[229] [233]2. Clorinda/ nunmehr in dem Stand der Liebe Gottes/erzehlet unter einem verblümten Verstand/ wie sie von dem Wein der Liebe Gottes wunderlicher Weise truncken worden

Introduxit me in Cellam vinariam, ordinavit in me charitatem.

Cant. 2. v. 4.


Er hat mich in den Wein-Keller geführt/ und die Liebe hat Er in mir geordnet.


1.
Ist niemand allhier
Verlassenen mir
Hilffreiche Hand zu reichen?
Ach lasset euch doch/
Ihr Wanders-Leut/ noch
Durch mein Geschrey erweichen!
Seht: wie ich so blöd/
Ohnmächtig/ und öd/
Mich selbst nicht mehr mag tragen:
Ich watte daher
So langsam/ und schwär/
Wie des Bootes Wagen. 1
2.
Vergessen der Zeit/
[233]
Von Hause so weit/
Muß ich mich hier benachten:
Darff heute nicht mehr/
Verspahtet so sehr/
Nach meiner Herberg trachten;
Zu diesem hab ich
Zu förchten auch mich
Vor streiffenden Gewilden
So/ daß ich mir muß/
Gantz übel zu Fuß/
Ein strenge Nacht einbilden.
3.
Besonders weil auch
Ich wider den Brauch
Darzu noch bin gantz truncken/
Zur Erden offt hin/
Wie leicht ich auch bin/
Vor Blödigkeit gesuncken:
Des süssen Weins voll
Bin worden so toll/
So sinnloß/ und verwirret/
Daß ohne Hilff ich/
Muß lägern da mich/
Nachdem ich weit verirret.
4.
Ich gienge heut früh'/
Voll sorglicher Müh'/
In Wald hinaus spatzieren/
An heimlichen Ort
[234]
Vertraulich alldort
Die Seuffzer auszuführen;
Bin kommen in Streit
Mit Echo so weit/
Daß ich mich gantz verlohren/
Indem ich bethört
Ihr Klagen gehört
Mit unverwendten Ohren.
5.
Und als sich der Tag/
Auff sinckender Wag
Nun allbereit befunden/
Da wurde ich/ satt
Des Klagens/ gantz matt/
Verletzt mit neuen Wunden;
Wolt' also mich aus
Der Dryaden Hauß/ 2
Zu mir selbst kommend/ würcken;
Hab' aber mich sehr/
Je länger je mehr/
Vertieffet in die Bürcken.
6.
Ich sahe mich umb/
Vor Unmuht sehr thumb/
Gleich den entwegten Botten;
Und kame gar bald/
Noch mitten im Wald/
Zu einer Wasser-Grotten;
[235]
Zu welcher ich schnell/
Von silberner Quell
Gereitzet/ hingegangen/
Mein durstiges Hertz/
So glüend/ wie Aertz/
Zu kühlen nach Verlangen.
7.
Und als ich nun mir
Mit Adams Geschirr
Zu trincken wolte schöpffen/
Da zoge zum Glück
Mich sachte 3 zurück
Ein Hirt bey meinen Zöpffen/
Und sagte; Ach nein:
Clorinda/ halt' ein/
Diß ist ein schädlichs Wasser/ 4
So eben jetzt hat
Mit seinem Unraht
Vergifft der Menschen-Hasser.
8.
Bey solchem Zustand
Mich hefftig befand'
Entrüstet/ und bestürtzet;
In meinem Entschluß
Wie Procrys im Schuß
Des Cephalus, verkürtzet; 5
[236]
Ich ware gar nach/
Als dieses ich sah'/
In grosser Angst ersticket/
Wann Daphnis mich nicht
Mit seinem Gesicht/
So ich erkennt'/ erquicket.
9.
Ich seuffzte/ und sprach'/
Ach Daphnis ach! Ach!
Mein Hoffnung/ und mein Leben!
Vor Schrecken/ und Freud
In diesem Gestäud
Muß ich den Geist auffgeben:
Er sprache/ Clorind'/
Dich rühig befind'/
Bey mir wirst du nicht sterben!
Das Leben vielmehr/
Und sondere Ehr
Von Daphnis heut erwerben.
10.
Da führte mich Er
Von dannen nicht fehr
In einen schönen Keller/
Und reichte dort mir
Ein göldnes Geschirr
Mit rohten Muscateller/
Mit sprechen: nehm' hin/
Lieb-durstige Binn/
[237]
Ein wenig dich zu laben/
Von diesem Getranck/
Wie sehr du auch kranck/
Wirst du Erquickung haben.
11.
Ich nahme es zart/
Nach höfflicher Art/
An meinen Mund zu setzen/
Die Lippen nur kaum
An jäsendem Schaum
Des rohten Saffts zu netzen:
