Gleim, Lieder, Fabeln und Romanzen
[16] [18]Lieder, Fabeln und Romanzen, von F. W. G[leim]. Leipzig bei David Iversen, 16 Bogen in Oktav.
Wir ergreifen die Gelegenheit, um bei einer neuen Auflage dieser Gedichte Nachricht von denselben zu geben. Ihr Verfasser, der schon längst die Ehre des deutschen Parnasses gewesen ist, hat sich zwar nicht genennet, ist aber dennoch bekannt genug. Und wie könnte man einen Gleim verkennen? – – –
Wir fangen von den Fabeln an, welche den größten Teil dieser Sammlung einnehmen:
Das erste Buch enthält fünf und zwanzig neuerfundene [18] Fabeln. Hingegen gehören von den fünf und zwanzigen des zweiten Buchs nur die drei ersten dem Verfasser; die übrigen hat er nach dem beigefügten Verzeichnisse aus alten und neuen Dichtern genommen. Vor einem jeden Teile stehet eine poetische Zueignungsschrift an des Prinzen Friedrichs von Preußen Königl. Hoheit, in welchen viel schönes enthalten ist. Von dem großen preußischen Monarchen heißt es in der Zueignungsschrift des ersten Buchs:
(Der Held, der jetzt auf einem ganz andern Wege der Unsterblichkeit entgegen zu eilen genötigt ist, mag sich unter dem freudigen Zuruf der Völker sehr oft nach der philosophischen Muße auf dem stillen Sans-Souci zurück sehnen!) Unter den eigenen Erdichtungen unsers Verfassers verdienen die zehnte, zwölfte und drei und zwanzigste des ersten Buchs, wie auch die zwo ersten des zweiten Buchs allen andern vorgezogen zu werden; und auch diese sind nicht von kleinen Fehlern frei, indem man öfters die Wahrheit, Einheit und Moralität der äsopischen Fabel vermißt. Hingegen besitzt unser Dichter die Gabe zu erzählen in einem sehr vorzüglichen Grade, und dieses ist bei dem Fabeldichter wenigstens ein eben so großes Verdienst, als die Gabe zu erfinden. La Motte wird mit allen seinen Erfindungen selten gelesen, und La Fontaine hat sich durch seine meisterhafte Art zu erzählen einen vorzüglichen Platz unter den Dichtern erworben, die die Zeiten Ludewigs des Vierzehnten, oder vielmehr die Zeiten dieser großen Dichter verherrlichen. Unserm Dichter [19] ist besonders eine glückliche Kürze eigen, die fast niemals in das Trockene verfällt, und dem Vortrage eine besondere Naivite und Lebhaftigkeit verschafft, ohne ihn in das Possenhafte und Niedrige sinken zu lassen. Die dreizehnte Fabel des zweiten Buchs ist meisterlich erzählt, und übertrifft den La Fontaine, aus dem sie genommen ist. Wir wollen das Muster mit der Nachahmung vergleichen. Die hundert und neunzehnte Fabel T. I. des La Fontaine ist:
Le Cheval et l'Ane
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Der Eingang unsers deutschen Dichters ist vortrefflich. Der Vorwurf wird mit vieler Deutlichkeit aus einander gesetzt, und die Handlung in jeder Zeile immer mehr und mehr vorbereitet. »Ein ledig Pferd ging neben ihm«, ist kürzer und weit schöner, als accompagnoit un cheval peu courtois, Celui-ci ne portant, que son simple harnois. Peu courtois steht hier sehr am unrechten Orte. Der Leser begreift noch nicht, wodurch sich das Pferd diesen Tadel zugezogen hat. Weit besser ist: »Was helfen! sagt der grobe Gaul.« Ne portant, que son simple harnois, ist lange nicht so gut, als »Ein ledig Pferd«. Die Unterredung des Esels mit dem Gaul wird von dem französischen Dichter bloß erzählt; der deutsche hingegen läßt die Handlung vor unsern Augen vorgehen. Die demütige Bitte des geplagten Tiers machet mit der beleidigenden Antwort des stolzen Gauls einen vollkommenen Kontrast aus. Man glaubt einen unerbittlichen Pachter mit dem Fröhner reden zu hören:
Wie schwach klingt das Französische: La Priere, dit-il, n'en est pas incivile. So gar die französischen Esel wollen nicht gern unhöflich heißen. En cette Avanture ist eine bloße cheville.
