's um eine schreckliche Einquartierung für die Stadt handelte, und es lief alles durcheinander, und man stieß mich hierhin und stieß mich dahin, und ich konnte meinen Antrag nicht anbringen.
Na, da dacht' ich, fang' mit der Hauptsache an, Cato! Ich schrie also auf einmal: Vom Herrn Professor Gottsched, Senior der philosophischen Fakultät, und so weiter, und so weiter – da paßte alles auf.
Das sagte er. Und er setzte hinzu, er ließe Ihnen in [58] der Geschwindigkeit mündlich vorschlagen; denn zum Schreiben gäb's keine Zeit –
Das sagt' ich auch! Mein Herr Professor, sagt' ich, macht so was nicht zum Zeitvertreib! Das ist reiflich überlegt, und er hat es in Sachen der freien Wissenschaft für nötig befunden!
Ja! Sich besinnend. Nun ja, ich hatte es hier so gehört, und damit war's gut. Ich konnte gehn; er legte die Schrift auf den grünen Tisch und murmelte: Wenn nur Seydlitz nicht selber kommt, der versteht keinen Spaß!
Die Grimmsche Gasse ist bis ans Fürstenhaus ganz verstopft von Fuhrwerk, das noch geschwind herein gewollt und sich festgefahren hat. 's ist ein Mordspektakel da, und was ich so von einzelnen Kutschern aufgeschnappt habe, das klingt verdächtig.
Von allen Landstraßen rückten preußische Truppen heran, und sie täten gar nicht, wie geschlagen, sondern sehr vergnügt und sprächen von einem großen Siege, den sie gewonnen hätten.
Aber er ist weit entfernt in Schlesien! Und du weißt am besten, daß du ihm in der zweiten Audienz nicht besonders gefallen hast.
Ja, und noch eins für die Frau Professorin! Mitten [59] unter der festgefahrenen Wagenburg drüben am Eingange der Ritterstraße schien mir die Kutsche der Frau Gräfin von Manteuffel zu stecken, die Sie ja wohl erwarten.
Blitz! Laut. Ja, ich kenne sie auch nicht, die Kutsche. Aber den Kutscher kenn' ich. Das heißt den Kutscher selbst nicht, aber er trug gerade solche Livree wie der Gottfried, das heißt der Reitknecht, der heute morgen hier war, und weil zwei Damen drin saßen, da dacht' ich mir's.
Da hat Er ganz recht! Und nun helf' Er gleich dem Schladritz, daß der Tisch gedeckt und angerichtet werde.
Nein, es ist nicht möglich, ich kann den Mann jetzt nicht entbehren, da die Kathrine fortgelaufen und so viel im Hause zu tun ist. Der neue Mensch kennt ja mein Hauswesen noch nicht, und wie soll ich's denn bestreiten, da Manteuffels nun da sind und Graf Bolza durchaus hierbleiben soll.
Du hättest für ihn sorgen, ihn aber nicht in deinem Hause unterbringen sollen: das kann ja, wenn es entdeckt würde, deine nun ohnehin gefährdete Lage nur verschlimmern!
Freilich! Jetzt ist's allerdings zu spät! Aber jetzt brauchen wir Vorschriften. Soll der Graf Bolza auch vor Manteuffels verborgen, oder soll er ihnen unter fremdem Namen vorgestellt werden? Denn es darf doch jetzt niemand mehr seinen Namen wissen, viel weniger nennen, da seine Todfeinde die Stadt besetzen? –
Mein Gott, das solltest du doch aus Dresden besser wissen als ich. Eine Partie ist im Werke zwischen ihm und der Komtesse Wilhelmine.
O nichts, nichts! – Ich bewundere die Schlauheit, welche trotz aller Gefahr unser Haus benützt im Einverständnisse mit den Damen von Manteuffel!
So ist's nun wohl gerade nicht. Eigentlich Er greift nach den Briefen, welche noch auf dem Tische liegen. kennt er sie nicht persönlich und war überrascht.
Das junge Mädchen weiß schwerlich was von ihm. So viel mir bekannt, sind ihre BlickeSelbstgefällig lächelnd und den Brief Wilhelminens einsteckend. ganz wo anders hin gerichtet. Da ist Einen zweiten Brief hinreichend. auch noch ein Brief für dich von der Gräfin, den Gottfried mitgebracht. Sie hat hastig geöffnet und hineingesehn. Was steht darin? Du zitterst ja!
Ach! – Führt sie von außen in mein Zimmer! Gottsched, begrüße sie; ich bin jetzt außerstande. Laßt mir einen Moment Erholung; es wird mir gleich besser sein!
Von wie gebrechlichem Ton sind doch die Weiber! Er öffnet im Vorübergehen Bolzas Zimmer, das zweite rechts, und ruft hinein. Die ersehnten Damen sind angekommen, lieber Graf, und erwarten Sie auf dem Zimmer meiner Frau – zunächst als den Grafen Balthasar, nicht wahr? Verstanden? Wir spielen Roman! Zur Frau. Luise! Balthasar heißt unser Held! Lachend ab.
2. Szene
[61] Zweite Szene.
Widerwärtige Qual! Ich mag ihn jetzt nicht sehen! Sie wendet sich rasch links hinüber nach dem Zimmer Gottscheds; als sie es fast erreicht, tritt Bolza aus seinem Zimmer.
Kümmern Sie nicht! Die Sie nicht kennen! Wieviel Unwahrheiten verbrauchen Sie, Herr Graf, an einem Vormittage! Einer unbescholtenen Frau heucheln Sie um elf Uhr leidenschaftliche Neigung und beunruhigen ein friedliche Herz, bedrohen den Frieden eines Hauses, zu welchem Ende? Damit Sie um zwölf Uhr in diesem Hause eingebürgert sind zum Empfange – nicht doch! nicht doch! ich spreche Unwürdiges.Sie eilt wieder nach vorn. Mein Gott! wohin treibt mich die Aufregung! Ich setze voraus, ich klage an, was ich nicht soll, was ich nicht will! Fasse dich, verletzte Eitelkeit, fasse dich schnell!
Sie scheint eifersüchtig zu sein! Ein vortrefflich Zeichen! Laut. Ich verstehe Sie nicht und empfinde nur eine schmerzliche Freude darüber, daß Sie mich einer scheltenden Anrede würdigen.
Empfinden Sie Freude, daß man Wert auf Sie legt, wirklich?! – – Nein, nein! Entschuldigen Sie mich, Herr Graf, ich habe eine schreckliche Migräne und spreche ohne Sinn und Zusammenhang. Ein Drama, welches ich zu bearbeiten angefangen, tobt mir im Kopfe umher, und ich verwechsle die erdichtete Welt mit der wirklichen. Gezwungen lächelnd. Richtig, richtig! Sie sind ja Graf Balthasar! Diese Namensänderung wird mich in die Romanwelt gesteigert haben. Was mag ich Ihnen für konfuses Zeug vorgesprochen haben! Begrüßen Sie dort Auf ihr Zimmer zeigend. die Damen; ich hoffe – bald bei Ihnen zu sein! Sie geht wieder auf Gottscheds Zimmer zu und bleibt an der Tür stehen.
Das können Sie nicht! – Sind Sie denn ein Arzt? Gehen Sie ungestört Ihren Weg! Sie tritt in Gottscheds Zimmer.
Dies ist ein schönes Mädchen! Nach Gottscheds Zimmer blickend. Dies ist eine interessante Frau! Geht ab nach rechts in das Zimmer der Frau Gottsched.
3. Szene
Dritte Szene.
Na, wird's? Dort im Dunkeln wird nicht gedeckt.Er tritt ein, die Tür bleibt offen, und Cato erscheint später in derselben, stumm Wilhelminen nachblickend. Schladritz kommt nach vorn, und auf die Tür deutend, durch welche Bolza eben verschwunden ist, spricht er. Wenn ich nur den Namen dieses Grafen erst wüßte! Dahinter steckt was, und damit könntest du, Schladritz, in so halsbrecherischer Zeit was anfangen. Der Professor hat den Satan gegen mich, und ich muß einen Schreck für ihn auftreiben, sonst bringt er mich am Ende doch 'naus – christlich müßt es freilich ausspielen mit dem Schreck, natürlich, der Professor ist doch mein alter Herr! – Sich umsehend nach Cato, der jetzt in der Türe erschienen ist. Wird's nicht? Für sich. Dich will ich schon wieder 'nausspielen mit Ohrfeige und Livree, und – ohne Christentum!
Den Tisch anfassen! [63] Sie tragen den Tisch in die Mitte. Hier anfassen! Wirft ihm das Tischtuch zu. Du hast doch reingewaschne Hände, Schuhputzer?
Unterstehst du dich noch einmal, mich per Du zu traktieren und mit ungewaschnen Namen zu benennen, so begegnet dir eine dauernde Fatalität, verstehst du?
Aus dem Dienst gejagt ist Er ja schon, Er hängt nur noch mit einem Zwirnsfaden an diesem Hause – ist Er unartig gegen mich, so schneid' ich diesen Zwirnsfaden durch, ist Er artig, so laß ich mit mir handeln, und der Herr Professor auch, versteht Er mich?
Frecher Mensch, Auf die Schwelle der Tür tretend. untersteht sich, auf den Namen der Frau Professorin zu antworten!
Adelgunde! – Fertigmachen, Cato! Die Suppe auftragen, die Frau Professorin rufen!Ab, wieder rückwärts in das Zimmer.
Der Bursch ist höchst verdächtig! So denkt und handelt kein geborner Bedienter! Ich muß spionieren und visitieren, ich muß dahinterkommen, und er muß 'naus!
Der Herr Professor bittet, die Frau Professorin möchten zur Gesellschaft kommen! Die Tür offenhaltend.
[64]Es mag doch sogleich angerichtet werden, er kommt wohl unterdes. Sie geht nach ihrem Zimmer ab, ohne auf die folgenden Worte Schladritz' zu hören.
Soll Meißner oder Naumburger aufgesetzt werden? – Nichts? Gut. 's sind vornehme Herrschaften, also Meißner! Geht nach hinten, dann für Cato sagend. Messer, Gabeln und Löffel legen! Durch die Mitteltür ab.
Nun kommt der entscheidende Augenblick! Bis dahin wär' alles gelungen. Wenn mich aber Wilhelmine beim ersten Anblick verrät, dann stürzt mein ganzes Kartenhaus zusammen. –
Die Mama kennt mich gewiß nicht mehr, sie hat mich ja zehn Jahre nicht gesehen – Herr Gott, da kommen sie wohl schon! Wilhelmine darf mich nicht sogleich erblicken! Er tritt mit dem Gesicht gegen das Publikum hastig einige Schritte zurück und stößt an.
Tölpel, die Suppe! Zwischen der ersten und zweiten Tür auf der rechten Seite steht ein Sessel, auf diesen taumelt er, und dort sitzt er, als der Professor mit der Gräfin eintritt und vor ihm stehen bleibt.
4. Szene
Vierte Szene.
Gestörten Wesens!Stöhnend. Zum Verzweifeln! Erst verrückt, nun gestört! Ja, der Mensch verrückt und stört mich, stört alles! Sowie er die Suppe aufgesetzt. Ach du gerechter, du gerechter Gott!
Messer und Gabeln liegen links von den Tellern! Herr Dekanus, jener Mensch ist kein Bedienter, so wahr –
Er ein schlechter ist! Sessel! – Entschuldigen Sie, erlauchte Frau Gräfin, diese Ungebührlichkeiten eines bereits entlassenen Lakaien. Der heutige Tumult hat ihn nur noch für einige Stunden gegen meinen Willen im Hause erhalten!
Wir durften ja hoffen, geschätzte Frau Professorin, außer dem Herrn Grafen Balthasar auch den würdigen Herrn Professor Gellert an Ihrem Tische zu sehen. –
5. Szene
Fünfte Szene.
Die Frau Reichsgräfin sind sehr gnädig. Ich wünschte nur, der Ausdruck meines Respektes würde nicht beeinträchtigt durch so unruhige Augenblicke, wie die jetzigen es sind. Ja, Herr Professor Gottsched, die Umstände werden immer drohender, und es ist ein harter Tag angebrochen für Leipzig und für uns.
Es ist nicht mehr daran zu zweifeln, daß die Preußen unter Anführung des Prinzen Heinrich eine große Feldschlacht gewonnen haben in der Gegend von Freiberg!
Ja, gewonnen! Sachsen ist also wieder ganz in ihrer Gewalt. Das hätte für uns nicht soviel Bedenken, wenn der König selbst oder auch Prinz Heinrich hierher nach Leipzig kämen. Denn beide sind Freunde der Wissenschaft, und der Zwiespalt, welcher sich zwischen den Kriegsleuten und unsrer Universität entsponnen, würde wohl von diesen königlichen Herren friedlich beigelegt. Aber der König ist fern, und ich höre eben, daß Prinz Heinrich sich gegen Dresden richte, um einen Waffenstillstand zu erzwinge, daß aber die Reiterei hierher sich wende und schon vor unseren Toren sei. Man erwartet jede Minute das Einrücken derselben, und man sagt, es seien diejenigen Reiter, welche wir am meisten zu fürchten haben, die Seydlitzschen Kürassiere, und Seydlitz selbst, der schärfste Widersacher unsrer Universität, komme an ihrer Spitze!
Damit ist ausgesprochen, daß das Kriegsverfahren gegen uns Professoren in der nächsten Stunde beginnen kann. Ich habe große Besorgnis davor, denn ich bin ein stiller Mann des Friedens, und ich bitte Sie, lieber Herr Gottsched, mit unsrer Protestation nicht in so kritischem Momente hervorzutreten.
Um des Himmels willen! Dann eilen Sie selbst aufs Rathaus, sie zurückzunehmen! Ich bin noch keinem Soldaten begegnet, noch wird es Zeit sein, noch wird sie der Herr Bürgermeister in Händen haben!
Besser ist Schweigen als Halbsprechen und eine gute Sache dadurch aussetzen! Durchsetzen können wir's doch nicht gegen die Kriegs macht!
Ich beschwöre Sie, Herr Professor Gellert, haben Sie keine Nachricht, ob die Reichsarmee unter dem Prinzen Stollberg in die Affäre bei Freiberg verwickelt worden sei?
Nun, es heißt allerdings, die Reichsarmee – sei ebenfalls in die Schlacht verwickelt und – ebenfalls aufs Haupt geschlagen worden.
Ja, mein Gemahl kämpft neben dem Prinzen Stollberg, und seine Gefangenschaft wäre ein erschreckliches Unglück für ihn, weil er überall laut und öffentlich auf das eklatanteste Partei genommen hat gegen die Preußen.
Gellert kann nicht unrecht haben, und es wäre wohl ratsam, Cato, Er eilte aufs Rathaus, um beim Herrn Bürgermeister zu fragen –
6. Szene
[69] Sechste Szene.
Ach du himmlischer Vater, du himmlischer Vater, nun ist's fertig!Er hat eine alte Jagdtasche so umgehängt, daß der Ranzen ihm vorn den Leib bedeckt. Schöne Geschichten das, schöne Geschichten!
Während er dies tut, sagt er unmittelbar auf Gottscheds Frage. Nu, warten Sie nur – das gibt's! Den Harlekinsanzug hinzeigend. Ein Hanswurst ist er! Da ist er!
Na, das fehlt noch! Jetzt, Geistesgegenwart, sei bei mir! Er wendet das Gesicht starr nach dem Publikum, als ginge ihn das alles nichts an.
Ach der wird sich doch nicht auch verkleiden! Auf der andern Seite ist der Eigentümer dieser Jagdtasche, der sogenannte Mosje Cato ist der saubre Hanswurst!
Hanswurst?! In meinem eigenen Hause! Mein eigner Diener! Nachdem ich die Hälfte meines Lebens daran gesetzt, diese kindische Possenfratze von der Bühne zu jagen! Cato die Hand zitternd auf die Schulter legend. Unglücklicher!
Bist du einer jener Komödianten, der sich in mein Haus gelogen, um mein edelstes Streben so nichtswürdig zu verspotten? Dann bewahre uns Gott vor Unglück; denn ich könnte dich, Menschenkind, ich könnte dich ermorden – sprich! Er faßt dabei krampfhaft mit beiden Händen nach Catos Schulter.
