Gotthold Ephraim Lessing
Anti-Goeze
D. i. Notgedrungener Beiträge
zu den freiwilligen Beiträgen
des Hrn. Past. Goeze

Anti-Goeze. Erster

[160] Anti-Goeze
Erster
(Gott gebe, letzter!)

(S. 71tes Stück der freiwill. Beiträge)


Multa sunt sic digna revinci, ne gravitate adorentur.

Tertullianus


Lieber Herr Pastor,


Poltern Sie doch nicht so in den Tag hinein: ich bitte Sie. – Ich gehe ungern daran, daß ich meiner Absage schon bald nachleben muß. Aber Sie glaubten wohl sonst, es sei mein Ernst nicht.

Sehen Sie also, welchen Plan zu meiner Fehde gegen Sie, ich hiermit anlege. Auch schließen Sie auf den Ton aus dem Lemma des Tertullian, und den fernern Worten, die bei ihm folgen. Überschreien können Sie mich alle acht Tage: Sie wissen, wo. Überschreiben sollen Sie mich gewiß nicht.

Gott weiß es, ich habe nichts dagegen, daß Sie und alle Schulrectores in Niedersachsen gegen meinen Ungenannten zu Felde ziehen. Vielmehr freue ich mich darüber; denn eben darum zog ich ihn an das Licht, damit ihn recht viele prüfen, recht viele widerlegen könnten. Ich hoffe auch, er wird noch Zeit genug unter die rechten Hände kommen, unter welchen er mir noch nicht zu sein scheinet: und so dann glaube ich wirklich der christlichen Religion durch seine Bekanntmachung einen größern Dienst erwiesen zu haben, als Sie, mit allen Ihren Postillen und Zeitungen.

[160] Wie? weil ich der christlichen Religion mehr zutraue, als Sie, soll ich ein Feind der christlichen Religion sein? Weil ich das Gift, das im Finstern schleichet, dem Gesundheitsrate anzeige, soll ich die Pest in das Land gebracht haben? Denn kurz, Herr Pastor – Sie irren sich sehr, wenn Sie glauben, daß der Ungenannte ganz aus der Welt geblieben wäre, wenn ich ihm nicht herein geholfen hätte. Vernehmen Sie, daßdas Buch ganz existieret, und bereits in mehrern Abschriften existieret, wovon, ich weiß nicht wie, nur Fragmente des ersten Entwurfs, sich in die Bibliothek verlaufen haben, die ich der Welt freilich nutzbarer hätte machen können, wenn ich alle darin befindlichen plattdeutsche Bibeln von Wort zu Wort für Sie konferieret hätte.

Versichern Sie indes nicht selbst, daß diese leidigen Fragmente schon ein Paar Werke hervorgebracht haben, deren Nutzen den besorglichen Schaden derselben unendlich überwiege? Und ich, ich, der ich die causa sine qua non dieser vortrefflichen Werke bin, sollte desfalls ein Reichshofratsconclusum zu besorgen haben? Vielmehr verspreche ich mir eine Belohnung von dem Reichshofrate, so bald es nicht bloß die traurige Pflicht des Reichshofrats sein wird, Unrecht zu steuern, und böse Handlungen zu ahnden, – so bald aufgeklärtere tugendhaftere Zeiten, wie wir unter einem Joseph II. sie uns immer mehr und mehr versprechen dürfen, auch dem Reichshofrate Muße und Stoff geben werden, verborgene Tugend aufzusuchen, und gute Taten zu belohnen. Bis dahin hat es wenigstens keine Not, daß nur Einer in den ersten Gerichten des Reichs sein sollte, der so dächte – wieGoeze.

Schön, vortrefflich, ganz in Luthers Geiste, ist es von diesem Lutherschen Pastor gedacht, daß er den Reichshofrat zu einem Schritte gern verhetzen möchte, der, vor zweihundert und fünfzig Jahren mit Ernst getan, uns um alle Reformation gebracht hätte! Was hatte Luther für Rechte, die nicht noch jeder Doctor der Theologie hat? Wenn es itzt keinem Doctor der Theologie erlaubt sein soll, die Bibel aufs neue und so zu übersetzen, wie er es vor Gott und seinem Gewissen verantworten kann: so war es auch Luthern nicht erlaubt. Ich setze hinzu: so war es Luthern noch weniger erlaubt. Denn Luther, als er die Bibel zu übersetzen unternahm, arbeitete eigenmächtig gegen eine von der Kirche [161] angenommene Wahrheit: nämlich gegen die, daß es besser sei, wenn die Bibel von dem gemeinen Manne in seiner Sprache nicht gelesen werde. Den Ungrund dieses von seiner Kirche für wahr angenommenen Satzes mußte er erst erweisen; er mußte die Wahrheit des Gegensatzes erst erfechten; er mußte sie als schon erfochten voraussetzen: ehe er sich an seine Übersetzung machen konnte. Das alles braucht ein itziger protestantischer Übersetzer nicht; die Hände sind ihm durch seine Kirche weniger gebunden, die es für einen Grundsatz annimmt, daß der gemeine Mann die Bibel in seiner Sprache lesen dürfe, lesen müsse, nicht genug lesen könne. Er tut also etwas, was ihm niemand streitig macht, daß er es tun könne: anstatt daß Luther etwas tat, wobei es noch sehr streitig war, ob er es tun dürfe. – Das ist ja sonnenklar. – Kurz, Bahrdtens, oder eines andern Itztlebenden, Übersetzung verdammen, heißt der Lutherschen Übersetzung den Prozeß machen; wenn jene auch noch so sehr von dieser abgehen. Luthers Übersetzung ging von den damals angenommenen Übersetzungen auch ab; und mehr oder weniger, darauf kömmt nichts an.

Der wahre Lutheraner will nicht bei Luthers Schriften, er will bei Luthers Geiste geschützt sein; und Luthers Geist erfodert schlechterdings, daß man keinen Menschen, in der Erkenntnis der Wahrheit nach sei nem eigenen Gutdünken fortzugehen, hindern muß. Aber man hindert alle daran, wenn man auch nurEinem verbieten will, seinen Fortgang in der Erkenntnis andern mitzuteilen. Denn ohne diese Mitteilung im Einzeln, ist kein Fortgang im Ganzen möglich.

Herr Pastor, wenn Sie es dahin bringen, daß unsere Lutherschen Pastores unsere Päbste werden; – daß diese uns vorschreiben können, wo wir aufhören sollen, in der Schrift zu forschen; – daß diese unserm Forschen, der Mitteilung unsers Erforschten, Schranken setzen dürfen: so bin ich der erste, der die Päbstchen wieder mit dem Pabste vertauscht. – Hoffentlich werden mehrere so entschlossen denken, wenn gleich nicht viele so entschlossen reden dürften. Und nun, Herr Pastor, arbeiten Sie nur darauf los, so viele Protestanten, als möglich wieder in den Schoß der Katholischen Kirche zu scheuchen. So ein Lutherscher Eifrer ist den Katholiken schon recht. Sie sind ein Politicus wie ein Theolog. –

[162] Das eine der vortrefflichen Werke, die ohne Mich in des Nichts unfruchtbaren Lenden geblieben wären, sind die Unterredungen meines Nachbars, dessen gutem Willen ich bereits in meiner Duplik alle mögliche Gerechtigkeit erwiesen habe. Sie wissen nun ohne Zweifel, Herr Pastor, daß damals, als Sie mich auffoderten, auf diese Unterredungen zu antworten, ich bereits darauf geantwortet hatte. Die Reihe zu reden, ist nun an Ihnen; und es soll mich verlangen, wie weit es Ihre Exegetik treiben wird, das Wort GOttes in den Augen vernünftiger Menschen lächerlich zu machen. Es soll mich verlangen, aus welchen Gründen, mit welcher Stirne, Sie die unverdauten Einfälle eines vermutlichen Laien, wie mein Nachbar ist, den weit bessern Antworten vorziehen werden, die auf die Einwürfe meines Ungenannten schon vorhanden waren.-

Das zweite dieser Werke ist des Herrn Mascho Verteidigung der christlichen Religion: oder, wie ich lieber sagen möchte, die Verteidigung der christlichen Religion des Herrn Mascho. Denn wahrlich die Verteidigung ist nicht so sehr sein eigen, als die Religion, die er verteidiget. Und was? diese hätten Sie gelesen gehabt, Herr Pastor, ganz gelesen gehabt, als Sie das 71stemal dieses Jahr in Ihr Horn stießen? – Ja?

So kann es denn das Publikum nicht zeitig genug erfahren, wie mancherlei Maß und Gewichte Goeze und Compagnie in Hamburg haben!

Es tut mir leid, daß ich dieses sonst gute Haus so blamieren muß. Aber warum braucht es auch sein richtiges volles Gewicht nicht wenigstens gegen seine alten Freunde? Warum will es mit seinem richtigen vollen Gewichte sich nur erst Freunde machen, aber nicht erhalten?

Armer Mascho, lassen Sie den neidischen Mann, der alle Handlungen einzig in seine Kanäle lenken will, nur erst mit mir fertig sein. Er wird Sie schon auch nach Hause leuchten. Itzt tut er mit Fleiß, als ob er nicht merkte, auf welcher Seite Sie hinken. Er braucht Hülfe: Tros Rutulusue fuat – Seine Partie muß sich wenigstens in den Zeitungen immer vergrößern. Aber warten Sie nur!

Doch ist es nicht unschicklich, in einem Briefe einen andern anzureden, als den, an welchen der Brief gestellet ist? Ich wende [163] mich also wieder zu Ihnen, Herr Pastor, und frage Sie nochmals: haben Sie des Herrn Mascho Verteidigung, welche Sie so rühmen, wirklich gelesen?

Wirklich? – Nun so ist es erwiesen, Herr Pastor, was ich Ihnen Schuld gebe. Sie haben mancherlei Maß und Gewicht, welches dem Herrn ein Greuel ist. Mit einem andern bevorteilen Sie mich: mit einem andern bedienen Sie den Herrn Mascho. Wovor Sie bei mir andere warnen, das preisen Sie bei ihm andern an. Die nämlichen Species, die Sie nach meiner Verschreibung als gefährlich und tödlich nicht administrieren wollen, verkaufen Sie auf sein Recipe, in der nämlichen Quantität, oder in einer noch bedenklichern, als höchst unschuldig und heilsam.

Oder das Ding, Herr Pastor, in Ihrer sinnreichen Metapher des strohernen Schildes auszudrücken: Herr Mascho streitet schlechterdings unter dem nämlichen strohernen Schilde, mit welchem Sie mich der Welt so lächerlich und verdächtig gemacht haben. Wie kömmt es denn, daß dieses stroherne Schild nur an meinem Arme schlimmer als keines ist? an seinem aber für eine gar hübsche taugliche Waffe passieren muß?

Nämlich: behauptet nicht auch Herr Mascho, (S. 10) daß die Bibel zwar eine Offenbarung enthält, aber keine ist?

Unterscheidet nicht auch Herr Mascho (S. 249) den Buchstaben von dem Geiste der Bibel?

Lehret nicht auch Herr Mascho, (S. 202) daß dieReligion eher gewesen, als die Bibel?

Und sind denn das nicht die drei Sätze, um welche der Herr Pastor den Tanz mit mir angefangen?

Sie können nicht sagen, Herr Pastor, daß Sie diese Sätze bei ihm nicht gefunden. Denn sie stehen nicht allein mit deutlichen Worten da: sondern alles, alles, was Herr Mascho sagt, bezieht sich, gründet sich darauf.

Ja noch mehr: eben diese Sätze, die ich für bloße Betrachtungen gebe, mit welchen sich diejenigen beruhigen können, die sich an dem Christentume ohne Theologie begnügen wollen, oder begnügen müssen; eben diese Sätze macht Herr Mascho zu Grundsätzen, nicht des Christentums, sondern der Theologie.

Denn das ganze System von Inspiration, welches Sie annehmen, Herr Pastor; in dessen Geiste Sie die uns gemeinschaftlichen, [164] aber nicht zu einerlei Absicht gemeinschaftlichen Sätze, bei mir anfeindeten: was ist es dem Herrn Mascho? – Was es mir bei weiten noch nicht ist.

Es ist ihm eben das, was meinen Ungenannten in den Naturalismus gestürzt hat. Es ist ihm das, was jeden nicht besser organisierten Kopf, als meinem Ungenannten zu Teil geworden war, in den Naturalismus notwendig stürzen muß. Das ist es ihm; das ist es ihm auf allen Blättern. 1

Und nun, Herr Pastor, sein Sie auf Ihrer Hut! Ich warne Sie auf den Wink des Herrn Mascho. Ehe Sie es sich versehen, liegen Sie, nach dem Herrn Mascho, in eben dem Abgrunde, in welchem mein Ungenannter nun jammert: und dann ist keine Hülfe für Sie, als entweder da zu verzweifeln, oder mit eins alle den Plunder aufzugeben, der noch vor 50 bis 60 Jahren in unsern Lehrbüchern Religion hieß 2, und alle die schönen Siebensachen dafür anzunehmen, die man seit dieser Zeit in der Religion erfunden hat, und noch täglich erfindet. 3

So gar werden Sie gezwungen sein, solcher schönen Siebensachen nicht wenige anzunehmen, die Herr Mascho selbst, unter Ihren Augen erfindet. Er hat bereits Dinge in seinem Körbchen, die jedem guten Alltagschristen völlig fremd und unerhört sind. Über gewisse jüdische Ideen, die wir sehr unrecht ganz vergessen haben 4; über das große Pfingstwunder 5; über – was weiß ich!

Und o, welch neues Unglück drohet dem Hamburgischen Katechismus wieder in Hamburg selbst! Denn Herr Mascho ist mit nichts weniger zufrieden, als mit unsern bisherigen Religionsunterrichten, deren notwendige Berichtigung und Verbesserung er aus den leidigen Fragmenten meines Ungenannten erst recht erkannt hat. Seine, seine Ideen müssen vor allen Dingen in unsere Katechismen: oder es geht nimmermehr gut! 6

[165] Wie, Herr Pastor? das wollten Sie gestatten? Als unserm guten Freunde Alberti ehedem so etwas beifiel: wem hat es die Hamburgische Kirche zu danken, daß er nicht damit durchdrang, als Ihnen? Und nun sollte Herr Mascho damit durchdringen, indem Ihre ganze Aufmerksamkeit, Ihr ganzer Eifer nur auf mich gerichtet ist?

Erkennen Sie doch die Diversion, die man Ihnen zu machen sucht, und lassen mich in Ruhe. Es könnte ja gar sein, daß ich und Mascho uns verstünden! Doch, das muß ich Ihnen nicht zweimal sagen, wenn unsre List gelingen soll.

[166]

Anti-Goeze. Zweiter

[167] [193]Anti-Goeze
Zweiter

Bella geri placeat nullos habitura triumphos!

Luc.


Mein Herr Hauptpastor


Ich erhielt Ihr Etwas Vorläufiges gegen meine – wenn es nicht Ihre erste Lüge ist – mittelbare und unmittelbare feindselige Angriffe auf unsre allerheiligste Religion etc. am Abend des Osterabends; und hatte noch eben Zeit, den herrlichen Vorlauf zu kosten. Der soll mir auf das Fest schmecken! dachte ich. Und er hat mir geschmeckt. Gott gebe, daß mir der Nachlauf zu seiner Zeit auch so schmecken, auch so wohl bekommen mag!

Aber was das nun wieder ist! Der Herr Hauptpastor verweisen mir in Ihrem Etwas Vorläufigen, welches ich, der Geschmeidigkeit wegen, lieber das Vorläufige Etwas nennen will, mit so vielem Ernst und Nachdruck meine Äquivoken 7 und Wortspiele: und dennoch mache ich schon wieder ein so häßlich Ding, und äquivoziere und wortspiele mit vorläufig undVorlauf; ohne auch nur im geringsten vorher zu erklären, ob ich den Vorlauf von der Kelter oder von der Blase verstehe.

Doch lieber vergeben Sie mir immer, Herr Hauptpastor, eine Schwachheit, die mir zur andern Natur geworden ist. Jeder [193] Mensch hat seinen eignen Stil, so wie seine eigne Nase; und es ist weder artig noch christlich, einen ehrlichen Mann mit seiner Nase zum besten haben, wenn sie auch noch so sonderbar ist. Was kann ich dafür, daß ich nun einmal keinen andern Stil habe? Daß ich ihn nicht erkünstle, bin ich mir bewußt. Auch bin ich mir bewußt, daß er gerade dann die ungewöhnlichsten Kaskaden zu machen geneigt ist, wenn ich der Sache am reifsten nachgedacht habe. Er spielt mit der Materie oft um so mutwilliger, je mehr ich erst durch kaltes Nachdenken derselben mächtig zu werden gesucht habe.

Es kömmt wenig darauf an, wie wir schreiben: aber viel, wie wir denken. Und Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß unter verblümten, bilderreichen Worten notwendig ein schwanker, schiefer Sinn liegen muß? daß niemand richtig und bestimmt denken kann, als wer sich des eigentlichsten, gemeinsten, plattesten Ausdruckes bedienet? daß, den kalten, symbolischen Ideen auf irgend eine Art etwas von der Wärme und dem Leben natürlicher Zeichen zu geben suchen, der Wahrheit schlechterdings schade?

Wie lächerlich, die Tiefe einer Wunde nicht demscharfen, sondern dem blanken Schwerte zuschreiben! Wie lächerlich also auch, die Überlegenheit welche die Wahrheit einem Gegner über uns gibt, einem blendenden Stile desselben zuschreiben! Ich kenne keinen blendenden Stil, der seinen Glanz nicht von der Wahrheit mehr oder weniger entlehnet. Wahrheit allein gibt echten Glanz; und muß auch bei Spötterei und Posse, wenigstens als Folie, unterliegen.

Also von der, von der Wahrheit lassen Sie uns sprechen, und nicht vom Stil. – Ich gebe den meinen aller Welt Preis; und freilich mag ihn das Theater ein wenig verdorben haben. Ich kenne den Hauptfehler sehr wohl, der ihn von so manchen andern Stilen auszeichnen soll: und alles, was zu merklich auszeichnet, ist Fehler. Aber es fehlt nicht viel, daß ich nicht, wie Ovid, die Kunstrichter, die ihn von allen seinen Fehlern säubern wollten, gerade für diesen einzigen um Schonung anflehen möchte. Denn er ist nicht sein Fehler: er ist seine Erbsünde. Nämlich: er verweilt sich bei seinen Metaphern, spinnt sie häufig zu Gleichnissen, und malt gar zu gern mit unter eine in Allegorie [194] aus; wodurch er sich nicht selten in allzuentfernte und leicht umzuformende tertia comparationis verwickelt. Diesen Fehler mögen auch gar wohl meine dramatische Arbeiten mit verstärkt haben: denn die Sorge für den Dialog gewöhnt uns, auf jeden verblümten Ausdruck ein scharfes Auge zu haben; weil es wohl gewiß ist, daß in den wirklichen Gesprächen des Umganges, deren Lauf selten die Vernunft, und fast immer die Einbildung steuert, die mehresten Übergänge aus den Metaphern hergenommen werden, welche der eine oder der andere braucht. Diese Erscheinung allein, in der Nachahmung gehörig beobachtet, gibt dem Dialog Geschmeidigkeit und Wahrheit. Aber wie lange und genau muß man denn auch eine Metapher oft betrachten, ehe man den Strom in ihr entdecket, der uns am besten weiter bringen kann! Und so wäre es ganz natürlich, daß das Theater eben nicht den besten prosaischen Schriftsteller bilde. Ich denke sogar, selbst Cicero, wenn er ein beßrer Dialogist gewesen wäre, würde in seinen übrigen in eins fortlaufenden Schriften so wunderbar nicht sein. In diesen bleibt die Richtung der Gedanken immer die nämliche, die sich in dem Dialog alle Augenblicke verändert. Jene erfodern einen gesetzten, immer gleichen Schritt; dieser verlangt mit unter Sprünge: und selten ist ein hoher Springer, ein guter ebner Tänzer.

