[81] [243]Aus: Fünfzig christliche Lieder

1771.

Vorrede

Die gegenwärtige Liedersammlung besteht theils aus schon bekanntgemachten, nun aber nach meiner itzigen Einsicht und Empfindung durchaus verbesserten, theils aus einer beträchtlichen Anzahl von ganz neuen Liedern. [243] Ich glaube und hoffe nun zwar (und ich flehe Gott gewiß oft dafür an), daß diese geringe Arbeit nicht ganz fruchtlos, sondern an mancher christlichen Seele geseegnet seyn werde; und in dieser Absicht kann bey der Herausgebung derselben mein Gewissen ruhig, zufrieden und vor Gott vergnügt seyn. Allein, ich kann es auch nicht deutlich genug sagen, wie sehr unvollkommen ich dennoch diese Lieder größtentheils finde, wie sehr ich mir so oft die Nachsicht insonderheit der feinern Kenner auszubitten Ursache sehe. Ich habe manche davon verschiedene Male umgegossen und doch nicht ganz damit zufrieden seyn können. Was ich hier mit Aufrichtigkeit sage, werde ich mir bey jedem besondern Tadel von jedem denkenden Beurtheiler gerne sagen lassen und es mit dem aufrichtigsten Dank annehmen. Ein christliches Lied, welches gemeinnützig seyn soll, setzt wahrlich sehr viel voraus, das ich mir nicht zueignen darf, gewiß noch mehr als Klopstocks Schwung oder, wenn ich es sagen dürfte, seinen Triumphton, noch mehr als Gellerts Deutlichkeit, Einfalt und moralische Empfindsamkeit und Cramers Kühnheit und Fleiß: – Erleuchtung, eigne Empfindung, Erfahrung, Schriftkenntniß, tiefe, richtige, feine Schriftkenntniß und himmlische Salbung, der durchaus souverainen Herrschaft über die Sprache nicht zu gedenken.

Nur als einen sehr schwachen Beytrag, nur als ein Schärflein zur Erbauung bitte ich also diese kleine Sammlung anzusehen und ganz und gar nicht als etwas in irgend einer Absicht Vollständiges.

Ich werde mit Gottes täglich ausgebethenem Seegen fortfahren, meine bereits verfertigte, bloß handschriftliche Lieder zu verbessern und nach dem Maaße der Einsicht und Empfindung, die Gott uns schenken wird, so viel es [244] immer meine Muße zuläßt, neue zu verfertigen und, geliebt's Gott, dieser Sammlung eine zweyte von ähnlicher Größe, und wo immer möglich, von mehrerer Vollkommenheit beyzufügen trachten.

