[269] Liebesklänge

Am Rhein

Wir reisten zusammen mit andern
Zu Schiff hinunter den Rhein,
Es war ein seliges Wandern;
Doch waren wir selten allein.
Sie traten heran, zu lauschen,
Du ließest nur hier und dort
Mir fallen unter das Rauschen
Des Stroms ein heimliches Wort.
Ich sprach: Bald trennt uns die Reise!
Ob hier wir uns wiedersehn?
»Dort vielleicht einst!« sagtest du leise,
Ich konnte dich kaum verstehn.
Wir flogen vorüber am Strande,
Der Dampf durchbrauste den Schlot,
Wie ein zorniger Neger die Bande
Wildschnaubend zu sprengen droht.
Und sie begannen zu preisen,
Wie schnell man sich heute bewegt,
Und wie das rührige Eisen
Man über die Straßen legt;
Als wollten zu Grabe sie tragen
Des Elends türmenden Wust
Und wieder das Eden erjagen,
Den uralt bittern Verlust.
Es hat doch den rechten Fergen
Das Schifflein lange noch nicht,
Solange noch Liebe verbergen
Sich muß wie ein Sündergesicht,
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Noch lange nicht hat, ihr Gesellen,
Das Eisen den rechten Guß,
Wenn sich die Liebe bestellen
Noch hinter die Gräber muß!
So dacht ich und blickte verdrossen
Hinab in die rollende Flut;
Dich umringten deine Genossen
Und scherzten; die hatten es gut.
Die Nacht war dunkelnd gekommen,
Da stiegen am Strande wir aus,
Ich folgte dir stumm und beklommen
Von ferne bis an dem Haus.
Und als du, noch einmal nickend,
Verschwunden im schließenden Tor,
Stand ich eine Weile noch, blickend
Nach deinem Fenster empor.
Ich schied von deinem Quartiere
Und ging hinüber in meins,
Das lag im fernen Reviere
Am andern Ufer des Rheins.
Ich betrat mein trauriges Zimmer
Und starrte unverwandt
Hinüber zum Kerzenschimmer,
Den mir dein Fenster gesandt.
Die Lichter drüben am Strande
Erloschen nach und nach,
Doch wie zu traulichem Pfände
Blieb deines immer noch wach.
Wie ich im einsamen Leide
Hinstarrte über die Flut:
Als wären gestorben wir beide,
Ward mir mit einmal zumut;
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Als trennten uns weite Welten,
Ward mir mit einem Mal,
Den Erdengram zu vergelten
Mit ewiger Sehnsucht Qual;
Als blinkte dein Lichtlein so ferne
In meine Finsternis
Von einem entlegenen Sterne,
Der dich mir auf immer entriß.
Mir spielten, wie Tränendiebe,
Nachtwinde ums Augenlid,
Wie der Geist unglücklicher Liebe,
Der über die Erde zieht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Gedichte. Gedichte. Viertes Buch. Liebesklänge. Am Rhein. Am Rhein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DE31-4