Aber, Herr Hauptpastor, das ist mein Stil, und mein Stil ist nicht meine Logik. – Doch ja! Allerdings soll auch meine Logik sein, was mein Stil ist: eine Theaterlogik. So sagen Sie. Aber sagen Sie was Sie wollen: die gute Logik ist immer die nämliche, man mag sie anwenden, worauf man will. Sogar die Art, sie anzuwenden, ist überall die nämliche. Wer Logik in einer Komödie zeigt, dem würde sie gewiß auch zu einer Predigt nicht entstehen: so wie der, dem sie in einer Predigt mangelt, nimmermehr mit ihrer Hülfe auch eine nur erträgliche Komödie zu Stande bringen würde, und wenn er der unerschöpflichste Spaßvogel unter der Sonne wäre. Glauben Sie, daß Pater Abraham gute Komödien gemacht hätte? Gewiß nicht: denn seine Predigten sind allzu elend. Aber wer zweifelt wohl, daß Moliere und Shakespear vortreffliche Predigten gemacht und gehalten hätten, wenn sie, anstatt des Theaters, die Kanzel hätten besteigen wollen?

[195] Als Sie, Herr Hauptpastor, den guten Schlosser wegen seiner Komödien so erbaulich verfolgten, fiel eine doppelte Frage vor. Die eine: darf ein Prediger Komödien machen? Hierauf antwortete ich: warum nicht? wenn er kann. Die zweite: darf ein Komödienschreiber Predigten machen? Und darauf war meine Antwort: warum nicht? wenn er will.

Doch wozu alles dieses Geschwätz? Was gehen mich itzt die Armseligkeiten des Stils und Theaters an; itzt da ein so schreckliches Halsgericht über mich verhangen wird? – Da steht er, mein unbarmherziger Ankläger, und wiehert Blut und Verdammung: und ich, einfältiger Tropf, stehe bei ihm, und lese ihm ruhig die Federn vom Kleide. –

Ich muß, ich muß entbrennen, – oder meine Gelassenheit selbst, meine Kälte selbst, machen mich des Vorwurfs wert.

Wie, Herr Hauptpastor? Sie haben die Unverschämtheit, mir mittelbare und unmittelbare feindselige Angriffe auf die christliche Religion Schuld zu geben? Was hindert mich, in die Welt zu schreiben, daß alle die heterodoxen Dinge, die Sie itzt an mir verdammen, ich ehedem aus Ihrem eigenen Munde gehört und gelernt habe? Was hindert mich? Eine Unwahrheit wäre der andern wert. Daß ich Ihre Stirn nicht habe: das allein hindert mich. Ich unterstehe mich nicht zu sagen, was ich nicht erweisen kann: und Sie – Sie tun alle sieben Tage, was Sie nur einen Tag in der Woche tun sollten. Sie schwatzen, verleumden und poltern: für Beweis und Eviktion mag die Kanzel sorgen.

Und die einen so infamierenden Titel führet, – was enthält diese Goezische Scharteke? Nichts enthält sie, als elende Rezensionen, die in den freiwilligen Beiträgen schon stehen, oder wert sind darin zu stehen. Doch ja; sie enthält auch einen zum drittenmale aufgewärmten Brei, den ich längst der Katze vorgesetzt habe. Und dennoch sollen und müssen sich des Herrn Hauptpastors liebe Kinder in Christo diesen beschnuffelten, beleckten Brei wieder in den Mund schmieren lassen.

Ist es von einem rechtschaffenen Gelehrten, – ich will nicht sagen, von einem Theologen – begreiflich, daß er, unter einem solchen Titel, widerlegte Beschuldigungen nochmals in die Welt schickt, ohne auf ihre Widerlegung die geringste Rücksicht zu nehmen? – »So hat er denn wohl von dieser Widerlegung nichts[196] gewußt?« – O doch! Er weiß sehr wohl, daß sie vorhanden ist; er hat davon gehört: nur gelesen hat er sie noch nicht, und nach dem Feste wird es sich zeigen, ob er es für nötig findet, darauf zu antworten. –

Und inzwischen, Herr Hauptpastor, inzwischen haben Sie dennoch die Grausamkeit, Ihre Beschuldigungen zu wiederholen? in diesem geschärften Tone zu wiederholen? – Also sind Sie allwissend? Also sind Sie untrieglich? – Also kann schlechterdings in meiner Wiederlegung nichts stehen, was mich in einem unschuldigern Lichte zeigte? was Sie einen Teil Ihrer Klage zurück zu nehmen, bewegen könnte? Also, wie Sie eine Sache einmal ansehen, so, vollkommen so, sind Sie gewiß, daß Sie dieselbe von nun an bis in Ewigkeit ansehen werden?

In diesem einzigen Zuge, Herr Hauptpastor, stehen Sie mir ganz da, wie Sie leiben und leben. Sie haben vor dem Feste nicht Zeit, die Verteidigung des Beklagten zu hören. Sie wiederholen die Anklage, und schlagen seinen Namen getrost an Galgen. Nach dem Feste, nach dem Feste, werden Sie schon sehen, ob auf seine Verteidigung der Name wieder abzunehmen ist, oder nicht!

Gegen einen solchen Mann wäre es möglich, die geringste Achtung beizubehalten? – Einem dritten: vielleicht. Aber nicht dem, nach dessen Kopfe diese Steine zielen. Gegen einen solchen Mann sollte es nicht hinwiederum erlaubt sein, sich aller Arten von Waffen zu bedienen? Welche Waffen können meuchelmörderischer sein, als sein Verfahren ist?

Gleichwohl, Herr Hauptpastor, befürchten Sie von mir nur nicht, daß ich die Grenzen der Wiedervergeltung überschreiten werde. Ich werde diese Grenzen noch lange nicht berühren, wenn ich von Ihnen auch noch so höhnend, auch noch so verachtend, auch noch so wegwerfend schreibe. Sie können einen ungesitteten Gegner vielleicht an mir finden: aber sicherlich keinen unmoralischen.

Dieser Unterschied, zwischen ungesittet und unmoralisch, der sehr wichtig ist, obgleich beide Wörter, ihrer Abkunft nach, vollkommen das nämliche bedeuten müßten, soll ewig unter uns bleiben. Nur Ihreunmoralische Art zu disputieren, will ich in ihr möglichstes Licht zu setzen suchen, sollte es auch nicht anders, als auf die ungesitteteste Weise geschehen können.

[197] Itzt ist mein Bogen voll; und mehr als einen Bogen sollen Sie auf einmal von mir nicht erhalten. Es ist erlaubt, Ihnen den Eimer faulen Wassers, in welchem Sie mich ersäufen wollen, tropfenweise auf den entblößten Scheitel fallen zu lassen.

[198]

Anti-Goeze. Dritter

[199] [218]Anti-Goeze
Dritter

Avolent quantum volent paleae levis fidei quocunque afflatu tentationum, eo purior massa frumenti in horrea domini reponetur.

Tertulli.


Also: – »meine mittelbaren und unmittelbaren feindseligen Angriffe auf die christliche Religion.«

Nun dann! So hält Hr. Goeze doch wenigstenseinen Spruch im Neuen Testament für nicht eingegeben, für nicht göttlich; sondern für eine bloße menschliche gute Lehre, von welcher er Ausnahmen nach Gutdünken machen darf. Verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt!

Zwar nein! Er selbst verdammt ja nicht. Er wiederholt nur die Verdammung, welche der h. Geist ausgesprochen. Er hat bloß die Ehre und das Vergnügen, den Herren Basedow, Teller, Semler, Bahrdt, den Verfassern der Allgemeinen Bibliothek, und meiner Wenigkeit, die Verdammung anzukündigen. Denn da stehts! Wer nicht gläubt, der wird verdammt!– Ihm nicht glaubt; nicht gerade das nämliche glaubt, was er glaubt – wird verdammt!

Warum sollte er also nicht, trotz seines fleißigen Verdammens, welches ja nur das unschuldige Echo des Donners ist, selig zu werden hoffen? Ich bilde mir ein, daß er selbst durch dieses Verdammen selig zu werden hoffet. Was Wunder? hoffte nicht jene fromme Hure, durch Kinderzeugen selig zu werden? Die Worte, worauf sie sich gründete, stehn auch da.

Und wie säuberlich, wie sanft, wie einschmeichelnd er, noch mit unter, bei diesem kitzlichen Geschäfte zu Werke geht, Ganz in dem Tone, und in der Manier eines gewissen Monsieur Loyal, in einer gewissen Komödie, die man vor gewissen Leuten nicht gern nennet. Er ist für meinen Ruhm – ha! was liegt an dieser [218] Seifenblase? – er ist für meine Seligkeit so besorgt! Er zittert so mitleidig vor meiner Todesstunde! Er sagt mir so gar hier und da recht artige Dinge, – nur damit es mich nicht allzusehr schmerze, daß er mich aus dem Hause meines Vaters wirft.

Ce Monsieur Loyal porte un air bien deloyal!

Doch was tut alles das zur Sache? Laßt uns die Beschuldigungen selbst vornehmen. – Genug, daß mich mein Herz nicht verdammet, und ich also, mit aller Freudigkeit zu Gott, einem jeden intoleranten Heuchler, der mir so kömmt, die Larve vom Gesicht reißendarf, – und reißen will, – sollte auch die ganze Haut daran hängen bleiben!

Von meinen mittelbaren Angriffen demnach zuerst. – Unter diesen versteht der Hr. Hauptpastor »den von mir veranstalteten Druck der Fragmente, die von mir übernommene Advokatur des Verfassers derselben.«

Jenes ist notorisch: ich kann es so wenig leugnen, als ich es leugnen möchte, wenn ich auch könnte.Dieses will ich durchaus von mir nicht gesagt, – wo möglich auch nicht gedacht wissen. Wenigstens in dem Sinne nicht, welchen der Hr. Hauptpastor damit verbindet.

Ich habe die Fragmente drucken lassen: und ich würde sie noch drucken lassen, wenn mich auch aller Welt Goezen darüber in den tiefsten Abgrund der Hölle verdammten. Die Gründe, warum ich es mit gutem Gewissen tun zu können geglaubt, habe ich verschiedentlich auch schon beigebracht. Aber Hr. Goeze will mir nicht eher zugestehen, daß diese Gründe das geringste verfangen, als bis ich ihn überführe, daß die nämlichen Gründe mich rechtfertigen würden, »wenn ich Fragmente drucken ließe, in welchen die Gerechtsame des hohen Hauses, dem ich diene, die Ehre und Unschuld der ehemaligen großen und unbescholtenen Minister desselben, und selbst des regierenden Herrn, so angegriffen würden, als dort, in jenen Fragmenten, die Wahrheit der christlichen Religion, die Ehre und Unschuld der h. Apostel, und selbst unsers ewigen Königs, angegriffen wirklich werde.«

Wie kindisch! und wie pfiffig, wie boshaft zu gleich! – Denn lassen Sie uns doch, Hr. Hauptpastor, vor allen Dingen die Sache auf beiden Teilen erst gleich machen. Sie haben eine Kleinigkeit auch in die andre Waagschale zu legen vergessen: und Sie wissen [219] wohl, im Gleichgewichte gibt jede Kleinigkeit den Ausschlag. Also nur dieses erst berechtiget; und ich hoffe, Sie werden mir das beizubringende glaubwürdige Zeugnis meiner Obern gütigst erlassen.

Nämlich; nehmen Sie doch nur an, daß dergleichen historische und politische Fragmente, als durch deren Druck Sie mich gern auf das Eis führen möchten, vonder Beschaffenheit wären, daß ihr Ungrund nicht allein klar und deutlich in die Augen leuchte, sondern sie zugleich auch einen unverhofften Anlaß und Stoff gäben, die Ehre und die Gerechtsamen des nämlichen Hauses noch von mehrern Seiten zu verherrlichen und zu erhärten: was ist sodann Ihr Zweifel, ob ich dergleichen Fragmente wohl dürfe drucken lassen? worauf gründet er sich? Darauf: daß es doch wohl mit jener Ehre, und jenen Gerechtsamen noch so ausgemacht nicht sei? Darauf: daß man einen wandelbaren Grund nicht noch mehr untergraben müsse? selbst in der Absicht nicht, ihn zu verstärken? – O, Herr Hauptpastor, das Durchlauchtigste Haus meines Herrn ist Ihnen für diese Schmeichelei, für diese Besorgnis recht sehr verbunden! recht sehr! – Darüber getraue ich mir allenfalls, Ihnen ein glaubwürdiges Zeugnis von meinen Obern beizubringen.

Oder darf ich, was ich bei den Gerechtsamen des Hauses annehme, dem ich diene, bei der Wahrheit der Religion nicht annehmen, die ich bekenne? Darf ich nicht darauf rechnen, daß alle Einwendungen gegen diese, wenigstens eben sowohl zu beantworten sind, als gegen jene? Darf ich nicht erwarten, daß auch hier neue Einwürfe neue Erörterungen, geschärftere Zweifel geschärftere Auflösungen veranlassen werden? Nicht?

»Allerdings! ruft der Hr. Hauptpastor, allerdings! Die Religion, betrachtet als Inbegriff der zu unsrer Seligkeit geoffenbarten Wahrheiten, gewinnet allerdings, je aufrichtiger und scharfsinniger sie bestritten wird. Aber, das ist nur die objektive Religion; nur die objektive! Mit der subjektiven ist es ganz anders. Die subjektive Religion verlieret unwidersprechlich, durch dergleichen Bestreitungen, unendlich mehr, als jene nur immer dadurch gewinnen kann! Folglich – –«

Und was ist diese subjektive Religion? – »Die Gemütsverfassung der Menschen, in Absicht auf die Religion, ihr Glaube, ihre [220] Beruhigung, ihr Vertrauen auf uns, ihre Lehrer. Die, die periklitieren bei jedem Worte, das in deutscher Sprache gegen unsere allerheiligste Religion geschrieben wird.«

So! Bei Gott! ein tiefgedachter Unterschied, den ich ja in seinen Schulterminis zu lassen bitte, wenn er nicht ausgepfiffen, und gerade gegen seine Bestimmung gebraucht werden soll.

Denn, wenn es wahr ist, daß die Religion bei allen und jeden Anfällen, die auf sie geschehen, objektive gewinnt, und nur subjektive verliert: wer will behaupten, daß es also nach dem größern Gewinne, oder nach dem größern Verluste entschieden werden müsse, ob dergleichen Anfälle überhaupt zu dulden sind, oder nicht. Ja, wenn Gewinn und Verlust hier völlig homogene Dinge wären, die man nur von einander abzuziehn brauche, um sich durch den Überrest bestimmen zu lassen! Aber der Gewinn ist wesentlich: und der Verlust ist nur zufällig. Der Gewinn erstreckt sich auf alle Zeiten: der Verlust schränkt sich nur auf den Augenblick ein, so lange die Einwürfe noch unbeantwortet sind. Der Gewinn kömmt allen guten Menschen zu statten, die Erleuchtung und Überzeugung lieben: der Verlust trifft nur wenige, die weder wegen ihres Verstandes, noch wegen ihrer Sitten in Betracht zu kommen verdienen. Der Verlust trifft nur die paleas levis fidei; nur die leichte christliche Spreu, die bei jedem Windstoße der Bezweiflung von den schweren Körnern sich absondert, und auffliegt.

Von dieser, sagt Tertullian, mag doch verfliegen so viel als will! Avolent quantum volent! – Aber nicht so unsre heutigen Kirchenlehrer. Auch von der christlichen Spreu soll kein Hülschen verloren gehen! Lieber wollen sie die Körner selbst nicht lüften und umwerfen lassen.

Überhaupt läßt sich alles, was Tertullian 8 von den Ketzereien seiner Zeit, mit so vieler Scharfsinnigkeit sagt, vollkommen auf die Schriften der Ungläubigen und Freigeister unsrer Zeit anwenden. Was sind diese Schriften auch anders als Ketzereien? Nur daß ihnen gerade noch das gebricht, was die eigentlichen Ketzereien so fürchterlich macht. Sie zielen unmittelbar auf keine Spaltung und Trennung; sie machen keine Parteien und Rotten. [221] Die alten Ketzer lehrten mehr mündlich als schriftlich, und fingen immer damit an, daß sie sich Anhänger zu verschaffen suchten, welche ihren vorzutragenden Lehren sogleich ein politisches Gewicht geben könnten. Wie viel unschädlicher schickt itzt ein Mißgläubiger seine Grillen bloß in die Druckerei, und läßt sie so viel Anhänger sich machen, als sie ohne sein weiteres Zutun, sich zu machen vermögen. –

Die freigeisterischen Schriften sind also offenbar das kleinere Übel: und das kleinere Übel sollte verderblicher sein, als das große? Wenn das größere Übel sein muß, auf daß die, so rechtschaffen sind, offenbar werden, – ut fides, habendo tentationem, haberet etiam probationem: warum wollen wir das kleinere nicht dulden, das eben dieses Gute hervorbringt?

O ihr Toren! die ihr den Sturmwind gern aus der Natur verbannen möchtet, weil er dort ein Schiff in die Sandbank vergräbt, und hier ein anders am felsigten Ufer zerschmettert! – O ihr Heuchler! denn wir kennen euch. Nicht um diese unglücklichen Schiffe ist euch zu tun, ihr hättet sie denn versichert: euch ist lediglich um euer eignes Gärtchen zu tun; um eure eigne kleine Bequemlichkeit, kleine Ergetzung. Der böse Sturmwind! da hat er euch ein Lusthäuschen abgedeckt; da die vollen Bäume zu sehr geschüttelt; da eure ganze kostbare Orangerie, in sieben irdenen Töpfen, umgeworfen. Was geht es euch an, wie viel Gutes der Sturmwind sonst in der Natur befördert? Könnte er es nicht auch befördern, ohne eurem Gärtchen zu schaden? Warum bläset er nicht bei eurem Zaune vorbei? oder nimmt die Backen wenigstens weniger voll, sobald er an euren Grenzsteinen anlangt?

Wenn Tertullian von denen, die sich zu seiner Zeit an den Ketzereien so ärgerten, über deren Fortgang so wunderten, sagt: vane et inconsiderate hoc ipso scandalizantur, quod tantum haereses valeant: was würde er von Ihnen sagen, Herr Hauptpastor, der Sie um die papierne Grundlage einer möglichen Ketzerei so ein Lärmen anfangen? Um Fragmente eines Ungenannten! Würde er nicht auch sagen: »Kurzsichtiger, – nihil valebunt, si illa tantum valere, non mireris? Dein Lärmen selbst ist Schuld, wenn diese Fragmente mehr Schaden anrichten, als sie anzurichten bestimmt sind. Der Ungenannte wollte sich keinen Namen erschreiben: sonst hätte er sich genannt. Er wollte sich kein[222] Häufchen sammlen: sonst hätte ers bei seinen Lebzeiten getan. Mit einem Worte: der diese Fragmente drucken ließ, hat weit weniger Verantwortung, als Du, der Du das laute Zeter über sie anstimmst. Jener hat nur gemacht, daß mehrere sie lesen können: Du machst, daß mehrere sie wirklich gelesen haben, und nun lesen müssen.« –

Vielleicht, daß der Herr Hauptpastor diesen Verweis aus dem Munde eines Kirchenvaters lieber hört, als aus meinem! –

Antwort auf die Anzeige
im 30sten Beitrage
des Altonaer Postreuters

1) Habe ich denn auch dem Herrn Goeze die Rezension des Maschoschen Buchs einzig und allein in die Schuh gegossen? Habe ich nicht ausdrücklich gesagt,Goeze und Compagnie? Die Compagnieschaft mit den freiwilligen Beiträgern kann er doch nicht ableugnen, mit welchen er sich einer gemeinschaftlichen Firma bedient? Meint denn der Herr Hauptpastor, weil er sich, außer dieser gemeinschaftlichen Firma, auch noch einer besondern, ihm allein eignen, von Zeit zu Zeit bedienet, daß er für jene gar nicht mit einstehen darf? Ich will es ihm zugeben, wenn er wenigstens nun, da er weiß, daß das Buch des Herrn Mascho eben die Grundsätze enthält, die er an mir verdammet, nächstens den Herrn Mascho in den Fr. Bei. eben so behandelt, als mich. – 2) Warum muß denn Herr Nicolai immer dem Herrn Goeze namentlich büßen, so oft in der Allgemeinen Bibliothek etwas vorkömmt, was ihm nicht ansteht? Herr Nicolai ist auch nicht Director der A. B. Herr Nicolai bekömmt auch nicht alle Aufsätze vorher zu sehen, die in der A. B. Platz finden. Vielleicht, daß er selbst nie ein Wort gegen ihn geschrieben hat. Was sich Herr Goeze mit Nicolai erlaubt: das sollte ich mir nicht mit Goezen erlauben dürfen? – 3) Und von dieser Kleinigkeit, wenn ich mich auch damit geirret hätte, sollen die Leser auf meine übrigen Behauptungen einen Schluß machen? Ja, wenn sie so schließen wollen, wie Herr Goeze oder Herr E. schließt! Dieser Herr E. mag sein, wer er will. Näher zu kennen verlange ich ihn gar nicht.