Verzeihung. Ich bin darum außer mir, weil – weil ich so verkannt werde. Herr Professor der schönsten Künste, Streiter für edlen Geschmack, ich Hanswurst?! Oh, welch ein Gedanke, welch eine Erniedrigung! Ja, nach Erscheinung dieses bunten Kleides muß ich nun wohl gestehen, daß ich mich der Gaukelei auf dem Theater allerdings hingegeben, aber, – als Ihr Fahnenträger, im edelsten Geschmack, Herr Professor! Und nun, da meines Herzens Geheimnis so jählings ans Tageslicht gerissen wird durch einen Böotier Schladritz zuckt. nun muß ich ruhmredig erscheinen und die ganze Wahrheit sagen, die ganze! Ja, Herr Professor, jenes bunte Kleid ist meine Trophäe, ist das Siegeszeichen meiner künstlerischen Laufbahn! Vier Meilen von hier, zu Weißenfels an der Saale hab' ich das Kleid einer Komödiantentruppe abgerungen mit Gefahr meiner edelsten Gliedmaßen, abgerungen, Herr, um den letzten Hanswurst unmöglich zu machen, unmöglich; denn jene Frevler haben kein Geld, ein neues solches Kleid anfertigen zu lassen. Triumphierend flog ich mit der Beute hierher nach Leipzig, um sie zu Ihren Füßen niederzulegen in einer geweihten Stunde, und hier erleb' ich solche Erniedrigung, o Herr Professor, dies ist eine schmerzliche Situation für ein gebildetes Herz!
Das ist ein Schelm, der Sie zum Narren hat, Herr Professor. – Man hört in weiter Ferne einen Trompetenmarsch.
7. Szene
Siebente Szene.
Empfehle mich allerseits! Empfehle mich. Herr Professor! Sehen Sie nicht so grimmig aus, 's nützt Ihnen doch nichts, die Seydlitzer sind da, und unser General hat Sie auf dem Strich; wenn die Kathrine nicht hilft, wird's schlimm genug um Sie aussehen!
Ach, meine vortrefflichste Frau Professern, lassen Sie mich Ihre Hand küssen, und vergeben Sie mir ja, daß ich Ihnen fortgelaufen bin! Aber Liebe ist Liebe, und Krieg ist Krieg, und man will doch vorwärts! Lange hat's ja auch nicht gedauert, leider! und da bin ich schon wieder, und jetzt bin ich wahrhaftig für Ihr Haus vierteljährig drei Taler mehr wert; denn ich bin so gut wie 'ne Salvegarde gegen die Soldaten, und jetzt gibt's doch auf wer weiß wie lange nur Soldatenregiment in Leipzig; sehen Sie mich freundlich an, Frau Professern, ich mein's mit keinem Menschen so gut als mit Ihnen! Ihr mehrfach die Hand küssend.
Ich bin ja nur mit meinem Vetter, dem Wachtmeister, gegangen, der mich von jeher hat heuraten wollen, und der [72] mich auch noch heuraten wird, wenn ich nicht unter der Zeit einen jüngeren finde; 's ist 'ne ehrliche Haut, der Siegmund, und 's ist ja nicht seine Schuld, daß niemand heuraten darf, solange die Campagnen dauern, und daß es in alle Ewigkeit nicht mehr Friede werden will! Halten Sie den Siegmund warm, Herr Professor, 's wird gar nicht lange dauern, da wird er hier sein bei Ihnen auf Kommando zur Untersuchung gegen Sie.
Hören Sie, meine Leute! Geht an den Tisch und schenkt sich ein Glas Wein ein. wie sie blasen! Das ist der Seydlitzer Marsch, den kennt man von Roßbach her! Kriegt man auf der Landstraße einen Durst! Schladritz tritt zu ihr und nimmt die Flasche. Brr! Schladritz, das ist sehr vaterländisches Gewächs! Bei unsrer Bagage haben wir beßres!
Hurra, jetzt schwenken sie ab in die Ritterstraße, um unten auf dem Brühle zu biwakieren! Dort von den Fenstern Auf das erste Zimmer rechts, das der Professorin, deutend; es steht offen. der Frau Professern können Sie unsre Leute sehen, meine Herrschaften, und können auch gleich sehen, ob der Wachtmeister vom zweiten Zuge herüberschwenkt mit einem Pikett, um unsre Haustür zu besetzen, damit niemand mehr entwischen kann.
Hat Er 'nen Stich, Schladritz?! Fix 'naus vors Haus, daß ich meinem Wachtmeister unsre Wohnung zeige, fix! Ab.
8. Szene
Achte Szene.
Ich schäme mich ja zu Tode für dich! In einer Dienerlivree finden wir dich, zu gemeiner Komödiantenwirtschaft bekennst du dich! Was wird die Mama sagen, wenn sie erfährt, daß du es seist, was wird der Vater sagen, wenn er es hört, Fritz, was muß ich denken, die ich von jeher alles auf dich gestellt habe, mein ganzes Denken und meinen ganzen Glauben, Fritz, Fritz, ich kann's ja nicht überleben, wenn du nicht ordentlich und ehrlich bist!
Ich beschwöre dich, Wilhelmine, meine gute, liebe Wilhelmine, ich beschwöre dich, vertraue mir weiter, wie du mir bisher vertraut hast! Du bist das einzige Wesen, dessen Mißtrauen mich unglücklich machen würde. Wilhelmine, ich fühle mich vor Gott [74] verantwortlich für dein Glück. Denn ich liebe dich, ich habe dich auferzogen, ich habe dich erfüllt mit den Idealen meiner Seele, ich hätte dich ja verdorben, wenn ich ein bloß leichtsinniger oder gar ein schlechter Mensch gewesen wäre, nicht wahr, Wilhelmine!
Und nicht wahr, du liebst mich noch, du vertraust mir noch, auch wenn du mein Puppenspiel in dieser Welt nicht gleich verstehst, nicht wahr, du liebst mich noch?!
Ich hab' ja niemand, an den ich mich halten kann! Vater und Mutter hab' ich so spät gesehen, weil ich beim Onkel in Franken aufgewachsen bin, und ich kann mich schwer in ihre Weise finden, seit sie mich geholt haben. Sie sind ganz anders, Fritz, als der Onkel war, sie sind stolzer und betrachten alle Dinge anders als ich, das heißt als du! Denn ich seh' ja alles mit deinen Augen, ich verstehe ja alles nur mit deinem Verstande. Umarmung. Bleibe um Gottes willen brav, Fritz, sonst bin ich verloren!
Meine gute Wilhelmine! Ach du wirst es gar bald verstehen, was ich treibe; denn die Dinge eilen mit reißender Schnelligkeit ihrem Ende zu!
Kind, man wird sie mir vielleicht sehr bald ausziehen. Erschrick nicht und fasse dich, Wilhelmine, ich bin in Gefahr! Ich drängte mich solchergestalt in dieses Haus, weil ich von Gottfried erfuhr, daß du hierher kämest, und weil ich in deiner Nähe sein wollte! Offen konnte dies nicht geschehen; denn du weißt, wie deine Eltern meinen Austritt aus der Armee übel aufgenommen und mir alle Verbindung mit Eurem Hause untersagt haben. Wer konnte wissen, daß der Krieg plötzlich wieder diese Stadt einnehmen, wer konnte wissen, daß just in diesem Hause sich so viel zusammendrängen würde, um die Aufmerksamkeit der Kriegsfürsten hierher zu lenken! Jetzt ist leider kein Zweifel mehr, daß dies Haus ein Schauplatz gefährlicher Untersuchungen wird, und daß es einen bedenklichen Aufenthalt abgibt für einen, der sich auch zu verbergen hat. Noch weiß ich aber nicht gleich, wie ich wieder hinauskommen soll, ohne mich aufs Neue zu verdächtigen, und ich habe auch nicht [75] die Kraft, aus deiner Nähe, aus deiner so lange und so sehnlich erwünschten Nähe gleich wieder zu scheiden.
Ich weiß kaum einen andern – meine Bekannte sind junge Literaten und jetzt nicht hier! – ich weiß kaum einen andern als bei Gellert!
Pfui doch, Fritz, das ist ja eine andre Liebe! Wenn du's nur wüßtest, warum ich geweint und Rat und Trost bei ihm gesucht!
Ja, wenn du nicht so leichtsinnig wärst! – Von einem ausländischen Grafen in Dresden hat mir die Mutter vorgesprochen – aber es kommt wohl jemand! – Eile zu Gellert, Fritz!
Auch zu ihm ist die Flucht nicht ratsam. Er ist nach der Tür rechts geeilt, ob jemand komme, und kehrt nun zurück. Er wird wahrscheinlich ebenfalls verwickelt in die hereinbrechende Untersuchung.
Auf dein Herz und deines Herzens Glauben. Man ist noch nicht verdächtig, wenn man den Machthabern verdächtig wird. Sei getrost, Gellert wird stand halten, aber dieser hohle Gottsched nicht, und darin liegt unsre Gefahr!
Ach Fritz, lieber Fritz, was soll aus uns werden! Wenn ich mich auch in deine lustige Weise finden könnte, Vater und Mutter werden's nie; sie nennen sie leichtsinnig, und sie würden außer sich sein, wenn sie deinen jetzt wieder so befremdlichen Lebenswandel erführen. Geh' zu Gellert, bitt' ihn um Fürsprache, auf ihn hören sie, Fritz, und wenn dich dieser edle Mann kennt, wie ich dich kenne, guter Fritz, so muß er ja für dich sprechen! Sonst weiß ich ja gar keine Hilfe für uns! Ich kann doch Vater und Mutter nicht widersprechen, und all' unsre schöne Liebe führt uns nicht zusammen, wenn Vater und Mutter nein sagen – wir sind verloren füreinander, Fritz!
Du hast mich lange nicht gesehen, Wilhelmine, du bist [76] schwermütig. Ich werde dich aufheitern, und du wirst mir zugestehen, daß man mit dem Leben spielen und es doch sehr ernsthaft nehmen kann. Gellert allein kann uns aber auch nicht helfen, ich kenne deiner Eltern altmodisch stolzen Sinn nur gar zu gut, und im gewöhnlichen Laufe der Dinge haben wir gar keine Aussicht auf Vereinigung, wenn du ganz und gar abhängig sein willst vom Befehle deiner Eltern.
Man kommt! Nach rechts zurückweichend. Verrate um Gottes willen nicht mit einem Blick des Auges, daß du mich kennst!
Und die Mutter, welche dich jetzt gesehen, und welche dich ja später erkennen muß, sie vergibt dir's nie!
9. Szene
Neunte Szene.
Sie sind vorbei! Es war eine Lüge mit dem Pikett vor der Haustür! Auf Wilhelminen zugehend. Nun, meine gnädigste kleine Komtesse, werden wir Zeit gewinnen, den Träumen unsers Herzens nachzudenken!
Mein Wachtmeister hat mir zugerufen, Herr Professor, wir möchten nur alles in Bereitschaft halten, in einer Viertelstunde würde er wohl hier sein mit zwei Trompetern!
Wie ist denn das möglich?! Die Protestation auf dem Rathause kann ja dem General noch gar nicht bekannt sein!
Das schlägt ja ein wie der Blitz! Käthe, wir haben am Ende einen dummen Streich gemacht – aber vom Fortjagen spricht er nicht mehr! Vortretend. Herr Professor, die Suppe wird kalt!
3. Akt
1. Szene
Erste Szene.
Gesegnete Mahlzeit! – Wünsche ergebenst gesegnete Mahlzeit!
[78]
Welch eine Qual, in solcher gegründeten Spannung Tafel halten und Konversation machen zu müssen, weil die vornehme Dame keine Rücksicht nimmt auf unsere Gemütsverfassung und Not! Den Dienern zurufend. Die Serviette!
Zu Befehl! Und löst die Stecknadeln, welche die Serviette halten. Gottsched sieht ihn dabei grimmig an, so daß er einen Moment zurückfährt, als habe er sich gestochen.
So lange in meinem Dienst, und weiß noch nicht, daß einer Reichsgräfin kein Meißner Wein vorzusetzen ist!
Auf der Stelle! Er faßt mit Katharina den Tisch und trägt ihn hinten an die alte Stelle an der Wand, ihn dort hastig abräumend mit Katharina.
Der Schreck wegen des Grafen Bolza war also, wie wir gesehn, nur ein blinder Schuß und nicht gefährlich. Die [79] Katharine hat ihn nur eben erkannt, aber es steckt doch von außen nichts dahinter, wie wir anfangs glaubten. Die Preußen wissen noch nichts von seiner Anwesenheit, und die Ankündigung des Wachtmeisters mit dem sogenannten Pikett war eine Prahlerei des Frauenzimmers, so beim Regiment wohl gehört hat, der General wolle mir gern aus Kleid. Es erschreckte uns nur so, weil es mit der fatalen Erkennung Bolzas zusammentraf, während der etwaige Besuch des Wachtmeisters nichts weiter sein wird, als ein Besuch bei seinem Schatze. Die Gefahr mit Bolza aber bleibt bestehn, und die nächste Aufgabe ist also Sich umsehend. daß wir die drei Leute Mit dem Finger über die Schulter nach hinten weisend. vornehmen und aufs Feierlichste verpflichten, nur einen Grafen Balthasar zu kennen, nicht wahr?
Aber, freilich aber! 's ist bös genug, daß ein bedrohliches Geheimnis drei Mitwisser hat und zwar Dienstleute, und darunter einen Bengel, den ich aus dem Hause jagen will, und den ich nun schonen muß. Aber steht das jetzt zu ändern? Antwort: Nein! Die Antwort führt zur zweiten Sorge. Diese heißt: Graf Bolza muß nun aus diesem Hause!
Kannst du dich auf den vorlauten Schwätzer, den Schladritz, verlassen, auch wenn er Stillschweigen gelobt hat? Kennen wir diesen so befremdlichen Cato? Willst du für diese Katharine stehn, welche mit den Kürassieren verkehrt, he?
Das wollen wir eben überlegen; zu nächst aber erst Numero Eins ausführen. Zurücksehend und gehend, laut. Schladritz! Katharina! Cato!
Tretet alle drei hierher Auf die rechte Seite deutend. und hört mit Bedacht, und antwortet mit Bedacht!
Also bedenk' Er sich! Das heißt mit Bedacht! – Graf Bolza ist ein sehr vornehmer Herr, den die Feinde dieses Landes gern beschädigen möchten.
Diese Feinde dürfen also durchaus nicht wissen, daß er hier sei, versteht ihr? Und damit es die Feinde nicht wissen, darf es kein Mensch wissen, versteht ihr?
Ihr also alle dürft durchaus nicht mehr wissen, wer der Graf Bolza sei, und daß jener Auf die Tür deutend. Graf Bolza heiße –
Dummkopf! Trägt seinen Stuhl links auf [81] die Seite, so daß er nicht sieht, wie Schladritz ihm ein Schnippchen schlägt, als habe er ihn bloß zum besten.
Nun denn – jetzt sammelt all' eure Aufmerksamkeit, ihr guten Leute, und versprecht mir dies feierlich mit erhobener rechter Hand Sie heben die Hände auf. feierlich; denn es kann ein Menschenleben auf dem Spiele stehn, versprecht ihr's?
Der Herr da heißt Graf Balthasar, und nur wenn er gesehen wird, sonst aber und überhaupt existiert er gar nicht!
Nur für eine Viertelstunde, auf daß wir ungestört unsre Vorbereitungen wegen des Grafen treffen können.
Mensch, man soll Euch nicht hören! Ihr eßt Eure Mahlzeit in der Küche unter vollständigem Stillschweigen und erwartet meine weiteren Befehle, marsch!
Taub. Gehend und wieder umkehrend. Auch wenn die Kürassiere kommen mit blanken Säbeln, und den Herrn Grafen Bolza, welcher nicht existiert, das heißt den Herrn Grafen Balthasar suchen –?
Der Wachtmeister Siegmund hat doch vorhin im Vorbeireiten der Katharina zugerufen, er werde bald hier sein! Die letzten Worte rasch und mit erhobener Stimme, da er sieht, Gottsched wolle ihn unterbrechen.
2. Szene
Zweite Szene.