13. Die Auferstehung Jesu. Erstes Osterlied

Jesus, die erlösten Sünder,
Alle Christen danken heut,
Dir, du Todesüberwinder,
Dir, du Herr der Herrlichkeit!
Der du todt warst, lebest wieder,
Mit dir leben deine Glieder 1;
Uns, die Tod und Grab erschreckt,
Hat Gott mit dir auferweckt.
Nieder kamst du auf die Erde,
Gottes Sohn, von Gottes Thron!
Trugest jegliche Beschwerde,
Littest Schmerzen, Spott und Hohn.
Menschen haßten dich, du Beßter,
Aller Armen Hülf' und Tröster;
Dich, du Labsal jeder Noth,
Drängten sie bis in den Tod!
Willig, Herr, trug deine Seele
Mancher Leiden schwere Last,
Bis zum Tod, und in der Höhle
Lag dein müder Leib erblaßt.
Endlich frey von aller Plage,
[245]
Ruht er bis zum dritten Tage:
Da kam in das stille Grab
Gottes Herrlichkeit herab.
Und der Todte lebte wieder!
Dir sang aller Engel Chor;
Alle Thronen sanken nieder,
Herrlich giengst du, Herr, hervor!
Alle, die dein Grab beschützen,
Sinken todtblaß vor den Blitzen
Deiner neuen Majestät,
Die sich Sonnen gleich erhöht.
O, mit welchen Gottesfreuden
Stralst du aus des Grabes Nacht!
Ewigfern ist alles Leiden,
Ganz dein großes Werk vollbracht!
Liebreich eilest du, den Deinen
Im Triumphe zu erscheinen:
»Seht mich, Freunde, die ihr bebt!
Jauchzet! Euer Jesus lebt«!
Lebend, zu verschiednen Stunden,
Sahn sie, Herr, dich dort und hier;
Sie berührten deine Wunden,
Sprachen, aßen oft mit dir.
Deinen Trost und deine Lehren
Ließest du sie wieder hören;
Freudig betheten dich an,
Die dich wieder lebend sahn.
Ja! Du lebst, o Jesus, wieder,
Hallelujah! ewiglich!
Mehr als fünfmalhundert Brüder
Sahn mit ihren Augen dich;
Leiblich redtest du mit ihnen,
[246]
Bist dem Paulus selbst erschienen;
Dein und deiner Freunde Feind
Sahe dich, und war dein Freund.
Jesus! deines Lebens Zeugen
Sagen laut: »Er lebt!« der Welt:
Ihm soll jedes Knie sich beugen:
Er ist's, der Gericht einst hält!
Rufen laut in Schmerz und Banden:
Jesus ist vom Tod erstanden!
Sie, die lebend dich gesehn,
Hießen Todte auferstehn!
Sünder mit Gott zu versöhnen,
Kamst du auf die Welt herab.
Starbst; o fließet Freudenthränen!
Standest auf aus deinem Grab!
Jesus, dankt versöhnte Sünder,
Ist des Todes Überwinder;
Heil ist seiner Leiden Lohn;
Jesus ist des Höchsten Sohn!
Jesus ist von Gott gekommen,
Der bey Gott im Anfang war.
Bebt ihr Sünder, jauchzt ihr Frommen;
Alles, was er sagt, ist wahr!
Alles, alles wird geschehen:
Himmel werden eh vorgehen,
Eh Ein Wort von Jesus Christ
Nicht mehr wahr und göttlich ist.
Jesus lebt! Wer an ihn gläubet,
Ob er stürbe, stirbet nicht.
Keiner, der ihm treu verbleibet,
Keiner kömmt in sein Gericht.
Wer hier starb, wird auferstehen,
Wird unsterblich Jesum sehen;
Freudig, wer sich dir ergiebt!
Zitternd, wer dich hier nicht liebt!
[247]
Ewig seyst du angebethet,
Gott, der unser Vater ist:
Du hast uns vom Tod errettet,
Uns gesendet Jesum Christ;
Uns durch Jesum neugeboren 2;
Ewig wären wir verloren,
Hätt' er nicht vom Thron herab
Sich versenkt in Tod und Grab.
Wär' Er nicht vom Tod erstanden,
Würden wir nicht auferstehn:
Aber, nun er ist erstanden,
Werden wir auch auferstehn!
Unser Leib soll von Beschwerden
Frey, dem seinen ähnlich, werden 3;
Himmlisch, herrlich, lauter Licht 4
Stehn vor deinem Angesicht.
Hallelujah! Unser Leben 5,
Gott der Menschen, Jesus Christ!
Unser Herz sey dir ergeben,
Der du auferstanden bist!
[248]
Frey und rein von allen Sünden
Laß uns, daß du lebst, empfinden. 6
Tief im Staube singen wir
Dank und Hallelujah Dir!

Fußnoten

1 Anmerkung Lavaters: »Deine Glieder: Alle Gläubigen, die mit dir eben so genau vereinigt sind, wie Glieder Eines Leibs.«

2 Anmerkung Lavaters: »Uns durch Jesum neugeboren: Eben wie der Mensch durch die Geburt ins irdische Leben tritt, so werden wir durch Jesum tüchtig gemacht, ins unsterbliche Leben überzutreten ...«

3 Anmerkung Lavaters: »Unser Leib soll dem Leib Christi gleichförmig werden: Phil. III, 21«.

4 Anmerkung Lavaters: »Himmlisch, herrlich, lauter Licht: Wie wir das Bildniß des irdischen Menschen getragen haben, so werden wir auch das Bildniß des himmlischen tragen. – Die Gerechten werden leuchten wie die Sonne. I. Cor. XV, 49; Matth. XIII, 43«.