[223]

Anti-Goeze. Vierter

Anti-Goeze
Vierter

Tonto sin saber Latin,

Nunca es gran tonto.

Francis. de Roxas


Wenn doch indes das eine ohne dem andern sehr füglich sein könnte? – Wenn es gar wohl möglich wäre, »daß die christliche Religion objective allen Vorteil aus den Einwürfen der Freigeister ziehen könnte, ohne subjective den geringsten Schaden zu besorgen?«

Das wäre allerdings das Bessere. Aber wie? wodurch? – Hier ist es, wo man mit einem Einfalle aufgezogen kömmt, der pedantisch genug klingt, um gründlich sein zu können. Ein andrer würde ihn bloß lächerlich machen: ich, ich will ihn prüfen. Denn mir ist das Pedantische fast Empfehlung.

Es dürfte, sagt man, nur ausgemacht sein, daß der Streit nie anders, als in der Sprache der Gelehrten geführt würde. »Schreibt lateinisch, ihr Herrn! schreibt lateinisch! – Ja! wer fleißiger in den Klassen gewesen wäre! wer lateinisch könnte!«

– Nicht weiter, Herr Subconrector: oder man merkt Ihre wahre Absicht. Sie möchten Ihrem lieben Latein nur gern eine Empfehlung mehr verschaffen. »Lernt Latein, Jungens, lernt Latein! Alle Einwürfe gegen die Religion sind lateinisch geschrieben! Wenn ihr auch selbst keine schreiben wollt: müßt ihr die geschriebenen doch kennen.« – Und nun lernen die Jungens Latein, daß ihnen der Kopf raucht.

Doch ich habe gesagt, daß ich den Einfall nicht bloß lächerlich machen: sondern prüfen will. – Es wäre denn, wie ich fast besorge, daß dieses auf jenes hinaus liefe. Und das wäre doch meine Schuld wohl nicht. Genug, ich will ernsthaft und ordentlich zu Werke gehen.

[224] Also: wer gegen die Religion schreiben will, soll nicht anders, als lateinisch schreiben dürfen; damit der gemeine Mann nicht geärgert werde.

Und in den Ländern, wo der gemeine Mann ziemlich Latein verstehet, als in Polen, Ungarn – da müssen wohl sonach die Einwürfe gegen die Religion griechisch geschrieben werden? – Natürlich! Was für ein schöner pädagogischer Handgriff, nun auch die griechische Sprache in diesen Ländern gemein zu machen! Denn es versteht sich, daß die in andern Ländern wider die Religion geschriebenen lateinischen Bücher in diese Länder nicht kommen.

Aber schon wieder auf das Lächerliche zu, das ich so gern vermeiden möchte! – »Was läge daran, wenn der Vorschlag in Polen und Ungarn nicht hülfe? er hülfe doch vors erste in Deutschland.« –

Gewiß? er hülfe? – Kann ein Vorschlag helfen, der weder tulich, noch billig, noch klug, noch christlich ist? – Das ist, was ich so ernsthaft erweisen will, als möglich.

Zwar, daß er tulich wäre, müßte ich wohl voraussetzen lassen. Ich müßte zugeben, daß ein Reichsgesetz darüber gemacht werden könne und dürfe. Denn ein geringers Verbot, als ein Reichsgesetz, würde nichts fruchten. Der Kopf, oder wenigstens ewige Gefangenschaft bei Wasser und Brod, und ohne Dinte und Feder, müßte im ganzen heiligen römischen Reiche darauf stehen, wenn jemand wider heilige Sachen anders als römisch schriebe. Das Gesetz läge schon in dem Namen des heiligen römischen Reichs, und sollte nicht tulich sein?

Nun gut; so sei es tulich: aber wäre es denn billig? – Kann überhaupt ein Gesetz billig sein, das eben so viel unfähige Leute zu etwas berechtigen, als fähige davon ausschließen würde? – Und wer sieht nicht, daß dieses hier geschähe? Oder ist es das Latein selbst, welches die Fähigkeit gewähret, Zweifel gegen die Religion zu haben, und vorzutragen? Ist es die Urkunde des Lateins selbst, welche diese Fähigkeit allen Menschen ohne Ausnahme aberkennet? Ist kein gewissenhafter, nachdenklicher Mann ohne Latein möglich? Gibt es keinen Dummkopf, keinen Narren mit Latein? Ich will auf dem Einfalle des de Roxas nicht bestehen, daß das Latein erst den rechten Narren macht: [225] aber den rechten Philosophen macht es doch auch nicht. – Darzu; von was für einem Latein können ist die Rede? Von dem, bis zum schreiben. Wenn nun Baco, der kein Latein schreiben konnte, Zweifel gegen die Religion gehabt hätte: so hätte auch Baco diese Zweifel unterdrücken müssen? So hätte jeder Schulkollege, der ein lateinisches Programma zusammen raspeln kann, eine Erlaubnis, die Baco nicht hatte? Ich finde zwar nicht, daß Baco wie Huart dachte, der es gerade zu für das Zeichen eines schiefen Kopfes, eines Stümpers hielt, zu glauben, daß er sich in einer fremden Sprache besser werde ausdrücken können, als in seiner. Aber Baco konnte vielleicht doch denken: wie ich Latein schreiben möchte, kann ich nicht; und wie ich kann, mag ich nicht. – Wenn mehrere wüßten, welch Latein sie schrieben: so würden noch weniger Latein schreiben. Es wäre denn freilich, daß sie müßten. Ein Muß, das vielleicht der Sprache zuträglich sein könnte; aber nimmermehr den Sachen.

Und wenn schon in diesem Betracht, daß man sonach dem kleinern Nutzen den größern aufopferte, das unbillige Gesetz auch nicht klug wäre: wäre es nur in diesem Betracht unklug? Wäre es nicht auch darum unklug, weil es dem gemeinen Manne notwendig Verdacht gegen die Güte einer Sache erwecken müßte, die man sich unter seinen Augen zu behandeln nicht getraute? von deren Prüfung ihm die Lateinischen Männer durch ihre Dolmetscher nur so viel mitteilen ließen, als sie für dienlich erachteten? – Wäre es nicht auch darum unklug, weil es den Schaden, dem es vorbauen soll, gerade vermehret? Die Einwendungen gegen die Religion sollen lateinisch geschrieben werden, damit sie unter weniger Leuten Schaden anrichten. Unter wenigern? Ja, unter wenigern in jedem Lande, in welchem das Lateinische nur bei einer gewissen Klasse von Leuten üblich wäre: aber auch in ganz Europa? in der ganzen Welt? Schwerlich wohl. Denn sollten, auch nur in Europa zusammen, nicht mehr Menschen sein, welche Lateinisch könnten, und doch nicht im Stande wären, jedem übeln Eindrucke wahrscheinlicher Zweifel zu widerstehen und zu begegnen: als dergleichen schwache Menschen, die nicht Lateinisch könnten, in jedem einzeln Lande? Seele ist für den Teufel Seele: oder, wenn er einen Unterschied unter Seelen macht, so gewänne er ja wohl noch dabei. Er [226] bekäme, z.E. für die Seele eines deutschen Michels, der nur durch deutsche Schriften hätte verführt werden können, die Seele eines studierten Franzosen oder Engländers. Er bekäme für einen trocknen Braten, einen gespickten.

Sein Votum also, das Votum des Teufels, hätte das unkluge Gesetz gewiß: wenn es auch nicht, noch oben darein, unchristlich wäre; wie schon daraus zu vermuten, daß es unbillig ist. – Ich verstehe aber unter unchristlich, was mit dem Geiste des Christentums, mit der letzten Absicht desselben streitet. Nun ist, so viel ich, mit Erlaubnis des Herrn Hauptpastor Goeze, davon verstehe, die letzte Absicht des Christentums nicht unsere Seligkeit, sie mag herkommen woher sie will: sondern unsre Seligkeit, vermittelst unsrer Erleuchtung; welche Erleuchtung nicht bloß als Bedingung, sondern als Ingredienz zur Seligkeit notwendig ist; in welcher am Ende unsre ganze Seligkeit besteht. Wie ganz also dem Geiste des Christentums zuwider, lieber zur Erleuchtung so vieler nichts beitragen, alswenige vielleicht ärgern wollen! Immer müssen dieseWenige, die niemals Christen waren, niemals Christen sein werden, die bloß unter dem Namen Christen ihr undenkendes Leben so hinträumen; immer muß dieser verächtliche Teil der Christen vor das Loch geschoben werden, durch welches der bessere Teil zu dem Lichte hindurch will. Oder ist dieser verächtlichste Teil nicht der wenigste? Muß er wegen seiner Vielheit geschont werden? – Was für ein Christentum hat man denn bisher geprediget, daß dem wahren Christentume noch nicht einmal der größere Haufe so anhängt, wie sichs gehöret? – Wenn nun auch von diesen Namenchristen sich einige ärgerten; einige von ihnen, auf Veranlassung in ihrer Sprache geschriebener freigeisterischen Schriften, so gar erklärten, daß sie nicht länger sein wollten, was sie nie waren: was wäre es denn nun mehr? Tertullian fragt, und ich mit ihm: Nonne ab ipso Domino quidam discentium scandalizati diverterunt? Wer, ehe er zu handeln, besonders zu schreiben, beginnt, vorher untersuchen zu müssen glaubt, ob er nicht vielleicht durch seine Handlungen und Schriften, hier einen Schwachgläubigen ärgern, da einen Ungläubigen verhärten, dort einem Bösewichte, der Feigenblätter sucht, dergleichen in die Hände spielen werde: der entsage doch nur gleich allem Handeln, allem Schreiben. Ich mag [227] gern keinen Wurm vorsätzlich zertreten; aber wenn es mir zur Sünde gerechnet werden soll, wenn ich einen von ungefähr zertrete: so weiß ich mir nichts anders zu raten, als daß ich mich gar nicht rühre; keines meiner Glieder aus der Lage bringe, in der es sich einmal befindet; zu leben aufhöre. Jede Bewegung, im Physischen entwickelt und zerstöret, bringt Leben und Tod; bringt diesem Geschöpfe Tod, indem sie jenem Leben bringt: soll lieber kein Tod sein, und keine Bewegung? oder lieber, Tod und Bewegung?

Und so ist es mit diesem Wunsche beschaffen, daß die Feinde der Religion sich nie einer andern, als der lateinischen Sprache bedienen dürften; mit diesem Wunsche, der so gern Gesetz werden möchte! So ist es schon itzt damit beschaffen: und wie meinet man, daß es mit aller Untersuchung der Wahrheit über haupt aussehen würde, wenn er nun erst Gesetz wäre? – Man urteile aus den Krallen, welche die geistliche Tyrannei in einem ihrer grimmigsten, zum Glück noch gefesselten Tiger, bereits zu entblößen wagt!

Ich ziele hiermit auf das, was der Herr Hauptpastor S. 79 und 80 über diesen Punkt sagt: und wer es noch nicht riecht, wohin alle die Einschränkungen und Bedingungen abzielen, mit und unter welchen es vergönnt bleiben könne, Einwürfe gegen die Religion zu machen: der hat den Schnupfen ein wenig zu stark.

»Verständigen, – heißt es alldort – verständigen und gesetzten Männern kann es vergönnt bleiben, bescheidene Einwürfe gegen die christliche Religion, und selbst gegen die Bibel zu machen.« – Aber von wem soll die Entscheidung abhangen, wer ein gesetzter und verständiger Mann ist? Ist der bloß ein verständiger Mann, der Verstand genug hat, die Verfolgung zu erwägen, die er sich durch seine Freimütigkeit zuziehen würde? Ist der bloß ein gesetzter Mann, der gern in dem bequemen Lehnstuhle, in den ihn sein Amt gesetzt hat, ruhig sitzen bliebe, und daher herzlich wünscht, daß auch andre, wenn sie schon so weich nicht sitzen, dennoch eben so ruhig sitzen bleiben möchten? Sind nur das bescheidene Einwürfe, die sich bescheiden, der Sache nicht ans Leben zu kommen? die sich bescheiden, nur so weit sich zu entwickeln, als ohngefähr noch eine Antwort abzusehen ist?

Das letztere muß wohl. Denn der Herr Hauptpastor fährt fort: [228] »Es wird solches nötig sein, um die Lehrer in Otem zu erhalten« – So? nur darum? So soll alle Bestreitung der Religion nur eine Schulübung, nur ein Spiegelgefechte sein? Sobald der Präses dem Opponenten einen Wink gibt; sobald der Opponent merkt, daß der Respondent nichts zu antworten haben werde, und daß den Herrn Präses zu sehr hungert, als daß dieser selbst, mit gehöriger Ruhe und Umständlichkeit, darauf antworten könne: muß die Disputation aus sein? müssen Präses und Opponent freundschaftlich mit einander zum Schmause eilen? – Doch wohl, nein: denn der Herr Hauptpastor setzt ja noch hinzu: »und um solche Zeiten der Ruhe zu verhüten, unter welchen die Christenheit von dem 9ten bis zum 15ten Jahrhundert beinahe völlig zu Grunde gegangen wäre.« – Vortrefflich! Aber weiß der Herr Hauptpastor wohl, daß selbst in diesen barbarischen Zeiten doch noch mehr Einwürfe gegen die christliche Religion gemacht wurden, als die Geistlichen zu beantworten Lust hatten? Bedenkt er wohl, daß diese Zeiten nicht darum der christlichen Religion so verderblich wurden, weil niemand Zweifel hatte: sondern darum, weil sich niemand damit an das Licht getrauen durfte? darum, weil es Zeiten waren, wie der Herr Hauptpastor will, daß unsere werden sollen?

[229]

Anti-Goeze. Fünfter

Anti-Goeze
Fünfter

Cognitio veritatis omnia falsa, si modo proferantur, etiam quae prius inaudita erant, et dijudicare et subvertere idonea esti.

Augustinus ad Dioscorum


O glückliche Zeiten, da die Geistlichkeit noch alles in allem war, – für uns dachte und für uns aß! Wie gern brächte euch der Herr Hauptpastor im Triumphe wieder zurück! Wie gern möchte er, daß sich Deutschlands Regenten zu dieser heilsamen Absicht mit ihm vereinigten! Er predigt ihnen süß und sauer, er stellt ihnen Himmel und Hölle vor. Nun, wenn sie nicht hören wollen: so mögen sie fühlen. Witz und Landessprache sind die Mistbeete, in welchen der Same der Rebellion so gern und so geschwind reifet. Heute ein Dichter: morgen ein Konigsmörder. Clement, Ravaillac, Damiens sind nicht in den Beichtstühlen, sind auf dem Parnasse gebildet.

Doch auf diesem Gemeinorte des Herrn Hauptpastors lasse ich mich wohl wieder ein andermal treffen. Itzt will ich nur, wem es noch nicht klar genug ist, vollends klar machen, daß Herr Goeze schlechterdings nicht gestattet, was er zu gestatten scheinet; und daß eben das die Klauen sind, die der Tiger nur in das hölzerne Gitter schlagen zu können, sich so ärgert.

Ich sage nämlich: es ist mit seiner Erlaubnis, Einwürfe gegen Religion und Bibel, gegen das, was er Religion und Bibel nennt, machen zu dürfen, nur Larifari. Er gibt sie und gibt sie nicht: denn er verklausuliert sie von allen Seiten so streng und rabulistisch, daß man sich, Gebrauch davon zu machen, wohl hüten muß.

Die Klausel, in Ansehung der Sprache, habe ich genugsam beleuchtet. Auch habe ich die Klausel in Ansehung der Personen und der Absicht, berühret. Aber noch ist die Klausel in Ansehung [230] der Punkte selbst übrig, welche die Einwürfe nur sollen treffen können; und diese verdient um so mehr, daß wir uns einen Augenblick dabei verweilen, je billiger sie klingt, je weniger man, dem ersten Ansehen nach, etwas dagegen einzuwenden haben sollte.

»Nur müßte«, sind die Worte des Herrn Hauptpastors, »der angreifende Teil die Freiheit nicht haben, die heiligen Männer Gottes, von welchen die ganze Christenheit glaubt, daß sie geredet und geschrieben haben, getrieben von dem heiligen Geiste, als Dummköpfe, als Bösewichter, als Leichenräuber zu lästern.«

Wie gesagt, dieses klingt so billig, daß man sich fast schämen sollte, eine Erinnerung dagegen zu machen. Und doch ist es im Grunde mehr nicht, als Pfiff, oder Armseligkeit. Denn verstehen wir uns nur erst recht!

Will der Herr Hauptpastor bloß, daß der angreifende Teil die Freiheit nicht haben müßte, dergleichen Schimpfworte, als er ihm in den Mund legt, anstatt aller Gründe, zu gebrauchen? Oder will er zugleich, daß der angreifende Teil auch die Freiheit nicht haben müßte, solche Dinge und Tatsachen zu berühren, aus deren Erweisung erst folgen würde, daß den Aposteln jene Benennungen gewissermaßen zukommen? Das ist die Frage, deren er sich wohl nicht versehen hat.

Will er bloß jenes: so ist seine Forderung höchst gerecht; aber sie betrifft eine Armseligkeit, über die sich der Christ lieber hinwegsetzt. Leere Schimpfworte bringen ihn nicht auf; sie mögen wider ihn selbst, oder wider seinen Glauben gerichtet sein. Ruhige Verachtung ist alles, was er ihnen entgegen setzt. Wehe seinem Gegner, der nichts anders hat, womit er ihn bestreite, und ihn doch bestreitet! –

Will der Herr Hauptpastor aber auch zugleich dieses: so geht er mit Pfiffen um, deren sich nur eine theologische Memme schuldig macht; und jeder muß sich ihm widersetzen, dem die Wahrheit der christlichen Religion am Herzen liegt. – Denn wie? So hat die christliche Religion kranke Stellen, die schlechterdings keine Betastung dulden? die man selbst der Luft nicht auslegen darf? Oder hat sie keine solche Stellen: warum sollen ihre Freunde immer und ewig den Vorwurf hören, »daß man nur nicht alles sagen dürfe, was man gegen sie sagen könnte?« Dieser [231] Vorwurf ist so erniedrigend, ist so marternd! Ich wiederhole es: nur eine theologische Memme kann ihm nicht ein Ende gemacht zu sehen wünschen, kann durch ihr Betragen länger dazu berechtigen. Nicht, daß mir der Theologische Renommist lieber wäre, welcher mitten vom Pflaster dem leutescheuen Freigeiste, der sich an den Häusern hinschleicht, ein Schnippchen schlägt, und trotzig zuruft: »komm heraus, wenn du was hast!« Ich kann beide nicht leiden; und das sonderbarste ist, daß auch hier nicht selten Memme und Renommist in Einer Person sind. Sondern ich glaube, daß der wahre Christ weder den einen noch den andern spielt: zu mißtrauisch auf seine Vernunft; zu stolz auf seine Empfindung. –

So viel gegen die Foderung des Herrn Hauptpastors, im Allgemeinen betrachtet. Ich komme auf den einzeln Fall, den er dabei im Sinne hat. Denn mein Ungenannter muß es doch wohl sein sollen, der sich einer Freiheit bedienet, die er nicht haben müßte.