Er sagte: der Wein/
Clorinda/ ist dein/
Du must ihn nicht verschmähen/
Du kanst dich gar nicht/
Wie etwann geschicht/
Der Hitze halb vergähen.
12.
Ich setze ihn an/
Hab eben gethan
Wie er es mir befohlen/
Und trinckte nach Lust
Der hitzigen Brust
(Bekenn es unverholen)
Es schleichte der Wein
So lieblich mir ein/
Daß ich nicht könnt' ablassen/
[238]
Biß nichtes schier gar
Darinnen mehr war'
Von dem sattlosen Nassen.
13.
Es hatte der Safft
So treffliche Krafft/
Daß ich gantz wurd erfrischet:
So lieblich war' er/
Als wann er gantz wär'
Mit Hyblen-Safft vermischet: 6
Vor diesem Getranck
Muß unter den Banck
Der edle Bacharacher/
Den jedermann nennt/
Der ihne nur kennt/
Den Lust- und Freuden-Macher.
14.
Desgleichen am Rhein/
Etsch/ 7Mosel/ und Meyn/
Niemalen ist zu finden:
Des Neckers Geschmack/
Verkrochen in Sack/
Muß bleiben weit dahinden:
Es weicht ihm auch weit/
Der sonsten die Leut
Bald singen macht/ und pfeiffen/
[239]
Den man erst einführt/
Wann alles gefrührt/
Und gut wird von dem Reiffen. 8
15.
Vernatscher/ Veldtlin-
Leutacher/Tromin-
Veldkirch- und Luethenberger/
Die sonsten nicht schlimm/
Seynd Wasser vor ihm/
Zu schätzen/ ja noch ärger:
Der Frantz-Wein so gar
Und Spannische Wahr
Ihm nicht seynd zu vergleichen:
Was gutes Engadd,
Und Candia hat/
Vor diesem müssen weichen.
16.
Der Malvasier auch
Ist saiger/ und rauch/
Safftloß der von Lagotten/ 9
So sinnlichen Wein
Hat Bacchus nicht ein-
Geführt aus seinen Trotten: 10
Auch Ganimed, satt
Des Götter-Weins/ hat
Desgleichen nicht verkostet/
Aus Perlen auch nie
So köstliche Brühe
Cleopatra gemostet.
[240] 17.
Er ware so gut
Zu machen den Muht/
Daß ich stracks räuschig wurde
So/ daß mir nunmehr
Ist worden zu schwer
Mein träge Leibes-Burde:
Worauff ich dann bin
Gesuncken dahin
Krafft-los vor Liebs-Ohnmachten:
Auffschreyend offt laut
Mit Himmlischer Braut:
Ich muß vor Lieb verschmachten.
18.
Als gegender Nacht
Ich endlich erwacht/
Und mich allein befunden/
Da ware mein Hertz/
(O liebreicher Schmertz!)
Verletzt mit Liebes-Wunden:
Ich machte mich auff
Mit Hirschischem Lauff/
Dem Daphnis nachzujagen:
Ach aber kein Haar
Zu sehen mehr war'/
Die Lufft hat ihn vertragen.
19.
Was solt'/ ich danun
[241]
Verlassene thun?
Wohin mich arme wenden?
All Hoffnung/ und Raht
Verlassen mich hat
An so hülfflosen Enden;
Ich nahme die Räiß
Durch manchen Umbkräiß/
Biß ich hieher gehuncken:
Nun lig' ich allhier
Ohn' alle Sinn schier
Von Liebe Gottes truncken.
20.
Ist niemand zu Land
Mir armen die Hand
Und treue Hülff zu reichen?
Ach lasset euch doch/
Ihr Wanders-Leut/ noch
Erbetten/ und erweichen!
Ach lasset mich nicht/
Wie öffter geschicht/
Auff offner Straß verderben!
Ich werde euch schon
Von Daphnis den Lohn
Der treuen Hülff erwerben.

Fußnoten

1 Ein langsames Gestirn am Himmel.

2 Aus dem Wald/ dann die Dryades seynd Wald-Göttinen.

3 Gelind.

4 Brunn der Wollust.

5 Cephalus hat sein Weib Procrys unwissend erschossen.

6 Honig. Hybla ist ein Berg/ auff welchem der beste Honig gesammlet wird.

7 Ein Wasser/ fleußt im Etschland.

8 Neiffwein.

9 Lagotter-Wein.

10 Torcklen.

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TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden dritter Theil. [Ist niemand allhier]. [Ist niemand allhier]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB6B-F