5 Anmerkung Lavaters: »Unser Leben: Christus unser Leben, ist ein paulinischer Ausdruck, der zeigt, wie genau unser Leben mit dem Leben Christi verbunden sey.«

6 Anmerkung Lavaters: »Laß uns, daß du lebst, empfinden: Erzeige uns solche Gnaden, die uns keinen Augenblick zweifeln lassen, daß du, für unser Heil besorgt, im Himmel lebst«.

24. Die Kraft des Glaubens und des Gebethes

Nachstehendes Lied darf ja nicht bloß etwa als eine poetische Beschreibung von der Kraft des Glaubens und des Gebethes angesehen werden. Es soll nichts anders sagen, und sagt anders nichts, als was die Schrift selber sagt. Man bittet also alle wahrheitliebende Leser, dasselbe genau und allein nach der Schrift zu prüfen. Und damit es auch den Einfältigen desto leichter werde, diese Prüfung vorzunehmen, so findet man gut, die wesentlichen Gedanken, welche darinn enthalten sind, hier absonderlich und in der gemeinen Kanzelsprache ohne Reimen vorzulegen:

»Der Verfall des Christenthums ist sehr groß. Christen, an denen sich das Siegel des H[eiligen] Geistes auf diejenige Weise zeigt, wie an den ersten Christen, die ihren Glauben in übernatürlichen göttlichen Werken beweisen, Satan, sich und die Welt überwinden, nach dem Beyspiel Jesu unsträflich leben und für ganze Länder und Völker in den Riß stehen, sind dem Verfasser keine bekannt. Der ächte alte Glaube ist einem verdorrten Baume gleich.«

Zwar jeder meynt den rechten Glauben zu haben; aber seine Kraft kommt nicht zum Vorschein. Glauben ist Annehmung des göttlichen Zeugnisses. Glücklich ist, wer Gottes und seiner Gesandten Zeugniß an nimmt. Es ist Weisheit, seine Einsichten den Einsichten Gottes, seinen Willen dem Willen Gottes zu unterwerfen, Weisheit, allenthalben um sich her Glückseeligkeit zu verbreiten [249] und in allen Widerwärtigkeiten zu empfinden, daß Gott väterliche Gesinnungen gegen uns hat. Diese Weisheit ist der Gläubigen.

Alles darf der fromme Gläubige von Gott hoffen, wenn Gott selbst zweifelloses Zutrauen in seinem Herzen wirkt.

Durch den Glauben überwanden die Glaubenshelden Spott und Schmerz: sie litten alles um der Auferstehung und des ewigen Lebens willen. Durch den Glauben verrichteten sie die größten Wunderwerke: dem Glauben ist nichts zu schwer.

»Wahrlich, wahrlich, ich sage euch«, versichert Christus, »wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben. Er wird die Werke auch thun, die ich thue, und wird größere denn diese thun«.

Tief mögte der Verfasser es allen seinen Lesern einprägen, was Christus so klar und deutlich gesagt hat: »Alle Dinge sind dem, der da glaubet, möglich«. Es ist nur Ein Glaube. Wer den hat, der wird, nach Maßgab seiner Umstände und Bedürfnisse, denselben wie jene Glaubenshelden, deren Hebr. XI. gedacht wird, beweisen können. Bey Gott gilt kein Ansehen der Person. (Luther sagte:) »Glaube wie Abraham, so bist du Abraham«!

Ewig sicher vor der Verdammniß, Theilhaber an den göttlichen Verheißungen, Freunde Gottes, Väter, deren Söhne geseegnet seyn werden, Seher der Herrlichkeit Christi, vermögend durch den Heiligen Geist zu bethen und die Sünde zu überwinden, sind wie Abraham alle, die in die Fußtapfen seines Glaubens eintreten. Vor Gott ist kein Unterschied. »Ein jeder, der an ihn glaubt, wird [250] nicht zuschanden werden; denn es ist hie zwischen Juden und Heyden kein Unterschied, sintemal ihr aller ein einiger Herr ist, reich genug für alle, die ihn anrufen«. Wer die Wahrheit und Gottes Wort liebt, wird sehen müssen, daß kein Unterschied der Nationen oder der Zeiten bey Gott in Betrachtung kommt; daß der Glaube aller Zeiten und Völker im Grunde Einer und eben derselbe ist und dieselben Vortheile und Belohnungen zu erwarten hat. Also darf jeder sich die Worte Christi gesagt seyn lassen. »Bittet, so werdet ihr empfangen; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan werden«. So lang ich also mit Glauben und nach den Trieben des Heiligen Geistes und nach dem geoffenbarten Willen Gottes bethe, darf ich in keiner Noth verzagen. An Gottes Wort will ich mich halten, die Welt meiner lachen lassen, fortbethen und fortglauben, redlich im Kleinen seyn: »Wer da hat, dem wird gegeben werden;« »wer Gott ehrt, den wird er auch ehren«; »sollte Gott seinen Auserwählten nicht Rettung schaffen, die Tag und Nacht zu ihm schreyen«? Lang mußte Jacob im Gebeth ringen, bis Gott ihn »Israel« nannte. Also will ich nicht müde werden im Gebethe: »Herr, mehre mir den Glauben«!