Aber wo hat er sich denn ihrer bedienet? Wo hat er denn die Apostel als Dummköpfe, Bösewichter, Leichenräuber gelästert? Ich biete dem Herrn Hauptpastor Trotz, mir eine einzige Stelle in den Fragmenten zu zeigen, wo er mit solchen Ehrentiteln um sich wirft. Der Herr Hauptpastor sind es einzig und allein selbst, dem sie hier zuerst über die Zunge, oder aus der Feder, – zuerst in die Gedanken gekommen. Er, er mußte, im Namen des Ungenannten, die Apostel lästern, damit er den Ungenannten lästern könne.

Und daß man ja nicht glaube, als ob ich meinen Ungenannten bloß damit schützen wolle, daß jene Ehrentitel nicht buchstäblich bei ihm zu finden! Mein Ungenannter hat sogar nichts von den Aposteln positiv behauptet, was sie derselben würdig machen könnte; nirgends ihnen den Gehalt derselben gerade auf den Kopf zugesagt.

Es ist nicht wahr, daß mein Ungenannter schlechthin sagt: »Christus ist nicht auferstanden, sondern seine Jünger haben seinen Leichnam gestohlen.« Er hat die Apostel dieses Diebstahls weder überwiesen, noch überweisen wollen. Er sahe zu wohl ein, daß er sie dessen nicht überweisen könne. Denn ein Verdacht, selbst ein höchstwahrscheinlicher Verdacht, ist noch lange kein Beweis.

[232] Mein Ungenannter sagt bloß: dieser Verdacht, welchen sein Gehirn nicht ausgebrütet, welcher sich aus dem Neuen Testamente selbst herschreibt, dieser Verdacht sei durch die Erzählung des Matthäus von Bewahrung des Grabes, nicht so völlig gehoben und widerlegt, daß er nicht noch immer wahrscheinlich undglaublich bleibe; indem besagte Erzählung nicht allein ihrer innern Beschaffenheit nach höchst verdächtig, sondern auch ein απαξ λεγομενον sei, dergleichen in der Geschichte überhaupt nicht viel Glauben verdiene; und hier destoweniger, weil sich selbst diejenigen nie darauf zu berufen getrauet, denen an der Wahrheit derselben am meisten gelegen gewesen.

Wer sieht nun nicht, daß es sonach hier weniger auf die Wahrheit der Sache, als auf die glaubwürdige Art der Erzählung ankömmt? Und da die Erzählung einer sehr wahren Sache sehr unglaublich sein kann: wer erkennt nicht, daß diese Unglaublichkeit jener Wahrheit nur in so weit präjudiziert, als man die Wahrheit einzig und allein von der Erzählung will abhangen lassen?

Doch gesetzt auch, mein Ungenannter hätte sich in diesen Grenzen nicht gehalten, er hätte nicht bloß zeigen wollen, was jeder gute Katholik ohne Anstoß glauben und behaupten kann, daß in der schriftlichen Erzählung der Evangelisten und Apostel einzig und allein, gewisse heilige Begebenheiten so ungezweifelt nicht erscheinen, daß sie nicht noch einer anderweitigen Bekräftigung bedürfen; gesetzt, er hätte das wahrscheinliche für wahr, das glaubliche für unleugbar gehalten, er hätte es schlechterdings für ausgemacht gehalten, daß die Apostel den Leichnam Jesu entwendet: so bin ich auch sodann noch überzeugt, daß er diesen Männern, durch welche gleichwohl so unsäglich viel Gutes in die Welt gekommen, wie er selbst nicht in Abrede ist, daß er, sage ich, diesen uns in aller Absicht so teuren Männern, die schimpflichen NamenBetrüger, Bösewichter, Leichenräuber würde erspart haben, die dem Herrn Hauptpastor so geläufig sind.

Und zwar würde er sie ihnen nicht bloß aus Höflichkeit erspart haben; nicht bloß aus Besorglichkeit, das Kalb, wie man zu sagen pflegt, zu sehr in die Augen zu schlagen: sondern er würde sie ihnen erspart haben, weil er überzeugt sein mußte, daß ihnen zu viel damit geschähe.

[233] Denn wenn es schon wahr ist, daß moralische Handlungen, sie mögen zu noch so verschiednen Zeiten, bei noch so verschiednen Völkern vorkommen, in sich betrachtet immer die nämlichen bleiben: so haben doch darum die nämlichen Handlungen nicht immer die nämlichen Benennungen, und es ist ungerecht, irgend einer eine andere Benennung zu geben, als die, welche sie zu ihren Zeiten, und bei ihrem Volk zu haben pflegte.

Nun ist es erwiesen und ausgemacht, daß die ältesten und angesehnsten Kirchenväter einen Betrug, der in guter Absicht geschiehet, für keinen Betrug gehalten, und diese nämliche Denkungsart den Aposteln beizulegen, sich kein Bedenken gemacht haben. Wer diesen Punkt von einem unverdächtigen Theologen selbst, belegt und aufs Reine gebracht lesen will, der lese Ribovs Programm de Oeconomia patrum. Die Stellen sind unwidersprechlich, die Ribov daselbst mit Verschwendung zusammen trägt, um zu beweisen, daß die Kirchenväter fast ohne Ausnahme der festen Meinung gewesen, integrum omnino Doctoribus et coetus Christiani Antistitibus esse, ut dolos versent, falsa veris intermisceant et imprimis religionis hostes fallant, dummodo veritatis commodis et utilitati inserviant. Auch sind die Stellen der andern Art, wo die Kirchenväter den Aposteln selbst eine dergleichen οικονομιαν, eine dergleichen falsitatem dispensativam beilegen, eben so unleugbar. Was Hieronymus unter andern vom h. Paulus versichert, 9 ist sonaiv, daß es dem naiven Ribov selbst auffällt, darum aber nicht weniger die wahre Meinung des Hieronymus bleibt.

Man sage nicht, daß diese uns itzt so befremdende Vorstellung von der Aufrichtigkeit der ersten Kirchenväter und Apostel, bloße Vorteile der Auslegungskunst, bloßen Wörterkram betreffe. Worte und Handlungen liegen nicht so weit auseinander, als man insgemein glaubt. Wer fähig ist, eine Schriftstelle wider besser Wissen und Gewissen zu verdrehen, ist zu allem andern fähig; kann falsch Zeugnis ablegen, kann Schriften unterschieben, kann Tatsachen erdichten, kann zu Bestätigung derselben jedes Mittel für erlaubt halten.

[234] Gott bewahre mich, daß ich zu verstehen geben sollte, daß die Apostel zu diesem allen fähig gewesen, weil sie die Kirchenväter zu einem für fähig gehalten! Ich will nur die Frage veranlassen: ob in eben dem Geiste, in welchem wir itzt in Ansehung dieseseinen über sie urteilen, ein billiger Mann allenfalls nicht auch in Ansehung des übrigen urteilen müßte, wenn es ihnen wirklich zur Last fiele?

Und so ein billiger Mann war mein Ungenannter allerdings. Er hat keine Schuld, die in leichtem Gelde gemacht war, in schwerem wiedergefodert. Er hat kein Verbrechen, welches unter nachsehendern Gesetzen begangen war, nach spätern geschärfteren Gesetzen gerichtet. Er hat keine Benennung, die dem Abstracto der Tat zu ihrer Zeit nicht zukam, dem Concreto des Täters zu unsrer Zeit beigelegt. Er hat immer in seinem Herzen dafür halten können, daß wir betrogen sind: aber er hat sich wohl gehütet zu sagen, daß wir von Betrügern betrogen sind.

Vielmehr spielt jeder, welcher meinen Ungenannten dieses letztere sagen läßt, weil er ihn überführen kann, daß er das erstere geglaubt habe, selbst einenBetrug, um einen Pöbel in Harnisch zu bringen, der keinen Unterschied zu machen fähig ist. Ob aber diese Absicht auch zu den Absichten gehört, die einen Betrug entschuldigen, das lasse ich dahin gestellt sein. Ich sehe wenigstens den Nutzen, der daraus entspringen soll, noch nicht ein; und ich muß erst erfahren, ob selbst der Pöbel itziger Zeit nicht schon klüger und vernünftiger ist, als die Prediger, die ihn so gern hetzen möchten.

Herr Goeze weiß sehr wohl, daß mein Ungenannter eigentlich nur behauptet, daß die Apostel es ebenfalls gemacht, wie es alle Gesetzgeber, alle Stifter neuer Religionen und Staaten zu machen für gut befunden. Aber das fällt dem Pöbel, für den er schreibt und prediget, nicht so recht auf. Er spricht also mit dem Pöbel die Sprache des Pöbels, und schreiet, daß mein Ungenannter die Apostel als Betrüger und Bösewichter lästere. – Das klingt! das tut Wirkung! – Vielleicht, wie gesagt, aber auch nicht. Denn auch der geringste Pöbel, wenn er nur von seiner Obrigkeit gut gelenkt wird, wird von Zeit zu Zeit erleuchteter, gesitteter, besser: anstatt, daß es bei gewissen Predigern ein Grundgesetz ist, auf dem nämlichen Punkte der Moral und Religion immer und [235] ewig stehen zu bleiben, auf welchem ihre Vorfahren vor vielen hundert Jahren standen. Sie reißen sich nicht von dem Pöbel, – aber der Pöbel reißt sich endlich von ihnen los.

[236]

Anti-Goeze. Sechster

Anti-Goeze
Sechster

Non leve est, quod mihi impingit tantae urbis pontifex.

Hieron. adv. Ruffinum


Ich habe erwiesen, (Anti-Goeze III.) daß die Vorteile, welche die Religion objective aus den Zweifeln und Einwürfen ziehet, mit welchen die noch ununterjochte Vernunft gegen sie angeht, so wesentlich und groß sind, daß aller subjektive Nachteil, der daraus mehr befürchtet wird, als daß er wirklich daraus entstehe, in keine Betrachtung zu kommen verdienet; welches auch schon daher klar ist, weil der subjektive Nachteil nur so lange dauert, bis der objektive Vorteil sich zu äußern beginnet, in welchem Augenblicke sofort objektiver Vorteil auch subjektiver Vorteil zu werden anfängt. – Ich habe erwiesen, daß sonach die Kirche, welche ihr wahres Beste verstehet, sich nicht einfallen lassen kann, die Freiheit, die Religion zu bestreiten, auf irgend eine Weise einzuschränken; weder in Ansehung der Sprache noch in Ansehung der Personen einzuschränken, von welchen allein und in welcher allein die Bestreitung geschehen dürfe. (A. G. IV.) – Ich habe erwiesen, daß am wenigsten eine Ausnahme von Punkten gemacht werden dürfe, welche die Bestreitung nicht treffen solle (A. G. V.); indem dadurch ein Verdacht entstehen würde, welcher der Religion sicherlich mehr Schaden brächte, als ihr die Bestreitung der ausgenommenen Punkte nur immer bringen könnte. –

Wenn nun hieraus erhellet, daß die Kirche auch nicht einmal das Recht muß haben wollen, die Schriften, die gegen sie geschrieben worden, von welcher Beschaffenheit sie auch sein mögen, in ihrer Geburt zu ersticken, oder zu ihrer Geburt gar nicht gelangen zu lassen; es sei denn durch die bessere Belehrung ihrer Urheber; wenn selbst diese Urheber, in welchen sie nur den [237] Irrtum verfolget, alle die Schonung von ihr genießen, welche man denjenigen so gern widerfahren läßt, die uns wider ihren Willen, der nur auf unser Verderben geht, Gutes erzeigen: wie kann sie den für ihren Feind erkennen, in welchem sie nicht einmal den eigenen Irrtum zu verfolgen hat, welcher bloß fremde Irrtümer bekannt macht, um ihr den daraus zu erwartenden Vorteil je eher je lieber zu verschaffen? Wie kann der Herausgeber eines freigeisterischen Buches eine Ahndung von ihr zu besorgen haben, mit der sie nicht einmal den Verfasser desselben ansehen würde?

Als Hieronymus eine, seinem eignen Urteile nach, der wahren christlichen Religion höchst verderbliche Schrift aus dem Griechischen übersetzte – Es waren des Origenes Bücher περι αρχων. Man merke wohl, übersetzte! Und übersetzen ist doch wohl mehr, als bloß herausgeben – Als er diese gefährliche Schrift in der Absicht übersetzte, um sie von den Verkleisterungen und Verstümmlungen eines andern Übersetzers, des Ruffinus, zu retten, d.i. um sie ja in ihrer ganzen Stärke, mit allen ihren Verführungen, der Lateinischen Welt vorzulegen; und ihm hierüber eine gewisse schola tyrannica Vorwürfe machte, als habe er ein sehr strafbares Ärgernis auf seiner Seele: was war seine Antwort? O impudentiam singularem! Accusant medicum, quod venena prodiderit. – Nun weiß ich freilich nicht, was er mit jener schola tyrannica eigentlich sagen wollen. Und es wäre doch erstaunlich, wenn es auch damals schon unter den christlichen Lehrern Leute gegeben hätte, wie Goeze!– Aber eine ähnliche Antwort habe ich doch schon für mich auch gegeben. 10 »Weil ich das Gift, das im Finstern schleichet, dem Gesundheitsrate anzeige, soll ich die Pest in das Land gebracht haben?«

Freilich, als ich die Fragmente heraus zu geben anfing, wußte ich, oder äußerte ich doch, den Umstand noch nicht, den ich zur Entschuldigung eines Unternehmens, bei welchem ich darauf keine Rücksicht nahm oder nehmen konnte, hier brauchen zu wollenscheine. Ich wußte oder äußerte noch nicht, daß das Buch ganz vorhanden sei, an mehrern Orten vorhanden sei, und in der Handschrift darum keinen geringern Eindruck mache, weil der [238] Eindruck nicht in die Augen falle. Aber ich scheine auch nur, mich dieses Umstandes zu meiner Rechtfertigung bedienen zu wollen.

Ich bin ohne ihn dadurch gerechtfertigt genug, daß ich, als ich einmal eine sehr unschuldige Stelle aus dem Werke meines Ungenannten gelegentlich bekannt gemacht hatte, aufgefodert wurde, mehr daraus mitzuteilen. Ja ich will noch mehr Blöße geben.

Ich will gerade zu bekennen, daß ich auch ohne alle Auffoderung würde getan haben, was ich getan habe. Ich würde es vielleicht nur etwas später getan haben.

Denn einmal habe ich nun eine ganz abergläubische Achtung gegen jedes geschriebene, und nur geschrieben vorhandene Buch, von welchem ich erkenne, daß der Verfasser die Welt damit belehren oder vergnügen wollen. Es jammert mich, wenn ich sehe, daß Tod oder andere dem tätigen Manne nicht mehr und nicht weniger willkommene Ursachen, so viel gute Absichten vereiteln können; und ich fühle mich so fort in der Befassung, in welcher sich jeder Mensch, der dieses Namens noch würdig ist, bei Erblickung eines ausgesetzten Kindes befindet. Er begnügt sich nicht, ihm nur nicht vollends den Garaus zu machen; es unbeschädigt und ungestört da liegen zu lassen, wo er es findet: er schafft oder trägt es in das Findelhaus, damit es wenigstens Taufe und Namen erhalte. Eines denn freilich wohl lieber als das andere: nach dem ihm das eine mehr angelächelt, als das andere; nach dem ihm das eine den Finger mehr gedrücket, als das andere.

Gerade so wünschte ich wenigstens – Denn was wäre es nun, wenn auch darum noch so viel Lumpen mehr, dergestalt verarbeitet werden müßten, daß sie Spuren eines unsterblichen Geistes zu tragen fähig würden? – wünschte ich wenigstens, alle und jede ausgesetzte Geburten des Geistes, mit eins in das große für sie bestimmte Findelhaus der Druckerei bringen zu können: und wenn ich deren selbst nur wenige wirklich dahin bringe, so liegt die Schuld gewiß nicht an mir allein. Ich tue was ich kann; und jeder tue nur eben so viel. Selbst die Ursache liegt oft in mir nicht allein, warum ich eher diese als jene hinbringe, warum ich mir von dem gesundern und freundlichern Findlinge den Finger umsonst muß drücken lassen: sondern es wirken auch hier meistens [239] so viel kleine unmerkliche Ursachen zusammen, daß man mit Recht sagen kann, habent sua fata libelli.

Aber nie habe ich diese meine Schwachheit, – wodurch ich, ich weiß nicht ob ich sagen soll, zum Bibliothekar geboren, oder zum Bibliothekar von der Natur verwahrloset bin, – nie habe ich diese meine Schwachheit denken können, ohne meine individuelle Lage glücklich zu preisen. Ich bin sehr glücklich, daß ich hier Bibliothekar bin, und an keinem andern Orte. Ich bin sehr glücklich, das ich dieses Herrn Bibliothekar bin, und keines andern. –

Unter den heidnischen Philosophen, welche in den ersten Jahrhunderten wider das Christentum schrieben, muß ohne Zweifel Porphyrius der gefährlichste gewesen sein, so wie er, aller Vermutung nach, der scharfsinnigste und gelehrteste war. Denn seine 15 Bücher κατα χριστιανων sind, auf Befehl des Constantinus und Theodosius, so sorgsam zusammengesucht und vernichtet worden, daß uns auch kein einziges kleines Fragment daraus übrig geblieben. Selbst die dreißig und mehr Verfasser, die ausdrücklich wider ihn geschrieben hatten, worunter sich sehr große Namen befinden, sind darüber verloren gegangen; vermutlich weil sie zu viele und zu große Stellen ihres Gegners, der nun einmal aus der Welt sollte, angeführet hatten. – Wenn es aber wahr sein sollte, was Isaac Vossius den Salvius wollen glauben machen 11, daß dem ohngeachtet noch irgendwo ein Exemplar dieser so fürchterlichen Bücher des Porphyrius vorhanden sei; in der Mediceischen Bibliothek zu Florenz nämlich, wo es aber so heimlich gehalten werde, daß niemand es lesen, niemand das geringste der Welt daraus mitteilen dürfe: wahrlich, so möchte ich dort zu Florenz nicht Bibliothekar sein, und wenn ich Großherzog zugleich sein könnte. Oder vielmehr, ich möchte es nur unter dieser Bedingung sein, damit ich ein der Wahrheit und dem Christentume so nachteiliges Verbot geschwind aufheben, geschwind den Porphyrius in meinem herzoglichen Palaste drucken lassen, und geschwind das Großherzogtum, welches mir itzt schon im Gedanken zur Last ist, geschwind wieder an seine Behörde abgeben könnte. –

[240] Abälard ist der Mann, den ich oben 12 in Gedanken hatte, als ich sagte, daß selbst in jenen barbarischen Zeiten mehr Einwürfe gegen die Religion gemacht worden, als die Mönche zu beantworten Lust hatten, die beliebter Kürze und Bequemlichkeit wegen, den nur gleich zu allen Teufeln zu schicken bereit waren, der sich mit seinen Einwürfen an das Licht wagte. Denn sollte man wohl glauben, daß Trotz den Streitigkeiten, welche der h. Bernhardus dem Abälard gegen verschiedene seiner Schriften erregte; Trotz der Sammlung, welche Amboise mit seiner nicht geringen Gefahr von den Schriften des Abälards machte; Trotz den Nachlesen, welche Martene und Durand und B. Petz zu dieser Sammlung gehalten haben, uns doch noch dasjenige Werk des Abälard mangelt, aus welchem die Religionsgesinnungen desselben vornehmlich zu ersehen sein müßten. D'Achery hatte es, ich weiß nicht in welcher Bibliothek gefunden, hatte eine Abschrift davon genommen, und war Willens, es drucken zu lassen. Aber D'Achery ging oder mußte mit andern Gelehrten – auch Benediktinern ohne Zweifel – vorher noch darüber zu Rate gehen, und so konnte aus dem Druck nichts werden; die glücklich aufgefundene Schrift des Abälard, in quo, genio suo indulgens, omnia christianae religionis mysteria in utramque partem versat, ward zu ewigen Finsternissen verdammet 13. Die Abschrift des D'Achery kam in die Hände des Martene und Durand; und diese, welche so viel historischen und theologischen Schund dem Untergange entrissen hatten, hatten eben so wenig das Herz, noch ein bißchen Schund mehr der Welt aufzubewahren; weil es doch nur philosophischer Schund war. – Arme Scharteke! Gott führe dich mir in die Hände, ich lasse dich so gewiß drucken, so gewiß ich kein Benediktiner bin! – Aber wünschen einer zu sein, konnte ich fast, wenn man nur als ein solcher mehr dergleichen Manuskripte zu sehen bekäme. Was wäre es, wenn ich auch gleich das erste Jahr wieder aus dem Orden gestoßen würde?

