2.

Vor dem Fenster steht der Ritter
Singt bei Nacht mit süßem Laut,
Schlägt dazu die helle Zither:
»Willst du heißen meine Braut?
Hab ein Schloß und finstre Wälder,
Berge, hab ich, reich an Erz,
Muntre Herden, goldne Felder,
Und nach dir ein krankes Herz!
Schmücke dir mit Edelsteinen,
Gold und Perlen Hals und Hand,
[354]
Liebchen, schmücke dich mit meinen
Narben aus dem heilgen Land.
Morgen wird die Sonne steigen;
Strahlt herauf die Sonne klar,
Soll sie meinen Wuchs dir zeigen
Und dir leuchten zum Altar.
Hier an diesem Rosensprosse
Häng ich dir mein Ringlein auf!«
Sangs und schwang sich auf zu Rosse,
Sprengt' davon im flüchtgen Lauf. –
»Willst du meinen Finger tauschen,
Ringlein, mit dem Rosenreis?«
Anna nimmts, die Hecken rauschen,
Und im Dickicht naht es leis.
Schwarz verhangen Mond und Sterne
Durch den Blütenstrauch herein
Wiegt sich eine Blendlaterne,
Wie Johanniskäferschein.
Freundlich nickend, bleich verdüstert,
Steht das Mütterlein vom See,
Weint verstohlen, und sie flüstert:
»Schöne Jungfrau, weh dir, weh!
Von den Rosen hier empfangen
Hast du's Ringlein, und es droht
Bald den Rosen deiner Wangen
Dieses Ringlein bleichen Tod.
Folge mir!« – Sie schreiten beide
Weite Strecken stumm und sacht
Über eine öde Heide
In der stummen dunklen Nacht.
[355]
Und an einer Windmühl stille
Hält das alte Zauberweib:
»Bräutchen, ists dein fester Wille,
Daß unfruchtbar sei dein Leib?
Willst?« – »Ich will es!« und sie schleichen
Jetzt die Mühlentrepp empor,
Feiernd stehn die Flügelspeichen,
Taghell tritt der Mond hervor.
Braune Weizenkörner sieben
Aus dem Sack die Alte greift,
Und das Ringlein ihres Lieben
Sie der Braut vom Finger streift.
»Wenn nicht meine Zauber wären«,
– Spricht das Mütterlein vom See, –
»Würdest sieben du gebären
In der schmerzenreichen Eh.«
Durch das Ringlein wirft hinunter
Sie ein Korn zum runden Stein:
Plötzlich wird die Mühle munter,
Brausend fällt ein Windstoß drein;
Und die Mühle mahlt im Winde,
Schaudernd hört die junge Braut
Leise, wie von einem Kinde,
Wimmern einen kurzen Laut.
Drauf todstill in alle Weite,
Anna hört ihr Herz allein,
Und die Alte wirft das zweite
Weizenkorn hinab zum Stein:
Wieder mahlt die Mühl im Winde,
Schmerzend hört die junge Braut
Leise, wie von einem Kinde,
Wimmern einen kurzen Laut.
[356]
Alte wirft das dritte, vierte,
Fünfte Korn, noch zwei hinein:
Jedmal sich der Windstoß rührte,
Und zerreibend lief der Stein.
Siebenmal hat es gewimmert,
Hat ein Weh durchzuckt die Maid.
Wieder Ruh – der Vollmond schimmert
Nieder auf die stille Heid.
Mütterlein jetzt freudig kichert,
Steckt das Ringlein ihr zurück:
»Nie ergreift dich, bist gesichert,
Jammervolles Mutterglück!«
Heim, zuvor den Morgenstunden,
Eilt nun Anna, fürcht't sich schier;
Schüchtern blickt sie um – verschwunden
Ist die Alte hinter ihr.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Gedichte. Gedichte. Viertes Buch. Vermischte Gedichte. Anna. 2. [Vor dem Fenster steht der Ritter]. 2. [Vor dem Fenster steht der Ritter]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E167-4