Ach, wie tief bist du gefallen,
Volk des Herrn; erwählt, vor allen
Seine Wunder auszukünden!
Sag, wo kann ich Christen finden?
Flög' ich über Thal und Hügel,
Wo fänd' ich des Geistes Siegel;
Wo des alten Glaubens Kraft,
Der mit Gott zerstört und schafft?
[251]
Weh uns! Denn ich finde keinen
Glaubenshelden; ach, nicht Einen 1,
Der durch jeden Zweifel dringet,
Satan, sich und Welt bezwinget;
Keinen, der unsträflich wandelt;
Keinen, der wie Jesus handelt;
Dessen Glaube, deß Gebeth
Seegen einer Welt erfleht!
Ach! du Trost in trüben Stunden,
Glauben, ach! du bist verschwunden!
Fester Stab auf steilen Wegen!
Reiner Quell von Licht und Seegen!
Ehrner Schild in den Gefahren!
Großes Pfand des Unsichtbaren!
Ach, wie du verdorret bist,
Ächter Glaub' an Jesum Christ!
Zwar, es rühmt sich jeder deiner;
Aber deine Kraft hat keiner!
Über böse Zeiten klagen,
»Herr, Herr«, nur zu Jesus sagen;
Sich auf Christi Tod verlassen,
Aber Christi Tugend hassen –
Ferne, daß dies Glaube sey,
Glauben ist nicht Heucheley!
»Gottes Lehren richtig kennen,
Erst nach Prüfung göttlich nennen,
Keine söndern, stille schweigen«,
Spricht Gott, sprechen seine Zeugen.
Sich mit Leib und Seel' und Leben
Seinem Willen hinergeben,
Gehen, wo er heißt uns gehn,
Will er, plötzlich stille stehn;
[252]
Trutz der täglichen Erfahrung
Bau'n auf Gottes Offenbarung;
Alles stehn und fahren lassen,
Gott nur und sein Wort umfassen;
Wo wir nichts als Nächte schauen,
Wie bey hellem Tag ihm trauen;
Ist von Anbeginn der Welt
Glaube, der dem Herrn gefällt.
»Glaube, glaube Gottes Worte«!
Ruft die Schrift an jedem Orte.
»Glaube jedem, den ich sende«!
Ruft vom Anfang bis zum Ende
Gottes Stimme. »Glücklich leben
Soll, wer mir Gehör will geben!
Ewig gilt, was Gott verspricht:
Ich, Jehova, liege nicht«.
Weisheit ist es, Gottes Lehren
Stillanbethend anzuhören;
Mensch, in deinen Finsternissen,
Wurm am Staub, was kannst du wissen?
Aller Welten Herr und Meister,
Vater, Lehrer aller Geister!
Dir Verstand und Willen weyhn,
Sollte das nicht Weisheit seyn?
Weisheit nicht, auf alle Seiten
Licht und Leben zu verbreiten?
Im Getümmel, in der Stille
Stets zu trinken Gottes Fülle? 2
In der Welt, der Welt entrissen,
Unaussprechlich es zu wissen:
[253]
»Stühnden Welten wider mich,
Gottes, Gottes Kind bin ich«!
Alles will dem frommen Glauben
Gott von ihm zu flehn erlauben;
Beth im Glauben, Christi Jünger,
Dich bezwingt kein Weltbezwinger;
Deinem Heldenglaubensflehen
Kann kein Satan widerstehen;
Wenn die Allmacht zu dir spricht:
»Ich bin bey dir, zage nicht«!
Durch den Glauben überwanden
Helden Gottes Schmerz und Schanden:
Weg von hier in jenes Leben
Drang ihr mächtiges Bestreben:
Auferstehung! Deine Freuden
Machten zum Triumph ihr Leiden!
Glaube, o wie strömtest du
Jedem Stärke Gottes zu!
Tage kämpfen, Nächte wachen,
Tödten und lebendig machen;
Schweigen, wenn Tyrannen wüten,
Durst und Hunger weggebieten;
Sturm und Ungewitter stillen,
Sterben um der Tugend willen;
Mond und Sonne heißen stehn,
Glaube, das kannst du erflehn!
Alles lernen, alles lehren;
Wandeln auf empörten Meeren 3;
Bey den Löwen, wie bey Schaafen,
Ruhig wachen, sicher schlafen 4;
[254]
Riesen schlagen 5, Heere zwingen 6,
In den Flammen Gott lobsingen 7;
Nichts, wenn's auch noch größer wär,
Glaube, dir ist nichts zu schwer!
Wer dem Sohne glaubt auf Erden,
Soll dort ewig seelig werden 8!
Wahrlich, wahrlich, wer ihm gläubet,
Mit ihm Eins ist, in ihm bleibet,
Dem mittheilt er seine Stärke;
Der thut größre Wunderwerke,
Als, nach Gottes weisem Rath,
Christus selbst auf Erden that 9.
(Laut, wie Stimmen vieler Meere,