Der Kopf möcht' einem zerspringen! Die andern nehmen ebenfalls Stühle und setzen sich links und rechts neben ihn. Nun guter Rat! Polternd. Es muß gehandelt werden! Herr Professor! Wohin zuerst mit dem Grafen? Können Sie ihn unterbringen?
Nun ja, Sie! Sie lassen sich ja gern den Vater der Bedrängten nennen, und hier in meinem Hause ist er bedrängter als anderswo, das sehen Sie ja selbst!
Das ist wahr. Und was mehr als alles ist: die Untersuchung wegen unserer Protestation und das Verfahren gegen dieselbe wird wohl noch heute seinen Anfang nehmen.
General Seydlitz ist von raschen, schneidenden Entschlüssen. Diese Untersuchung und dies Verfahren werden zunächst vorzugsweise gegen dies Haus gerichtet werden; denn Sie stehen als berühmter Lehrer und als Senior der Fakultät an der Spitze der Protestation, und der General erfährt gewiß, daß sie namentlich von Ihnen ausgegangen ist. –
So wie ich diese Kriegsleute kenne, werden sie die Wahrung unsrer Rechte als einen Hochverrat zu stempeln suchen; denn das ist so Art der Gebietenden: sie schieben große Worte vor, wenn sie große Lust zu strafen und nur kleine Vorwände haben. – Jedenfalls errichten sie ein Kriegsgericht, und das macht kurzen Prozeß!
[83]Ich glaube nicht. Ich bin zwar ein hypochondrischer Mann, aber ich denke nicht, daß ich mich hierbei irre. Urteilen Sie selbst, Sie kennen ja die Sache so gut wie ich und verstehen ja Politik viel besser als ich. Nun, wenn die Sachen vor ein Kriegsgericht gezogen, und der Dekan als Haupt der Angeklagten behandelt wird, so wird auch dies Haus besetzt und visitiert von oben bis unten, weil man Vorbereitungen zu der Protestation, Protokolle, weitere Pläne finden, oder doch voraussetzen will.
Zu dieser Haussuchung haben sie auch noch einen besonderen Vorwand. Diesen bietet jene Flugschrift, auf deren Verfasser sie fahnden! Wir haben ebenfalls protestiert!
Ich aber war und bin für diesen Protest. Die Akademie und die Literatur soll nicht eine Anstalt der Inquisition werden. Unsre Aufgabe besteht darin: zu bilden und zu schaffen, nicht aber darin: zu spionieren und zu verbieten. Nun, hierbei werden die Kriegsleute unsern Protest so auslegen, als kennten und schützten wir den Verfasser der Flugschrift und die Flugschrift, und nach ihm und ihr werden sie unsre Häuser durchsuchen. Graf Bolza ist also hier keine Viertel stunde mehr sicher!
Zu mir? Ich? – Welch eine Lage! –Macht ihnen das Zeichen, sich wieder zu setzen. Erhalten wir uns nur in ruhiger Stimmung, damit wir einen wirklich besonnenen Rat ausfindig machen. Sie setzen sich. Zu mir?! Glauben Sie denn, daß ich und meine Wohnung verschont bleiben werden? Ich habe ja auch unterschrieben!
Aber Sie sind geliebt wie sonst keiner an der Universität, geliebt von Freund und Feind, Ihnen gegenüber wird man alle Rücksicht und Schicklichkeit beobachten!
Wenn ich auch das nicht sagen möchte, unter den vorliegenden Umständen sind Sie doch gegen uns alle im Vorteile. [84] Prinz Heinrich kommandiert ja jetzt in Sachsen, von ihm muß doch in all' diesen Dingen die letzte Entscheidung ausgehn, und jedermann weiß ja, daß just Prinz Heinrich Ihr wohlwollender Gönner ist.
Lieber Herr Professor, täuschen wir uns hierüber nicht! Was fragt man denn im Tumulte nach ein paar kleinen Erzählungen, welche einem großen Herrn einst in einer Mußestunde gefallen haben! Der Prinz hat sich, wie das auch ganz in der Ordnung ist, um meine Person nie gekümmert, und von der uns jetzt bedrohenden Prozedur wird er vielleicht erst erfahren, wenn sie uns bereits zugrunde gerichtet hat! Das sind Nebensachen! Die Hauptsache ist: Erstens! Der Graf Bolza hat als verhaßter Italiener das Schlimmste zu befahren. Sein Vater wird beschuldigt, sächsisches Geld in Masse eingesaugt zu haben. Er selbst wird beschuldigt, es als verborgener Parteigänger mit den Kaiserlichen zu halten. Es kann kommen, daß man, sobald man seiner habhaft, ohne weiteres Standrecht über ihn halten und ihn erschießen läßt! – Denn – und dies bedenken Sie wohl! – hierbei macht man sich auch bei uns Sachsen beliebt, daß man einen der uns verhaßten ausländischen Geldsauger kurzweg beseitigt. Zweitens! Unter solchen Umständen setzt sich derjenige, welcher den Grafen Bolza birgt, allem möglichen aus. Hier heißt's: Der Hehler ist wie der Stehler! Du hast einen Landesfeind geborgen, bist also selbst ein Landesfeind! Du willst ein guter Sachse sein, und schützest unsere schlimmsten Wucherer?! So leide mit ihm! Ist's nicht so? – Endlich bin ich persönlich als Patriot diesen ausländischen gefährlichen Zugvögeln durchaus abhold, und bin ganz und gar nicht geneigt, einem von ihnen die Hand zu bieten! Er ist nährend der letzten Worte aufgestanden und vorwärts zur Seite getreten; die andern bleiben betroffen sitzen.
Ich weiß das nicht zu beurteilen, lieber Gellert, aber ich weiß, daß dies alles nur aus Ihrem Kopfe kommt. In Ihrem Herzen sieht es doch anders aus; Sie wären ja sonst nicht Gellert! In Ihrem Herzen da gibt's keinen Unterschied, wenn von einem Bedrängten die Rede ist, welchem geholfen werden soll! Nicht wahr, ich habe Recht?Sie ist leise aufgestanden und auf ihn zugegangen, ihn bei der Hand ergreifend. Und ich weiß auch, es müßte gar wunderlich zugehn, wenn Sie um Politik Ihrem Herzen untreu werden sollten! Sie sind ja der Gellert, den der liebe Gott unserer [85] Stadt Leipzig gesendet hat als seinen Schutzengel für Leipzig, nicht wahr?
Sie übertreiben ja sündhaft, liebe, gute Frau! Und – Sie hastig zurückführend zum Sessel. bleiben Sie nur sitzen, damit wir zu einem Beschlusse kommen!Sie setzen sich beide wieder. Guter Rat ist teuer, weil er so nötig. Wenn ich auch sagen wollte, der Graf sollte vorläufig zu mir flüchten, wie bringen wir ihn jetzt über die Straße? Und wird er bei mir sichrer sein?!
Gewiß, doch bis zur Nacht, und bis dahin finden wir vielleicht einen neuen Schlupfwinkel. Hier aber kann er ja doch jede Minute von seinen Feinden überrascht werden.
Sie bleiben beide auf der linken Seite und blicken nach der Tür. Gellert tut desgleichen nach rechts hinüber, so daß die Mitte frei wird.
3. Szene
Dritte Szene.
Still! Es klingelt wieder. Alle fahren zusammen. – – Die Person ist ungeduldig, es ist also eine Person von Wichtigkeit – was tun?
Ja, jetzt ist nichts zu tun. Sie haben einmal dies unpraktische System des Nichtzuhauseseins angenommen, nun müssen wir's auch konsequent durchführen.
Es könnte ja eine Botschaft sein vom Rektor Magnifikus, oder von einem unsrer Freunde, kurz, es könnte ja Rat und Hilfe für uns sein!
Und der Graf ist fortwährend unbekümmert bei den Damen, während hier sein Kopf auf dem Spiele stehen kann.
Dieser Schladritz setzt ja alles aufs Spiel; er tappt mit einem Schemel dergestalt umher, daß man notwendig draußen hören muß, es sei jemand zu Hause!
Ja weiter kann man nicht – Lauter. ich kann doch nicht um die Ecke sehen! Der Mensch steht ganz nahe an der Tür; oben wird er alle, und unten verdunkelt er das ganze Schlüsselloch!
Nicht bloß deutsch, er spricht wie ein Landeskind; denn er sagte vor sich hin: Herr Jees, ob die Leite nich ufmachen wern?!
Es ist der Ratsdiener, welcher mich heute morgen beim Herrn Bürgermeister eingeführt hat. Der Herr Bürgermeister schickt ihn an den Herrn Dekan mit folgendem Auftrage: Die Protestation sei dem General Seydlitz übergeben worden und habe diesen so in Zorn gesetzt, daß man das Schlimmste befürchte. Die ganze Stadt könne darunter leiden. Der Herr Bürgermeister lasse also den Herrn Senior Gottsched bitten, sich doch unverzüglich zu ihm aufs Rathaus zu bemühen, damit man Rücksprache nehmen könne, wie das Unwetter vielleicht noch einigermaßen zu beschwichtigen sei. Der Herr Senior möchten doch ferner – den Herrn Grafen Bolza sogleich mitbringen.
Soll mich Gott strafen, Herr Professor, ich bin unschuldig wie ein neugeboren Kind, ich habe keinem Menschen was gesagt! –
Sie haben heute morgen einen Reitknecht expediert, nicht wahr? Zeichen des starren Schreckens bei Gottsched und Frau. Kurze Pause. [89] Dieser hat vielleicht den Grafen Bolza hier gesehn, wohl auch gesprochen –? Nun, der Reitknecht ist wahrscheinlich den hereinrückenden Seydlitzern begegnet, und von ihm werden sie wohl das Nötige er fahren haben.
Dies zur Erklärung. Nun weiter im Auftrage. Sie möchten sich – ich spreche zu Ihnen, Herr Professor! – Sie möchten sich ja beeilen, mit dem Grafen aufs Rathaus zu kommen, damit jeder Schein von Widersetzlichkeit verschwände und dadurch jeder Gewaltsamkeit vorgebeugt werde; denn der General habe schon Order gegeben, Kürassiere in dies Haus zu schicken, und diese würden schwerlich noch lange auf sich warten lassen.
Ach was könnt Ihr! Zu Gellert. Kollege, was raten Sie? Was kann ich tun, als den Grafen bei der Hand nehmen und hinüberführen.
Und auch dabei lauf' ich noch die größte Gefahr; denn wenn ich ihn aufs Rathaus zum Bürgermeister bringe, so gerate ich mitten unter die Soldateska, die dort ihr Hauptquartier aufzuschlagen pflegt, und werde vielleicht zum Hohn der Akademie festgehalten und mißhandelt!
Laßt mich in Ruh' mit Deklamation! Was wäre denn außerdem noch übrig als – Flucht?! Und wie und wohin flüchten? Die ganze Stadt ist besetzt, die Tore sind besetzt, und 's ist noch heller Tag!
Und doch müssen Sie sich entschließen, Herr! In jeder [90] Minute können die Kürassiere kommen. – Noch eins! Er geht zum Schreibtische und schreibt. Der Ratsdiener verlangt für den Herrn Bürgermeister eine schriftliche Bescheinigung, daß er seinen Auftrag vor Ankunft der Kürassiere ausgerichtet.
Es betrifft diejenige Behörde, Herr Professor, welche Sie schützt. Es ist nur Ihr Name zu unterschreiben – Gottsched schickt sich dazu an und tut es stehend. ich habe die Bescheinigung rasch auf gesetzt.
Was kann ich beschließen?! Ihr widersprecht mir ja in allem, Ihr hindert mich ja in allem, und man ist ja hier wie in einer Dorfschule! – Hinaus mit den Leuten! Reicht Schladritz den Zettel. Gellert, Frau, folgt mir in mein Zimmer, wir müssen uns doch zu etwas vereinigen. Schladritz hat das Hinreichen des Zettels nicht gesehn. Heda, Schladritz, pass' Er doch auf, jetzt brauch' ich ja jedermann!
An den Ratsdiener! Und – wart' Er doch! – Ihn vorführend, etwas leiser. und geh' Er nachsehn, ob hinten die kleine Saaltür, versteht Er, die in den Bäckerhof und ins Vorderhaus hinüber führt –
Das räum' Er weg! Wir müssen unser Absehn auf diesen Ausgang richten, wir können ihn nötig brauchen –
4. Szene
Vierte Szene.
Sei Er doch nicht so grob! Er ist ja ein hübscher Bursche, und Gott weiß, wenn einmal Friede wird und Vetter Siegmund Rat schaffen kann!
Ich werde dir den Dienst, welchen ich wünsche, schon einmal vergelten, wenn mich nicht in dieser Konfusion der Teufel holt.
Höre, Katharina! Draußen im SaalfensterSehr rasch. liegen meine Habseligkeiten: ein Büchsenranzen, an dem nichts verloren geht, ein Paket, worin mein guter Rock, und ein Mantel, worein ein Degen gewickelt ist –
Der kann hier gar bald nötig werden. Also höre: Ich weiß nicht, wohin ich gleich mit den Sachen soll, da sie in des Schladritz Kammer nicht sicher sind vor der Neugier des Bengels, und da ich nicht wünsche, daß sie von den Kürassieren gesehen werden. Besonders der Mantel nicht. Nimm die Sachen in deine Kammer und zeig' mir, wo du den Schlüssel hinlegst, willst du?
Weshalb ich an Gellert schrieb, das wird Ernst! Die Mutter sagt mir eben, dieser Bolza sei der ausländische Graf aus Dresden, an den ich verheuratet werden sollte, und ich sollte mich bereit erklären – das kann ich in alle Ewigkeit nicht!
Wilhelmine! Das soll heute noch geschehen, wenn du Mut hast, gegen Vater und Mutter zu mir zu treten – Katharina, meinen Mund, und meine Sachen beiseite!
Jetzt ist keine Zeit zu Erklärungen, Graf Bolza! Machen Sie sich fertig, dies Haus auf der Stelle zu verlassen, oder Ihre Freiheit mit dem Leben zu verteidigen!
Vorlauter Graf, hören Sie, statt zu schwätzen. Jetzt gilt Ihre Rüstung den Seydlitzer Kürassieren, welche jeden Augenblick hier sein können – Beim Worte »Augenblick« hört man wie von [93] jenseit des Vorsaals kommend zwei Trompeten, welche binnen einer halben Minute so nahe kommen, daß sie an der Vorsaaltüre zu stehen scheinen. – da sind sie!
Die Seydlitzer! Nun ist's zu spät! Zu Wilhelmine, sie bei der Hand fassend und sie nach der Türe links führend. Ins Zimmer zurück, und auch die Mutter solle ja nicht hier eintreten!
5. Szene
Fünfte Szene.
Nein, um des Himmels willen, jetzt verschlimmert es ja nur die Sache, wenn er beim Visitieren gefunden wird!
Beim letzten Takte tritt er scharf auf, macht halbe Wendung gegen die an der Tür erscheinenden Trompeter, vor denen Schladritz, sich die Ohren zuhaltend, ins Zimmer hereinweicht, erhebt den Stock und ruft. Halt! – 's ist genug!
»Daß der Ratsdiener Mohr seinen Auftrag vom Herrn Bürgermeister noch vor Ankunft der Kürassiere ausgerichtet, bescheinigt hiermit Gottsched.« – Erstes Beutestück? Wer ist Gottsched?
Kuckuck, Käthchen! Wirft ihr eine Kußhand zu. Bin im Dienst, Felddienst, da hört aller Krimskrams auf mit Titeln, da heißt's Nummer Eins, Nummer Zwei, was drüber ist, ist Luxus. – Professor Gottsched, ich bin kommandiert, in ihr Quartier zu rücken und erstens: Sie aufs Rathaus zu befehlen vors Generalkommando binnen jetzt und einer Stunde!
Was? Senat und Rektor Soundso! Geht mich [95] nichts an! Mir unbekannt dies Kommando! 's ist Krieg, mein Herr, und der Säbel befiehlt!
Zweitens bin ich kommandiert, einen italienischen Grafen Bolza zu holen, der hier in diesem Quartiere versteckt ist!
Ruhe! Schladritz fährt zusammen. Hierher, Livree! An den Säbel schlagend. Er räsonniert?! Welcher ist Sein Graf –?