Und das würde ich gewiß. Denn ich würde zu viel wollen drucken lassen, wozu mir der Orden den Vorschub verweigerte. [241] Der alte Lutheraner würde mich noch zu oft in den Nacken schlagen; und ich würde mich nimmermehr bereden können, daß eine Maxime, welche der päbstischen Hierarchie so zuträglich ist, auch dem wahren Christentume zuträglich sein könne.

»Doch das alles heißt ja nur eine Missetat durch das Jucken entschuldigen wollen, welches man, sie zu begehen, unwiderstehlich fühlet. Wenn es denn deine Schwachheit ist, dich verlassener Handschriften anzunehmen, so leide auch für deine Schwachheit. Genug, von dieser Handschrift hätte schlechterdings nichts müssen gedruckt werden, weil sie wenigstens eben so schlimm ist, als das Toldos Jeschu.«

Wohl angemerkt! Und also hätte auch wohl Toldos Jeschu nicht müssen gedruckt werden? Also waren die, welche es unter uns bekannt, und durch den Druck bekannt machten, keine Christen? Freilich war der, welcher es den Christen zuerst gleichsam unter die Nase rieb, nur ein getaufter Jude. Aber Porchetus? Aber Luther? Und Wagenseil, der sogar das Hebräische Original retten zu müssen glaubte! O der unbesonnene, der heimtückische Wagenseil! Sonst bekam unter tausend Juden kaum einer Toldos Jeschu zu lesen: nun können es alle lesen. Und was er auch sonst noch einmal vor dem Richterstuhl Gottes schwer wird zu verantworten haben, der böse Wagenseil! Aus seiner Ausgabe hat der abscheuliche Voltaire seine skurrilen Auszüge gemacht, die er zu machen wohl unterlassen haben würde, wenn er das Buch erst in den alten Drucken des Raimundus oder Porchetus hätte aufsuchen müssen. –

Nicht wahr, Herr Hauptpastor? Ich setze hinzu: die er zu machen auch wohl gar hätte müssen bleiben lassen, wenn Wagenseil das Lästerbuch anstatt hebräisch und lateinisch, hebräisch und deutsch hätte drucken lassen. Das wäre denn ein kleines Exempelchen, von welchem allgemeinen Nutzen es ist, wenn die Schriften wider die Religion nur lateinisch zu haben sind. Nicht wahr, Herr Hauptpastor?

Indes, Herr Hauptpastor, hat doch Wagenseil, in der weitläuftigen Vorrede zu seinen Telis igneis Satanae, sein Unternehmen so ziemlich gut verteidiget. Und wollen Sie wohl erlauben, daß ich nur eine einzige Stelle daraus hersetze, in welcher auch ich mit eingeschlossen zu sein glaube? Es ist die, welche den Hauptinhalt [242] der ganzen Vorrede in wenig Worte faßt. Neque vero, non legere tantum Haereticorum scripta, sed et opiniones illorum manifestare, librorumque ab iis compositorum, sive fragmenta aut compendia, sive integrum contextum, additis quidem plerumque confutationibus, aliquando tamen etiam sine iis, publice edere, imo et blasphemias impiorum hominum recitare, viri docti piique olim et nunc fas esse arbitrati sunt.

[243]

Anti-Goeze. Siebenter

Anti-Goeze
Siebenter

Ne hoc quidem nudum est intuendum, qualem causam vir bonus, sed etiam quare, et qua mente defendat.

Quinctilianus


Aber der Herr Pastor wird ärgerlich werden, daß ich ihm so Schritt vor Schritt auf den Leib rücke, um ihn endlich in dem Winkel zu haben, wo er mir nicht entwischen kann. Er wird schon itzt, ehe ich ihn noch ganz umzingelt habe, mir zu entwischen suchen, und sagen: »Ei, wer spricht denn auch von dem bloßen Drucke? Der ließe sich freilich noch so so beschönigen. Das eigentliche Verbrechen stecket da, daß der Herausgeber der Fragmente zugleich die Advokatur des Verfassers übernommen hat.«

Advokatur? Die Advokatur des Verfassers? – Was hatte denn mein Ungenannter für eine Advokatur, die ich an seiner Statt übernommen? Die Advokatur ist die Befugnis, vor gewissen Gerichten gewisse Rechtshändel führen zu dürfen. Daß mein Ungenannter irgendwo eine solche Befugnis gehabt habe, wüßte ich gar nicht. – Es wäre denn, daß man seine Befugnis, den gesunden Menschenverstand vor dem Publico zu verteidigen, darunter verstehen wolle. Doch diese Befugnis hat ja wohl ein jeder von Natur; gibt sich ja wohl ein jeder von selbst; braucht keiner erst lange von dem andern zu übernehmen. Sie ist weder eine Fleischbank, noch ein Pastorat.

Doch dem guten Herrn Hauptpastor die Worte so zu mäkeln! So genau bei ihm auf das zu sehn, was er sagt; und nicht vielmehr auf das, was er sagen will? Er will sagen, daß ich übernommen, der Advokat des Ungenannten zu sein; mich zum Advokaten des Ungenannten aufgeworfen. Das will er sagen; und ich wette zehne gegen eins, daß ihn kein Karrenschieber anders versteht. –

So habe er es denn auch gesagt! – Wenn ich nur sähe, wo der [244] Weg nun weiter hinginge. Denn auch hier laufen Straßen nach allen Gegenden des Himmels. – Freilich, wenn ich wüßte, was für einen Begriff der Herr Hauptpastor von seinem Advokaten sich mache: so wollte ich den geraden Weg, in seine Gedanken einzudringen, bald finden. –

Sollte der Herr Hauptpastor wohl Wundershalben hier einmal gar den rechten Begriff sich machen? Sollte er wohl gar den wahren Advokaten kennen und meinen? den ehrlichen Mann unter diesem Namen meinen, der der Gesetze genau kundig ist, und keinen Handel übernimmt, als solche von deren Gerechtigkeit er überzeugt ist? – Nein, nein; den kann er nicht meinen. Denn ich habe nirgend gesagt, daß ich die ganze Sache meines Ungenannten, völlig so wie sie liegt, für gut und wahr halte. Ich habe das nie gesagt: vielmehr habe ich gerade das Gegenteil gesagt. Ich habe gesagt und erwiesen, daß wenn der Ungenannte auch noch in so viel einzeln Punkten Recht habe und Recht behalte, im Ganzen dennoch daraus nicht folge, was er daraus folgern zu wollen scheine.

Ich darf kühnlich hinzusetzen, was einer Art von Prahlerei ähnlich sehen wird. Genug, daß billige Leser Fälle kennen, wo dergleichen abgedrungene Prahlerei nötig ist; und Leser von Gefühl wohl empfinden, daß ich mich hier in einem nicht der geringsten dieser Fälle befinde. – Ich habe es nicht allein nicht ausdrücklich gesagt, daß ich der Meinung meines Ungenannten zugetan sei: ich habe auch bis auf den Zeitpunkt, da ich mich mit der Ausgabe der Fragmente befaßt, nie das geringste geschrieben, oder öffentlich behauptet, was mich dem Verdachte aussetzen könnte, ein heimlicher Feind der christlichen Religion zu sein. Wohl aber habe ich mehr als eine Kleinigkeit geschrieben, in welchen ich nicht allein die Christliche Religion überhaupt nach ihren Lehren und Lehrern in dem besten Lichte gezeigt, sondern auch die Christlichlutherische orthodoxe Religion insbesondere gegen Katholiken, Socinianer und Neulinge verteidiget habe.

Diese Kleinigkeiten kennt der Herr Hauptpastor größtenteils selbst, und er hat mir ehedem mündlich und gedruckt seinen Beifall darüber zu bezeigen beliebt. Wie erkennt er denn nun erst auf einmal den Teufel in mir, der sich, wo nicht in einen Engel des[245] Lichts, doch wenigstens in einen Menschen von eben nicht dem schlimmsten Schlage verstellt hatte? Sollte ich wirklich umgeschlagen sein, seitdem ich die nämliche Luft mit ihm nicht mehr atme? Sollten mich mehrere und bessere Kenntnisse und Einsichten, die ich seit unsrer Trennung zu erlangen, eben so viel Begierde als Gelegenheit gehabt habe, nur kurzsichtiger und schlimmer gemacht haben? Sollte ich an der Klippe, die ich in dem stürmischen Alter brausender Aufwallungen vermieden habe, itzt erst nachlässig scheitern, da sanftere Winde mich dem Hafen zutreiben, in welchem ich eben so freudig zu landen hoffe, als Er? – Gewiß nicht, gewiß nicht; ich bin noch der nämliche Mensch: aber der Herr Hauptpastor betrachtet mich nicht mehr mit dem nämlichen Auge. Die Galle hat sich seiner Sehe bemeistert, und die Galle trat ihm über – Wodurch? Wer wird es glauben, wenn ich es erzähle! Tantaene animis coelestibus irae? – Doch ich muß meinen Nachtisch nicht vor der Suppe aufzehren.

Ich komme auf die Advokatur zurück und sage: der wahre eigentliche Advokat meines Ungenannten, der mit seinem Klienten über den anhängigen Streit Ein Herz und Eine Seele wäre, bin ich also nicht, kann ich also nicht sein. Ja, ich kann auch nicht einmal der sein, der von der Gerechtigkeit der Sache seines Klienten nur eben einen kleinen Schimmer hat, und sich dennoch, entweder aus Freundschaft oder aus andern Ursachen, auf gutes Glück mit ihm auf das Meer der Chicane begibt; fest entschlossen, jeden Windstoß zu nutzen, um ihn irgendwo glücklich ans Land zu setzen. Denn der Ungenannte war mein Freund nicht; und ich wüßte auch sonst nichts in der Welt, was mich bewegen können, mich lieber mit seinen Handschriften, als mit funfzig andern abzugeben, die mir weder so viel Verdruß noch so viel Mühe machen würden: wenn es nicht das Verlangen wäre, sie so bald als möglich, sie noch bei meinen Lebzeiten widerlegt zu sehen.

Bei Gott! die Versicherung dieses Verlangens, weil ich bis itzt noch wenig Parade damit machen wollen, ist darum keine leere Ausflucht. Aber freilich eigennützig ist dieses Verlangen; höchst eigennützig. Ich möchte nämlich gar zu gern, selbst noch etwas von der Widerlegung mit aus der Welt nehmen. Ich bedarf ihrer. Denn daß ich als Bibliothekar die Fragmente meines Ungenannten [246] las, war nicht mehr als billig; und daß sie mich an mehrern Stellen verlegen und unruhig machten, war ganz natürlich. Sie enthalten so mancherlei Dinge, welche mein Bißchen Scharfsinn und Gelehrsamkeit gehörig auseinander zu setzen, nicht zureicht. Ich sehe hier und da, auf tausend Meilen, keine Antwort; und der Herr Hauptpastor wird sich freilich nicht vorstellen können, wie sehr eine solche Verlegenheit um Antwort ein Wahrheit liebendes Gemüt beunruhiget.

Bin ich mir denn nun nichts? Habe ich keine Pflicht gegen mich selbst, meine Beruhigung zu suchen, wo ich sie zu finden glaube? Und wo konnte ich sie besser zu finden glauben, als bei dem Publico? Ich weiß gar wohl, daß ein Individuum seine einzelnezeitliche Wohlfahrt der Wohlfahrt mehrerer aufzuopfern schuldig ist. Aber auch seine ewige? Was vor Gott und dem Menschen kann mich verbinden, lieber von quälenden Zweifeln mich nicht befreien zu wollen, als durch ihre Bekanntmachung Schwachgläubige zu ärgern? – Darauf antworte mir der Herr Hauptpastor. –

Allerdings habe ich keine besondere Erlaubnis gehabt, von den mir anvertrauten literarischen Schätzen auch dergleichen feurige Kohlen der Welt mitzuteilen. Ich habe diese besondere Erlaubnis in der allgemeinen mit eingeschlossen zu sein geglaubt, die mir mein gnädigster Herr zu erteilen geruhet. Habe ich durch diesen Glauben mich seines Zutrauens unwürdig bezeigt: so beklage ich mein Unglück, und bin strafbar. Gern, gern will ich auch der billigen Gerechtigkeit darüber in die Hände fallen: wenn Gott mich nur vor den Händen des zornigen Priesters bewahret!

Und was wird dieser zornige Priester nun vollends sagen, wenn ich bei Gelegenheit hier bekenne, daß der Unbekannte selbst, an das Licht zu treten, sich nicht übereilen wollen. Daß ich ihn schon itzt an das Lichtgezogen, ist nicht allein ohne seinen Willen, sondern wohl gar wider seinen Willen geschehen. Dieses läßt mich der Anfang eines Vorberichts besorgen, der mir unter seinen Papieren allerdings schon zu Gesichte gekommen war, noch ehe ich mich zu dem Dienste seines Einführers in die Welt entschloß. Er lautet also: »Die Schrift, wozu ich hier den Vorbericht mache, ist schon vor vielen Jahren von mir aufgesetzt[247] worden. Jedoch habe ich sie bei Gelegenheit eines öftern Durchlesens an manchen Stellen vermehrt, an andern eingekürzt, oder geändert. Also meine eigene Gemütsberuhigung war vom ersten Anfange der Bewegungsgrund, warum ich meine Gedanken niederschrieb; und ich bin nachher nimmer auf den Vorsatz geraten, die Welt durch meine Einsichten irre zu machen, oder zu Unruhen Anlaß zu geben. Die Schrift mag im Verborgenen, zum Gebrauch verständiger Freunde, liegen bleiben; mit meinem Willen soll sie nicht durch den Druck gemein gemacht werden, bevor sich die Zeiten mehr aufklären. Lieber mag der gemeine Haufe noch eine Weile irren, als daß ich ihn, ob wohl ohne meine Schuld, mit Wahrheiten ärgern und in einen wütenden Religionseifer setzen sollte. Lieber mag der Weise sich des Friedens halber, unter den herrschenden Meinungen und Gebräuchen schmiegen, dulden und schweigen; als daß er sich und andere durch gar zu frühzeitige Äußerung unglücklich machen sollte. Denn ich muß es zum Voraus sagen, die hierin enthaltenen Sätze sind nicht katechismusmäßig, sondern bleiben in den Schranken einer vernünftigen Verehrung Gottes, und Ausübung der Menschenliebe und Tugend. Da ich aber mir selbst, und meinen entstandenen Zweifeln zureichend Genüge tun wollte: so habe ich nicht umhin können, den Glauben, welcher mir so manche Anstöße gemacht hatte, von Grund aus zu untersuchen, ob er mit den Regeln der Wahrheit bestehen könne, oder nicht.«

Luther und alle Heiligen! Herr Hauptpastor, was haben Sie da gelesen! Nicht wahr? so gar strafbar hätten Sie mich nimmermehr geglaubt? – Der Ungenannte war bei aller seiner Freigeisterei, doch noch so ehrlich, daß er die Welt durch seine Einsichten nicht irre machen wollte: und ich, ich trage kein Bedenken, sie durch fremde Einsichten irre zu machen. Der Ungenannte war ein so friedlicher Mann, daß er zu keinen Unruhen Anlaß geben wollte: und ich, ich setze mich über alle Unruhen hinweg, von welchen Sie, Herr Hauptpastor, am besten wissen, wie sauer es itzt einem treufleißigen Seelensorger wird, sie auch nur in einer einzigen Stadt zur Ehre unsrer allerheiligsten Religion zu erregen. Der Ungenannte war ein so behutsamer Mann, daß er keinen Menschen mit Wahrheiten ärgern wollte: und ich, ich glaube ganz und gar an kein solches Ärgernis; fest überzeugt, [248] daß nicht Wahrheiten, die man bloß zur Untersuchung vorlegt, sondern allein Wahrheiten, die man so fort in Ausübung bringen will, den gemeinen Haufen in wütenden Religionseifer zu versetzen fähig sind. Der Ungenannte war ein so kluger Mann, daß er durch allzufrühzeitige Äußerungen, weder sich noch andere unglücklich machen wollte: und ich, ich schlage als ein Rasender meine eigene Sicherheit zuerst in die Schanze, weil ich der Meinung bin, daß Äußerungen, wenn sie nur Grund haben, dem menschlichen Geschlechte nicht früh genug kommen können. Mein Ungenannter, der ich weiß nicht wenn schrieb, glaubte, daß sich die Zeiten erst mehr aufklären müßten, ehe sich, was er für Wahrheit hielt, öffentlich predigen lasse: und ich, ich glaube, daß die Zeiten nicht aufgeklärter werden können, um vorläufig zu untersuchen, ob das, was er für Wahrheit gehalten, es auch wirklich ist.

Das ist alles wahr, Herr Hauptpastor; das ist alles wahr. Wenn nur bei der löblichen Bescheidenheit und Vorsicht des Ungenannten, nicht so viel Zuversicht auf seinen Erweis, nicht so viel Verachtung des gemeinen Mannes, nicht so viel Mißtrauen auf sein Zeitalter zum Grunde läge! Wenn er nur, zu Folge dieser Gesinnungen, seine Handschrift lieber vernichtet, als zum Gebrauche verständiger Freunde hätte liegen bleiben lassen! – Oder meinen Sie auch, Herr Hauptpastor, daß es gleich viel ist, was die Verständigen im Verborgenen glauben; wenn nur der Pöbel, der liebe Pöbel fein in dem Gleise bleibt, in welchem allein, ihn die Geistlichen zu leiten verstehen? Meinen Sie?

[249]

Anti-Goeze. Achter

Anti-Goeze
Achter

Ex hoc uno capitulo comprobabo,

ferream te frontem possidere fallaciae.

Hierony. adv. Ruff.


Heida! wo wollte ich in meinem Vorigen hin? Es hat sich wohl, daß der Herr Hauptpastor den Namen Advokat in seiner eigentlichen Bedeutung nehmen sollte! Advokat heißt bei seines gleichen weiter nichts als Zungendrescher; und das, das bin ich ihm. Ein feiler Zungendrescher in Sachen des Ungenannten bin ich ihm; und er hat bloß die Güte, das minder auffallende Wort zu brauchen.

Was Wunder auch? Sein guter Freund, der Reichspostreiter, ehedem selbst ein Advokat, scheinet, ohne Zweifel aus eigner Erfahrung, eben den Begriff vom Advokaten zu haben; wie aus einem Epigramm zu sehen, welches er neulich in einem seiner Beiträge mit einfließen lassen. Ich weiß die schönen Zeilen nicht mehr; aber die Spitze war, daß nichts als Schreien zum Advokaten gehöre. Dieses Epigramm soll zu seiner Zeit zwischen der Börse und dem Rathause in Hamburg einiges Aufsehen gemacht haben, und es hätte dem Verfasser leicht eben so bekommen können, wie ihm mehrere Epigramme bekommen sind, wenn er nicht die Klugheit gehabt hätte, noch zur rechten Zeit zu erklären, daß er selbst das Epigramm nicht gemacht habe. Dieses schrieb man mir aus Hamburg, und setzte hinzu: »Das fand sich auch wirklich. Nicht der Reichspostreiter, sondern des Reichspostreiters Pferd, hatte das Epigramm gemacht.«

Doch das Pferd dieses Reiters kümmert mich eben so wenig, als der Reiter dieses Pferdes. Mag doch noch ferner eines mit dem andern immer durchstechen, und das Pferd, was es sich schämt gemacht zu haben, auf den Reiter, so wie der Reiter in gleichem[250] Falle auf das Pferd schieben. Ihr gemeinschaftlicher Sattel ist ein Maultier: damit gut! – Es sollte mir leid sein, wenn der Reichspostreiter nicht eben so wohl Miller's Jests, als den Dedekind gelesen hätte. –

Und so wende ich mich wieder zu dem geistlichen Herrn, dem dieser Postreiter nur manchmal vorspannt. Ja, ja, so ist es, und nicht anders. Wenn mich der Herr Hauptpastor den Advokaten des Ungenannten nennet, so meint er bloß einen gedungenen Zungendrescher, dem es gleich viel ist, was für einer Sache er seinen Beistand leihet; wenn es nur eine Sache ist, bei der er recht viele Ränke und Kniffe, von ihm genannt Heuremata, anbringen, und Richter und Gegenteil so blenden und verwirren kann, daß dieser gern mit dem magersten Vergleiche vorlieb nimmt, ehe jener das Urteil an den Knöpfen abzählt, oder blindlings aus dem Hute greift.