Ruft' ich's gern zu Gottes Ehre;
Ruf' aus meines Meisters Munde,
Ruf' noch in der letzten Stunde:
»Möglich ist dem Glauben alles 10!
Was Gott kann, das kann er alles«!
Deckt die Nacht des Todes mich,
Ruf's mein Lied noch laut, wie ich 11!)
Nur Ein Glauben ist! Nur Einer!
Der gefällt Gott, und sonst keiner!
Wer den hat, der wird erfahren,
Was der Glaubenshelden Schaaren:
Vor dem Richter aller Welten
[255]
Können keine Namen gelten:
Glaubt' ich heut, wie Abraham,
Heute wär' ich Abraham!
Ewig sicher vorm Verderben,
Göttlicher Verheißung Erben,
Freunde Gottes, Seegens-Väter,
Christi-Seher, Geistes-Bether,
Welt- und Sündenüberwinder,
Abraham, sind deine Kinder.
Jeder, der Gott glaubt, wie er,
Siehet Wunder, täglich mehr.
Jesus, das sind deine Lehren:
Dich will ich, nicht Menschen hören!
Meinen, ach, noch schwachen Glauben
Den soll mir kein Satan rauben!
Fest halt ich an deinem Worte;
Jederzeit, an jedem Orte,
Gilt dir gleicher Glaube gleich
Alles Herr; für alle reich!
Wahrheit! Laß dich sehn und finden;
Gieb dich Herzen zu empfinden,
Die nach deinem Lichte schmachten,
Alles außer dir verachten;
Wahrheit, Wahrheit! komm, zernichte
Wahn und Nacht mit deinem Lichte!
Wahrheit, du bist hell und schön:
Kindereinfalt muß dich sehn.
Wer die Schriften Gottes ehret,
Wahrheit, wird von dir gelehret;
Wir, auch wir seyn Gottes Kinder,
Gott hör unser Flehn nicht minder,
Als das Flehen der Propheten;
Wenn wir, wie sie, gläubig bethen;
[256]
Gott, er, der viertausend Jahr
Aller Frommen Vater war?
Allen Christen aller Zeiten,
Ruft der Herr der Ewigkeiten 12:
»Viel vermag das Flehn der Frommen«.
Wer zu seinem Gott will kommen,
Der muß glauben, daß er lebe,
Allen alles Gute gebe,
Was sein Wort uns klar verspricht.
Glauben muß er, zweifeln nicht!
Bitte, und du wirst empfangen!
Suche, und du wirst erlangen!
Klopfe, laß nicht nach im Klopfen:
Sollte Gott sein Ohr verstopfen
Mußt du leiden; Bethe, bethe!
Ruf mich an, spricht Gott, ich rette,
Wenn sonst niemand retten kann;
Ruf in jeder Noth mich an!
Trübsal sey mir noch so bitter:
Zehentausend Ungewitter
Mögen über uns sich sammeln;
Kann ich nur im Glauben stammeln,
Kann ich durch den Geist nur bethen,
Zag ich nicht in tiefen Nöthen;
In der tödtlichsten Gefahr
Hilft der Herr uns wunderbar.
Mögen die, die Gott nicht kennen,
Meinen Glauben Thorheit nennen;
Fleh' ich nur: »Herr, hilf dem Schwachen«!,
Wenn sie meiner Kühnheit lachen:
[257]
Halte nur, trutz alles Spottes,
Immer fest am Worte Gottes;
Achte keiner Creatur,
Fürchte mich nicht, glaube nur!
Müßt' ich gleich oft trostlos weynen;
Bäth' ich fort, wär' treu im Kleinen:
Gott wird meinen Muth erheben;
Wer da hat, dem wird gegeben!
Glaube! Laß den Muth nicht sinken;
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken!
Schau nur Gott an, und sein Wort:
Glaube redlich, bethe fort!
Fort, und laß nicht nach im Flehen;
Was du bittest, wird geschehen:
Wer Gott liebt, den will er hören;
Wer ihn ehret, wieder ehren.
Seine Auserwählten sollte
Der, der für sie sterben wollte,
Wenn sie Tag und Nächte schreyn,
Zögert er gleich, nicht erfreun?
Jacob! Ach im Nachtgebethe
Wie er rang, und weynt' und flehte,
Bis er Gottes Herz durchdrungen,
Bis er Seegen sich errungen!
Wie die müde Seele brannte,
Bis Gott »Israel« ihn nannte;
Bis mit gottgestärkter Hand
Seinen Gott er überwand!
Dieß erfahren, dieß empfinden,
Überwinden, überwinden
Will ich Gott dich! Jesus, heute
Weich ich nicht von deiner Seite.
Morgen, übermorgen wieder,
[258]
Alle Tage fall' ich nieder,
Weyn' und flehe laut zu dir:
»Mehre meinen Glauben mir«!