Was? Auf den Säbel schlagend. Hier ist sie! Jetzt wär's auch Zeit zur Schreiberei! Also keine Umstände gemacht!
Er ist hier, mein lieber Freund und Wachtmeister, unter gebildeten Leuten, und es würde Ihm ganz gut anstehn, wenn Er sich nicht wie auf der Landstraße, sondern etwas – höflicher betrüge!
Was untersteht man sich?! Man will einen Wachtmeister von den Seydlitzern im Dienste hofmeistern, wenn man vom schwarzen Zivil ist?! Wer ist man?
Man ist zivil! Das versteht Er nicht!Langsam auf ihn zutretend; mit einigem Stutzen weicht Siegmund einige Schritte vor ihm zurück. Man liebt Soldatenton nicht in Bürgerhäusern! Versteht Er das?
Man ist auch ein Professor, wenn Er, lieber Freund und Wachtmeister, etwa alle Welt arretieren will. –
Gel lert! – Pause. – »Um das Rhinozeros zu sehn, erzählte mir mein Freund, beschloß ich auszugehn!« – Das ist von Ihnen?! Sie sind Gellert? Christian Fürchtegott Gellert?!
Der die schönen Fabeln und Geschichten schreibt?! Je so muß ja das Donnerwetter in den Wachtmeister Siegmund schlagen, daß er sich so aufgeführt hat gegen Sie! Herr, Herr, ich lieb' Sie ja schon seit vielen Jahren wie meinen Vater! Professerchen, geben Sie mir 'ne Hand, das ist ja ein Haupttreffer, daß ich Sie einmal zu sehn kriege!Mit Gellert vorkommend.
Je, da müßt' ich ja selber ein Rhinozeros sein, wenn Ihre Geschichten nicht mehr bei mir verfingen! – Du bist doch aber ein Zu Katharina. rechtes Gänschen, daß du mir das nicht gleich gesagt hast!
Holla! Sich umwendend. Aha, wie der Marder vom Taubenschlage! Nein, italienischer Herr! Disziplin ist da, wenn wir auch Bildung haben und gerührt werden können – dies Manöver ändert aber den ganzen Feldzug, Professerchen Den Säbel ziehend. 's tut mir leid, aber zuerst bin ich Wachtmeister! Treten Sie auf die Seite, hier Auf Bolza zeigend. muß ich Ernst zeigen! Er schiebt Gellert nach der durch Frau Gottsched leer gewordenen Stelle links; an die hintere Stelle links ist Bolza, von der Tür zurückweichend, getreten. Frau Gottsched hat auf der rechten Seite hinter Gottsched Platz genommen, Katharina ist an ihre erste Stelle zurückgeprallt. Sowie Siegmund Gellert ein wenig auf die linke Seite führt, erblickt er Cato, der sich bis dahin immer mit[97] möglichst abgewandtem Gesichte verhalten, sich aber bei den Worten »mus ich Ernst zeigen« einen Augenblick herumgewendet hat. Kreuz Element, was seh' ich da? Er prallt zurück und starrt auf Cato. Da ist ja mein Offizier von der Reichsarmee!
Oder doch gefangen nehmen wollte. Der mir mein Pferd erschossen und Hut wie Gliedmaßen zerhauen hat – hurra, jetzt kommt der Tag der Rache!
Besoffen? Oho, da ist ja auch der weiße Mantel vom Regimente Hildburghausen, das erkennt sich auf tausend Schritt! Und hier in Leipzig, mitten unter uns, das wird auf faule Kriegsgeschäfte hinauslaufen; Seine Papiere!
Ihr Bedienter?! Das macht Sie und ihn dreifach verdächtig! Herr, hier ist Spionerie! Jeder Spion wird totgeschossen! Wer seine Person oder Papiere von ihm birgt, desgleichen!
Um Gottes willen, Herr Wachtmeister, ich habe vorhin aus dem Büchsenranzen des Menschen da, der mir gleich verdächtig war, Papiere gezogen, Greift an alle Taschen. die brennen mich jetzt wie höllisch Feuer. –
Wird sich finden! Holla, Einen Schritt auf Cato zutretend. Euer Liebden sind mein Gefangener und überliefern mir auf der Stelle Ihre Person und Ihre Papiere!
[98]Meine Hiebe! wenn Er noch einen Schritt vorwärts tut! Bin ich der, für den Er mich hält, so bin ich seit langer Zeit aus dem Heere geschieden und bin keinem Wachtmeister Rechenschaft schuldig. –
Lassen wir nicht von einem einzelnen Wachtmeister einem Hause voll Männer kommandieren! Ein paar Trompeter jagt die tapfre Kathrine allein die Treppe hinunter!
Gott straf' mich! Über die Bühne nach Gottscheds Zimmer laufend. Und mit des Herrn Professors Paradedegen! Ab, und bald darauf mit einem Galanteriedegen zurück.
Ruhe! Alle senken die Waffen. Das wird eine Dummheit, die Euch allen den Hals bricht, wenn ich sie ernsthaft schief nehme! Und wenn nicht hier das dumme Mädel und dort mein Professerchen dabei wären, so nähm' ich sie auf der Stelle schief, trotz meiner beiden Trompeter, die allerdings nicht für voll gelten. Aber ich brauchte ja nur einen zum Fenster hinaus Lärm blasen zu lassen, so wären in ein paar Minuten mehr Seydlitzer hier als Haare auf Euren Köpfen, törichte Menschen! Wie gesagt, aus Gutmütigkeit will ich Fünfe gerade sein lassen, aber Dienst ist [99] Dienst, also aufgepaßt! Professor Gottsched, werden Sie mir aufs Rathaus folgen?
Professerchen, das wird böse! General Seydlitz verträgt keinen Widerspruch. – Herr Graf aus Italien und Herr Offizier von der Reichsarmee, wollen Sie gutwillig als Gefangene mit mir gehn?
Gut: ich habe also offne Widersetzlichkeit zu melden, und die Sache wird ernsthaft. Meine Trompeter bleiben an der Haustür und ziehen ihre Säbel. Wer das Haus verlassen will, wird zusammengehauen. In zehn Minuten ist ein Offizier hier mit einem Pikett und mit dem Profoß des Regiments. Dann wird es anders klingen. Bis dahin – Gott befohlen! Ab.
4. Akt
1. Szene
Erste Szene.
Halten Sie ein, Herr Graf! Sie haben weder groß [100] zu danken, noch sind Sie gerettet! Für den Augenblick mag es allerdings ein Vorteil sein, daß dieser entschlossene Herr Cato die kleine Saaltür sprengte und uns den Ausweg auf die Grimmasche Gasse hinaus öffnete. Der eintretende Nebel ist uns günstig gewesen zu unserm Umwege hierher auf die Ritterstraße.
Und die Trompeter warten unbefangen unten im Hausflur und ahnen nicht, daß ihr ganzes Nest von Gefangenen ausfliegt. Ich war verloren, wenn sie der Wachtmeister, statt dort unten, oben an der Saaltüre aufgestellt hätte! Jetzt haben sie, durch den Diener und das Mädchen mit Speis' und Trank beschäftigt, kaum etwas gehört vom Lärm der brechenden Tür.
Schwerlich! Was fragt der kommandierende Soldat nach bürgerlicher Hochachtnug, und der Wachtmeister muß dienstmäßig aussagen, wen er bei Gottscheds gefunden, und wer also die Flucht wahrscheinlich begünstigt habe. Da wird nachgeforscht, nachgesucht. Verblenden wir uns hierüber nicht! Und hier in meiner Wohnung gibt's keine verschlossenen Vorsäle, gibt's keine Verbindungstüren ins Nachbarhaus. Hier ist ein bescheidenes, jedem Zutritte offenes Junggesellenquartier. Dort Rechtshin deutend. ist mein Schlafzimmerchen, und damit ist meine Wohnung zu Ende! und dort Linkshin deutend. wohnt meine alte Wirtin und Wirtschafterin, bei der ich zur Miete sitze. Die ist auf keinerlei kriegerische Vorkehrung eingerichtet, und wenn uns der Feind überrascht, so gibt's für Sie kein Entrinnen. Darauf machen Sie sich gefaßt, Herr Graf, wenn Sie hierbleiben wollen. Er legt seinen Hut und Stock ab. Wollen Sie Ihren Mantel ablegen? Wendet sich nach hinten.
Mein Gott, auch Sie, auch der bravste Mann des Landes verleugnet die Menschenliebe, weil hier die Menschenliebe einem Ausländer gelten soll –
Halt, Herr Graf, Sie sagen zu viel und sagen zu wenig: die menschlichen Pflichten haben eine Stufenfolge. Der Vater und die Mutter schützen zunächst ihr Kind, ehe sie bei gleicher Gefahr auf den Schutz eines fremden Kindes bedacht sind. So will es der Trieb der Natur, welcher das Bestehen der Menschheit sichert. Der Landsmann schützet zunächst den Landsmann; denn Landsleute sollen Kinder sein einer großen Familie. So will es der Sinn und Trieb der Gesellschaft, und dieser Sinn und Trieb erhält den Staat und das Vaterland. Sie sind nicht mein Landsmann, wohl, würde ich deshalb dem Fremden meine Hilfe versagen? Gewiß nicht; denn sie ist mir geboten durch meine Menschen- und Christenpflicht. Ein gesittet Volk schützt auch den Fremden bereitwillig, aber nur den unverfänglichen Fremden. Ein solcher sind Sie nicht! Sie gehören zu einer Klasse von Fremdlingen, welche sich zu unserm Schaden in Dresden eingenistet, ja Sie sind ein Feind meiner Landsleute.
Ich vergehe mich gegen mein Vaterland, wenn ich Sie schütze, Herr Graf, und ich vergehe mich, merken Sie wohl auf! ich vergehe mich – Mit etwas gedämpfter Stimme. gegen meine nächsten Freunde, ich sündige gegen ein mir heiliges Moralprinzip, Herr Graf von Bolza, wenn ich Sie hier in Leipzig schütze.
Denn ich weiß, welch ein Gelüst Sie gerade jetzt nach Leipzig geführt in das Haus meines Kollegen; ich weiß es, weil jene Frau – eine edle, unbescholtene Frau und meine verehrte Freundin – mir vor einer Viertelstunde, während Sie mit Herrn Cato am Einbrechen der Tür arbeiteten, ziemlich unverhohlen angedeutet hat, unter welchen Äußerungen Sie hier aufgetreten sind.
[102]Nennen Sie keinen Namen. Sie haben kein Recht dazu. Der Name einer deutschen Hausfrau ist wie ein Kristallgefäß: jeder Hauch trübt und verunziert dasselbe. Danken Sie's Ihrem Glück, wenn Gottsched, um den Sie's nicht verdient, den Sturm von Ihrem Haupte abwendet. Er hat zu Ihrer Beschämung sein eignes Wohl ausgesetzt, indem er jetzt persönlich aufs Rathaus gegangen ist, um die Aufmerksamkeit von Ihnen abzulenken. Es klopft an der Mitteltür.
Nein doch, nein doch! – Rechts hinüber! Da sind Sie sicherer als bei meinen Wirtsleuten – da, da drüben! Nach rechts zeigend und bis an die Tür mitgehend. Bolza rechts ab in die Tür. Gellert, einen Moment in der Mitte des Theaters stehend, macht eine Pantomime wie des Vorwurfs gegen sich selbst, dann kommt er vor. Ich bin doch wie ein kleines Kind! Erst setz' ich dem Italiener weitläufig auseinander, daß ich ihn durchaus nicht schützen könne, und da Not an Mann kommt, hab' ich nichts Dringenderes zu tun, als ihn selbst zu verstecken. Es klopft wieder. In Gottes Namen, herein!
2. Szene
Zweite Szene.
Es ist damit durchaus nichts auszurichten! Wir sind nur im Vorteil, wenn wir angegriffen werden, – Vorkommend und nur beiläufig zu Gellert. guten Abend, Herr Kollege! Zu ihr weiter. peinige mich nicht länger mit Einwendungen, so nur aus deiner Unkunde entspringen.
[103]Lieber Himmel, ich brauche ja hierzu gar keiner besonderen Kunde! Ich weiß, was du wert bist, was du giltst in der Welt! Und darauf bin ich stolz, und deshalb find' ich es unter unsrer Würde, daß du mit einer gewissen Zaghaftigkeit verfährst gegen das Kriegsvolk!
Ei Potz tausend! – Kollege Gellert, solch ein Frauenwitz kann einem doch alle Gelassenheit entziehen! Zu ihr. Wodurch bin ich angesehn und mächtig? Durch Kenntnis, durch geistige Schöpfung, durch Haltung, durch Geschmack! Sind dies Waffen auf offnem Markte gegen freche Soldaten? Nein. Was ist also zu tun? Worauf ist mein Absehn zu richten? Auf den richtigen Moment, da meine Waffen wirksam zu machen sind. Dieser Moment der Ruhe wird eintreten, vielleicht schon morgen früh, und dann werd' ich auf dem Platze sein! Er setzt sich in den Lehnstuhl, erschöpft. Hab' ich nicht recht, Gellert? Belehren Sie diese unbegreifliche Frau!
Liebe Freundin, das ist ganz in der Ordnung. Wir schwachen Leute von der Feder können uns nicht anders verhalten. Leise. Sie haben also nichts ausgerichtet mit dem Gange aufs Rathaus?
Ach, wir haben gar nichts versucht! Wir sind kaum bis ins Rathaus hineingekommen. Es ist allerdings vollgestopft von Soldaten, und Ein wenig lauter. diese sprachen uns freilich frech zu Ohren und spotteten von gelehrten Perücken, welche ihren Vorwitz teuer bezahlen sollten – Wieder etwas leiser. es wurde mir angst und bange, aber ich bin ja nur ein Frauenzimmer, und mein Mann ist ja doch kein gewöhnlicher Mann, es ist ja Gottsched!
Liebe Freundin, und wenn er ein Goliath wäre, er hätte nichts ausrichten können! Sie sind also umgekehrt?
O solch eine Reichsgräfin, Gellert, hat einen Stolz, der uns Bürgerlichen wirklich Ehrfurcht gebietet!
Das kommt wohl von der Erziehung. Diese Leute werden in dem Gedanken auferzogen: es habe ihnen niemand zu gebieten.
Sie rief sich eigenmächtig einen Offizier, nannte ihren Namen und verlangte seine Begleitung. Dann sagte sie zu uns in einem nicht eben verbindlichen Tone: sie dankte für unser weiteres Geleit, und wir möchten nur nach Hause gehen; sie würde allein sprechen mit dem General.
Kollege Gellert! Ich fühle mich körperlich sehr angegriffen. Darf ich Sie wohl um ein Glas Wein bitten? Wenn es ein Glas spanischer Wein sein könnte!
Lieber Gott! Laut. Ja ja, lieber Herr Kollege, ja ja ja! Für sich. Wie mach' ich denn das? Geht etwas nach hinten und bleibt stehen; laut. Spanischen Wein! Liebster Herr Professor! Nehmen Sie's nur nicht übel, in meiner kleinen Wirtschaft ist der Wein leider ein halber Fremdling, und – seien Sie nur nicht böse! spanischen Wein hab' ich eigentlich nicht!
Oh oh oh! Machen Sie mich doch nicht gar so arm! Für sich. Hab' ich denn auch –? richtig! Laut. Richtig! Der gute Graf Moritz Brühl, nicht der Minister, hat mir neulich einen ganzen Korb voll zum Präsent gemacht! Für sich. Ich hab' ihn doch nicht ganz weggegeben? Laut. Gleich! gleich! lieber Kollege! Geht nach links hinten. Ach du lieber Himmel, meine Wirtin wird aber ausgegangen sein, um sich die Soldaten anzusehen –Vorkommend. Seien Sie nur nicht böse über meine armselige Junggesellenwirtschaft. Der alte August, der mir des Morgens die Kleider säubert, sollte eigentlich jetzt gegen Abend nachfragen kommen, ob was zu besorgen sei, und mein Famulus auch – ich werde gleich hinausgehen Feuer zu schlagen und eine Flasche aus dem Keller heraufzuschaffen, gedulden Sie sich nur einen Augenblick! Gehend.
