[288] [292]7. Clorinda erfreuet sich/ und frolocket sehr/ daß der Himmlische Bräutigamm ihr so trostreich zu Hertzen redet

En Dilectus meus loquitur mihi: Surge, Propera, amica mea, columba mea, formosa mea, & veni.

Cant. 2. v. 10.


Sehe/ mein Geliebter spricht zu mir: Steh' auff/ meine Freundin/ und mache dich auff herzu/ meine Daub/ meine Schöne/ und komme her.


1.
Was kan doch auff Erden
Geliebet mehr werden/
Als süsses Gesang?
Was treibet von Hertzen
Behender die Schmertzen/
Als lieblicher Klang?
Die Music allein
Die Thränen abwischet/
Die Hertzen erfrischet/
Wann sonst nichts hülfflich will seyn.
2.
Die Music vertreibet/
Vertilget/ verschreibet
[292]
Nach Thule 1 das Läid/
Macht Hinckende springen/
Verzagende singen
Vor hertzlicher Freud:
Sie treibet die Feind'
Den Frieden zu schliessen
So/ daß sie offt müssen
Gezwungen/ werden gut Freund. 2
3.
Mit klingender Harffen
Hat David den scharffen
Sauls-Grimmen gestillt 3
So/ daß er/ offt wütig/
Gleich worden gantz gütig/
Wann David gespilt:
Woferren nicht dort
Die fromme Propheten
Gesungen schön hätten/
Hätt' er sie alle ermordt. 4
4.
Die Music den Krancken
Macht ringe Gedancken/
Vertreibet das Gifft: 5
Offt haben die Säiten
In schwären Kranckheiten
[293]
Viel gutes gestifft:
Der liebliche Thon
Die Immlein bethöret/
Daß/ wann sie empöret/ 6
Nicht können fliegen darvon.
5.
Die Löwen/ und Bären
Sich Freunde erklären
Bey klingendem Spiel/
Ja wer sie will fangen/
Kan leichtlich erlangen
Durch Music sein Ziel:
Die grimmige Thier
Hat Orpheûs 7 gedemmet
Gezogen/ gehemmet
So/ daß zahm worden sie schier.
6.
Es hatte dort einer/
Dem gleich vielleicht keiner/
Des Heinrichs Gemüht/
(Als welcher bey Frommen
Den Namen bekommen
Von freundlicher Güt') 8
Durch künstlichen Klang
Zu tödtlichen Schlägen
Gar können bewegen/
Den sonst kein Eyfer bezwang'.
[294] 7.
Als krancken Leibs wegen
Franciscus gelegen
In schmertzlicher Qual/
Der Music begehrte/
Ihn niemand gewehrte
Der Bitte damal; 9
Durch eintzigen Strich
Der himmlischen Säiten/
Loß aller Schwachheiten
Gleich in Verzuckung hinwich'.
8.
Was pranget/ ach! aber
Der Music-Liebhaber
Mit eitelem Thon?
So bald er auffhöret/
Ist alles verkehret
In Traurigkeit schon:
Ein eintziges Wort
Aus Daphnischer Kehlen
Von ängstigen Seelen
Treibt alle Kümmernuß fort.
9.
Wann Daphnis sagt: komme
Mein' schöne/ und fromme 10
Hertz-Freundin zu mir/
[295]
Der Winter geschlichen/
Der Regen gewichen
Ist völlig von hier: 11
Was könnte doch seyn
Erwünschter zu hören:
Von Englischen Chören/
Als solche Wörter allein.
10.
O Music/ vor allen
Anmühtigen Hallen
Sehr lieblich/ und schön!
All Harffen/ und Geigen
Still müssen ja schweigen
Vor diesem Gethön;
Arion 12 selbst muß
Die Zitter ablegen/
Darff keine Hand regen/
Sein Spiel ist lauter Verdruß.
11.
Als Assuër dorten
Mit freundlichen Worten
Die Esther gegrüßt/ 13
Da hat er ihr liebes/
Von Kümmernuß trübes/
Hertz völlig ersüßt:
Amphion 14 nicht hätt'
[296]
Mit lieblichem Zicken
Sie können erquicken/
Wie Assuër, da er geredt.
12.
Hat Assuërs Zungen
Der Esther durchdrungen
So lieblich das Hertz/
Und ihre Trangsalen
Sammt allen den Qualen
Verkehret in Schertz?
Wie meynst du/ wird nicht
Mich Daphnis erquicken/
Mit lieblichen Blicken/
Wann er mir freundlich zuspricht?
13.
Als Phœbus 15 auffspilte/
Mit Wunder erfüllte
Der Driaden Reich/ 16
Ist Athis 17 vermessen
Dort nidergesessen
Zu singen ihm gleich;
Sie aber hat bald/
Die Frechheit zu büssen/
Vor Lieblichkeit müssen
Den Geist auffgeben im Wald.
14.
O Daphnis, dein Reden
Mir Schwachen/ und Blöden
[297]
Durchdringet das Marck/
So häuffige Freuden
Mir länger zu leyden/
Will werden zu starck!
Unfehlbar werd ich
Vor Süßigkeit müssen
Mein Leben beschliessen/
Wirst du nicht stärcken bald mich.
15.
Vor diesem sein' Feindin:
Sein' Daube/ sein' Freundin 18
Mich Daphnis jetzt nennt/
Ja auch so gar seiner/
Nicht schlecht -und gemeiner
Liebwürdig erkennt;
Er ladet mich eyn
Ohn alles Verweilen
Zu ihme zu eylen/
Was mag die Ursach doch seyn? 19
16.
Man könnte der Sachen
Die Rechnung bald machen
Was Er darmit meint:
Die/ welche den Willen
Des Daphnis erfüllen
Seynd ihme befreundt: 20
Er wollte/ daß ich
Die Sünde sollt' hassen/
[298]
Die Wollust verlassen/
Und ihm' ergeben gantz mich.
17.
Die Dauben in Ritzen
Der Felsen gern sitzen/
Zu ruhen alldort/
Ich hab' mich auch eben
Mit ihnen begeben
Zum sichersten Ort/
Indem ich/ verspehrt
In Daphnis halb-runden
Blut-trieffenden Wunden
Die Zeit mit Seufftzen verzehrt.
18.
Der/ welcher vertreulich
Von dem/ was bereulich/
Zu Daphnis sich kehrt/
Von seinem Trost-reichen
Mund eben dergleichen
Wort alsobald hört:
Komm/ Freundin/ mein Daub'
Zu deiner Belohnung
Die stäte Beywohnung
Bey mir dir ewig erlaub'.
19.
Ihr Harffen erstummet/
Ihr Zincken erkrummet
Vor diesem Gethön;
[299]
Dein Singen ist heulen/
Geh' singe den Eulen/
Kunstreiche Camœn? 21
Auch Orpheûs mich nicht/
Wie künstlich er krätzet/
Wie Daphnis ergetzet/
Wann Er mir lieblich zuspricht.
20.
So will ich dann fliehen/
Der Welt mich entziehen/
Und bleiben allein;
Von allem Getümmel
Und Menschen-Gewimmel
Entferret zu seyn/
Auff daß ich die Stimm
Des Herren mög' hören/
Und ohne Verstören
Mich könn' ergetzen mit ihm.