Die sehr malerische Beschreibung des Fischreigers im La Fontaine:
Die Worte, auf einer Wiese, scheinen überflüssig.
Die sechzehnte Fabel, »Der Esel in der Löwenhaut«, gleichfalls aus dem La Fontaine, ist um ein merkliches verschönert. [21] Man kann dieses auch von der zwanzigsten aus Gay's Fables behaupten. – Wir wollen einen Teil der engländischen Fabel samt der deutschen Nachahmung hersetzen.
Fable XLIII
The Council of the Horses
Der deutsche Dichter hat die Reden des Aufwieglers verlängert, aber auch zugleich verschönert. Wir wollen ihn hören:
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[23] Der Eingang des Engländers ist etwas langweilig. Wir würden lieber mit dem Deutschen gleich zur Sache schreiten:
Ha! sprach ein junger Hengst, u.s.w.
Bei dem Deutschen tut er gerade das Gegenteil. Er beschreibet den Heldenmut, die Tapferkeit und die Freiheit seiner Vorfahren, und dieses mit Recht. Das Geschlecht der Pferde ist doch unstreitig einst frei gewesen, und was ist natürlicher, als daß sich ein junger Held, durch die Heldentugenden seiner Vorfahren, zu großen Taten anspornen läßt.
Der Stolz des aufrührischen Gauls ist im Deutschen unverbesserlich ausgedrückt:
beziehen sich auf die Beschreibung von den Tugenden des Pferdes, die wir im Hiob lesen, und sind hier dem Eigendünkel des jungen Hengstes sehr angemessen. Wie lebhaft wird der Undank des Menschen gegen die willigen Tiere am Ende der Rede beschrieben!
Kurz! man wird in der Rede des deutschen Rebellen weit mehr Ordnung, mehr Lebhaftigkeit und auch mehr Gründlichkeit antreffen, als in der Rede des Engländers. Man wird diesen Unterschied auch in der Antwort des alten Schimmels bemerken, welche wir der Kürze halber übergehen. Nur den Schloß führen wir aus beiden Fabeln noch an; der engländische Dichter sagt:
Es ist im übrigen zu bedauern, daß der Verfasser, wie er sich in einer angehängten Nachricht beklagt, dem Schicksale der besten Köpfe in Deutschland nicht hat entgehen können. Sie werden mehrenteils mit einer Menge von mechanischen Geschäften belastet, die in ziemlicher Entfernung von den Werken der Musen stehen, und wenn das Genie sich gleich durcharbeitet, und zu gewissen glücklichen Stunden aus dem Felde der Mühseligkeit in das Feld der Schönheit hinüber schweift, so fehlt es ihm doch an der zwoten Muße, die zur Ausbesserung und Wegschaffung der kleinen Fehler erfordert wird. Er dichtet, weil ihn das Dichten belustiget; die Ausbesserung aber ist eine Arbeit, und kann nur von demjenigen unternommen werden, der zur Veränderung arbeitet.
Nach denen überaus schönen Proben, die wir von unserm Dichter angeführt, wird es unstreitig den Umständen, in welchen der Verfasser lebt, zuzuschreiben sein, daß er sich selbst so ungleich ist, und in andern Stellen eine ziemliche Nachlässigkeit [25] verrät. Die vierte Fabel, »Die Milchfrau« aus dem Fontaine, ist weit unter dem Original, und wimmelt von müßigen Ausdrückungen. Die vier und zwanzigste, »Der Fuchs und der Rabe«, die La Fontaine so meisterlich erzählt, hat in der Nachahmung vieles verloren. (Man sehe in Gellerts Vorrede zu seinen Fabeln und Erzählungen, wie schön diese Fabel von einem alten schwäbischen Dichter ist besungen worden.) Wir zweifeln nicht, daß es der Herr Verfasser selbst eingesehen habe; aber wir verwundern uns, daß er nicht, statt der fünf und zwanzig Fabeln im zweiten Buche, lieber ungefähr achtzehn vortrefflich erzählte Fabeln hat liefern wollen.