[99] [103]1. Der Himmlische Daphnis Christus nimmt die büssende Seel Clorinda wiederum zu Gnaden an/ und bezeugt/ wie hoch Er die bereute/ obschon gröste/Sünder liebe
Nolo mortem impii, sed ut convertatur, & vivat.
Ezech. 33. v. 11.
Ich will nicht den Tod des Sünders/ sondern daß er sich bekehre/ und lebe.
1.
Wie können jemal rechtgläubige Sünder
Zur Hoffnung sincken lassen ihren Muht/
Da ich des ewigen Lebens Erfinder
Sie doch erlöset hab' mit meinem Blut?
Hab' ich sie dann jemahl auff dieser Welt
Mit rauhen Worten hundisch angebellt?
2.
Ich hab' ja ihnen vor allen erwiesen
Ein' mehr/ als vätterliche Freundlichkeit/
Sie gar zu Kinder/ und Erben erkisen/
Als die mir angenehm insonderheit;
Warumb verzagest du/ ô Sünder/ dann/
Als wär' ich grausamer/ als ein Tyrann?
[103] 3.
Bin ich die Göttliche Güte nicht selber?
Ist meine Wesenheit dann nicht die Lieb?
Bin ich vor Grimmen dann bleicher und gelber
Als Schinis der verruchte Lebens-Dieb?
Ach nein/ ach nein/ ich bin derselbig nicht/
Der seinen Feinden gleich den Halß zerbricht.
4.
Ist auch ein eintziger Sünder zu finden/
Dem zu verzeihen ich mich je beschwert?
Hab ich jemalen gelassen dahinden
Ein Schäflein/ welches meiner Hülff begehrt?
Was für ein Schäffer ist/ der zornig werd'/
Wann sein verlohrnes Schäflein kehrt zur Herd?
5.
6.
[104] 7.
8.
Gleichwie der Schatten urplitzlich muß weichen/
So bald die helle Morgenröht erwacht/
Und wie die liebliche Zephyr-Wind streichen
So bald der Winter sich von hinnen macht/
Auch also eilends wird mein Zorn zerstreut/
So bald der Sünder nur die Sünd bereut.
9.
10.
Ein Feur/ wie sehr es auch tobet/ und brennet/
Von vielem Wasser endlich wird gedemmt/
Wer meine Flammen mit Thränen berennet/
In kurtzer Zeit dieselbe stillt/ und hemmt:
Ein einigs Tröpfflein durch gepreßter Reu
Stillt mir den Zorn und macht die Liebe neu.
[105] 11.
12.
Ein' treue Mutter ihr Kindlein nicht hasset/
Ob es ihr schon gebracht sehr grosse Qual/
An statt des Zörnens es lieblich umbfasset/
Gedenckt vor Lieb der schmertzen nicht einmal/
Hat mehr Mitleyden mit dem armen Kind/
Als daß sie solches unbarmhertzig schind'.
13.
14.
Hat auch ein' Mutter jemahlen gebohren
Die Kinder schmertzlicher/ als eben Ich?
Indem ich nemlich darüber verlohren
Mein theures Blut/ und Leben williglich?
Und sollt ich jetzund aller wild/ und thumm
So theur-erworbne Kinder bringen umm?
[106] 15.
16.
Ich bin ja dieser mitleydende Vatter/
Der den Bereuten solche Lieb erzeigt/
Laß' ihnen offen den Zuversichts-Gatter/
Zur Sünd-Vergebung überaus geneigt/
Wer seufzend nur: Ich hab gesündigt spricht/
Hat sich vor meinem Zorn zu förchten nicht.
17.
Wann schwartz der zornige Himmel bewettert
Mit grossem Krachen seine Plitze wetzt/
Er nur die harte Vorwürffe zerschmettert/
Was weich/ und lind ist/ bleibet unverletzt.
Der Degen in der Scheiden wird verzehrt/
Die Scheid hingegen bleibet unversehrt.
18.
Auch also werden die Sünder nicht fühlen
Meines geflammten Zornes Wetterstreich/
Die meine Plitze mit Thränen abkühlen/
Und haben eine Seel von Reu gantz weich:
Was soll das Schwerdt in des erzörnten Hand/
Wo weder Feinde mehr/ noch Widerstand?
[107] 19.
Bespiegelt euch nur an meiner Clorinden/
Die mich beläidigt mehr als jemand hat
Doch nach begangnen unzahlbaren Sünden
Bereuet endlich ihre Missethat:
Darumb sie lieber mir/ als alle die/
So mich auff solche Weiß beläidigt nie.
20.
Dann ob sie schon mich zum höchsten betrübet/
Mit ihrer lasterhafften Uppigkeit/
Anjetzo dannoch so inniglich liebet/
Daß sie zu sterben auch für mich bereit;
Hätt' sie beläidigt mich niemal so schwär/
Zu solcher Lieb sie niemal kommen wär'.