Fußnoten

1 Eine nächtliche unlustige Landschafft an der Welt End.

2 Der Bischoff/ und Hauptmann zu Assis haben Krafft eines Gesangs/ den Frieden geschlossen.Chron. FF. Min. part. 1 lib. 1. c. 93.

3 1. Reg. 16. v. 23.

4 1. Reg. 19 v. 22, 23, 24.

5 Die von dem Tarantula gestochen werden/ können nicht/ als durch Music geheylet werden. Alex, Genial, dierum l. 2. c. 17.

6 Wann sie schwärmen.

7 Ein Lautenschläger.

8 Henrici cognomento Boni. Mendoza Viridar. l. 6. orat. 9. n. 127.

9 Von Assis.

10 Chron. FF. Min. p. 1. l. 2. c. 62. Amica mea, formosa mea. Cant. 2. v. 10.

11 Iam hyems transiit, imber abiit. v. 11.

12 Ein Zitterschläger. Poët.

13 Ego sum frater tuus, noli metuere. Esther 15. v. 12.

14 Ein fürtrefflicher Harffenist.

15 Erfinder der Music.

16 Den Wald.

17 Philomela, oder Nachtigall. Poët.

18 Amica mea, columba mea.

19 Veni propera.

20 Vas amici mei estis, si feceritis, etc. Ioan. 15. v. 14.

21 Musa, oder Kunst-Göttin. Poët.

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TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden dritter Theil. [Was kan doch auff Erden]. [Was kan doch auff Erden]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB89-B