[105]Rechts in der blauen Lase! 's ist ein frisches gutes Wasser vom Bettelbrunnen! Die gute Frau! Vorkommend. Seien Sie nur ja nicht ungehalten, lieber Herr Professor! Sie sind das ärmliche Wesen nicht so gewohnt wie ich. Mir tut's nichts; mir erleichtert's sogar das Leben, daß ich wenig Bedürfnisse habe, und glauben Sie nur, 's hat auch sein Gutes, wenig Bedürfnisse zu haben. Wenn man nicht selber arm ist, so denkt man nicht leicht an Hilfe für die Armen.
3. Szene
Dritte Szene.
Das ist hier plötzlich zur unmittelbaren Gefahr für mich geworden durch die Anwesenheit des Grafen Bolza!
Fasse dich, Wilhelmine! Sie schützend. Gestatten Sie Zu Gellert. dem erschöpften Kinde Ihr Sofa zum Ausruhen!
[106]Offen gestanden, all' Ihre abenteuerlichen Mummereien und Anspielungen wollen mir auch nicht recht zusagen!
Verzeihen Sie, lieber Herr Gellert! Ich werde Ihnen genaue Auskunft geben über alles! Ihr Zutrauen ist mir ein Herzensbedürfnis! Lassen Sie sich nicht einnehmen durch mein Leise. Hanswurstgepäck, welches zu einer Straflektion in Quandts Hofe bestimmt war, wenn uns nicht die Gefahr übereilt hätte; Laut. hier handelt sich's um einen zärtlichen Brief der Komtesse!
Flüchtig? Auf dies Beiwort haben Sie hierbei einen gegründeteren Anspruch. Sie sind so flüchtig, Briefe aufzumachen, welche nicht an Sie gerichtet sind. – Sie haben den Brief in der Tasche!
Ja, da steckt er! – das ist er Während Gottsched die Adresse betrachtet, ihn nehmend. Große Herren denken leicht, es sei alles nur für sie auf der Welt! Gibt Gellert den Brief.
4. Szene
Vierte Szene.
Als sie dies eben getan, sieht sie den weißen Mantel rasch ins Zimmer hereineilen und ruft erschreckt. Ach mein Gott!
Sei'n Sie nicht böse, Frau Professern, wir haben alles fest zugeschlossen; aber wir hielten's nicht mehr aus, wir fürchteten uns zu Tode!
Heißt das: vorgefallen war schon alles. Die jungen Herrschaften hier Cato und Wilhelmine meinend. waren kaum fort, da kam das Pikett, um Sie zu holen, und das marschierte durch alle Zimmer.
Ja, und das eine Wort, das sie fallen ließen, das [108] fuhr uns in alle Glieder. »Neun Stück Delinquenten!« sagten sie, und weiter nichts und gingen fort und nahmen auch die Trompeter mit, und nun war alles mausestill und so recht gespensterhaft, und ganz leise addierten wir zusammen, die Kathrine und ich –
Ja, wir addierten die neun Stück, der Schladritz und ich, und da kam denn immer 'raus, daß wir auch dabei wären –
Nicht doch! Wir sind vorne beim Bäcker durch, und haben's hinterlassen, daß alles hieher ist! Alle drücken ihr Erschrecken aus.
Basta! Ermannen wir uns überhaupt und bieten wir die Stirn! Keine Flucht mehr, sondern stolzer Widerstand!
So ist es recht, Herr Professor! Unser Mut sei unser gutes Gewissen! Stehen wir ruhig, aber fest. Im Frieden wurzelt unser Beruf, in edler Bildung wurzelt unsre Kraft. Darauf müssen wir fußen. Man kann uns mißhandeln, aber man kann uns nicht erniedrigen, wenn wir unser moralisches Selbstgefühl nicht verlieren. Meine Freunde, dem edel gebildeten Menschen kann nichts Unedles widerfahren; denn das Roheste muß sich vor dem milden Blicke des guten Menschen verwandeln – dies sei unser Schild!
[109]5. Szene
Fünfte Szene.
Was soll das heißen?! Ist denn die ganze Welt aus Rand und Band? Langsam vorkommend. Wohin ich trete, Ungehörigkeit, Roheit, Mangel an Sitte und Respekt. Unter diesen Soldaten, selbst unter den höheren Offizieren, welche doch Leute von Familie sind, keine Achtung mehr vor Stand und Rang und Geschlecht! Herr Professor Gellert, was wird aus dieser Welt! Ich bin auf dem Rathause behandelt worden wie ein Bauernweib, wie eine Poissarde, ja selbst der oberste Befehlshaber hat meine kummervolle Erkundigung nach meinem Gemahl trostlos und schnöde bescheiden lassen. Darüber noch außer mir, finde ich Zu Gottsched. Ihr Haus verschlossen und erfahre, daß ein höchst zweifelhaftes Sujet Cato ansehend. meine Tochter von dannen geführt. Ich werde genötigt, in strömendem Regen hieher zu laufen, und hier sehe ich diesen selben verdächtigen jungen Mann schon wieder im Begriff, meine Tochter bras dessous bras dessus Gott weiß wohin zu bringen – meine Herren Professoren und Frau Professorin, darf ich wohl bitten, ein wenig lebhafter geschützt zu werden in den Egards, welche mir und der Komtesse Manteuffel gebühren!
Ja, gnädigste Tante, Friedrich von Rothenhain, der sich unter so mißlichen Umständen Ihnen nicht entdecken wollte.
Nennen Sie mich nicht Ihre Tante! Die Verwandtschaft ist so weitläufig, daß deren Erwähnung nicht gestattet werden konnte, weil Sie zufällig beim Bruder meines Gatten erzogen wurden. Ihr Betragen hat Sie aller Gemeinschaft mit uns unwürdig gemacht und hat bewiesen, daß die alten Grundsätze guter Häuser vollkommen recht haben: den niederen Adel streng zu scheiden vom Reichsadel.
Eine Laufbahn wie die Ihrige, Herr von Rothenhain, kann dem Sprößlinge einer mit Recht stolzen Familie nicht begegnen; denn sein Stolz würde es nimmermehr gestatten, daß er seine Fahne verließe, wie Sie nach der unglücklichen Affäre bei Roßbach die Fahne des Reichs verlassen haben; sein Stolz würde ihm nicht gestatten, daß er sich in zweideutiger Gesellschaft von Skribenten umhertriebe jahrelang, wie Sie getan, ja daß er am Ende gar in einer Bedientenlivree zum Vorschein käme, ausgerüstet mit Harlekinsjacke und Possenkram, seiner früheren Bekanntschaft und seinen weitläufigsten Verwandten zum Abscheu!
Madame la Comtesse, die Egards, welche Sie in Anspruch nehmen, haben Ihnen soeben gestattet, mich hier vor zahlreicher Gesellschaft zu schmähen. Diese Egards werden mir hoffentlich eine Rechtfertigung, wenigstens eine oberflächliche Rechtfertigung einräumen.
Es gibt eine, wenn ich auch nicht erwarte, daß Sie, [111] Frau Reichsgräfin, diese Rechtfertigung sogleich verstehen und anerkennen möchten.
Madame! Sie haben etwas gesagt, wofür ich blutige Genugtuung von einem Manne verlangen würde. Sie können als Dame solche Genugtuung nicht gewähren und zeigen sich doch auch abgeneigt, nur eine Erwiderung anzuhören. Wäre dies würdiger Stil des hohen Adels? – Madame! Sie haben gesagt, ich hätte meine Fahne verlassen. Das hab ich nicht! Die Fahne hat uns verlassen, uns unglückliche Kinder dieses Deutschen Reichs, die wir nicht Preußen und nicht Österreicher sind! An das Weiberregiment und den Weiberkrieg der Franzosen hat man uns gekettet, in Schlachten hat man uns geführt, die weder Sieg noch ehrenvollen Tod, sondern nur lächerliche Schmach bringen konnten. Fühlen Sie, was das heißt? Zähneknirschend hab' ich's ertragen bis zum Tage von Roßbach; an jenem schmählichen Tage noch habe ich gefochten bis zum äußersten, und ich ernte jetzt noch für meine Hartnäckigkeit die erbitterte Verfolgung der Preußen, wie Sie selbst vor einer Stunde sehen konnten. Das schwache Häuflein, welches von unsrer Reichsarmee übrigblieb, hab' ich nach der Niederlage sammeln und in Sicherheit bringen helfen, und dann erst, dann erst, Madame, hab' ich meinen Abschied genommen. Ich hab' ihn genommen, weil diese Reichsarmee ein machtloser Haufe ist, ohne Kern und ohne Ziel, und weil ich nicht ein Lanzenknecht sein, sondern meinem Vaterlande dienen will. Wo ist mein Vaterland? Es ist nicht bloß, wie Sie sagen, Madame, in Franken, nicht bloß, wie Sie sagen, in dieser oder jener kleinen Reichsunmittelbarkeit. Deutschland heißt es. Wo ist Deutschland? O, daß man so fragen, daß ich es suchen muß, wie etwas Unbekanntes, dies ist der jetzigen Jugend schmerzliches Unglück, groß genug auch ohne Ihre Schmähung! Er tritt rückwärts zur Seite.
Was es beweist? Madame, es beweist: daß die reichsadligen Anmaßungen nicht den Kern und die Kraft Deutschlands bilden und sich nicht dafür ausgeben dürfen, unser Reich zu sein. Das beweist es! Es beweist ferner, daß wir [112] auch im Genie des Königs von Preußen und in der Tapferkeit seiner Völker ein neues Lebenselement unsers veralteten deutschen Reiches finden und anerkennen dürfen, und es beweist endlich, daß Leute wie ich und meine Freunde eine Rolle der Vermittlung und Versöhnung suchen, ergreifen und durchführen müssen. Solch eine Rolle verstehen Sie nicht, Frau Gräfin, und darum schmähen Sie dieselbe, und doch ist sie, ach, ohnehin so dornenvoll; denn sie kann nirgends auf der breitgetretenen Heerstraße einhergehen und kann nirgends mit dem großen Haufen wandeln, und sie hat nirgends etwas gemein mit den beliebten Stichworten des Tages und erntet darum nirgends Lob und Anerkennung. Verzweifelt wäre ich längst in dieser schweren, undankbaren Rolle, hätte mir nicht Gott dafür einen glücklich heitern Sinn beschieden und mir eine Liebe ins Herz gepflanzt Auf Wilhelmine blickend. eine Liebe, welche eine vorurteilsvolle Mutter wohl zerreißen, aber nicht töten kann! Er tritt einen Schritt vor und ergreift die von Gellert dargebotene Hand.
Herr Professor Gellert, wohin geraten Sie! Sie, auf welchen man so großes Vertrauen setzt! Sie billigen solchen Wirrwar verwegener Neuerung?!
Dies ist kein Wirrwarr, Frau Gräfin. Dies ist ein so gesunder Ton unsrer Jugend, daß sich mein ganzes Herz daran erlabt!
Das sagen Sie?! Nun, Herr Professor Gottsched, der Sie mit höheren Ständen zu verkehren gewohnt sind, so reden Sie, sprechen Sie ein entscheidendes Wort! Wenn Männer von Ihrer Bedeutung es stillschweigend gutheißen, daß alle begründete Ordnung im Reiche, daß alles geweihte Herkommen auf den Kopf gestellt wird, was soll entstehen aus solcher vorlauten Jugend?!
Seien Sie unbekümmert, Frau Gräfin, ich werde niemals so dreiste Formlosigkeit gutheißen! Ich bekämpfe sie in jenen aberwitzigen jungen Skribenten, deren Sie beiläufig gedachten, und deren unverkennbares Echo aus diesem jungen Manne redet –
Halten Sie ein, mein Herr! Es steht Ihnen übel an, mit Geringschätzung von jungen Schriftstellern zu reden, auf denen unsers Vaterlandes Hoffnung beruht. Man bezahlt es Ihnen überreich,[113] daß Sie seit Jahrzehnten gefällige Ordnung und trockne Sauberkeit der Formen gelehrt mit einem Aufwande und einem Anspruche, als handle es sich um Wohl und Wehe des Deutschen Reichs. Seien Sie begnügt mit dieser Anerkennung, und stören Sie nicht eine junge Welt, deren Seele Ihnen verschlossen ist. Unsre Nachkommen werden mit Stolz auf einen Mann zurückblicken, den Sie einen aberwitzigen Skribenten zu nennen wagen, das kommende Deutschland wird mit Stolz einen Lessing seinen Lessing nennen, wenn der Name Gottsched nur noch eine Kuriosität sein wird!
Vortrefflich, junger Herr! Auf denselben Lessing, welcher mit Ihnen den buntscheckigen Hanswurst, diese Fratze der Roheit, wieder auf die Bühne bringen möchte!
Ach nein, mein Herr! Wir spotten über Ihren Harlekinsfeldzug, weil es lächerlich ist, gegen Kleider mit schweren Waffen Krieg zu führen! Auf die Kleider schlagen Sie, und schlagen damit auf ein Herz, welches Sie nicht kennen. Die bunte Jacke auf dem Theater der Neuberin wollen Sie aus Quandts Hofe vertreiben, aber die bunte Jacke unsers Reichs ist Ihnen ganz in der Ordnung. Sie wissen, Sie ahnen nicht, daß es uns eine Genugtuung sein kann, über unsre scheckigen Lappen zu spotten und zu lachen. Sie wissen nicht, daß es einer Nation erwünscht und wertvoll sein kann: die Laune und den Witz des Volkes auf dem Theater dargestellt und wirksam zu sehen, wenn das Volk sonst nirgends Veranlassung hat witzig zu sein. – Sie wissen nicht, daß es nicht bloß um Formen und Gefäße sich handelt in der Literatur, sondern auch um den Inhalt, welcher diese Formen und Gefäße anfülle.
Das tut er nie, dieser Mann des Schimmers. Können wir uns nicht selbst helfen, so sind wir verloren für einander, mein geliebtes Mädchen!
Muß ich es zum dritten Male sagen: Tritt hinweg, Wilhelmine, von diesem Manne, welchen du nicht mehr kennst!
[114]Mutter, liebe Mutter! Vergeben Sie mir den Widerspruch in dieser einzigen Sache! Dem Grafen Bolza kann ich nicht angehören, er ist meiner Seele fremd, und Fritz kann ich nicht verlassen, meine ganze Seele hängt an ihm!
Du sprichst wie ein törichtes Kind! Von einer Verbindung mit Graf Bolza ist jetzt bei dessen traurig zweifelhafter Lage gar nicht die Rede, am allerwenigsten spricht man davon in öffentlicher und gemischter Gesellschaft, wenn man von guter Erziehung ist. Aber davon ist die Rede, und darin sollst du wenigstens deine Abstammung bewähren: daß nun und nimmermehr irgend eine Vertraulichkeit oder auch nur Bekanntschaft stattfinden darf zwischen dir und einem Manne, wie diesem Herrn von Rothenhain, welcher seinen immerhin edlen Stand vergißt, welcher alle Schicklichkeit mit Füßen getreten hat, welcher mit gefährlichen, alle Ordnung auflösenden Grundsätzen prahlt, und welcher dem schrecklichen Lose eines Landstreichers und Aufrührers entgegenrennt!
Sei barmherzig, Mutter! Ihr zu Füßen fallend. Mein ganzes Leben ruht in diesem Manne! All' meine Gedanken stammen von ihm, all' meine Gedanken gehören ihm! Du tötest dein Kind, wenn du mich unwiderruflich von ihm scheidest!
Unwiderruflich! Dies ist das Wort! Und da ich die Größe deiner Verblendung in dieser Szene erkenne, so sei es zu deinem eigenen Besten sogleich und öffentlich hiermit ausgesprochen, so sei es feierlich ausgesprochen vor fremden Zeugen, daß nie und nimmermehr, solange deine Mutter atmet –
Halten Sie ein, freveln Sie nicht an der Zukunft, Frau Gräfin! Die Zukunft ist Gottes. Keine Mutter hat das Recht, Gott dergestalt vorzugreifen!
6. Szene
[115] Sechste Szene.
