[182] Die Botschaft

Nach Saint-Germain zum Verkaufe
Trägt ein Häuflein Bauersleute,
Was der Herbst mit vollen Händen
Ihm auf Flur und Garten streute.
Neben schwer beladnem Wagen
Läßt der Mann die Geißel knallen;
In der Bäurin feinem Korbe
Wird das schmucke Obst gefallen.
Mit Geschichten, frohen Possen,
Und nun wieder mit Gesängen,
Suchen sie sich wegzustehlen
Über ihres Weges Längen.
Hinter ihnen Pferdgetrappel,
Und sie stehen, und sie schweigen,
Und neugierig nach den Reitern
Äug und Ohr sie rückwärts neigen.
In noch nie gesehner Eile,
Brausend gleich empörten Wogen,
In noch nie gesehnen Trachten
Kommt die Schar herangeflogen.
Wer? wohin? woher des Weges?
Rufen die erstaunten Bauern;
Doch mit Staub die Rosseshufe
Ihnen schnell den Mund vermauern.
Es ist Christoph Gonsiewski,
Von Smolensk der Wojewode,
Der mit seinen Reitgefährten
Manches Roß gejagt zu Tode.
Nimmer länger soll Johannes
Schmachten in den Kerkermauern
[183]
Wladyslaw, sein treuer Bruder,
Fühlt herzinniges Bedauern.
Wladyslaw, der Polenkönig,
König auch im Schwedenlande,
Ist empört in tiefster Seele
Über Frankreichs freche Schande.
Und er ließ zu seinen Boten
Zürnend seine Stimme tosen,
Und das Wort, das er gesendet
An den König der Franzosen,
Ist ein Blitz in sie gefahren,
Der sie nun fortreißt geschwinde,
Unaufhaltsam nach dem Orte,
Wo er, freigelassen, zünde. –
In dem Schlosse zu Saint-Germain
Schnauben schon die müden Renner;
Vor den argbetroffnen König
Treten die sarmat'schen Männer.
Schweiß entrollt den kühnen Stirnen,
Und ihr Auge glüht im Zorne,
Drohend klirren ihre Säbel,
Ihre blutgetränkten Sporne.
Und zum König nun beginnet
Gonsiewski so zu reden:
»Wladyslaw hat uns gesendet,
Herr der Polen und der Schweden:
Habt Ihr nicht noch diese Stunde
Seinen Bruder freigesprochen,
Soll an Euch und Eurem Lande
Blutig sein die Schmach gerochen!
[184]
Daß der Prinz das Land durchspähte,
Euch an Spanien zu verraten,
Ist nur eine schnöde Lüge
Eures tückischen Prälaten;
Eine Lüge ausgebrütet
Von der Kirche grimmstem Geier;
Denn in Eurer faulen Krone
Nistet dieses Ungeheuer! –
Ostreich, Spanien und Italien
Werden sich an Polen halten,
Eure Macht und Johanns Kerker
Schnell mit einem Hiebe spalten!«
Zornesbleich und furchtergriffen,
Tiefbeschämet, starrt zur Erde
König Ludwig und gebietet,
Daß der Prinz befreiet werde.

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TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Gedichte. Gedichte. Zweites Buch. Klara Hebert. Die Botschaft. Die Botschaft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E052-9