Fußnoten

1 Anmerkung Lavaters: »Ach! nicht Einen: Ich sage nicht: Es ist keiner; sondern nur: Ich weiß keinen zu finden«.

2 Anmerkung Lavaters: »Stets zu trinken Gottes Fülle: Ist es nicht Weisheit, in einer solchen Vereinigung mit Gott zu stehen, daß man immer Kraft und Seeligkeit in vollem Maaß aus ihm schöpfen kann?«

3 Anmerkung Lavaters: »Wie Jesus und Petrus: Matth. XIV, 23. 31«.

4 Anmerkung Lavaters: »Bey den Löwen: Wie Daniel«.

5 Anmerkung Lavaters: »Riesen schlagen: Wie David«.

6 Anmerkung Lavaters: »Heere zwingen: Hebr. XI, 34; I. Sam. XIV. 12«.

7 Anmerkung Lavaters: »Gott lobsingen: Dan. III, 26«.

8 Anmerkung Lavaters: »Joh. VI, 47«.

9 Anmerkung Lavaters: »Joh. XIV, 12«.

10 Anmerkung Lavaters: »Marc. IX, 23«.

11 Anmerkung Lavaters: »Ruf's mein Lied noch laut wie ich: Wenn ich nicht mehr auf Erden lebe, soll dieß Lied noch statt meiner die große Wahrheit ausbreiten, daß alle Dinge dem, der da glaubt, möglich sind«.

12 Anmerkung Lavaters: »Der Herr der Ewigkeiten: Der Gott aller Jahrhunderte, der, der sich durch alle Ewigkeiten als Jehovah, den treuen und wahrhaftigen Gott, beweist«.

31. Stärkung in tiefer Dunkelheit

Dieß Lied bedarf mehr, als kein anders, erläuternde Anmerkungen. Es ist für Leute, die von Gott verlassen zu seyn glauben, keines heitern Gedankens, keines Trostes fähig und überhaupt geneigt sind, jeden Ausdruck auf eine traurige Weise zu verstehen. Für diese Leute wäre freylich eine eigne besondre Liedersammlung nöthig, wodurch sie mit Gottes Hülfe zu der Überzeugung gebracht werden sollten, daß Gott ihnen, aller ihrer Sünden ungeachtet, dennoch gewogen, und sie zur Buße, zum Glauben und zur Seeligkeit zu leiten geneigt sey, u.s.w.