Richtig! der Bäcker hat recht; die ganze Gesellschaft wird wohl beisammen sein. Zu Gellert. Professerchen, es tut mir leid, Sie selber belästigen zu müssen, aber alle Spuren und meine ausgedehnte Order führen hieher. Order muß ich parieren. Der Rüffel von meinem Hauptmann, daß ich mich drüben hätte in die Flucht schlagen lassen, war ohnedies lang genug. Ich muß meine Wachtmeisterehre einlösen damit, daß ich die ganze Gesellschaft abliefere, Mann und Weib, neun Stück in Summa, weil sie alle revoltiert durch Widerstand oder Entweichung. Die Sache wird sehr garstig, aber ich kann meiner Seele nichts dafür.
Und erwart' Er von uns nichts anderes als Widerspruch; denn wir sind nicht Seine Untergebenen und gestehen Ihm das Recht nicht zu, in friedliche Bürgerhäuser einzudringen!
Professor Gottsched! Näher [116] zu ihm tretend. Haben Sie heut' mittag den Zettel für den Ratsdiener Mohr selbst geschrieben oder bloß unterschrieben?
Ew. Liebden Respektvoller als bisher und auf ihn zugehend. haben mich zwar bei Roßbach garstig zugerichtet, und ich hatte eigentlich bisher einen leidlichen Grimm gegen Sie, aber als Mann vom Fach kann ich doch den Respekt vor der Tapferkeit meines Feindes nicht ableugnen.
Ja, die Sache ist's eben, welche mich so mitleidig stimmt für Sie. Ihre Sache steht niederträchtig schlecht! Der kleine Zettel von heute nachmittag hat Sie vollständig in die Patsche gebracht!Allgemeine Aufmerksamkeit. Mein Rapport über die Affäre beim Professor Gottsched vorhin mußte denn auch die kleinen Beutestücke zum Vorschein bringen. Sie bestanden aus einer gedruckten Schrift und dem kleinen Zettel. Sowie der Auditeur das gedruckte Buch sah, schrie er laut auf. Das sei eine streng verbotene kriegsgefährliche Schrift, sagte er, deren Verfasser gesucht werde wie 'ne Stecknadel! Und nun kommt das Unglück für Sie! In demselben Buche, welches bei Ihnen gefunden worden, sind mit Bleistift Anmerkungen eingeschrieben, und wie der Auditeur sagt, Verbesserungen, welche nur der Verfasser selbst geschrieben haben könne. Die Schrift dieser Anmerkungen aber – 's ist ein feiner Kopf! – die Bleistiftschrift sei aufs Haar dieselbe, wie die Handschrift auf dem kleinen Zettel für den Ratsdiener Mohr. Wer also den Zettel geschrieben, der sei auch der Verfasser jener gefährlichen Schrift – Sie also, Herr von Rothenbein oder wie Sie heißen, sind der unglückliche Verfasser jener Schrift!
Was hätt' ich noch zu verlieren!Sich wendend. Tut Eure Schuldigkeit, Wachtmeister! Führt mich ab! Achtung! Siegmund richtet sich. Rechtsum! Vorwärts marsch!
Halt, halt! Ich hab ja hier noch die Zivilisten alle aufzurollen! Fünf Mannsbilder und vier Frauenzimmer! Die Frauen zählend. Eins, zwei, drei, vier – die Frauenzimmer sind auf dem Platze –
Echauffieren Sie sich nicht. Ich spreche grad' so wie mein General eben gesprochen hat. Just zwei Gräfinnen Manteuffel, weil von einem Manteuffel bei der Reichsarmee die Rede sein solle, auf dem Rathause.
Nun die Männer! – Da sind nur vier! Holla, wo ist Graf Bolza? Das wär' nicht übel! Zu Gellert. Ehrwürdiger Herr Professor, erschweren Sie nicht die verdrießliche schichte! Allen Anzeichen nach ist der Graf ebenfalls bei Ihnen. Rufen Sie ihn herbei, sonst muß ich, trotz meinem guten Willen für Sie, das Hans von oben bis unten durchsuchen lassen!
Ich bin Mitglied der Universität und kursächsischer Untertan – rechtmäßig steht meine Behausung keinem fremden Soldaten offen, mein Freund! Ich bin ein friedliebender Mann, mein Freund, aber in meinen vier Pfählen bin ich mein eigner Herr und lasse mir nicht kommandieren durch brutale Gewalt, und lasse mir nichts antasten, so weit ich's hindern kann! Seinen italienischen Grafen liebe ich nicht und schütze ich ungern, aber auch über ihn würde ich solchergestalt unter keiner Bedingung Rede und Auskunft geben, und wenn sich dieser Graf selbst zu mir geflüchtet hätte, so würde ich ihn um keinen Preis ausliefern, darauf kann Er sich, mein lieber Freund und Wachtmeister, verlassen, wie auf ein Evangelium!
Das hilft uns ja alles nicht, Professerchen, ich [118] muß! – Den Teufel auch! Wenn ich den Grafen einbüßte, so ginge mir's hundeschlecht! Der ist ja neben dem jungen Herrn hier Auf Cato zeigend. und etwa noch dem Professor Gottsched die wichtigste Person fürs Kriegsgericht!
Ich kann mir also nicht anders helfen!Nach der Tür sehend und dahinzu kommandierend. Zweiter Zug! Achtung! Man sieht sie zusammenrücken, die Fackelträger treten ganz herein und links und rechts von der Mitteltür an die Hinterwand. Der Graf muß herbei! Nach der Tür links hinten gehend.
Nimmermehr! So wahr ich Gellert heiße, das tu' ich nicht und duld' ich nicht, so weit's auf mich ankommt!
Also! Ich bin am rechten Orte! Nach der Mitteltür sprechend. Zwei Flügelmänner rechts und zwei Flügelmänner links, schultert – Kara biner! Man hört das Geräusch des Schulterns. Rechts und links abgeschwenkt, marsch! Kommen von rechts und links vormarschiert und stehen bei »Halt!« einander gegenüber vor der Tür, also seitwärts gegen das Publikum. Halt! Front! Machen Front gegen die Szene. Vorwärts marsch!Marschieren ins Zimmer. Halt! Zwei Mann hieher! Zeigt auf die Tür links, zwei Kürassiere stellen sich auf mit dem Gesicht gegen die Tür links. Zwei Mann hieher! Die Tür rechts zeigend und die zwei Mann hinweisend. Er kommandiert vorn auf dem Theater stehend mit dem Rücken gegen das Publikum. Macht Euch fertig zum – Feuern! Sie nehmen ihre Karabiner in Arm, untersuchen die Pfannen und ziehen auf.
[119]Ist der Graf in dem kleinen Zimmer, so wird er ja wahrscheinlich auf diese Weise erschossen. Schlimmeres kann ihm ja auch im schlimmsten Falle vor einem Kriegsgerichte nicht widerfahren. Ist er drin?
Da rückt Infanterie ein; nun haben wir Reiter Eile, abzumachen, was wir angefangen – Achtung! Schlagt an!
Nun, so möge mir Gott verzeihn, wenn ich das nicht geduldig und christlich ertrage; mit meiner Geduld ist's am Ende, und ich werde reden, Siegmund ist einen Schritt vorgekommen, erstaunt über den Professor, und dieser ist einige Schritte auf ihn zugegangen und greift ihn jetzt einen Augenblick an dem Bandelier der Patrontasche oder am Arme. dreister Kriegsmann, gegen Gewalt, so laut ich mit meiner Stimme reden kann und wär's auf dem Markte. Verstehst du mich, Mann der zudringlichen Gewalt?!Sich rasch umwendend. Kollege Gottsched! empfinden Sie die Erniedrigung, welche man uns antut, uns friedlichen Bürgern, stillen Männern edler Wissenschaft, empfinden Sie die Erniedrigung, wie ich sie empfinde –
Recht so! Ihre Hand! Faßt zu. Auf alle Gefahr hin bereit dagegen aufzutreten, sei's vor Kaiser und Reich!
Vorwärts! Und nicht Ihr Soldaten sollt uns aufs Rathaus führen, nein, wir Bürger wollen Euch führen in das Haus unsers Rates und unsers Rechtes, wo Ihr uns verhöhnen und mißhandeln könnt, wo Ihr aber hören sollt, was Rechtens ist für einen deutschen Bürgersmann!
5. Akt
1. Szene
Erste Szene.
Diese Unwürdigkeit wird doch aber unerträglich! Man läßt uns hier warten wie Dienstboten – Nach hinten rufend. Holla!
Vorsichtig! So? Vorsichtig! Vor einer Stunde wußtest du, ich sei schier furchtsam, und jetzt soll ich auf einmal unvorsichtig sein! Wer auf Weiber hört, dessen Weg wird ein Zickzack –! Vorsichtig sei man, solange die Lage zweifelhaft, Madame! Ist sie einmal unzweifelhaft schlimm und gefährlich wie die unsrige, dann sei man wie ein Schwert! Das, Madame, war stets meine Meinung, die Meinung Ihres Gemahls den Sie nicht zu würdigen wußten!Geht nach hinten und ruft. Wachtmeister Siegmund!
Der Wachtmeister ist tück'sch, Herr Professor, hetzen Sie ihn doch um Gottes willen uns nicht noch ärger auf den Hals! Man weiß ja ohnedies nicht mehr, wo man vor Angst die Hände und Füße lassen soll –
Na – wir sind ja nicht zu Hause, Herr Professor! Machen Sie uns doch nicht noch unglücklicher durch solchen Spektakel! Zu Katharina. 's ist wahr!
Herr Professor, 's sollte mir lieb sein, wenn Sie später so befehlshaberisch und protzig aus diesem Saale gehen könnten!
Wie wir vorhin aus des Professors Quartier rückten, kam doch Infanterie. Es sindNach den Wachen zeigend. wie Sie an den gefürchteten Blechmützen sehn, Grenadiere von der Garde, welche den Prinzen zu begleiten pflegen.
CATO, GELLERT UND GOTTSCHED. Den Prinzen Heinrich?
Den man jeden Augenblick in Leipzig erwartet; General Seydlitz ist ihm entgegengeritten mit dem Stabe.
Viktoria! Ich will's Ihnen wünschen. Es sieht aber gar nicht danach aus. Unser Prinz ist gerecht, aber streng, und bei seiner Armee muß was Fatales passiert sein: seine Ankunft hier ist unerwartet, seine Grenadiere sind zu Wagen angekommen, unser ganzer Stab ist wie verdutzt, und General Seydlitz ist ihm vorhin auf dem schlechten Pflaster die Grimmsche Gasse 'naus entgegengejagt, als ob sein Pferd die Knochen gestohlen hätte, und kreuz-grimmig hat er dabei ausgesehn, kurz also: es spukt und wetterleuchtet [123] sehr verdächtig, und dies ist das größte Unglück für Sie und Ihren Prozeß, denn nun wird der Prozeß im Sturme, also gottsjämmerlich, für Sie abgemacht. Sie aber, Herr Professor Viktoria, sind gerade am allerschlimmsten dran, wenn draußen im Kriege was vorgefallen ist!
Dort drinnen Nach rechts hinten deutend. sitzt erstlich der Auditeur, welcher die Anklagen gegen Sie alle notiert hat, – der einzige Federfuchser unter uns! – Und dort drinnen steckt fürs zweite noch jemand, der schlecht paßt zu Ihrer Viktoria und dem Prinzen Heinrich!
2. Szene
Zweite Szene.
Na heeren Se, und da heeßen Se mich och noch ungeschickt, und Se sein doch schuld an meinem Malhör! Die Herrn Kürassiere sagen, Gott verzeih mir die Sünde, ich würde gehenkt!
[124]Göttlicher Gottfried, wer hätte dir die Einsicht zugetraut! Leise. Du hast also den Brief, der uns jetzt in Lebensgefahr bringen könnte, beiseite gebracht!
Als wie den Brief? Ne, mich haben sie bald auf die Seite gebracht, die Herrn Kürassiere! Herr Jeses, ich bin ja nur bis an die Griene Schenke 'naus gekommen, da begegneten sie mir schon und kriegten mich beim Schlafittchen, ach, wenn das meine Mutter erfährt!
Fassung! Man wird, man muß ein Einsehen haben bei Bürgersleuten, welche im Kriege nicht offiziell beteiligt sind!
Keine Verblendung jetzt am äußersten Punkte! Erinnern Sie sich, Gellert, unsrer Leipziger Abgeordneten, des [125] Kammerrat Hohmann, der Kaufherrn Winkler, Konrad, Gebrüder Richter und wie sie weiter heißen, welche wegen der Kriegsschatzung, so Leipzig zahlen mußte, billige Vorstellungen machten? Sie waren in gutem bürgerlichen Rechte; denn die Schatzung war so hoch, daß unsre Enkel noch werden zahlen müssen an der Schuld, und was geschah ihnen wegen der billigen Vorstellung? Sie wurden mit Todesstrafe bedroht! Erinnern Sie sich des Ministers Wackerbarth? Er wurde nur verdächtig und ward plötzlich aufgehoben und hin weggeführt in die Festung Küstrin. Haben wir nicht alle den Grafen Seckendorf draußen in Meuselwitz gekannt? Als bescheidener Privatmann lebte er da, ein Greis, und ward als verdächtig angeklagt und verschwand wie ein Meteor hinter den Festungswällen von Magdeburg!
Jetzt ist der Augenblick gekommen, Madame, zu stehen oder zu fallen. Weil ich die Gefahr übersah, durfte ich schwanken, solange noch Mittel vorhanden waren, dem wirklichen Zusammenstoße auszuweichen – was ein Weiberverstand leicht mißdeutet. Nun aber gilt's! Zeigen wir der Welt, daß die Männer der Wissenschaft auch Männer von Charakter sind!
Der Prinz kommt! Treten Sie auf die Seite Die rechte ist gemeint. hinüber! Er wendet sich wieder nach hinten.
Jünger und freundlicher als der König! Welch ein schönes Roß, dieser Schimmel, und so ruhig bei all dem Lärmen und Lichtschimmer!
3. Szene
Dritte Szene.
Leutnant von Wedell! Ich lasse die Herren von Leipzig bitten, mich zu erwarten. Drücken Sie ihnen meine Erkenntlichkeit aus für den Eifer, mir zum Freiberger Siege Glück zu wünschen, und entschuldigen Sie in meinem Namen die Verzögerung. Generalleutnant von Seydlitz hätte aber ein Geschäft vorbereitet, welches die Leipziger Herren nahe angehe, und welches ich erst erledigt sehn wollte, eh' ich mit ihnen spräche.
Einige Schritte vorschreitend, nachdem er eine verabschiedende Bewegung mit der Hand gemacht, und darauf Wedell sich gewendet hat und abgegangen ist. Während des Folgenden sieht man, das Wedell die Leipziger Ratsherren draußen nach rechts hinüber verweist. Der Prinz spricht, fast ohne zu pausieren, weiter. Rittmeister von Zastrow! Zastrow tritt hastig heran zur linken Hand des Prinzen. Sogleich eine reitende Ordonnanz nach der Dresdner Heerstraße hinaus, wo General Seydlitz noch zu finden sein wird – doch nein! kontremandiert! – die Auswahl rascher Pferde ist hier leichter. Ist jemand zur Hand, der die Pferde Eures Regiments genau kennt?
Königliche Hoheit, Wachtmeister Siegmund hat sämtliche Kampagnen dieses Krieges beim Regimente mitgemacht und gilt für besonders kundig in Beurteilung der Meriten eines Rosses.
Suche die sechs schnellsten Pferde aus dem Regiment, und die sechs leichtesten Reiter. Sie sollen ohne Küraß reiten, und sollen Station nehmen von hier nach Wurzen. Ich erwarte über Wurzen Kuriere von Dresden. Deren Briefschaft sollen sie in Beschlag nehmen und in gestrecktem Galopp hierherbringen. Je drei! verstehst du? Die anderen drei warten, ob der zweite Kurier komme, und tun alsdann desgleichen. Verstanden?
Marsch! Siegmund macht Kehrt und geht zur Tür rechts hinaus in den Vorsaal. Rittmeister von Zastrow! Tritt heran. Es ist den Regimentern unter meinem Kommando und insbesondere der Kavallerie befohlen, sich möglichster Schonung zu befleißigen gegen die Einwohner des Landes, namentlich in Sachsen; denn gerade Sachsen leidet am schwersten von dem langen Kriege. Die Sachsen sind unsre Landsleute, wenn sie auch unter andrer Regierung stehen. Euer Chef sagt mir von auffallenden Widersetzlichkeiten hier am Orte, welche zur Untersuchung vorliegen. Sind Ihm, Zastrow, Exzesse bekannt von Seinem Regimente, Exzesse, welche die hiesigen Einwohner gereizt haben könnten?