So ein Kerl bin ich dem Herrn Hauptpastor! Dahin zielet 1) seine ewige Klage, über meine Art zu streiten. Dahin zielet 2) sein Vorwurf, daß ich meinen Ungenannten mit unverdienten Lobsprüchen an das Licht gezogen. Dahin zielet 3) seine Beschuldigung, daß ich alle, welche bisher noch gegen ihn geschrieben, und sich der christlichen Religion wider ihn angenommen haben, mit dem bittersten Spotte abgewiesen.

Was meine Art zu streiten anbelangt, nach welcher ich nicht sowohl den Verstand meiner Leser durch Gründe zu überzeugen, sondern mich ihrer Phantasie durch allerhand unerwartete Bilder und Anspielungen zu bemächtigen suchen soll: so habe ich mich schon zur Hälfte darüber erklärt 14. Ich suche allerdings, durch die Phantasie mit, auf den Verstand meiner Leser zu wirken. Ich halte es nicht allein für nützlich, sondern auch für notwendig, Gründe in Bilder zu kleiden; und alle die Nebenbegriffe, welche die einen oder die andern erwecken, durch Anspielungen zu bezeichnen. Wer hiervon nichts weiß und verstehet, müßte schlechterdings kein Schriftsteller werden wollen; denn alle gute Schriftsteller sind es nur auf diesem Wege geworden. Lächerlich also ist es, wenn der Herr Hauptpastor etwas verschreien will, was er nicht kann, und weil er es nicht kann. Und [251] noch lächerlicher ist es, wenn er gleichwohl selbst überall so viel Bestreben verrät, es gern können zu wollen. Denn unter allen nüchtern und schalen Papierbesudlern braucht keiner mehr Gleichnisse, die von nichts ausgehen, und auf nichts hinaus laufen, als Er. Selbst witzig sein und spotten, möchte er manchmal gern; und der Reichspostreiter, oder dessen Pferd, hat ihm auch wirklich das Zeugnis gegeben, »daß er die satyrische Schreibart gleichfalls in seiner Gewalt habe.« – Worauf sich aber wohl dieses gleichfalls beziehen mag? – Ob auf die anständige Schreibart, welche sonst in der Schrift des Herrn Hauptpastors herrschen soll? Ob auf die Gründe, mit welchen er streiten soll? – Darüber möchte ich mir denn nun wohl kompetentere Richter erbitten, als den Postreiter und sein Pferd. – Oder ob auf mich? Ob der Postreiter sagen wollen, daß der Herr Hauptpastor eben so gut als ich die satyrische Schreibart in seiner Gewalt habe? – Ja, darin kann der Postreiter und sein Pferd leicht Recht haben. Denn ich habe die satyrische Schreibart, Gott sei Dank, gar nicht in meiner Gewalt; habe auch nie gewünscht, sie in meiner Gewalt zu haben. Das einzige, was freilich mehrere Pferde Satyre zu nennen pflegen, und was mir hierüber zu Schulden kömmt, ist dieses, daß ich einen Postreiter einen Postreiter, und ein Pferd ein Pferd nenne. Aber wahrlich, man hat Unrecht, wenn man Offenherzigkeit, und Wahrheit mit Wärme gesagt, als Satyre verschreiet. Häckerling und Haber können nicht verschiedner von einander sein, mein gutes Pferd! Ich will dich besser lehren, was Satyre ist. Wenn dein Reiter, – sonst genannt der Schwager; weil er schwägerlich die Partei eines jeden hält, dem er vorreitet, – sagt, daß eine anständige Schreibart, in den Schriften des Herrn Hauptpastors herrsche; wenn er sagt, daß der Herr Hauptpastor mit Gründen streite: glaube mir; das, das ist Satyre. Das ist eben so platte Satyre, als wenn er dich einen Pegasus nennen wollte, indem du eben unter ihm in die Knie sinkest. Glaube mir, Scheckchen, du kennst diesen abgefeimten Schwager noch nicht recht: ich kenne ihn besser. Er hat sonst auch mir vorgeritten; und du glaubst nicht, was für hämische Lobsprüche sein ironisches Hörnchen da vor mir her geblasen. Wie er es mir gemacht hat, so macht er es allen; und ich betaure den Herrn Hauptpastor, wenn er, durch so ein boshaftes Lob eingeschläfert, sich nicht im Ernst [252] auf die Gründe gefaßt hält, die der Schwager in ihm schon will gefunden haben. Er kann ja allenfalls den Schwager auch nur fragen, welches diese Gründe sind. – Denn komm an, Scheckchen, – weil ich doch einmal angefangen habe, mit einem Pferde zu raisonieren – Sage du selbst, edler Houyhnhnm – (man muß seinen Richter auch in einem Pferde ehren) – sage du selbst, mit was für Gründen kann der Mann streiten, der sich auf meine Gegengründe noch mit keinem Worte eingelassen hat? der, anstatt zu antworten, nur immer seine alte Beschuldigungen wörtlich wiederholt, und höchstens ein Paar neue hinzusetzt, die er eben so wenig gut zu machen gedenkt? Seit der Zeit, da du sein erstes Kartel in die weite Welt getragen, das du großmütig einem noch stumpf gerittenern Pferde abnahmest, hat er nicht aufgehört, mich mündlich und schriftlich zu schmähen, ob ich ihm gleich auf jenes sein Kartel, wie ein Mann geantwortet zu haben glaube. Warum widerlegt er meine Axiomata nicht, wenn er kann? Warum bringt er nur immer neue Lästerungen gegen mich auf die Bahn? Warum paßt er mir in allen hohlen Wegen so tückisch auf, und zwingt mich, ihm nicht als einem Soldaten, sondern als einem Buschklepper zu begegnen? Ist das guter Krieg, wenn er den Männern des Landes aus dem Wege geht, um die Weiber und Kinder desselben ungestört würgen zu können? Der Begriff ist der Mann; das sinnliche Bild des Begriffes ist das Weib; und die Worte sind die Kinder, welche beide hervorbringen. Ein schöner Held, der sich mit Bildern und Worten herumschlägt, und immer tut, als ob er den Begriff nicht sähe! oder immer sich einen Schatten von Mißbegriff schafft, an welchem er zum Ritter werde. Er versprach einst, den Liebhabern solcher Leckerbissen eine ganze große Schüssel Fricassee von diesen Weibern und Kindern meines Landes vorzusetzen 15. Aber er hat sein Versprechen wieder zurückgenommen: denn es ist freilich ganz etwas anders, hier und da ein Weib oder ein Kind in meinem Lande meuchlings zu morden; und ganz etwas anders, dieser Weiber und Kinder zusammen mehrere, oder gar alle, in die Pfanne zu hauen. Er fand bald, daß er auch davon die Nase weglassen müsse; und ich muß bekennen, daß er mich damit um[253] einen sehr lustigen Triumph gebracht hat. Denn die Gelegenheit wird mir sobald nicht wiederkommen, ohne Großsprecherei zeigen zu können, daß auch da, wo ich mit Worten am meisten spiele, ich dennoch nicht mit leeren Worten spiele; daß überall ein guter triftiger Sinn zum Grunde liegt, auch wenn nichts als lauter Ägyptische Grillen und Chinesische Fratzenhäuserchen daraus empor steigen. Das, wie gesagt, kann ich nicht mehr zeigen; und mit Analysierung der Proben, die der Herr Hauptpastor in der ersten blinden Hitze gegeben, will ich auch ein Pferd nicht aufhalten, das mehr zu tun hat. Lieber, wenn du meinest, edler Houyhnhnm, daß ich die Wiederlegung meiner Axiomen von ihm noch zu erwarten habe, will ich dich bitten, ihm durch den Schwager ein Wort im Vertrauen zukommen zu lassen, dieweil er es noch nutzen kann. – Aber warum durch den Schwager? Als ob ich dir minder zutraute, als dem Schwager? Als ob der Herr Hauptpastor dich mit mindrer Aufmerksamkeit hören würde, als den Schwager? – Sei du es also nur selbst, der dem Herrn Hauptpastor meine Wünsche und Erwartungen und Besorgnisse mitteilet. Sage du ihm nur selbst, wie sehr ich mich darauf freue, endlich auch einmal von ihm belehret zu werden. Ich bin äußerst unruhig, bis ich seine Gründe in aller ihrer Stärke gegen die meinigen abwägen kann, denen ich gleichfalls alle ihre Schärfe zu erteilen, nur auf Gelegenheit warte. Ich habe manches in den Axiomen hingeworfen, von welchem ich wohl weiß, daß es eine nähere Erörterung bedarf und verdienet; aber ich bin auch gefaßt darauf, und es sollte mir sehr leid tun, wenn er nirgends anbeißen, sich auf nichts, was eigentlich zur Sache gehöret, einlassen wollte. Gleichwohl muß ich es leider besorgen! Denn denke nur, edler Houyhnhnm; denke nur, was er mir eben itzt 16 schon im voraus von seinem halb zu eröffnenden Feldzuge wissen läßt! Da steht auf einer Anhöhe eine armselige Vedette; die, die will er mit Heereskraft vors erste verjagen. Ich habe ein Histörchen erzählt von einem Hessischen Feldprediger, (könnte auch ein Braunschweigischer gewesen sein) der auf einer Insel, die in keiner Geographie steht, gute Luthersche Christen fand, die von dem Katechismus sehr wenig, und von der Bibel [254] ganz und gar nichts wußten. Nun ist ihm das Ding, weil der Reichspostreiter nichts davon mitgebracht hat, weil auch du ohne Zweifel nichts davon weißt, so unbegreiflich, als ob es gar nicht möglich wäre; und ich soll es ihm beweisen, wie man wirklich geschehene Dinge zu beweisen pflegt; mit glaubwürdigen Zeugen, mit rechtskräftigen Dokumenten und dergleichen. Kann ich das, so will er es glauben, es mag möglich sein oder nicht. Kann ich das aber nicht, so will er der ganzen Welt erklären, daß ich ein Betrüger bin, und mir die gesamten Hessischen Feldprediger, wegen dieser groben Verleumdung eines ihrer Kollegen, auf den Hals hetzen. Ja er treibt seine Rache wohl noch weiter, und gibt mich bei der Englischen Regierung an, der die Bermudischen Inseln schon seit 1609 ein wohltätiger Sturm samt und sonders geschenkt hat, daß ich ihr auch dieses Inselchen schaffen muß, ich mag es hernehmen, woher ich will. Wahrlich, edler Houyhnhnm, wenn er das tut, so bin ich ohne Rettung verloren! Denn sieh nur; welches du und der Schwager vielleicht auch nicht wissen: der Hessische Feldprediger ist seitdem bei Saratoga mit gefangen worden, und die bösen Amerikaner wechseln vor der Hand nicht aus. Gut, daß ihr beide das wenigstens wißt, und es mir bezeugen könnt! Wie kann ich nun dem Herrn Hauptpastor den Feldprediger sogleich zur Stelle schaffen? Er muß warten, bis der Handel mit den Amerikanern zu Ende ist, und die Hessen wieder zu Hause sind. Dann will ich mein möglichstes tun, ihn zu befriedigen; voraus gesetzt, daß der ausgewechselte Feldprediger auf der Heimreise nicht stirbt. Damit aber doch auch meine Widerlegung nicht so lange verschoben bleiben darf: was hindert, daß er indes die historische Wahrheit meiner Erzählung bei Seite setzt, und sie als bloße zweckmäßige Erdichtung betrachtet? Folget aus dem bloß möglichen Falle nicht eben das, was aus dem wirklichen Falle folgen würde? Ist die Frage, »ob Menschen, welche sehr lebhaft glauben, daß es ein höchstes Wesen gibt; daß sie arme sündige Geschöpfe sind; daß dieses höchste Wesen demohngeachtet, durch ein andres eben so hohes Wesen, sie nach diesem Leben ewig glücklich zu machen, die Anstalt getroffen – ob Menschen, welche das und weiter nichts glauben, Christen sind, oder keine?« – in beiden Fällen nicht die nämliche? Überlege es doch nur selbst, lieber – Gaul.

[255] Denn was brauchst du viel, dieses zu können, ein Houyhnhnm zu sein, der du doch einmal nicht bist? Überlege es nur; und suche es dem Herrn Hauptpastor so gut du kannst begreiflich zu machen. Auf jene Frage soll er antworten, auf jene Frage; und um die Kolonie sich unbekümmert lassen. – Hörst du? – Hiemit lebe wohl, Gaul; und grüß mir den Schwager!

[256]

Anti-Goeze. Neunter

[257] [291]Anti-Goeze
Neunter

Qui auctorem libri dogmaticum absconditum mihi revelat, non tam utilitati meae, quam curiositati servit: immo non raro damnum mihi affert, locum faciens praejudicio auctoritatis.

Heumannus de libr. an. et pseud.


Die Klage, über meine Art zu streiten, konnte ich nur in dieser nämlichen Art beantworten; und ich lasse es mir gar wohl gefallen, daß der Herr Hauptpastor meine Antwort selbst, zu einem Beweise seiner Klage macht. Warum sollte ich ihm nicht, mit gutem Vorsatze, noch mehrere Beweise zu einer Klage liefern, die ich verachte?

2. Aber der Vorwurf, daß ich den Ungenannten mit unverdienten und unmäßigen Lobsprüchen beehret, in der doppelt schelmischen Absicht, bei flachen Lesern ein günstiges Vorurteil für ihn zu erschleichen, und die Gegner abzuschrecken, die sich etwa wider ihn rüsten möchten: dieser Vorwurf ist ernsthafter und verdienet eine ernsthaftere Antwort. Nur Schade, daß ich diese ernsthaftere Antwort nicht so einleuchtend zu machen im Stande bin. Denn dieses zu können, müßte schon das ganze Werk des Ungenannten der Welt vor Augen liegen, indem sich alle meine Lobsprüche bloß und allein auf eine Beschaffenheit desselben beziehen, aus einer Beschaffenheit desselben entsprungen sind. Und aus welcher? Aus einer solchen, die sich gar wohl auch von einem Werke denken läßt, das in der Hauptsache sehr weit vom Ziele schießt. Ich habe es ein freimütiges, ernsthaftes, gründliches, bündiges, gelehrtes Werk genannt: lauter Eigenschaften, aus welchen die Wahrheit der darin abgehandelten Materie noch keines Weges folget; und die ich gar wohl auf den Verfasser übertragen dürfen, ohne ihn deswegen als einen Mann [291] anzunehmen oder zu empfehlen, auf den man sich in allen Stücken verlassen könne. Es setzen daher auch diese Lobsprüche im geringsten nicht voraus, daß ich ihn näher, oder aus mehrern Werken kenne; noch weniger, daß ich ihn persönlich kenne, oder gekannt habe.

Denn so empfindlich es auch immer dem Herrn Hauptpastor mag gewesen sein, daß ich geradezu gesagt »mein Ungenannter sei des Gewichts, daß in allen Arten der Gelehrsamkeit, sieben Goezen nicht ein Siebenteil von ihm aufzuwägen vermögend sind«: so getraue ich mir doch diese Äußerung einzig und allein aus dem gut zu machen, was mir von seinem Werke in den Händen ist. Der Herr Hauptpastor muß nur nicht, was ich von allen Arten der Gelehrsamkeit sage, auf alle Minutissima dieser Arten ausdehnen. So möchte es z.E. mir allerdings wohl schwer zu erweisen sein, daß mein Ungenannter von allen Plattdeutschen Bibeln eine eben so ausgebreitete gründliche Kenntnis gehabt, als der Herr Hauptpastor. Kaum dürften ihm die verschiednen Ausgaben der Lutherischen Bibelübersetzung selbst, so vollkommen bekannt gewesen sein, als dem Herrn Hauptpastor; welcher so außerordentliche Entdeckungen darin gemacht, daß er auf ein Haar nun angeben kann, um wie weit mit jeder Ausgabe die Orthodoxie des seligen Mannes gewachsen. Aber alles dieses sind doch nur Stäubchen aus der Literargeschichte, welchen mein Ungenannter nur siebenmal siebenmal so viel andere Stäubchen eben daher entgegen zu setzen haben dürfte, um mich nicht zum Lügner zu machen. Und so mit den übrigen Kenntnissen allen! Selbst mit denen, die der Ungenannte actu gar nicht, sondern nur virtualiter besaß. Die Ursache ist klar. Er war ein selbstdenkender Kopf; und selbstdenkenden Köpfen ist es nun einmal gegeben, daß sie das ganze Gefilde der Gelehrsamkeit übersehen, und jeden Pfad desselben zu finden wissen, so bald es der Mühe verlohnet, ihn zu betreten. Ein Wievielteilchen eines solchen Kopfes dem Herrn Hauptpastor zu Teil worden, bleibt seinem eignen unparteiischen Ermessen anheimgestellt. Gnug daß 7 mal 7 nur 49 macht; und auch ein Neunundvierzigteilchen meines Ungenannten noch aller Hochachtung wert, und siebenmal mehr ist, als man an allen Orten und Enden der Christenheit zu einem Pastor oder Hauptpastor erfodert.

[292] Doch halt! Ich habe ja meinen Ungenannten auch einen ehrlichen unbescholtenen Mann genannt: und dieses setzt doch wohl voraus, daß ich ihn näher und persönlich kenne? – Auch dieses nicht! Und ohne mich viel mit dem Quilibet praesumitur etc. zu decken, will ich nur gleich sagen, was für Grund in seinem Werke ich gefunden habe, ihm auch diese Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nämlich; obschon mein Ungenannter freilich alle geoffenbarte Religion in den Winkel stellet; so ist er doch darum so wenig ein Mann ohne alle Religion, daß ich schlechterdings niemanden weiß, bei dem ich von der bloß vernünftigen Religion so wahre, so vollständige, so warme Begriffe gefunden hätte, als bei ihm. Diese Begriffe trägt das ganze erste Buch seines Werkes vor; und wie viel lieber hätte ich dieses erste Buch an das Licht gebracht, als ein andres Fragment, welches mir seine voreiligen Bestreiter abgedrungen haben! Nicht so wohl, weil die spekulativen Wahrheiten der vernünftigen Religion darin in ein größer Licht durch neue und geschärftere Beweise gestellet worden: sondern vielmehr, weil mit einer ungewöhnlichen Deutlichkeit darin gezeigt wird, welchen Einfluß diese Wahrheiten auf unsere Pflichten haben müssen, wenn die vernünftige Religion in einen vernünftigen Gottesdienst über gehen soll. Alles, was er von diesem, von diesem Einflusse insbesondere, sagt, trägt das unverkennlichste Merkmal, daß es aus einem eben so erleuchteten Kopfe, als reinem Herzen geflossen; und ich kann mir unmöglich einbilden, daß in eben diesem Kopfe bei eben diesen erhabenen Einsichten, in eben diesem Herzen bei eben diesen edeln Neigungen, tolle vorsetzliche Irrtümer, kleine eigennützige Affekten hausen und herrschen können. In eodem pectore, sagt Quinctilian, nullum est honestorum turpiumque consortium: et cogitare optima simul ac deterrima non magis est unius animi, quam ejusdem hominis bonum esse ac malum. – Das also, das war es, warum ich meinen Ungenannten einen ehrlichen unbescholtenen Mann nennen zu können glaubte, ohne aus seinem bürgerlichen Leben Beweise dafür zu haben!

