Karnevalstraum

(Zu einem Bild)


Ich mach den Karneval sobald nicht wieder mit.
So schlimm ist mir mein Lebtag nicht gewesen,
Und solche Träume hab ich nie geträumt:
Auf einem harten, kahlen Wege, der der Stadt,
Die ihn nicht halten konnte, fast entlaufen ist
Und nun, ein Bettler, in den Himmel wandert, schreiten
Ein Mann, ein Weib. – Der Mann: robust, gemein,
Ein Raubtier, das sich auf das Fressen freut.
Das Weib: graziös und schlank, halbnackt, im Domino.
Herzlose Blicke stechen aus verbrauchten Augen ...
Kein Laster, kein Verbrechen ist ihr neu –
Und jedes hält wie ein Paket in einem Arm
Ein Bein von mir. Mein Körper schleift am Boden.
Und immer, wenn ich stöhnend meinen Kopf
Versuche zu erheben oder mit den Händen mich
Verzweifelt an die Erde klammern will,
Fühl ich des Mannes starke Knochen fester
Um meinen Fuß sich legen ... fühle, wie des Weibes
Grausames, kühles Fleisch sich plötzlich enger preßt,
Und mutlos, hoffnungslos sink ich zusammen –
Die beiden aber schreiten schweigend weiter,
Zu jeder Greueltat mit Lust bereit.
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TextGrid Repository (2012). Lichtenstein, Alfred. Gedichte. Weitere Gedichte. Karnevalstraum. Karnevalstraum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EC1A-9