Ich sehe aber hier Sich nach dem Vorsaale umsehend. zum Beispiel, daß Ihr im Rathause auf dem blauen Fußboden Feuer anzünden laßt, welche das Haus und die Stadt gefährden können?
Rittmeister von Zastrow! Hat der Auditeur des Regiments die Vergehungen qualifiziert, von welchen General Seydlitz sprach?
Laß Er sich das Papier ausliefern, und halt' Er mir Vortrag. Ich kann draußen die Herren von Leipzig nicht mit fröhlichem [128] Gewissen sprechen und kann ihre Glückwünsche nicht wohl in Empfang nehmen, solange Leipziger Einwohner unter schwerer Anklage harren. Es sollen sogar, wie mir Seydlitz sagt, Professoren unter den Angeklagten sein –
Zu Befehl, Königliche Hoheit! Ab nach rechts in das Zimmer des Auditeurs. Wedell bleibt hart an der Tür, so daß außer der rechten Seite die ganze Bühne frei ist.
Dort lüftet er den Hut, sich nach hinten wendend. Behalten Sie Platz, meine Damen! Diese verneigen sich nur ohne sich zu setzen. Er geht nach hinten auf Wedell links zu. Als er etwas über die Mitte der Bühne gekommen, präsentiert sich rechts im Vorzimmer Siegmund militärisch. Der Prinz macht ihm eine Bewegung mit der Hand, welche ausdrücken soll: es sei gut, er geht dann weiter nach links hinten. Siegmund macht Kehrt und verschwindet im Vorsaale. Der Prinz wendet sich hinten vor Wedell und kommt auf den Tisch zu, rückt sich den Stuhl rechts vor den Tisch und setzt sich, Hut und Handschuhe langsam auf den Tisch legend.
Er hält einen Bleistift in der Hand, schlägt das Portefeuille auf und beginnt auf einen Handwink des Prinzen daraus zu lesen. Erstens. Graf Bolza. Ausländer. Gefährlicher kaiserlicher Parteigänger. Im Rücken des Heeres tätig auf dem Erzgebirge und in Leipzig, den Kaiserlichen Nachricht und Ratschläge zu geben. Blank erwiesen in der aufgefangenen Depesche an General Serbelloni. Ohne Umstände Standrecht über ihn zu halten; zu erschießen. Bewegung des Schreckens auf der rechten Seite. Zweitens. Friedrich von Rothenhain. Ausländer. Offizier der Reichsarmee in Zivilkleidern im Rücken des Heeres tätig. Verfasser einer aufrührerischen Druckschrift, mit blankem Degen widersetzlich bei der Verhaftnahme. Standrecht; wahrscheinlich zu erschießen.
Drittens. Professor Numero Eins. Inländer. Rädelsführer einer respektswidrigen und gefährlichen Protestation von Gelehrten. Abfasser eines verräterischen Schreibens an den feindlichen General Serbelloni, Hehler des Grafen Bolza und des Offiziers von der Reichsarmee. In naher Verbindung mit der sächsischen Linie von Manteuffel. Vor ein Kriegsgericht zu stellen. Festung erster Klasse. Bewegung rechts. Besonders Frau Gottsched ihre teilnehmende Bestürzung gegen Gottsched ausdrückend. Viertens. Professor Numero Zwei. Ausländer. Mitunterzeichner der gefährlichen Protestation. Ebenfalls Hehler des Grafen Bolza und zwar offen widersetzlicher. Kriegsgericht. Festung zweiter Klasse Teilnahme für Gellert rechts. Fünftens. Gräfin von Manteuffel. Sie fährt auf. Ausländerin. Gattin des bei Freiberg entdeckten Manteuffel. Der Mitwissenschaft verdächtig an dortigen hochgefährlichen Umtrieben von Manteuffels. Unterstützter Verdacht durch ihren Reitknecht, welcher unkundig Spionsdienste verrichten sollte zwischen Leipzig und den österreichischen Vorposten. Vor ein Kriegsgericht!
Sechstens. Siebentens. Achtens. Dienerschaft. Sämtlich Ausländer. A. Selbiger Reitknecht. Als sehr dumm erkannt und nicht zurechnungsfähig. In Gnaden zu entlassen mit einem Denkzettel.
Weiblicher Diener. Als wohlgesinnt bekannt im Regiment. Mit einem Verweise zu entlassen. Befehlen Königliche Hoheit, daß der Auditeur dies Brouillon mündlich ergänze?
Ist nicht nötig. Ich kenne durch den Generalleutnant den Zusammenhang der Anklage. Steht auf. Wer ist Graf Bolza?
Ich bin's, zu Eurem Befehl, Königliche Hoheit, und mit der Bitte, mir einige Worte der Rechtfertigung zu gestatten!
Nun dann, Königliche Hoheit, kann ich das Wort Rechtfertigung sogleich zurücknehmen. Ich habe mich nicht zu rechtfertigen; denn ich habe nichts Unrechtes getan, es müßte denn ein Unrecht sein, daß ich nicht in diesem Lande geboren, und daß ich der Sohn eines Mannes bin, welcher vor dem Kriege zum Ärger der Sachsen wohlhabend geworden ist. Was trag' ich dabei für Schuld? Oder welche Schuld trag' ich den Preußen gegenüber? Als dieser Krieg begann, war es eine ihrer ersten Anordnungen, daß die Meißner Fabrik, deren Ausbeute man uns so sehr zum Vorwurf macht, uns gewaltsam abgenommen und preußischer Verwaltung übergeben wurde! War es also verwunderlich, daß wir unser Geschick und unsre Wünsche an die Waffen der Kaiserlichen knüpften? Das Gegenteil wäre wunderlich. Welche zivilisierte Armee straft Wünsche, die sich nicht in Taten äußern?! Ich bin nirgends tätlich gegen die Preußen aufgetreten!
Dieser hochfahrende Ton ist Ihrer Sache nicht günstig. Sie wären jetzt viel weniger gefährdet, wenn Sie offen tätlich auf dem Schlachtfelde uns entgegengetreten wären. Hinter unsrer Armee sind Sie zu finden gewesen mit Ihrer Tätigkeit, die mir aus dem Erzgebirge gar wohlbekannt ist. Zu den Übrigen rechts. Ist hier jemand, der einen haltbaren Grund anzugeben wüßte für die Anwesenheit dieses Mannes in Leipzig?
Sie sehen mich sogar geneigt, Entschuldigung anzunehmen, welche von Mitangeklagten ausginge. Aber es ist niemand vorhanden, der sich Ihrer anzunehmen wagte!
Ich kenne den Grafen Bolza aus dem Zirkel unsers gnädigen Kurprinzen in Dresden, und ich kann bezeugen, daß der Graf Bolza hierher kam in Angelegenheiten – des Herzens. – Eine – Dame zu sehen, welche der Krieg von ihm getrennt, erschien er erst heute vormittag in Leipzig
Hätte man wirklich recht mit dem Vorwurfe, daß die deutschen Frauen den verweichlichten Franzosen und Italienern so gern ihre Gunst gewährten!
Seien Sie gnädig, Königliche Hoheit, schicken Sie ihn ungestraft nach Italien! Ich wünsche ihm alles Gute und vor allem eine glückliche Reise.
Vergeben Sie meine Offenherzigkeit, königlicher Herr, aber ich habe gar keine andre Aussicht mehr als die Hilfe eines so mächtigen Herrn wie Sie, welcher bei aller Kriegsstrenge so milde schaut und so gnädig spricht.
Ich verbiete dir, Wilhelmine, weiter zu sprechen! Es ist deines Namens unwürdig, auf offenem Rathause deine kindischen Liebeswünsche mitzuteilen.
Dann spricht er mit lächelnder Ironie. Es ist durchaus nicht meine Absicht und nicht meines Amtes: Vertrauter und Schiedsrichter zu werden in Liebesangelegenheiten. An seinen Stuhl zurücktretend, ganz ernsthaft. Ist der heut' aufgefangene Brief zur Hand an den General Serbelloni?
Eine Flugschrift einzusenden, ja. Für aufrührerisch halte ich sie nicht, sonst hätte ich nicht gewagt, sie Eurer Hoheit vorzulegen.
Wie weit geht die Anmaßung der jetzigen Jugend? Kein bestehendes Verhältnis, kein Untertanenverband wird respektiert, und kühnlich wird doch hinzugesetzt, dergleichen verwegene Schimäre sei nicht aufrührerisch.
Verzeihung, Königliche Hoheit, wenn ich dennoch gegen dies Wort protestieren muß. Einen Schritt weiter tretend. Ich habe die Schrift Eurer Hoheit eingesandt, weil ich versichert zu sein glaubte, Ihr hoher politischer Standpunkt und Ihr deutsches Herz würden das Ungewöhnliche darinnen – was Sie jetzt schimärisch nennen – zu würdigen wissen. Denn die Grundzüge der Schrift sind erwachsen Mit erhöhter Stimme. aus den Taten des Königs Friedrich! König Friedrich kann sie nicht aufrührerisch nennen!
Ich habe ein Recht zu dieser Folgerung, Königliche Hoheit. Unser Vaterland ist seit dem Dreißigjährigen Kriege tief zerspalten, und innerhalb dieser Spaltungen sind die politischen Rechtsverhältnisse schwankend geworden. Denn unser Kaisertum beherrscht sie nicht mehr. Dies hat man tausendfach zum Nachteil Deutschlands ausgebeutet. Endlich überrascht uns ein genialer König. Sein Ursprung ist deutsch, sein Land ist deutsch, seine Taten entrollen sich wie Donner Gottes zu Deutschlands Ruhme. Die Be weggründe dieses Königs, die Beweggründe seiner Taten wurzeln in einer – kühnen Deutung jener schwankend gewordenen Rechtsbegriffe in Deutschland, und er, dieser kühne Held oder sein ihm zunächst stehender Bruder, sie könnten es anmaßend schelten, wenn die Jugend auf dem gegebenen neuen Grunde neue Pläne entwerfen mag zu Deutschlands Größe?! Sie könnten fordern, daß die Neugestaltung Deutschlands nur ihnen allein zustehe? Ihnen allein und nicht jedem Deutschen? Gewiß nicht. Ich habe gesagt, daß es keinen großen König von Preußen geben kann ohne Deutschland, und ich werde dies Wort vertreten bis zu meinem Tode!
So? Nachdrücklich. Ich habe gesagt, daß die Vertretung solcher Grundsätze mit Lebensgefahr verknüpft ist, und – Schwächer. ein trauriger Beweis Auf die Gräfin sehend. dafür liegt uns nur zu nahe. Einen Schritt auf die Gräfin zugehend. Nicht wahr, Madame, Sie sind die Frau Gräfin von Manteuffel?
Ihr Herr Gemahl kämpft gegen uns in Reih und Glied; Ihre Dienerschaft wird betroffen auf Handlangerdienst, welcher dem Verdachte der Spionerie ausgesetzt ist!
Königliche Hoheit, das letztere ist die Mißdeutung eines Zufalls und was das übrige anbelangt, so hab' ich nie geleugnet, daß die Familie Manteuffel feindlich gesinnt ist gegen das preußische Haus Hohenzollern!
Gott sei Dank, dem ist nicht also. Das preußische Haus und Land zählt Herren von Manteuffel unter seinen glorreichsten Verteidigern. Dies ist aber das Herzeleid! Parteinahme hat selbst die bravsten Familien zerspalten. So wenig weiß Deutschland, Zu Cato. junger Mann, von wo ihm Kraft und Zukunft erblühen mag. Frau Gräfin von Manteuffel, Ihr Herr Gemahl ist gefangen!
Gott ist gerecht; denn Ihr Gemahl hatte es um uns verdient. Er kämpfte nicht bloß in Reih' und Glied, sondern mit den giftigen Waffen der Intrige. In seinem Gepäck wurden Papiere gefunden, welche die undeutschesten Verabredungen mit Frankreich und Rußland enthalten, und welche – sein Leben verwirken!
Da sehen Sie, junger Mann, wohin es führt, wenn sich jeder selbst seine politischen Maximen bilden und sie auf eigene Faust verwirklichen will – zu schimpflichem Tode kann es führen!
Ich kann nicht einräumen, daß dies meiner Lage entspreche. Frankreich und Rußland, das wirkliche Ausland, hereinzuziehen, ist himmelweit verschieden von dem, was ich will. Ich will, daß es innerhalb Deutschlands kein Ausland gebe.
Danach sieht es in dieser Gesellschaft nicht aus! Ein deutscher Professor hat sich hier sogar aufs äußerste kompromittiert, um einen gefährlichen Italiener gegen uns zu unterstützen! Zu Zastrow. Professor Numero Eins ist doch Herr Gottsched?
Und nicht bloß geboren! Sie haben Ihre Bildung eines Gelehrten dort erhalten. Warum haben Sie das Land verlassen?
Ich will Ihnen die Antwort erleichtern. Sie haben sich dem Soldatenstande entziehen wollen, zu dem Sie ausersehen waren!
Ausersehen, ja, meiner stattlichen Leibesbeschaffenheit wegen, und weil Eurer Königlichen Hoheit hochseliger Vater ohne Rücksicht auf sonstige Eigenschaften des Menschen Gardisten eintrieb aus allen Ständen.
Ich habe mir's nie zum Vorwurf gemacht, Königliche Hoheit, und die gebildete Welt Europas ist, Gott sei Dank, bisher meiner Meinung gewesen, daß ich mich für mehr als eine bloß körperliche Maschine erachtet habe, und daß ich das Geistesleben höher geschätzt als das Dienstleben eines Gardisten!
Und zum Dank, daß Ihnen Preußen dies nicht nachgetragen, [135] lassen Sie sich auf feindlichen Schritten gegen Preußen betreffen!
Nicht feindlich; unbefangen sind meine Schritte gewesen. Ich habe immer getrachtet, mich über den Parteiungen zu erhalten, und ich bin auch mit einem Verkehr beehrt worden, ich kann wohl sagen, mit einem gnädigen Verkehr von den verschiedensten Potentaten, welche untereinander im Streite waren. Auch Seine Majestät, König Friedrich, haben mir darüber nie ein Mißwollen, wohl aber Ihr allergnädigstes Wohlwollen zu erkennen gegeben!
Über den Parteiungen! Das nennen Sie über den Parteiungen! Wer steht an der Spitze einer politischen Protestation, welche hier zur Bestrafung vorliegt?!
Sie ist eben eine Protestation gegen Parteiung. Wer sie uns abgenötigt, der nahm Partei! Man verlangte von der Wissenschaft Parteinahme für das, was augenblicklich herrscht! Dies widerspricht dem hohen Standpunkte der Wissenschaft, und es war also unsers Amtes, dagegen aufzutreten.
Und Verfasser aufrührerischer Flugschriften zu schützen, ist das auch Ihres Amtes? Kurze Pause. Gellert tritt einen Schritt vor.
Ja. Königliche Hoheit. Im vorliegenden Falle war auch dies unsers Amtes. Ich muß auf meine eigne Gefahr meinen Kollegen hierbei in Schutz nehmen durch mein Zeugnis. Die Protestation wegen der Flugschrift hat er nicht gewünscht. Ich aber hab' sie mit größter Bereitwilligkeit untertrieben und bin erbötig, sie zu vertreten, so weit mir schwachen Manne Gott Kraft dazu verleiht.
