Dein Bild

Die Sonne sinkt, die Berge glühn,
Und aus des Abends Rosen
Seh ich so schön dein Bild mir blühn,
So fern dem Hoffnungslosen.
Strahlt Hesperus dann hell und mild
Am blauen Himmelsbogen,
So hat mit ihm dein süßes Bild
Die Sternenflur bezogen.
Im mondbeglänzten Laube spielt
Der Abendwinde Säuseln;
Wie freudig um dein zitternd Bild
Des Baches Wellen kräuseln! –
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Es braust der Wald, am Himmel ziehn
Des Sturmes Donnerflüge,
Da mal ich in die Wetter hin,
O Mädchen, deine Züge.
Ich seh die Blitze trunkenhaft
Um deine Züge schwanken,
Wie meiner tiefen Leidenschaft
Aufflammende Gedanken.
Vom Felsen stürzt die Gemse dort,
Enteilet mit den Winden;
So sprang von mir die Freude fort
Und ist nicht mehr zu finden.
Da bin ich, weiß nicht selber wie,
An einen Abgrund kommen,
Der noch das Kind der Sonne nie
In seinen Schoß genommen.
Ich aber seh aus seiner Nacht
Dein Bild so hold mir blinken,
Wie mir dein Antlitz nie gelacht; –
Wills mich hinunterwinken? –

Notes
Entstanden 1831 oder 1832. Erstdruck 1832.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Dein Bild. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DD78-0