Fortgekämpft und fortgerungen,
Bis zum Lichte 1 durchgedrungen
Muß es, bange Seele, seyn!
Durch die tiefsten Dunkelheiten
Kann dich Jesus hinbegleiten;
Muth spricht er den Schwachen ein.
Bei der Hand will er dich fassen 2,
Scheinst du gleich von ihm verlassen;
Glaube nur, und zweifle nicht!
Bethe, kämpfe ohne Wanken 3;
[259]
Bald wirst du voll Freude danken!
Bald umgiebt dich Kraft und Licht 4!
Bald wird dir sein Antlitz funkeln 5;
Hoffe, harre! Glaub im Dunkeln!
Nie gereut ihn seiner Wahl 6!
Er will dich im Glauben üben;
Gott, die Liebe, kann nur lieben 7:
Wonne bald wird deine Quaal 8.
Weg von aller Welt die Blicke 9!
Schau nicht seitwärts, nicht zurücke;
Nur auf Gott und Ewigkeit!
Nur zu deinem Jesus wende
Aug und Herz und Sinn und Hände,
Bis er himmlisch dich erfreut.
Aus des Jammers wilden Wogen
Hat dich oft herausgezogen
Seiner Allmacht treue Hand.
Nie zu kurz ist seine Rechte;
[260]
Wo ist einer seiner Knechte,
Der bey ihm nicht Rettung fand?
Schließ dich ein in deine Kammer;
Geh und schütte deinen Jammer
Aus in Gottes Vaterherz:
Kannst du gleich ihn nicht empfinden,
Worte nicht, nicht Thränen finden,
Klage schweigend deinen Schmerz!
Kräftig ist dein tiefes Schweigen;
Gott wird sich als Vater zeigen;
Glaube nur, daß er dich hört!
Glaub, daß Jesus dich vertrittet;
Glaub, daß alles, was er bittet,
Gott, sein Vater, ihm gewährt.
Drum, so will ich nicht verzagen,
Mich vor Gottes Antlitz wagen;
Komm ich um, so komm ich um!
Doch: Ich werd ihn überwinden;
Wer ihn sucht, der wird ihn finden.
Er bringt nur die Heuchler um!

Fußnoten

1 Anmerkung Lavaters: »Bis zum Lichte: Zur Heiterkeit, zur Ruhe des Gemüths«.

2 Anmerkung Lavaters: »Bey der Hand will er dich fassen: So sicher dich zu deinem Glücke leiten, als wenn er dich persönlich (und buchstäblich) an seiner Hand führte«.

3 Anmerkung Lavaters: »Kämpfe ohne Wanken: Laß dich ja von der Sünde nicht überwinden, nicht vom Glauben an Gott abbringen«.

4 Anmerkung Lavaters: »Bald umgiebt dich Kraft und Licht: Bald wirst du gestärkt und erleuchtet werden, einzusehen, daß es Gott vollkommen gut mit dir meynt«.

5 Anmerkung Lavaters: »Bald wird dir sein Antlitz funkeln: Gottes Antlitz verbirgt sich, wenn wir seine Liebe nicht empfinden; es leuchtet oder funkelt, wenn wir von seiner Liebe lebhaft überzeugt und durchdrungen werden«.

6 Anmerkung Lavaters: »Nie gereut ihn seiner Wahl: Die Gaben und die Berufung Gottes mögen ihn nicht gereuen; nun gehörst du auch zu seinem auserwählten Volke«.

7 Anmerkung Lavaters: »Gott, die Liebe, kann nur lieben: Gott, der in der Schrift die Liebe, die vollkommenste Güte genennt wird, kann unmöglich etwas anders als deine Glückseeligkeit wollen«.

8 Anmerkung Lavaters: »Wonne bald wird deine Quaal: Deine tiefe Bangigkeit wird sich bald in hohe Freude verwandeln«.

9 Anmerkung Lavaters: »Weg von aller Welt die Blicke!: Zerstreue dein Gemüth nicht durch Vergleichung deiner selbst mit andern; durch Betrachtung dessen, was in der Welt vorgeht«.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lavater, Johann Kaspar. Aus: Fünfzig christliche Lieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DC0E-C