Freilich glaubte ich einmal, ihn in der Person des Wertheimischen Bibelübersetzers näher zu kennen; und noch kürzlich hätte mich die ungesuchte Äußerung eines hiesigen ehrlichen Mannes in solchem Glauben bestärken können. Dieser Mann hat ehedem,[293] wie noch gar wohl bekannt, mit Schmiden vielen Umgang gepflogen; und ich habe sein schriftliches Zeugnis in Händen. Doch Herr Mascho hat durch so viel Schlüsse a priori meinen Wahn, oder wofür er es sonst halten mag, so kräftig bestritten, daß ich ganz und gar keine Achtung für dergleichen Schlüsse in rebus facti haben müßte, wenn ich nicht wenigstens sollte zweifelhaft geworden sein. Zwar hinken einige dieser Schlüsse ein wenig sehr; z.E. der, welcher von der Wolfischen Philosophie hergenommen ist, die sich Schmid so ganz zu eigen gemacht hatte, und von welcher bei meinem Ungenannten keine Spur zu finden sein soll. Denn mit Erlaubnis des Herrn Mascho, das eben angeführte erste Buch ist ganz auf Wolfische Definitionen gegründet; und wenn in allen Übrigen die strenge mathematische Methode weniger sichtbar ist, so hat ja wohl die Materie mit Schuld, die ihrer nicht fähig war. Auch muß ich dem Herrn Mascho aufrichtig bekennen, daß ich nicht einsehe, wie mein Vorgeben, die Handschrift des Ungenannten habe wenigstens ein Alter von 30 Jahren, darum nicht Statt finden könne, weil Wettsteins und des Spruches I. Johann. V. 7, darin gedacht werde. Es ist wahr, Wettsteins neues Testament kam erst 1751 heraus; aber die Prolegomena waren doch bereits 1730 erschienen, und die Streitigkeit über den Spruch Johannis ist ja wohl noch älter. Allein, was würde es helfen, wenn ich auch in diesen Kleinigkeiten Recht bekäme? Herr Mascho weiß so unzählig andere Particularia von meinem Ungenannten, welche alle auf den Wertheimischen Schmid nicht passen, daß schwerlich an diesen weiter gedacht werden kann; wenn uns Herr Mascho nur noch vorher zu sagen beliebt, woher er diese Particularia hat.

Von mir hat er sie gewiß nicht. Sondern vermutlich hat er sie von einem gewissen E. der in den Altonaer Beiträgen (St. 30) den Verfasser der Fragmente »einen leider! nur zu bekannten Ungenannten nennet«: wenn dieser E. nicht vielmehr, was er so dreist in die Welt schreibt, von dem Herrn Mascho hat. Nach Belieben! Nur daß sich keiner auf mich berufe. Denn ich, für mein Teil, so bald ich merkte, daß ich mich in meiner Vermutung mit Schmiden wohl möchte übereilet haben, machte mir das Gesetz, einer solchen Vermutung nie wieder nachzuhängen. Ja ich faßte so fort den Entschluß, auch wenn ich den wahren Namen ganz [294] zuverlässig erführe, ihn dennoch nun und nimmermehr der Welt bekannt zu machen. Und bei diesem Entschlusse, so mir Gott hilft, bleibt es; gesetzt auch, daß ich ihn wirklich erfahren hätte.

Welche elende Neugierde, die Neugierde nach einem Namen! nach ein Paar Buchstaben, die so oder so geordnet sind! Ich lasse es gelten, wenn wir zugleich mit dem Namen, und durch den Namen erfahren, wie weit wir dem Zeugnisse eines Lichtscheus trauen können. Aber da, wo von Zeugnissen, von Dingen, die lediglich auf Zeugnissen beruhen, gar nicht die Rede ist; wo die Vernunft auf ihrem eignen Wege nur Gründe prüfen soll: was soll da der Name des, der das bloße Organ dieser Gründe ist? Er nutzt nicht allein nichts; sondern schadet auch wohl öfters, indem er einem Vorurteile Raum gibt, welches alle vernünftige Prüfungen so jämmerlich abkürzt. Denn entweder der Ungenannte wird als ein Mann erkannt, dem es auch sonst weder an Willen noch an Kraft die Wahrheit zu erkennen, gefehlt hat: und sogleich läßt sich der Pöbel, dem das Denken so sauer wird, von ihm blindlings hinreißen. Oder es findet sich, daß der Ungenannte schon sonst wo übel bestanden: und sogleich will eben der Pöbel ganz und gar weiter mit ihm nichts zu schaffen haben; der festen schönen Meinung, daß dem, der an einem Sinne verwahrloset ist, notwendig alle fünfe mangeln müssen. – So urteilen selbst Literatores, die es sonst für keine kleine Sache halten, auf anonyme und pseudonyme Schriftsteller Jagd zu machen: und ich sollte unphilosophischer urteilen und handeln, als diese Männer, welche so zu reden ein Recht haben, unnütze und unphilosophische Entdeckungen zu machen? Prudentis est, sagt Heumann an dem nämlichen Orte, woher das Lemma dieses Stücks gekommen ist, ita quosvis dogmaticos libros legere, quasi auctor plane sit ignotus. Hier ist das quasi wirklich. Der Leser braucht nicht erst wieder zu vergessen, was er nicht weiß.

Und nun stelle man sich vor, was ich für Augen möge gemacht haben, als ich, im Gefühl dieser meiner Gesinnungen, folgende Stelle des Herrn Hauptpastors las. 17 »Zuletzt erinnere ich den Herrn L. noch, daß es nun für ihn Pflicht sei, den Verfasser der Fragmente zu nennen, da er mit der Entdeckung seines Namens[295] gedrohet, und es versucht hat, seinen Gegnern dadurch Furcht einzujagen, da es ihm nicht unbekannt sein kann, was für gelehrte unbescholtene Männer für Verfasser dieser Mißgeburten ausgegeben worden. Die Schuld, daß ihre Asche so unverantwortlich besudelt wird, fällt auf ihn zurück, wofern er mit der Wahrheit länger zurück hält; und er kann solche zu offenbaren, um so viel weniger Bedenken tragen, da er seinen Autor und dessen Arbeit schon vorläufig mit solchen Lobsprüchen beehret hat.«

Wie? Ich soll gedroht haben, den Verfasser der Fragmente zu nennen? Wo das? Und darauf soll ich meine Pflicht gründen, mit seinem Namen nicht länger hinter dem Berge zu halten? darauf? Wie die Pflicht, so der Bewegungsgrund zu Erfüllung derselben! Ich habe gewarnet, dem Ungenannten nicht gar zu bubenmäßig und schülerhaft zu begegnen, damit man sich nicht allzu sehr schämen müsse, wenn man endlich einmal erführe, wer er gewesen. Heißt das drohen? Heißt das drohen, daß man es durch mich erfahren soll? Daß ich endlich den Namen aussprechen will? – Wenn der Herr Hauptpastor hier nicht mit gutem Wissen und Vorsatz eine Lüge hingeschrieben hat: so ist es doch ein Beweis, wie er mich lieset. Er lieset nie das, was ich geschrieben habe: sondern immer nur das, was er gerne möchte, daß ich geschrieben hätte.

[296]

Anti-Goeze. Zehnter

Anti-Goeze
Zehnter

Ärgernis hin, Ärgernis her! Not bricht Eisen, und hat kein Ärgernis. Ich soll der schwachen Gewissen schonen, so fern es ohne Gefahr meiner Seelen geschehen mag. Wo nicht, so soll ich meiner Seelen raten, es ärgere sich daran die ganze oder halbe Welt.

Luther


Hiernächst ist es mir allerdings völlig unbekannt, was für gelehrte und unbescholtene Männer, ohne Zweifel auf Vorspiegelung der Herren Mascho und E. in Hamburg für Verfasser der Fragmente ausgegeben werden. Aber es freuet mich, daß man dort doch mehrere kennet, die so etwas könnten geschrieben haben. Es macht keinem Schande; wer er auch sei: und was der Herr Hauptpastor von unverantwortlicher Besudelung ihrer Asche sagt, will weder nach der eigentlichen, noch nach der verblümten Bedeutung, mir in den Kopf. Asche nimmt es gar nicht übel, mit Kot vermengt zu werden; und der Geist, der diese Asche belebte, steht vor den Augen des, dem es keine Mühe macht, das Eigene von dem Angelogenen zu unterscheiden. Die tappende Neugier der Sterblichen ist für beide ein Spiel, das des Zusehens nicht wert ist; und welcher Vernünftige diese Neugierde am ersten zu befriedigen sucht, erzürnet die spielenden Kinder am meisten.

Wenn der Herr Hauptpastor unter diese neugierigen spielenden Kinder nicht selbst gerechnet werden will: so sage er doch nur, in welcher ernsthaften Absicht sonst, er gern den Namen meines Ungenannten wissen möchte. Kann er seine Asche noch einmal zu Asche brennen lassen? Sollen seine Gebeine in der Erde, welche sie willig aufnahm, nicht länger ruhen? Sollen sie in Staub zermalmet, auf das Wasser geworfen, in den Wind zerstreuet werden? Die Erde, in beiden Fällen, lieber Herr Hauptpastor, nimmt sie ja doch wieder auf. Oder wollen Sie nur das [297] Vergnügen haben, daß Sie in ganz Deutschland herum schreiben können, ob und wo irgend noch ein Anverwandter oder Nachkomm zu finden, den Sie es können empfinden lassen, daß er in seiner Linie, oder in seinen Nebenlinien, aufsteigend oder absteigend, einen solchen Bösewicht gehabt habe? – Wem ist es zu verargen, wenn er so heillos von Ihnen urteilet? Denn ganz ohne Grund kann der Mensch ja doch nicht handeln. –

Ich wollte noch eben, in Ansehung des bekannt zu machenden Namens eines so höllischen Abenteurers, wofür Goeze, und die Wenigen seines Gelichters, den Ungenannten halten, einen ganz andern Vorschlag tun; indem mir der 45te Beitrag zum Reichspostreiter gebracht wird.

O bravo! Der nämliche E. welcher in dem 30sten Beitrage uns versicherte, daß der Ungenannte »leider! nur gar zu bekannt sei«, findet nun für gut, wie er sich ausdrückt, »der sehr weit ausgebreiteten Lüge, als obein gewisser ehmaliger berühmter Lehrer am Hamburgischen Gymnasio Verfasser der Fragmente sei, öffentlich zu widersprechen.« Er fügt hinzu: »daß er dieses um so viel zuversichtlicher tun könne, da der Herr Lizentiat Wittenberg Briefe von dem Sohne dieses berühmten Mannes in Händen habe, worin derselbe jenes Vorgehen für eine Lüge und Verleumdung erkläret, und deren Einsicht der Herr Besitzer einem jeden, dem daran gelegen ist, gern erlauben werde.«

Kann sein: kann nicht sein! – Aber vor allen Dingen eine Frage an den Reichspostreiter, oder an diesen mehrbelobten E. im Reichspostreiter: wird an beiden Orten des Reichspostreiters der nämliche Mann verstanden, oder nicht? – Wenn nicht der nämliche: ist es nicht wahre Vexiererei des Publikums, sich hier desnicht rechten so feierlich anzunehmen, und von demrechten, von dem es dort leider! nur gar zu bekannt war, daß er und kein andrer der wahre Verfasser der Fragmente sei, so gänzlich zu schweigen? – Wenn aber der nämliche: was sollen wir von einem Manne denken, dem es gleich leicht wird, eine Lüge zu besiegeln, und sich der nämlichen Lüge wegen, fast zu gleicher Zeit, vor der ganzen Welt auf das Maul zu schlagen? Der Reichspostreiter kann sich allenfalls mit seinem Relata refero schützen: aber auch Er? Der Reichspostreiter muß jeden Tag sein Blatt voll haben: was kümmert es den, womit es voll wird? Ihn hingegen zwang [298] nichts, über Hals über Kopf drucken zu lassen, daß ein elendes Gerede eine ganz bekannte Sache sei: er war an Ort und Stelle, diesem Gerede sogleich auf den Grund zu kommen; er durfte nur eben den Weg einschlagen, auf welchem die Unzuverlässigkeit desselben sich nun soll erwiesen haben. Warum ist er der erste und einzige, der die Lüge in die Welt schrieb? Warum ist er der erste und einzige, der dieser Lüge, die vielleicht niemand geglaubt hat, itzt widerspricht? Sollte ihn bloß der Kitzel getrieben haben, itzt mit guter Manier einen noch bedeutendern Fingerzeig tun zu können? –

An den Briefen, auf welche er sich beruft, zweifle ich im geringsten nicht. Auch zweifle ich nicht an der Bereitwilligkeit des Herrn Lizentiat Wittenberg, diese Briefe einem jeden, der es verlangt, zu zeigen. Ich bin sogar versichert, daß er sie mehrern zeigen wird, als sie zu sehen verlangen werden. Auf diese Weise wird allerdings jede Verleumdung auf die allerunschuldigste Weise verbreitet; und das erste Böse, was ich von dem Herrn Lizentiat von nun an höre, will ich auf die nämliche Weise zu widerlegen bedacht sein.

Doch was kann auch wohl der Herr Lizentiat dafür, wenn eine eben so dumme als boshafte Klatsche 18 (Klätscher wäre hier viel [299] zu gut) die Unverschämtheit hat, sich auf ihn zu berufen, und ihn in läppische unnütze Händel zu verwickeln? Denn daß der Herr Lizentiat selbst, nicht vollkommen mit mir einsehen sollte, wie läppisch und unnütz diese ganze Namenjagd sei, wird mich hoffentlich niemand bereden wollen, der ihn kennt. Und gesetzt auch, daß er darin nicht mit mir einig wäre, daß der entdeckte Name sogar zur Prüfung der Sache schädlich werden könne: so wird er doch nicht in Abrede sein, daß er wenigstens der Ruhe und dem Leumunde aller derer nachteilig zu sein nicht fehlen werde, welche sich in dem entdeckten Verfasser einen Anverwandten oder Freund zu erkennen, nicht entbrechen wollten. – Die Neugier eines ehrlichen Mannes steht da gern stille, wo Wahrheitsliebe sie nicht weiter treibt, und Liebe des Nächsten sie still zu stehen bittet.

Freilich desto besser, wenn die Briefe, welche Herr Licentiat Wittenberg in Händen hat, einen Mann aus dem Spiele setzen, welchen mancher schwache Gesell sich als seinen Gewährsmann wohl wünschen möchte. In der Tat wüßte ich auch selbst, keinen neuern Gelehrten in ganz Deutschland, für welchen ein Vorurteil in dergleichen Dingen zu haben, verzeihlicher wäre, als eben ihn. Aber eben daher möchte ich auch auf diesen Mann keinen Fingerzeig [300] geben, und wenn er mir selbst, in eigner verklärter Person, die Papiere aus jenem Leben gebracht hätte, mit dem ausdrücklichen Verlangen, sie unter seinem Namen herauszugeben; und wenn er mir seitdem auch immer über die zweite Nacht wieder erschiene, und das nämliche Gesuch, ich weiß nicht unter welchen Drohungen oder Versprechungen, wiederholte. Ich würde zu ihm sagen: »Lieber Geist, herausgeben will ich deine Handschrift recht gern; ob ich gleich wohl merke, daß die Sache nicht ohne Gefahr ist, und man mir vorwerfen wird, daß ich die schwachen Gewissen nur damit ärgern wollen. Denn was dieses Ärgernis betrifft, darüber denke ich wie Luther. Genug, ich kann ohne Gefahr meiner Seele, deine Schrift nicht unter den Scheffel stellen. Sie hat Zweifel in mir erregt, die ich mir muß heben lassen. Und wer kann sie mir anders heben, als das Publikum? Mich an den und jenen berühmten Gottesgelehrten durch Privatbriefe deshalb zu wenden, das kostet Geld und Zeit; und ich habe deren keines viel zu versplittern. Also, wie gesagt, herausgeben will ich deine Schrift gern: aber warum soll ich sie nicht anders herausgeben, als mit deinem Namen? Bist du in jenem Leben eitler geworden, als du in diesem warest? Oder gehört dein Name auch mit zu den Beweisen? Wenn du auf diesem kindischen [301] ärgerlichen Ehrgeize bestehest: so weiß ich wohl, woher du kömmst. Die Glorie, die du da um deinen Kopf hast, ist Betrug; denn du bist klein genug, noch eine andre neben ihr zu verlangen.«

Diese Phantasie erinnert mich wieder an den Vorschlag, den ich oben zu tun im Begriffe war. – Hat mein Ungenannter nicht aus Überzeugung geschrieben; nicht aus innerm Drang, was er für wahr hielt, auch seinen Nächsten mitzuteilen: so kann er keinen andern Bewegungsgrund gehabt haben, als unselige Ruhmsucht, gloriae cupiditatem sacrilegam; und ich finde in der ganzen Geschichte ihn mit niemanden zu vergleichen, als mit dem Unsinnigen, der den Tempel der Diana zu Ephesus verbrennen wollte, ut opere pulcherrimo consumpto, nomen ejus per totum terrarum orbem disjiceretur. Als nun der Fantast diesen seinen Schwindel auf der Folter bekannte: was taten die Epheser? Sie beschlossen, um ihn von der empfindlichsten Seite zu strafen, daß niemand seinen Namen nennen solle; und wir würden es noch nicht wissen, wie der stolze Narr geheißen, hätte sich Theopomp in seinen Geschichtbüchern dieser klugen Verfügung unterwerfen wollen. Ich folge den weisen Ephesern; nenne, Trotz dem Theopomp, nach dem Beispiel des Valerius, den ungeheuren Geck auch noch nicht; und trage an: wie, wenn wir ein gleiches unter uns ausmachten, und den Frevler nie nennten, (gesetzt, daß wir seinen Namen wüßten, oder erführen) der aus Ehrfurcht den Felsen sprengen wollen, auf welchen Christus seine Kirche gegründet? – Ich stelle mir vor, ich sammle die Stimmen, fange an von den Patribus conscriptis des Luthertums, einem Ernesti, einem Semler, einem Teller, einem Jerusalem, einem Spalding etc. und komme herab bis auf den kleinsten Dorfpriester, der in den freiwilligen Nachrichten seiner Notdurft pfleget: und alle, alle stimmen für Ja.

Nur einer, einer nur, der Hauptpastor Goeze, stimmet für Nein. Nein! donnert er; und nochmals Nein! Nicht genug, daß der Ungenannte dort ewig zu Schanden geworden: er muß auch noch hier zeitlich zu Schanden werden. Amen! fügt er hinzu; Amen!

[302]

Anti-Goeze. Eilfter

Anti-Goeze
Eilfter

Pro boni viri officio, si quando eum ad defensionem nocentium ratio duxerit, satisfaciam.

Quinctilianus


Ich komme endlich auf das Dritte, wodurch ich mich als den Advokaten des Ungenannten erzeigen soll. Es soll in meinem Betragen gegen diejenigen bestehen, die sich der christlichen Religion wider ihn annehmen.

Diese Rüge enthält zweierlei, auf deren jedes ich verschieden antworten muß. Entweder man findet es nur sonderbar und unrecht, daß ich überhaupt noch den Ungenannten bei seinen Gegnern vertrete; oder man findet es zugleich so viel sonderbarer und unrechter, daß ich es in dem Tone tue, den man mir so hoch aufmutzt.

Auf erstres glaube ich schon zum Teil damit geantwortet zu haben, daß ich mich erkläret, nicht als Advokat für ihn zu sprechen, der ihn seine Sache will gewinnen machen. Ich spreche bloß als ehrlicher Mann, der ihn nur so tumultuarisch nicht will verdammt wissen. Höchstens spreche ich so, als ein zugegebner Advokat für einen Verbrecher spricht; und rede nurstatt seiner; und rede nur, wie man es im gemeinen Leben auszudrücken pflegt, in seine Seele. Hierzu aber bin ich um so mehr verpflichtet, da ich das Mehrere von seinen Papieren in Händen habe. Es wäre Verrat an der Unschuld, er mag nun viel oder wenig Anspruch auf Unschuld machen können, wenn ich in diesen mehrern Papieren das Geringste, das ihm auf irgend eine Weise zu Statten käme, fände, und nicht anzeigte. Der Verrat wäre von mir um so viel größer, da ich ungebeten sein Herausgeber geworden bin, und als literarische Proben, Stücke aus ihm mitgeteilet habe, die aus aller Verbindung gerissen sind, durch welche allein [303] sie ihr wahres Leben erhalten. Warum hat man diese Proben durchaus nicht wollen sein lassen, was sie sein sollen? Warum hat man sie einer größern Aufmerksamkeit gewürdiget, als Fragmente von aller Art verdienen, auf die kein Mensch sich einzulassen verbunden ist? Warum hat man sogar Verbindungspartikeln, durch welche sich der Ungenannte auf etwas anderweits Erwiesenes beziehet, für bloßes Blendwerk ausgegeben, und dadurch so wohl meine als seine Redlichkeit in den lieblosesten Verdacht gezogen? – Doch davon an einem andern Orte.

