G. E. Lessings Schriften
Dritter Teil
Vorrede

Ich bin eitel genug, mich des kleinen Beifalls zu rühmen, welchen die zwei ersten Teile meiner Schriften, hier und da, erhalten haben. Ich würde dem Publico ein sehr abgeschmacktes Kompliment machen, wann ich ihn ganz und gar nicht verdient zu haben, bekennen wollte. Eine solche Erniedrigung schimpft seine Einsicht, und man sagt ihm eine Grobheit, anstatt eine Höflichkeit zu sagen. Es sei aber auch ferne von mir, seine schonende Nachsicht zu verkennen, und die Aufmunterung, die es einem Schriftsteller widerfahren läßt, welcher zu seinem Vergnügen etwas beizutragen sucht, für ein schuldiges Opfer anzusehen.

Ob mir nun also der erste Schritt schon nicht mißlungen ist; so bin ich doch darum nicht weniger furchtsam, den zweiten zu wagen. Oft lockt man einen nur darum mit Schmeicheleien aus der Szene hervor, um ihn mit einem desto spöttischern Gelächter wieder hineinzutreiben.

Ich nennte es einen zweiten Schritt; aber ich irrte mich: es ist eben sowohl ein erster, als jener. Ein zweiter würde es sein, wenn ich die Bahn nicht verändert hätte. Aber, wie sehr habe ich diese verändert! Anstatt Reime, die sich durch ihre Leichtigkeit und durch einen Witz empfehlen, der deswegen keine Neider erweckt, weil jeder Leser ihn eben so gut als der Poet zu haben glaubt, anstatt solcher Reime bringe ich lange prosaische Aufsätze, die zum Teil noch dazu eine gelehrte Miene machen wollen.

Da ich mir also nicht einmal eben dieselben Leser wieder versprechen kann, wie sollte ich mir eben denselben Beifall versprechen können? Doch er erfolge, oder erfolge nicht; ich [521] will wenigstens auf meiner Seite nichts versäumen, ihn zu erhaschen. Das ist, ich will mich des Rechts der Vorrede bedienen, und mir den höflichsten Wendungen, so nachdrücklich als möglich, zu verstehen geben, von welcher Seite ich gerne wollte, daß man dasjenige, was man nun bald wahrscheinlicher Weise lesen, noch wahrscheinlicherer Weise aber, nicht lesen wird, betrachten möge.

Ich sage also, daß ich den dritten Teil mit einem Mischmasch von Kritik und Literatur angefüllt habe, der sonst einen Autor deutscher Nation nicht übel zu kleiden pflegte. Es ist Schade, daß ich mit diesem Bändchen nicht einige zwanzig Jahr vor meiner Geburt, in lateinischer Sprache, habe erscheinen können! Die wenigen Abhandlungen desselben, sind alle, Rettungen, überschrieben. Und wen glaubt man wohl, daß ich darinne gerettet habe? Lauter verstorbne Männer, die mir es nicht danken können. Und gegen wen? Fast gegen lauter Lebendige, die mir vielleicht ein sauer Gesichte dafür machen werden. Wenn das klug ist, wo weiß ich nicht, was unbesonnen sein soll. – – Man erlaube mir, daß ich nicht ein Wort mehr hinzu setzen darf.

Ich komme vielmehr so gleich auf den vierten Teil, von dessen Inhalte sich mehr sagen läßt, weil er niemanden, oder welches einerlei ist, weil er alle und jede angeht. Er enthält Lustspiele.

Ich muß es, der Gefahr belacht zu werden ungeachtet, gestehen, daß unter allen Werken des Witzes die Komödie dasjenige ist, an welches ich mich am ersten gewagt habe. Schon in Jahren, da ich nur die Menschen aus Büchern kannte – – beneidenswürdig ist der, der sie niemals näher kennen lernt! – – beschäftigten mich die Nachbildungen von Toren, an deren Dasein mir nichts gelegen war. Theophrast, Plautus und Terenz waren meine Welt, die ich in dem engen Bezirke einer klostermäßigen Schule, mit aller Bequemlichkeit studierte – – Wie gerne wünschte ich mir diese Jahre zurück; die einzigen, in welchen ich glücklich gelebt habe.

Von diesen ersten Versuchen schreibt sich, zum Teil, »Der junge Gelehrte« her, den ich, als ich nach Leipzig kam, ernstlicher auszuarbeiten, mir die Mühe gab. Diese Mühe ward [522] mir durch das dasige Theater, welches in sehr blühenden Umständen war, ungemein versüßt. Auch ungemein erleichtert, muß ich sagen, weil ich vor demselben hundert wichtige Kleinigkeiten lernte, die ein dramatischer Dichter lernen muß, und aus der bloßen Lesung seiner Muster nimmermehr lernen kann.

Ich glaubte etwas zu Stande gebracht zu haben, und zeigte meine Arbeit einem Gelehrten, dessen Unterricht ich in wichtigern Dingen zu genießen das Glück hatte. Wird man sich nicht wundern, als den Kunstrichter eines Lustspiels einen tiefsinnigen Weltweisen und Meßkünstler genennt zu finden? Vielleicht, wenn es ein andrer, als der Hr. Prof. Kästner wäre. Er würdigte mich einer Beurteilung, die mein Stück zu einem Meisterstücke würde gemacht haben, wenn ich die Kräfte gehabt hätte, ihr durchgängig zu folgen.

