[189] [194]9. Clorinda fühlet allgemach/ wie lieblich der Herr/dahero sie lieber sterben/ als durch einige Widerwärtigkeit von Ihm abweichen will

Qui nos separabit à charitate Christi, tribulatio, an angustia, an fames, an nuditas, an periculum?

Rom. 8. v. 35.


Wer will uns scheiden von der Liebe Christi/ Trübsal/ oder Angst/ Hunger/ oder Blösse/ oder Gefahr.


1.
So bald der heiß-hungrige Bär/
Den lieblichen Honig vernimmt/
Umb selben (wie tölpisch auch er)
Unsteigbare Bäume beklimmt/
Und ob ihn die Immlein schon stechen/
Am Honig-Dieb dapffer sich rächen/
So laßt er von dannen doch sich
Abtreiben mit keinem Gewalt/
Verachtet die schmertzliche Stich'/
Der Honig den Schmertzen bezahlt.
2.
So bald der begierige Falck
Vermercket die seuffzende Daub/
[194]
Verfolgt der arglistige Schalck
Den Felsen-zuflüchtigen Raub/
Verachtet des Falckeniers Locken/
Erhitzet auff sinnlichen Brocken/
Nachsetzet demselben so lang/
Biß daß er ihn endlich gefaßt/
Durch keinen auch tödtlichen Zwang
Von solchem abschrecken sich laßt.
3.
Wer einmal verkostet/ und schmeckt/
Wie gütig/ und lieblich der Herr/ 1
Denselben kein Abentheur schreckt/
Und wann es Megæra 2 schon wär'/
Ja alle Gespenster der Höllen/
Wie ungeheur sie sich auch stellen/
Da müssen abweichen mit Spott/
Ablegen ihr stumpffes Gewehr;
Dann welcher sich sehnet nach Gott/
Durchdringet die feindliche Heer. 3
4.
Wie stärcker alldorten ergriff' 4
Und risse vom Boden hervor
Die Flut das Noëische Schiff/
Je mehr es gestiegen empor/
Durch grausames Brausen/ und Bellen
Der rasenden Winden/ und Wellen
Getrieben wurd' immer nur fort
[195]
Schnell-fliegend Armenien zu/ 5
Nach seinem erfreulichen Port/
Und ewig-verordneter Ruh.
5.
Es könnte des Potiphars Weib/
Eydbrüchig an weiblicher Pflicht/
Den mehr als Lucrecischen Leib
Des Josephs begwältigen nicht/
Wie starck sie auch ihne bestritten
Mit strengen Anhalten/ und Bitten/ 6
Dann Joseph in Schützung der Zucht
Ein wahrer Freund Gottes verblieb':
Auff Parthisch mit löblicher Flucht 7
Die freundliche Feindin vertrieb'.
6.
Ein treulich Gott-liebende Seel
Von ihrem Vorhaben nicht weicht/
Umbstürtzet den Höllischen Bel 8
Mit Daniels Waffen gar leicht:
Gott lieben macht Zwerge zu Riesen/
Wird klärlich an David erwiesen/
Der dorten ergriffen fünff Stein
(Von Göttlichem Eyffer bewegt) 9
Mit welchen er/ ob er schon klein/
Den trutzigen Riesen 10 erlegt.
7.
Gleich wie der Eyßvogel die Bruht
[196]
Aushäcket bey grimmigster Kält'/
Auch ihme das Wasser nichts thut/ 11
Bey dem er sich immer auffhält/
Auch also den/ welcher Gott liebet/
Kein einiges Unglück betrübet/
Ist wie ein felßechtes Gestad/
An welchem das starcke Gewäll
Sich gäntzlich zerstosset/ und matt
Abweichet mit lährem Gepräll.
8.
Nichts könnte den liebenden Job 12
Von seinem Gott trennen jemal/
Obschon ihn der Satan sehr grob
Ergriffen mit allerhand Qual/
Obschon er ihm grausam gezwagen/
Die Häuser sammt Kindern erschlagen/
Kühe/ Rinder/ Schaaf/ Oren/ Camel
Auff einen Tag alles entführt/
Den gantzen Leib (ohne die Seel)
Mit hefftigsten Plagen berührt.
9.
Die Himmel-hoch steigende Flamm
Die fromme Hebræër nicht hat/ 13
Wie hoch sie auch schlagte zusamm/
Vermögen zu sündlicher That/
In Mitte der Flammen stäts haben
Gesungen die muhtige Knaben/
[197]
Hingegen hat selbiges Feur
Die böse Chaldeér verzehrt:
Die Boßheit kommt Bösen sehr theur:
14Gott schützet den/ welcher Ihn ehrt.
10.
Gleich wie das beständige Gold
Im Ofen nur köstlicher wird
So/ daß ihm die Menschen gantz hold
Nachstreben mit heisser Begierd/
Wird in dem Feur immer nur feiner/
Fürtrefflicher/ schöner/ und reiner;
Auch also nimmt zu der Gerecht'
In seinem hochschätzbaren Wehrt/
Je mehr ihm durch scharffes Gefecht
Der Satan zu schaden begehrt.
11.
Wie wurd' Eleazarus nicht 15
Zu sündigen nöhtlich geträngt/
Und wider die Jüdische Pflicht
Zu handlen an hefftig gestrengt;
Doch könnte das Wüten der Heyden
Von seinem Gott ihne nicht scheiden/
Kein Marter/ wie schrecklich auch sie/
Abschrecken ihne könnt' von Gott/
Wolt' eher auch sterben/ als je
Verlassen sein heiligs Gebott.
12.
So bald sich das Epheu der Maur
[198]
Viel-füßig gehefftet hat an/
Dasselbig noch Regen/ noch Schaur
Hinfüro absönderen kan/
Laßt eher sich völlig zerreissen/
Ja Stuck-weiß zur Erden hinschmeissen/
Als daß es freywillig abweich'/
Von welcher es wurde gesteurt/
Womit es sein' Treu/ und zugleich
Beständige Liebe betheurt.
13.
So kan auch den Liebenden nicht
Von seinem Gott sönderen ab
Noch Schrecken/ noch scharffes Gericht/
Noch schmeichlen/ noch reitzende Gaab;
Wird lieber sein köstliches Leben/
Als seinen Gott treuloß auffgeben;
Verachtet die Freuden/ so ihm
Die schnöde Glücks-Göttin fürhält/
Als eine Sach/ welche mehr schlimm/
Dann alle Trübsalen der Welt.
14.
Viel tausend bezeugten ja diß
Mit häuffig vergossenem Blut/
Indem sie der Hencker hinriß'
Zur Marter mit grimmigem Wuht; 16
Theils liessen lebendig sich schinden/
Theils an das Creutz andere binden/
Theils haben auff glüendem Rost
[199]
Die stoltze Tyrannen gespilt/
Von oben mit Göttlichen Trost
In ihrer Verfolgung erfüllt.
15.
Es hat der Satan zwar sich
Bemühet mit allem Gewalt
Durch seine Versuchungen mich
Zu stürtzen auff manche Gestalt/
Doch würd ich von keiner so hefftig
Beträngt/ und bestritten so kräfftig/ 17
Als von dem nichtswertigen Wohn
Zu werden bey denen veracht/
Bey welchen ich/ läider! mich schon
Durch Boßheit annehmlich gemacht.
16.
Ach diese gemeine Welt-Pest
Mich hatte bethöret sehr lang/
Zurucke gehalten so vest/
Daß schwärlich zu siegen der Zwang:
Ich dencke mit Seufftzen/ und Klagen:
Was werden die Menschen doch sagen?
Wann Welt-scheuh Clorinda nunmehr
Gantz Nonnisch sich halten wird ein?
Das wird ja die gröste Unehr
Mir bey den Welt-Kinderen seyn.
17.
O wie viel/ viel tausend (sag' ich)
[200]
Dem bösen Feind haben gehorcht/
Von Daphnis gesönderet sich
Krafft dieser armseligen Forcht!
Viel lieber Gott wolten mißfallen/
Als rühren den Sündern die Gallen/
Verlassen das ewige Gut/
Zu bleiben bey diesen in Huld/
Gehn also zur Höllischen Glut
Aus eigner freywilliger Schuld.
18.
Diß ware der Gordische 18 Knopff/
Womit ich viel Zeiten verzehrt/
Indeme mein närrischer Kopff
Stäts wolte nur werden geehrt;
Als aber ich meine Gedancken
Gezwungen in engere Schrancken/
Betrachtend/ daß aller Welt-Gunst
Als Schatten/ vergänglicher sey/
Und wie ein auffsteigender Dunst
Im Augenblick schleiche vorbey.
19.
Als hab' ich mit starckem Entschluß
Den blöden Forcht-Teuffel veracht/
Hingegen durch Menschen-Verdruß
Mir Daphnis zum Freunde gemacht/
Als der sich ein pfleget zu stellen
Getreuer/ als jene Gesellen/
[201]
Die Freunde bey lachendem Glück/
Bey rasendem keine mehr seynd/
Sich diebisch dann ziehen zurück/ 19
Verlassen den seuffzenden Freund.
20.
Gott aber in äusserster Noht 20
Ein treuer Freund bleibet allein/
Drumb will ich im Leben und Tod
Mit ihme vereiniget seyn:
Und ob es mit seinen Feld-Heeren
Gradivus 21 auch wolte verwehren/
So muß er mit seinem Gewalt
Doch endlich abweichen mit Spott;
Dann wer mich von Daphnis abhalt/
Wird müssen seyn stärcker/ als Gott.