Hier lasse man mich nur noch hinzufügen, was ich mich nicht schämen darf zu wiederholen, da es einmal gestanden ist. Ich habe den Ungenannten auch darum in die Welt gestoßen, weil ich mit ihm allein nicht länger unter einem Dache wohnen wollte. Er lag mir unaufhörlich in den Ohren, und ich bekenne nochmals, daß ich seinen Zuraunungen nicht immer so viel entgegen zu setzen wußte, als ich gewünscht hätte. Uns, dachte ich, muß ein Dritter entweder näher zusammen, oder weiter aus einander bringen: und dieser Dritte kann niemand sein als das Publikum.

Verliere ich nun aber nicht alle den Nutzen, den ich mir aus diesem Schritte versprach, wenn ich nicht auf jedes Wort, auf jede Miene aufmerksam bin, mit welcher man ihn im Publico empfängt? Ich muß jeden fragen, der über ihn stutzt, oder über ihn lacht, oder über ihn erschrickt, oder über ihn poltert: wie verstehen Sie das? wie beweisen Sie das? Auch werde ich mich mit der ersten der besten Antwort des ersten des besten Gegners schwerlich begnügen können. Denn wenn sie auch wirklich die beste wäre: so ist das Beste doch nicht immer gut; und ich kenne für tausend Zweifel die besten Antworten sehr wohl, ohne eine einzige gute darunter zu finden.

Daß man mir aber nur nicht eine so schwer zu befriedigende Nachforschung als einen Beweis dessen vorwerfe, was ich so eifrig abzulehnen suche! Ich erzeige mich auch dadurch so wenig als den Advokaten des Ungenannten, daß ich mich vielmehr, (weil es doch einmal Advokat heißen soll) als den Advokaten der Religion damit erweise, die der Ungenannte angreift. Denn was hat er zu tun, der rechtschaffene Advokat, ehe er eine Sache übernimmt? Nachdem er seinen Klienten lange genug angehöret, [304] sich ein Langes und Breites von ihm vorsagen lassen, in die Länge und in die Quere ihn ausgefragt 19, in aliam rursus ei personam transeundum est, agendusque adversarius, proponendum, quidquid omnio excogitari contra potest, quicquid recipit in ejusmodi disceptatione natura. Gerade so, auch ich! Aber wer den Verteidigern der Religion sodann am schärfsten widersprechen wird, wird es darum mit der Religion nicht am schlimmsten meinen. Denn ich werde nur darum die Verteidiger der Religion interrogare quam infestissime, ac premere, weil auch hier, dum omnia quaerimus, aliquando ad verum, ubi minime expectavimus, pervenimus; weil auch hier optimus est in discendo patronus incredulus.

Nun habe ich freilich dieser Pflicht gegen mich selbst zur Zeit noch wenig Genüge leisten können. Aber ich hoffe, in Zukunft es besser zu tun; und es mit aller der Kälte, mit alle dem Glimpfe gegen die Personen zu tun, die mit jener Strenge und Wärme für die Sache bestehen können, welche allein Quinctilian bei seinem infestissime kann gedacht haben.

»Ei nun ja!« höre ich den Herrn Hauptpastor rufen – und bin bei dem zweiten Gliede dieser Rüge. »Ei nun ja! Da verlasse sich einer darauf, und binde mit ihm an! Wir haben die Erfahrung davon; ich und sein Nachbar. Wie höhnend, wie verachtend, wie wegwerfend hat er wider uns geschrieben!«

Fühlen Sie das, Herr Hauptpastor? Desto besser. So habe ich meinen Zweck mit Ihnen erreicht; aber noch lange nicht getan, was Sie verdienen. Denn einmal gehören Sie zu den Gegnern meines Ungenannten noch gar nicht. Sie haben bis diese Stunde ihn noch in nichts widerlegt; Sie haben bloß auf ihn geschimpft. Sie sind bis diese Stunde nur noch als mein Gegner anzusehen; nur noch als der Gegner eines Gegners des Ungenannten. Und nächst dem haben Sie wider diesen Gegner des Ungenannten sich Dinge erlaubt, die Sie zum Teil kaum gegen den Ungenannten sich hätten erlauben müssen. Sie haben mich feindseliger Angriffe auf die christliche Religion beschuldiget. Sie haben mich förmlicher Gotteslästerungen beschuldiget; Sagen Sie selbst: wissen Sie infamierendere Beschuldigungen, als diese? Wissen Sie Beschuldigungen, [305] die unmittelbarer Haß und Verfolgung nach sich ziehen? Mit diesem Dolche kommen Sie auf mich eingerannt, und ich soll mich nicht anders, als den Hut in der Hand, gegen Sie verteidigen können? soll ganz ruhig und bedächtig stehn bleiben, damit ja nicht Ihr schwarzer Rock bestaubt werde? soll jeden Atemzug so mäßigen, daß ja Ihre Perrucke den Puder nicht verliere? Sie schreien über den Hund, »er ist toll!« wohl wissend, was die Jungen auf der Gasse daraus folgern: und der arme Hund soll gegen Sie auch nicht einmal blaffen? blaffend Sie nicht Lügen strafen? Ihnen nicht die Zähne weisen? Das wäre doch sonderbar. Hieronymus sagt, daß die Beschuldigung der Ketzerei (wie viel mehr der Irreligion?) der Art sei, in qua tolerantem esse, impietas sit, non virtus. Und doch, doch hätte ich mich lieber dieser Gottlosigkeit schuldig machen, als eine Tugend nicht aus den Augen setzen sollen, die keine ist? Anständigkeit, guter Ton, Lebensart: elende Tugenden unsers weibischen Zeitalters! Firnis seid ihr; und nichts weiter. Aber eben so oft Firnis des Lasters, als Firnis der Tugend. Was frage ich darnach, ob meine Darstellungen diesen Firnis haben, oder nicht? Er kann ihre Würkung nicht vermehren; und ich will nicht, daß man für meine Gemälde das wahre Licht erst lange suchen soll. – Sagen Sie an, Herr Hauptpastor, was habe ich gegen Sie geschrieben, warum Sie nicht nach wie vor Hauptpastor in Hamburg sein und bleiben könnten? Ich hingegen könnte das nicht sein, könnte das nicht bleiben, was ich bin; wenn Ihre Lüge Wahrheit wäre. Sie wollen mir die Nase abschneiden, und ich soll Ihrer nicht mit ein wenig assa foetida räuchern? –

Dieses ist nun freilich der Fall meines Nachbars nicht ganz. Aber ihn habe ich auch nirgends so behandelt, als den Herrn Hauptpastor. Bloß sein wiederholter Vorwurf, daß der Ungenannte, die Wahrheit, die er gar wohl einsehe, nur nicht einsehen wolle; bloß dieser Vorwurf, welcher einen Menschen so ganz in einen Teufel verwandelt; bloß dieser Vorwurf, von dessen Gifte, wie ich bewiesen habe, ein großer Teil auf mich zurücke spritzt: hat mich im Fortgange des Wortwechsels bitterer gegen ihn gemacht, als ich zu sein mir vorgenommen hatte. Und wie bitter bin ich denn gegen ihn gewesen? Das bitterste ist doch wohl, daß ich von ihm gesagt habe, »er schreibe im Schlafe«? Mehr nicht? [306] Und daraus will der Herr Hauptpastor schließen, daß das Testament Johannis, in welchem die allgemeine brüderliche Liebe so sehr empfohlen wird, von mir unmöglich sein könne? Nun wohl: so hat Hieronymus, aus welchem ich das Testament Johannis genommen, eben so wenig von dieser Liebe gehabt, als ich; und ich bin lange zufrieden, daß ich deren doch eben so viel habe, als Hieronymus; wenn schon nicht ganz so viel, als der Herr Hauptpastor Goeze, der seine Herren Kollegen aus brüderlicher Liebe eher ewig schlafen macht, als ihnen das Schlafen vorwirft. Denn gerade sagt Hieronymus einem seiner Gegner nicht mehr und nicht weniger, als ich meinem Nachbar gesagt habe. Dem Vigilantius nämlich schreibt er mit dürren Worten: Ego reor, et nomen tibi κατ' αντιφρασιν impositum. Nam tota mente dormitas et profundissimo non tam somno stertis, quam lethargo. Auch wiederholt der heilige Mann das böse Wortspiel überall, wo er von dem Vigilantius spricht; und wenn ich recht gezählt habe, mag er ihn wohl eben so oft ausdrücklich Dormitantius nennen, als ich meinen Nachbar in seinem Schlafe zu stören, mir die Freiheit genommen habe. Ich fürchte auch im geringsten nicht, daß der Nachbar selbst diesen kleinen Spaß so hoch aufgenommen haben sollte, daß er sich mit mir nicht weiter abzugeben beschlossen hätte. Darunter würde ich allerdings zu viel verlieren; und lieber will ich gleich hier, mit folgenden Worten des Augustinus, ihn um Verzeihung bitten: Obsecro to per mansuetudinem Christi, ut si te laesi, dimittas mihi, nec, me vicissim laedendo, malum pro malo reddas. Laedes enim, si mihi tacueris errorem meum, quem forte inveneris in scriptis meis. –

Nun eben wollte ich noch die Frage tun; welchem Gegner meines Ungenannten sonst, ich auf eine unanständige abschreckende Art begegnet bin? als mit eins ein Ritter, das Visier weder auf noch nieder geschoben, in den Kampfplatz gesprengt kömmt, und gleich von weiten, in dem wahren Ton eines Homerischen Helden mir zuruft: 20 »Ich sollte –? Woher wissen Sie –? Warum taten Sie –? Nicht wahr –?« Und hierauf ein Geschrei über Verleumdung, und ein Hochzeitbitter-Beweis, daß ein Subrector in einer Reichsstadt eben so viel sei, als ein Bibliothekar, [307] der Hofratheiße!– Ei, meinetwegen noch zehnmal mehr! Aber gilt das mir? Ich kenne Sie nicht, edler Ritter. Mit Erlaubnis, wer sind Sie? Sie sind doch wohl nicht garHerr M. Friedrich Daniel Behn, des Lübeckischen Gymnasii Subrector? Wahrlich? O wie betaure ich, daß ich den Herrn Subrector durch meinen vierten Anti-Goeze, wider alle mein Wollen, so in den Harnisch geschrieben habe! Aber bedenken Sie doch nur! Ich habe Sie nirgends genannt; ich habe Ihre Schrift nirgends angezogen; ich habe Ihre Worte nirgends gebraucht. Sie sagen selbst, daß die Meinung, die ich lächerlich mache, Ihre Meinung nicht sei. Und leicht möglich, daß sie es wirklich nicht ist; obgleich der Herr Hauptpastor Goeze sie um ein großes so vorstellt, indem er uns sagt, wie sehr Sie in Ihrem zweiten Abschnitte den Unfug beklagen, daß man die christliche Religion in deutscher Sprache bestreite. Wie, wenn ich es also nur mit diesem Manne zu tun hätte, der alles für Unfug erklärt, was nicht in seinen Kram taugt? Wie, wenn ich es nur mit denen zu tun hätte, die mir diese nämliche Meinung hundertmal mündlich geäußert haben? Woher erhellet denn, daß ich der Welt zu verstehen geben wollen, als ob auch Sie dieser nämlichen Meinung wären? Daher, weil ich sie einem Subconrector in den Mund gelegt habe? Aber Sie sind ja nicht Subconrector, sondern Subrector. Warum muß ich denn diesen lieber in jenen herabgewürdiget, als unter jenem diesen gar nicht gemeint haben? Darf ich denn einen Pedanten nicht Subconrector nennen, weil Herr Behn Subrector ist? Oder wollen Sie den Unterscheid zwischen objektiver und subjektiver Religion schlechterdings zuerst erfunden, zuerst gebraucht haben; so daß ich Sie notwendig dadurch kenntlich gemacht hätte, daß ich ihn nachgebraucht? – Ich merke, mein lieber Herr Subrector, Sie sind ein wenig sehr stolz; aber doch noch hitziger als stolz; und mich jammert Ihrer Klasse. So oft ein Knabe lacht, muß er über den Herrn Subrector gelacht haben, – et vapulat.

Fußnoten

1 S. Vorr. IV. VIII. X. XII. desgleichen in der Schrift selbst, S. 258. 271. 306 und wo nicht?

2 Vorr. XV.

3 S. 3. 4.

4 S. 82.

5 S. 113.

6 Vorr. XIII. S. 26. 36. 71. III. u. m.

7 Der Herr Hauptpastor schreiben Equivocen; und das mehr wie einmal. (S. VII. IX. 55) Es kann also weder Schreib- noch Druckfehler sein; sondern diese spaßhafte Orthographie ward beliebt, – um auch ein Wortspielchen zu machen. Aequivocum, quasi dicas,equi vocem. Denn freilich, was ist äquivoker als das Wiehern des Pferdes? Für den Cardanus zwar nicht; aber doch für uns andere, die wir uns auf das Wiehern nicht so gut verstehen, als Cardanus. – Oder sollte der Herr Hauptpastor hier wohl noch spaßhafter sein wollen, und zugleich ein Wort im Sinne gehabt haben, welches Luther in seinem Hanswurst von Wolfenbüttel braucht? Der Bibliothekar zu Wolfenbüttel erinnerte ihn an dies Buch; dies Buch an dies Wort: und ich freue mich herzlich, daß ich seinem Witze so auf die Spur komme. Das nenne ich doch eine Nachahmung Luthers!

8 De praescript. haereticorum.

9 Paulus in testimoniis, quae sumit de veteri testamento, quam artifex, quam prudens, quam dissimulator est ejus quod agit!

10 Anti-Goeze I. S. 4.

11 Ritmeieri Conringiana Epistolica p. 71.

12 A. G. IV. S. 16.

13 Thes. Anecdot. T. V. Praef.

14 Anti-Goeze II.

15 Etwas Vorl. Vorr. S. 170.

16 Lessings Schwächen S. 217.

17 Frei. Beitr. 5. B. 75.

18 Ich kann mir kaum die Mühe nehmen, die Dummheit und Bosheit dieser Klatsche zugleich aus dem zu erweisen, was sie von mir sagt. Auch möchte ich sie nicht gern abschrecken, sich noch ferner hin an mir lächerlich zu machen; in der süßen Meinung, daß siemich lächerlich gemacht habe. Doch ein Paar Worte, unter den Text geworfen, können doch auch nicht schaden. – Gleich Anfangs also geifert Mutter Else, oder wie sie sonst heißen mag: »da die schlechte Beschaffenheit meiner Sache mir nicht erlaube, bei derSache selbst zu bleiben, so ergreife ich Nebendinge, und lasse die Hauptsache unbeantwortet.« – Mütterchen, und wenn Ihr noch zwanzigmal das Wort Sache in einem Atem heraussprudelt: so wißt Ihr doch von der Sache gerade so viel, wie nichts. Aber seid doch so gut und nennt mir ein einziges von jenen Nebendingen; und Ihr sollt alle Eure Zähne, oder, wenn Ihr lieber wollt, einen Mann wieder haben! Denn begreift doch nur, Else, daß ich ja nicht der angreifende Teil, sondern der angegriffene bin, und also überall mit hin muß, wohin mich Euer Seelensorger, der Herr Hauptpastor Goeze, schleppt. Freilich schleppt er mich an manchen Ort, wo wir beide nichts zu suchen haben: aber ist das meine Schuld? Muß ich ihm nicht allerwärts, wo er mich vor den Augen Israels dem Herrn opfern will, in das heilige Messer fallen? Ich schneide mich freilich oft genug in diesem heiligen Messer, aber ich wehre mir es endlich doch von der Kehle. –Zweitens, gutes Mütterchen, hat Euch dieser liebe Herr Seelensorger weis gemacht, daß er sich an den bösen Nicolai bloß als an den Verleger der allgemeinen Bibliothek zu halten pflege. Seht, das hat er Euch wohl weis machen können; aber wem er es sonst weis machen wird, der ist der zweite. Denkt nur, wenn ich wegen der freiwilligen Beiträge mich an Euch halten wollte, weil vielleicht unter den Lumpen, woraus das Papier dazu gemacht worden, sich einige von Euern alten Hemden befunden: was würdet Ihr sagen? Und doch ist wahrlich eines dem andern nicht sehr aus dem Wege. Denn eben so wenig Ihr wißt, was man mit Euren alten Hemden macht: eben so wenig weiß der Verleger, als bloßer Verleger, was der Gelehrte, den er bezahlt, auf sein weißes Papier drucken läßt; und er ist das eben so wenig verbunden zu wissen, als Ihr jenes. Habt Ihr denn auch nie gehört, Else, daß Euer Herr Seelensorger noch bei viel mehrern Verlegern so übel zu Gaste gewesen ist, als bei Nicolai? Warum hat er sich denn nie auch an jene Verleger gehalten? Warum denn nur an den Verleger Nicolai? Nein, Else, glaubt mir; er hat es nicht mit Nicolai dem Verleger zu tun, sondern mit Nicolai dem Mitarbeiter an der A. B. welcher sich bis itzt, so viel ich weiß, noch allein genannt hat. Und so, so will ich mich auch an den Herrn Hauptpastor Goeze wegen der freiwilligen Beiträge halten: er mag schreien wie er will. Mit gefangen, mit gehangen. Er nennt sich in dieser Bande; und das ist mir genug. Das ist mir so lange genug, bis er wenigstens öffentlich sein Mißfallen zu erkennen gibt, daß seine Herren Kollegen ein Buch rühmen, und in Beziehung wider mich rühmen, das von Silbe zu Silbe die nämlichen Sätze enthält, um deren willen er mich so gern zum Teufel beten möchte. – Und nun drittens, Else, was wißt denn Ihr von der Orthographie? Ich habe nie eine Vettel orthographisch schreiben sehen. Das klatscht Ihr wieder nur so nach; und merkt nicht, daß auch Ihr dadurch Anlaß gebt, daß ich mich auf Nebendinge einlassen muß. Sagt selbst, was hat es mit der Auferstehungsgeschichte, oder mit sonst einem Punkte in den Fragmenten und meiner Widerlegung derselben, zu schaffen, daß ich schreibe vorkömmt und bekömmt, da es doch eigentlich heißen müsse, vorkommt und bekommt? Es kränkt Euch, daß ein so großer Sprachkundiger, wie ich – (niemals sein wollen) – in solchen Kleinigkeiten fehlt? Ei, gutes Mütterchen! weil Ihr ein gar so zartes Herz habt, muß ich Euch ja wohl zurechte weisen. Nehmt also Eure Brille zur Hand, und schlagt den Adelung nach. Was leset Ihr hier? »Ich komme, du kommst, er kommt; im gemeinen Leben, und der vertraulichen Sprechart, du kömmst, er kömmt.« Also sagt man doch beides? Und warum soll ich denn nicht auch beides schreiben können? Wenn man in der vertraulichen Sprechart spricht, du kömmst, er kömmt: warum soll ich es denn in der vertraulichen Schreibart nicht auch schreiben können? Weil Ihr und Eure Gevattern nur das andre sprecht und schreibt? Ich ersuche Euch höflich, Else, allen Euern Gevattern, bei der ersten Zusammenkunft von mir zu sagen, daß ich unter den Schriftstellern Deutschlands längst mündig geworden zu sein glaube, und sie mich mit solchen Schulpossen ferner ungehudelt lassen sollen. Wie ich schreibe, will ich nun einmal schreiben! will ich nun einmal! Verlange ich denn, daß ein andrer auch so schreiben soll?

19 Quinctilianus L. XII.

20 Anti-Lessing.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lessing, Gotthold Ephraim. Theologiekritische und philosophische Schriften. Anti-Goeze. Anti-Goeze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E6E9-B