Der Barbier des Hugo von Hofmannsthal
So steh ich nun die trüben Wintertage
Von früh bis spät und seife Köpfe ein,
Rasiere sie und pudre sie und sage
Gleichgültge Worte, dumme, Spielerein.
Die meisten Köpfe sind ganz zugeschlossen,
Sie schlafen schlaff. Und andre lesen wieder
Und blicken langsam durch die langen Lider,
Als hätten sie schon alles ausgenossen.
Noch andre öffnen weit die rote Ritze
Des Mundes und verkünden viele Witze.
Ich aber lächle höflich. Ach, ich berge
Tief unter diesem Lächeln wie in Särge
Die schlimmen, überwachen, weisen Klagen,
Daß wir in dieses Dasein eingepreßt,
Hineingezwängt sind, unentrinnbar fest
Wie in Gefängnisse, und Ketten tragen,
Verworrne, harte, die wir nicht verstehen.
Und daß ein jeder fern sich ist und fremd
Wie einem Nachbar, den er gar nicht kennt.
Und dessen Haus er immer nur gesehen hat.
Manchmal, während ich an einem Kinn rasiere,
Wissend, daß ein ganzes Leben
In meiner Macht ist, daß ich Herr nun bin,
Ich, ein Barbier, und daß ein Schnitt daneben,
Ein Schnitt zu tief, den runden frohen Kopf,
Der vor mir liegt [er denkt jetzt an ein Weib,
An Bücher, ans Geschäft] abreißt von seinem Leib,
Als wäre er ein lockrer Westenknopf –
Dann überkommts mich. Plötzlich ... Dieses Tier.
Ist da. Das Tier ... Mir zittern beide Knie.
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Und wie ein kleiner Knabe, der Papier
Zerreißt [und weiß es nicht, warum],
Und wie Studenten, die viel Gaslaternen töten,
Und wie die Kinder, die so sehr erröten,
Wenn sie gefangner Fliegen Flügel brechen,
So möchte ich oft wie von ungefähr,
Wie wenn es eine Art versehen wär,
An solchem Kinn mit meinem Messer ritzen.
Ich säh zu gern den roten Blutstrahl spritzen.