[Aus:]
Gotth. Ephr. Lessings
Theatralische Bibliothek
Vorrede
Man wird sich der »Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters« erinnern, von welchen im Jahr 1750 vier Stück zum Vorschein kamen. Nicht der Mangel der guten Aufnahme, sondern andere Umstände machten ihnen ein zu kurzes Ende. Ich könnte es beweisen, daß Leute von Einsicht und Geschmack öffentlich die Fortsetzung derselben gewünscht haben. Und so viel man auch von dergleichen öffentlichen Wünschen, nach Gelegenheit ablassen muß, so bleibt doch noch immer so viel davon übrig, als hinlänglich ist, mein gegenwärtiges Unternehmen zu rechtfertigen.
Man sieht leicht, daß ich hiermit diese Theatralische Bibliothek als eine Folge gedachter Beiträge ankündigen will. Ich verliere mich, nach dem Sprichworte zu reden, nicht mit meiner Sichel in eine fremde Ernte; sondern mein Recht auf diese Arbeit ist gegründet. Von mir nämlich schrieb sich nicht nur der ganze Plan jener periodischen Schrift her, so wie er in [9] der Vorrede entworfen wird; sondern auch der größte Teil der darin enthaltenen Aufsätze ist aus meiner Feder geflossen. Ja ich kann sagen, daß die fernere Fortsetzung nur dadurch wegfiel, weil ich länger keinen Teil daran nehmen wollte.
Zu diesem Entschlusse brachten mich, Teils verschiedene allzukühne und bittere Beurteilungen, welche einer von meinen Mitarbeitern einrückte; Teils einige kleine Fehler, die von Seiten seiner gemacht wurden, und die notwendig dem [9] Leser von den Verfassern überhaupt einen schlechten Begriff beibringen mußten. Er übersetzte, zum Exempel, die Clitia des Machiavells. Ich konnte mit der Wahl dieses Stücks, in gewisser Absicht, ganz wohl zu frieden sein; allein mit seinem Vorberichte hatte ich Ursache, es ganz und gar nicht zu sein. Er sagte unter andern darinne: »Fragt man mich, warum ich nicht lieber ein gutes als ein mittelmäßiges Stück gewählt habe? so bitte ich, mir erst ein gutes Stück von dem italienischen Theater zu nennen.« – – – Diese Bitte machte mich so verwirrt, daß ich mir nunmehr beständig vorstellte, ein jeder der in der welschen Literatur nur nicht ganz und gar ein Fremdling sei, werde uns zurufen: wenn ihr die Bühnen der übrigen Ausländer nicht besser kennt, als die Bühne der Italiener, so haben wir uns feine Dinge von euch zu versprechen!
Was war also natürlicher, als daß ich die erste die beste Gelegenheit ergriff, mich von einer Gesellschaft los zu sagen, die gar leicht meinen Entwurf in der Ausführung noch mehr hätte verunstalten können? Ich nahm mir vor, meine Bemühungen für das Theater in der Stille fortzusetzen, und die Zeit zu erwarten, da ich das allein ausführen könnte, von welchem ich wohl sahe, daß es gemeinschaftlich mit andern nicht allzuwohl auszuführen sei.
Ich weiß nicht, ob ich mir schmeicheln darf, diese Zeit jetzt erreicht zu haben. Wenigstens kann ich versichern, daß ich seit dem nicht aufgehöret habe, meinen erstern Vorrat mit allem zu vermehren, was, nach einer kleinen Einschränkung des Plans, zu meiner Absicht dienlich war.
Diese Einschränkung bestand darinne, daß ich den Beiträgen, welche, ihrer ersten Anlage nach, ein Werk ohne Ende scheinen konnten, eine Anzahl mäßiger Bände bestimmte, welche zusammengenommen, nicht bloß einen theatralischen Mischmasch, sondern wirklich eine kritische Geschichte des Theaters zu allen Zeiten und bei allen Völkern, obgleich ohne Ordnung weder nach den einen, noch nach den andern, enthielten. Ich setzte mir also vor, nicht alles aufzusuchen, was man von der dramatischen Dichtkunst geschrieben habe, sondern das beste und brauchbarste; [10] nicht alle und jede dramatische Dichter bekannt zu machen, sondern die vorzüglichsten, mit welchen entweder eine jede Nation als mit ihren größten pranget, oder welche wenigstens Genie genug hatten, hier und da glückliche Veränderungen zu machen. Und auch bei diesen wollte ich mich bloß auf diese von ihren Stücken einlassen, welchen sie den größten Teil ihres Ruhms zu danken haben. Mein vornehmstes Augenmerk blieben aber dabei noch immer die Alten, mit welchen ich das noch gewiß zu leisten hoffe, was ich in der Vorrede zu den Beiträgen versprochen habe.
Zweierlei wird man daselbst auch noch versprochen finden, womit ich mich aber jetzt ganz und gar nicht abgeben will. Erstlich werde ich es nicht wagen, die dramatischen Werke meiner noch lebenden Landsleute zu beurteilen. Da ich mich selbst unter sie gemengt habe, so habe ich mich des Rechts, den Kunstrichter über sie zu spielen, verlustig gemacht. Denn entweder sie sind besser, oder sie sind geringer als ich. Jene setzen sich über mein Urteil hinweg; und was diese ihre Leser bitten, das muß ich die meinigen gleichfalls noch bitten:
Zweitens werde ich keine Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande der verschiedenen Bühnen in Deutschland mitteilen; Teils weil ich für die wenigsten derselben würde stehen können; Teils weil ich unsern Schauspielern nicht gern einige Gelegenheit zur Eifersucht geben will. Sie brauchen, zum Teil, wenigstens eben so viel Ermunterung und Nachsicht, als unsre Schriftsteller.
Was die äußerliche Einrichtung dieser theatralischen Bibliothek anbelangt, so ist weiter dabei nichts zu erinnern, als daß immer zwei Stück einen kleinen Band ausmachen sollen. Der letzte Band, von welchem ich aber noch nicht bestimmen kann, welcher es sein wird, soll eine kurze chronologische Skiagraphie von allem, was in den vorhergehenden Bänden vorgekommen ist, enthalten, und die nötigen [11] Verbindungen hinzutun, damit man die Schicksale der dramatischen Dichtkunst auf einmal übersehen könne. An keine gewisse Zeit werde ich mich dabei nicht binden; wohl aber kann ich versichern, daß mir selbst daran liegt, sobald es sich tun läßt, zu Stande zu kommen.
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