Mit so vielen Verbesserungen unterdessen, als ich nur immer hatte anbringen können, kam mein »Junger Gelehrte« in die Hände der Frau Neuberin. Auch ihr Urteil verlangte ich; aber anstatt des Urteils erwies sie mir die Ehre, die sie sonst einem angehenden Komödienschreiber nicht leicht zu erweisen pflegte; sie ließ ihn aufführen. Wann nach dem Gelächter der Zuschauer und ihrem Händeklatschen die Güte des Lustspiels abzumessen ist, so hatte ich hinlängliche Ursache das meinige für keines von den schlechtesten zu halten. Wann es aber ungewiß ist, ob diese Zeichen des Beifalls mehr für den Schauspieler, oder für den Verfasser gehören; wenn es wahr ist, daß der Pöbel ohne Geschmack am lautesten lacht, daß er oft da lacht, wo Kenner weinen möchten: so will ich gerne nichts aus einem Erfolge schließen, aus welchem sich nichts schließen läßt.

Dieses aber glaube ich, daß mein Stück sich auf dem Theater gewiß würde erhalten haben, wenn es nicht mit in den Ruin der Frau Neuberin wäre verwickelt worden. Es verschwand mit ihr aus Leipzig, und folglich gleich aus demjenigen Orte, wo es sich, ohne Widerrede, in ganz Deutschland am besten ausnehmen kann.

Ich wollte hierauf mit ihm den Weg des Drucks versuchen. Aber was liegt dem Leser an der Ursache, warum sich dieser [523] bis jetzt verzögert hat? Ich werde beschämt genug sein, wenn er finden sollte, daß ich gleichwohl noch zu zeitig damit hervorrückte.

Das war doch noch einmal eine Wendung, wie sie sich für einen bescheidnen Schriftsteller schickt! Aber man gebe Acht, ob ich nicht gleich wieder alles verderben werde! -Man nenne mir doch diejenigen Geister, auf welche die komische Muse Deutschlands stolz sein könnte? Was herrscht auf unsern gereinigten Theatern? Ist es nicht lauter ausländischer Witz, der so oft wir ihn bewundern, eine Satyre über den unsrigen macht? Aber wie kommt es, daß nur hier die deutsche Nacheiferung zurückbleibt? Sollte wohl die Art selbst, wie man unsre Bühne hat verbessern wollen, daran Schuld sein? Sollte wohl die Menge von Meisterstücken, die man auf einmal, besonders den Franzosen abborgte, unsre ursprünglichen Dichter niedergeschlagen haben? Man zeigte ihnen auf einmal, so zu reden, alles erschöpft, und setzte sie auf einmal in die Notwendigkeit, nicht bloß etwas gutes, sondern etwas bessers zu machen. Dieser Sprung war ohne Zweifel zu arg; die Herren Kunstrichter konnten ihn wohl befehlen, aber die, die ihn wagen sollten, blieben aus.

Was soll aber diese Anmerkung? Vielleicht meine Leser zu einer gelindern Beurteilung bewegen? – – Gewiß nicht; sie können es halten wie sie wollen. Sie mögen mich gegen meine Landsleute, oder gegen Ausländer aufwägen; ich habe ihnen nichts vorzuschreiben. Aber das werden sie doch wohl nicht vergessen, wenn die Kritik den »Jungen Gelehrten« insbesondere angeht, ihn nur immer gegen solche Stücke zu halten, an welchen die Verfasser ihre Kräfte versucht haben?

Ich glaube die Wahl des Gegenstandes hat viel dazu beigetragen, daß ich nicht ganz damit verunglückt bin. Ein »Junger Gelehrte«, war die einzige Art von Narren, die mir auch damals schon unmöglich unbekannt sein konnte. Unter diesem Ungeziefer aufgewachsen, war es ein Wunder, daß ich meine ersten satyrischen Waffen wider dasselbe wandte?

Das zweite Lustspiel, welches man in dem vierten Teile finden wird, heißt »Die Juden«. Es war das Resultat einer sehr ernsthaften Betrachtung über die schimpfliche Unterdrückung, [524] in welcher ein Volk seufzen muß, das ein Christ, sollte ich meinen, nicht ohne eine Art von Ehrerbietung betrachten kann. Aus ihm, dachte ich, sind ehedem so viel Helden und Propheten aufgestanden, und jetzo zweifelt man, ob ein ehrlicher Mann unter ihm anzutreffen sei? Meine Lust zum Theater war damals so groß, daß sich alles, was mir in den Kopf kam, in eine Komödie verwandelte. Ich bekam also gar bald den Einfall, zu versuchen, was es für eine Wirkung auf der Bühne haben werde, wenn man dem Volke die Tugend da zeigte, wo es sie ganz und gar nicht vermutet. Ich bin begierig mein Urteil zu hören.

Noch begieriger aber bin ich, zu erfahren, ob diese zwei Proben einige Begierde nach meinen übrigen dramatischen Arbeiten erwecken werden. Ich schließe davon alle diejenigen aus, welche hier und da unglücklicher Weise schon das Licht gesehen haben. Ein beßrer Vorrat, bei welchem ich mehr Kräfte und Einsicht habe anwenden können, erwartet nichts als die Anlegung der letzten Hand. Diese aber wird lediglich von meinen Umständen abhangen. Ein ehrlicher Mann, der nur einigermaßen gelernt hat, sich von dem Äußerlichen nicht unterdrücken zu lassen, kann zwar fast immer aufgelegt sein, etwas ernsthaftes zu arbeiten, besonders wann mehr Anstrengung des Fleißes, als des Genies dazu erfordert wird; aber nicht immer etwas witziges, welches eine gewisse Heiterkeit des Geistes verlangt, die oft in einer ganz andern Gewalt, als in der unsrigen stehet – – Es rufen mir ohnedem fast versäumte wichtigere Wissenschaften zu:


Satis est potuisse videri! [525]

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TextGrid Repository (2012). Lessing, Gotthold Ephraim. Ästhetische Schriften. Vorreden. G. E. Lessings Schriften. Dritter Teil. G. E. Lessings Schriften. Dritter Teil. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E79F-B