Nur ein außerordentlicher Professor, ja. Aber ist auch mein Kopf nicht ausgezeichnet genug, mich auf die oberste Stufe zu heben, ich habe vor manchem Höheren den Vorteil voraus, daß mein Herz lebendig und wirksam redet. Verachten Sie ein Herz nicht, königlicher Prinz, in so herzloser Zeit! Mein Herz aber sagt mir, daß es jetzt nicht genug sei, verwüstete Felder, zerstörte Wohnungen zu beklagen, geängstigte Menschen, verstümmelte Menschen, getötete Menschen zu beweinen, daß es nicht genug sei, über all' den sichtbaren Jammer des Krieges zu stöhnen, über den Jammer eines Krieges, der unter Brüdern eines Vaterlandes wütet – nein nein, mein Herz sagt mir, daß auch unser innerer Mensch bedroht, daß auch [136] das tödlich bedroht sei, was wir Moral nennen, und, Königliche Hoheit, mein Herz hat recht, das weiß ich! Zwei Schritte nähertretend. Wir gewöhnen uns, einer auf den andern zu lauern, einer den andern zu bevorteilen – denn der Vorteil ist jetzt selten, und der Nachteil mit seinen Gefahren ist jetzt allerwege – wir gewöhnen uns, Noch einen Schritt nähertretend. einander zu beargwohnen, ja einander zu verdächtigen, wenn's vor dem täglich vorhandenen Feinde was helfen kann, wir gewöhnen uns – nichtswürdig zu werden, Königliche Hoheit! Und nun kommt uns in solcher furcht baren Zeit, es kommt uns Männern der Wissenschaft, die wir Sorge tragen sollen für Edles, Großes und Unvergängliches, es kommt uns, die wir die Arche lauterer Grundsätze retten sollen auf unsern Schultern aus dem allgemeinen Schiffbruche, es kommt uns die Zumutung, den Schriftstellern aufzupassen, daß sie im drängenden Gewirr des Krieges nicht ein unbedachtes warmes Wort sprechen, es kommt uns die Zumutung, wenn einem braven Manne ein unbedachtes Wort entschlüpft ist, auf ihn zu fahnden und ihn an die Strafbank zu liefern – Königliche Hoheit, es mag nötig sein im Staate, also zu spüren und zu verfolgen, aber bei meiner armen Seele, das Geschäft derer, welche die Forschung ermuntern, welche Wissenschaft und Sitte lehren sollen, das Geschäft der Professoren ist dies nicht, – und darum, Königliche Hoheit, haben wir protestiert, und ich erst recht, und darum protestiere ich hier noch einmal vor Ihrem eignen mir verehrlichen Antlitze und Haupte, und vor dem Angesichte des ganzen Landes.
So spricht in ganz Deutschland – Seydlitz hat mir nur Gottsched genannt – so spricht aber in ganz Deutschland nur ein Mann, nur ein Mann greift so in Herz und Nieren, dieser eine Mann müssen Sie sein, Sie müssen Gellert sein!
Gellert! Gesegnet sei die Stunde, da ich Sie finde und halte, Ihn umarmend. an meinem Herzen halte, des Vaterlandes bravsten Mann!
O mein Gott, blähe mich nicht auf in Freude der Eitelkeit! Königlicher Herr, meine Hände, meine Stimme zittern, meine Augen weinen nicht bloß darüber, daß Sie mich schätzen. [137] Auch darüber, ja ja, aber nicht bloß darüber! Nein, beim gütigen Gott da oben, es ist die Sorge um das Allgemeine, um die Not des Vaterlandes, um die Not derer, die hier eines Richterspruches harren, ohne doch Übeltäter zu sein!
Ich weiß es, Gellert, ich weiß es! Und glauben Sie nur, daß auch mein Herz darunter leidet, glauben Sie, daß auch bei uns, bei meinem Bruder und mir und bei allen guten Preußen diese Sorgen des vaterländischen Herzens bittre, bittre Qual verursachen. Fürchten Sie nicht, daß irgend eine edle Wallung eines Deutschen von uns verkannt oder gar beleidigt werden könnte. Verkennen Sie mich nicht, Gellert, wenn Sie mich das strenge Amt eines Soldaten erfüllen sehen. Innerlich bin ich nicht bloß Soldat, und ich weiß, Sich aufrichtend. ich weiß die notwendige Unabhängigkeit der Wissenschaft gar wohl zu würdigen. Ihre tapfere Verteidigung derselben, Professor Gellert, ist Ihnen bei mir zur Ehre angeschrieben, auch wenn ich sie strafen müßte im Drange des Kriegs. Wieder zu Gellert gewendet. Und das muß ich nicht! In diesem einen Falle mit der Universität darf ich meinem Herzen folgen. Darin kenne ich meinen Bruder!
Wenn Deutschland was werden soll, so muß es tapfre Männer haben. Und tapfer ist man nicht bloß auf dem Schlachtfelde, tapfer ist jeder, der in seinem Kreise feststeht gegen jegliche Zumutung.
4. Szene
Vierte Szene.
Königliche Hoheit, der erste Kurier, dem man schon auf der Station nach Borsdorf begegnet ist. Ich hoffe doch, Königliche Hoheit recht verstanden zu haben, daß noch ein zweiter Kurier erwartet ist, und daß unsre Reiter unbekümmert um den ersten Station fassen sollten bis Wurzen?
Man sieht, daß ihm der Inhalt einen lebhaften Eindruck verursacht. Zu Zastrow. Euren Schreibstift, Zastrow! Schreibt stehend, indem er die Depesche auf den Tisch legt, in diese Depesche hinein. Von Wedell! Dieser kommt eiligst zu ihm marschiert. Diese hier unten beigeschriebene Order unverzüglich ausfertigen und durch Ordonnanzen schleunigst versenden an alle Regimenter!
Noch eins! Ein Blatt Papier! Wedell bringt seine Brieftasche aus der Uniform, um zu suchen, Zastrow überreicht ihm aber rascher aus dem Portefeuille ein Blatt. Zu Wedell. Vorwärts! Wedell links ab. Der Prinz setzt sich, sobald Zastrow das Papier auf den Tisch vorlegt, und schreibt hastig einige Worte darauf. Dies in Kuvert schlagen! An des Königs Majestät adressieren, und durch Kuriere, die ventre à terre zu reiten haben, nach der schlesisch-lausitzer Grenze, wo der König heranziehen wird!
Zu Befehl! Ab nach des Auditeurs Zimmer. Bald sieht man ihn mit einem Briefe von da in den Vorsaal hinausgehen. Im Verlauf nimmt er und Wedell wieder Platz an der linken Tür.
Er schüttelt den Kopf. Beendigen wir dies peinliche Gericht! Wie gern ich möchte, ich kann nicht allen helfen. Dieser Brief an Serbelloni ist zu feindlich gegen uns und wird dadurch zu bedeutend, daß er von einem Manne ausgegangen ist, der eben erst öffentlich gegen eine preußische Behörde protestiert hatte an der Spitze einer großen Körperschaft. Den Sinn dieser Protestation darf ich gutheißen; denn es wäre Preußens unwürdig, die Freiheit der Wissenschaft antasten zu wollen, es wäre Preußens Untergang, die Wissenschaft zu erniedrigen. In diesem Betrachte kann ich, wie gesagt, beim Könige verantworten, daß ich alles als nicht geschehen und nicht vorhanden bezeichne, was der Wirrwarr des Krieges an die Oberfläche getrieben hat. –
Anders ist es aber mit den übrigen Anklagepunkten! Schelten Sie mich nicht, lieber Gellert! Politik ist ein schlimmes Wesen und macht die Menschen hart; denn ihr erstes Gebot heißt: Unterdrücke die Stimme des Herzens! Der König heischt von mir so strenge [139] Verantwortung wie von jedem anderen, vielleicht noch strengere. Und der König muß streng sein, solange halb Europa gegen ihn stürmt. Der kleine Strich Landes, welchen er mit täglicher Lebensgefahr behauptet, muß ihm jetzt uneingeschränkt gehören, sonst verliert sein Fuß den letzten Halt! Er muß unerbittlich streng sein auch gegen jeden Schatten von innerer Feindschaft. Dadurch bin auch ich leider genötigt, hier strenge zu verfahren.
Ihnen, Frau Gräfin, muß ich deshalb wiederholen, daß Ihr Herr Gemahl vom schlimmsten Schicksal bedroht ist!
Das kann ich wohl tun, mein liebes Kind. Die Gefahr kann ich nicht von seinem Haupte wenden, aber Trost und Stärkung für das Äußerste kann ich ihm gewähren.
Professor Gottsched! Ihr Empfehlungsbrief eine Landesfeindes ist unverzeihlich vom preußischen Standpunkte. Daß Sie auch noch Kriegsnachrichten eingemischt in einem Zeitpunkte, der eine entscheidende Schlacht im Schoße trug, das müssen die Kriegsherren schonungslos strafen. Ich gäbe viel darum, wenn Sie diesen Brief nicht geschrieben hätten! Wendet sich nach seinem Stuhle.
Versuchen Sie nicht ein Leugnen, welches hier übel am Orte wäre – wer soll den Brief geschrieben haben, wenn nicht Professor Gottsched?
Die Unterschrift ist Gottscheds, ja. Aber Gottsched weiß jetzt noch nicht genau, was in dem Briefe steht: er hat ihn unterschrieben, aber nicht gelesen. Bezeugen Sie, Graf Bolza, der Sie zugegen waren, ob ich die Wahrheit spreche! – Bolza schweigt. Sie fürchten mir zu schaden! – Königliche Hoheit, ich bin bereit, mit einem feierlichen Eide zu erhärten, was ich gesagt! Mir gebührt die ganze Verantwortung!
5. Szene
Fünfte und letzte Szene.
Vom Kurprinzen? Haftig aufreißend. Ja – ja ja! In größter Freude. Du hast mir eine glückliche Hand, Schlesier, bitt' dir eine Gnade aus! Dabei aber wieder in den Brief sehend und Siegmund wegdrängend, weil er nach hinten will und auch während der nächsten Worte nach hinten geht.
Die Trompeter des Regiments! Ich lasse die Herren von Leipzig bitten, mir dreißig Fässer Wein zu verkaufen – Links nach vorn kommend, aber wie nach hinten kommandierend. Jeder Soldat bis zum Packknecht hinunter soll heute abend seine Flasche Wein trinken! Die Adjutanten gehen ab. Alles rückt um einen Schritt näher an den Prinzen. Der Prinz, Gellert die Hände entgegenstreckend. Ja, mein guter Gellert, das dacht' ich wohl, es kann einem nur Segen bringen, einem guten Menschen begegnet zu sein!
Oho, und die Kriegsartikel? – Du willst doch nicht den Abschied haben? Auf Gellert zugehend und ihn bei der Hand ergreifend; [141] dabei weicht Katharina und Siegmund zurück. Gellert! Er führt ihn links gegen das erste Fenster, bleibt aber unterwegs noch stehen und sagt. Man hat mir gesagt, Sie seien kränklich vom Stubensitzen, Arbeiten und Sorgen. Sie sehen mir blaß aus. Das muß anders werden mit Ihnen! Kommen Sie, ich weiß ein Mittel! Zum Fenster hinabzeigend. Sehen Sie das weiße Roß da unten, das so ruhig steht in all' dem Lärmen?
Das ist ein braves Tier: es hat mich in der Freiberger Schlacht sicher und gut getragen, und es soll von nun an meinen wackern Gallert tragen!
Deshalb brauchen Sie ein sanftes, festes Roß; denn reiten müssen Sie mir jetzt täglich, damit Ihr liebes Antlitz bessre Farbe kriege!
Das ist's ja eben, lieber Freund, was mich plötzlich so erheitert: Mit größter Lebhaftigkeit. Von heute an gibt's keine Schlachten mehr!
Der erste Kurier brachte Waffenstillstand mit Österreich und Sachsen. Das war ein gutes Zeichen, aber mehr noch nicht. Um darauf zu rechnen, bedurfte ich einer Antwort von Eurem Kurprinzen, der ein gar einsichtsvoller und liebenswürdiger, zur Versöhnung geneigter Herr ist. Das ist die Antwort, und sie lautet: daß er alles vorbereitet mit den Kaiserlichen, und daß Gellert, daß die Präliminarien des Friedens beginnen können!
Jawohl! Und ich denke, er wird es! Nicht nur die Völker, auch die Herrscher brauchen dringend den Frieden. Niemand schmollt, als unsre tapfern Degen, wie Seydlitz, der ein verdrießlich [142] Gesicht machte zu der Aussicht. Das ist auch in der Ordnung. Ein guter Degen will Arbeit. Wir aber, die wir nicht bloß den Degen führen, wir wollen Gott im Himmel danken für diese endliche Morgenröte!
Mit dir? Ja freilich geht's mit dir – nach Rheinsberg sollt ihr beide mit mir kommen, damit ich euch versorgen und mich zeitlebens des ersten Friedenstages erfreuen kann. Und nun – Eine Bewegung mit der Hand, alle weichen wieder etwas zurück. euch alle kann ich nicht retten trotz des Friedens. Alle treten noch weiter zurück – kurze Pause. Professor Gottsched! Ohne ihn anzusehn. für Sie bin ich jetzt allerdings bei meinem Bruder mächtiger; denn ich habe den Frieden begonnen. Sie sind mir aber anderweitig aus den Händen gespielt worden Frau Gottsched ansehend. – Sie haben Ihre Gnade hier nachzusuchen – Zu Gottsched. Schätzen Sie diese Perle nach Verdienst!
Unsere Truppen sollen Ihnen, Graf Bolza, nicht begegnet sein. Aber Sie verlassen von nächster Stunde an Kursachsen und lassen sich in Deutschland nicht betreffen, soweit preußische Truppen reichen, wenn Ihnen Freiheit und Leben wert ist!
Dies Wort ist unwiderruflich! Weiteres kann ich und will ich vor dem Könige nicht verantworten. Der harmlose Ausländer sei uns willkommen und wert; der räuberische Ausländer sei uns ein blanker Feind. Dies möge unsrer krankhaften Vorliebe für das bunte [143] Fremdentum eine Lehre sein, Zu Gellert, der am Stuhle steht, mit schwächerer Stimme. wenn es für gründliche Fehler hilfreiche Lehre gibt.
Und nun zu ihm, Nach Cato umsehend. dem Gefährlichsten von allen! Kennen Sie die Flugschrift, Gellert, und können Sie für diesen leichtblütigen jungen Mann ein Wort der Entschuldigung sprechen?
Ich kenne die Schrift, und meine gar wohl Hinter dem Prinzen zu Cato hinübergehend und dessen Hand ergreifend. bürgen zu können für die brave Gesinnung dieses Mannes.
Herr von Rothenhain, Ihre Feder ist gewandt! Unser Friedensgeschäft wird solcher Federn bedürfen. Wollen Sie zu uns treten und Ihre Flugschrift durch einen Nachtrag berichtigen?
Damit nur Lob und Zufriedenheit übrigbleibe, wo Lob und Zufriedenheit eine Lüge, eine Freveltat an meinem Vaterlande wäre – das kann ich nicht! Lieber hinaus in die Verbannung, oder wohl gar in den Kerker! Lieber leiblich verderben als an der Seele Schaden leiden!
Junger Mann! Seydlitz ist von mir beauftragt gewesen, Ihn zu verhaften, weil ich – Mit freundlicher Stimme. Ihn kennen lernen wollte – Gellert, Gottsched, Frau Gottsched, Wilhelmine drücken durch ein leises »Ach!« ihr Erstaunen aus. Weil ich Seine Flugschrift genau gelesen hatte, weil ich Seine politische Ansicht von Deutschland und Preußen Auf Cato zutretend. teile!
Ich mußte doch sehn, ob das etwa nur geschriebene Redensarten wären, und ob man weiteres tun könne für solchen Brausekopf.
Das ist nicht meines Amtes, lieber Gellert, und das muß – der Frau Gräfin überlassen bleiben, oder Pause, einen Schritt auf sie zugehend. – dem Gemahle der Frau Gräfin!
Königliche Hoheit, ich vermisse die Gerechtigkeit gegen mich! Solch ein Ausländer wird belohnt, fast weil er Ausländer ist, und ich werde –
Nein, hier ist sonst keiner! Der deutsche Gast bei uns sollte nimmermehr Ausländer heißen! Können wir diesen Eigensinn der hundertfältigen Souveränität austreiben, dann wird unser Reich die Macht einnehmen, welche ihm gebührt. Gott mag wissen, ob es uns gelingt: denn das Übel sitzt in harter und vielfach respektabler Schale. Aber trachten sollen wir auch in diesem Sinne nach Macht und Herrlichkeit und zwar mit Feder und Schwert. Was wir vielleicht nicht erleben, das erleben doch am Ende unsre Kinder oder Kindeskinder, ein nicht nur einiges, sondern auch starkes deutsches Reich!
Ja, wir sind ein Volk von Brüdern vom bleichen Sande der Memel bis an die dunklen Wälder der Vogesen!
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