Die Ente

Ente, wahres Bild von mir,
Wahres Bild von meinen Brüdern!
Ente, jetzo schenk' ich dir
Auch ein Lied von meinen Liedern.
Oft und oft muß dich der Neid
Zechend auf dem Teiche sehen.
Oft sieht er aus Trunkenheit
Taumelnd dich in Pfützen gehen.
Auch ein Tier – – o das ist viel!
Hält den Satz für wahr und süße,
Daß, wer glücklich leben will,
Fein das Trinken lieben müsse.
Ente, ists nicht die Natur,
Die dich stets zum Teiche treibet?
Ja, sie ists; drum folg' ihr nur.
Trinke, bis nichts übrig bleibet.
Ja, du trinkst und singst dazu.
Neider nennen es zwar schnadern;
Aber, Ente, ich und du
Wollen nicht um Worte hadern.
Wem mein Singen nicht gefällt,
Mag es immer Schnadern nennen.
Will uns nur die neid'sche Welt
Als versuchte Trinker kennen.
Aber, wie betaur' ich dich,
Daß du nur mußt Wasser trinken.
Und wie glücklich schätz' ich mich,
Wenn mir Weine dafür blinken!
Armes Tier, ergib dich drein.
Laß dich nicht den Neid verführen.
[93]
Denn des Weins Gebrauch allein
Unterscheidet uns von Tieren.
In der Welt muß Ordnung sein.
Menschen sind von edlern Gaben.
Du trinkst Wasser, und ich Wein;
So will es die Ordnung haben.

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TextGrid Repository (2012). Lessing, Gotthold Ephraim. Gedichte. Lieder (Ausgabe 1771). Die Ente. Die Ente. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E56C-F