Fußnoten

1 Quàm magna multitudo dulcedinis tuæ. Psal. 30. v. 28.

2 Höll-Gespenst.

3 Si consistant adversum me castra, non timebit cor meum Psal. 26, v. 3.

4 Gen. 7.

5 Gen. 8.

6 Gen. 39.

7 Die Parthier pflegten mit Fliehen zu siegen.

8 Ein Heydnischer Abgott. Dan. 14.

9 1. Reg. 17.

10 Goliath.

11 Non contristabit justum, quicquid acciderit ei. Prov. 12. v. 21.

12 Iob. 1. & 2.

13 Effundebatar flamma super fornacem quadraginta novem, cubitis. Dan. 3. v. 47.

14 Quicunque glorificaverit me, glorificabo eum. 2. Reg. 2. v. 30.

15 2. Math. 6.

16 So viel 1000. Blut-Zeugen Christi.

17 Menschlicher Respect/ welcher die meiste Sünder von der Bekehrung abhaltet.

18 Ein sehr verwirrter Knopff/ welchen Alexander mit dem Schwerdt auffgelößt.

19 Vnusquisque se à proximo suo custodiat, & in omni fratre suo non habeat fiduciam, etc. Isa. 9. v. 4.

20 Pater meus, & mater mea dereliquerunt me, Dominus autem assumpsit me. Psal. 26. v. 10.

21 Der Kriegs-Gott. Poët.

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TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden anderer Theil. [So bald der heiß-hungrige Bär]. [So bald der heiß-hungrige Bär]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB46-1