Der Heidebrand

»Herr Hardesvogt, vom Whisttisch weg,
Viel Menschen sind in Gefahr,
Es breunt die Heide von Djernisbeg
Und das Moor von Munkbrarupkar.«
Schon steh' ich im Bügel, schon bin ich im Sitz,
In den Sattel springt der Gendarm wie der Blitz.
Just schlägt es im Städtchen Glock zwölfe,
Wir reiten als hetzten uns Wölfe.
[99]
Hier schläft ein Garten in Mitternachtruh',
Dort dämmert im Mondschein der Busch.
Und Felder und Wälder verschwinden im Nu,
Wir fliegen vorüber im Husch.
Und sieh, in der Ebne stäubt Funkengeschwärm,
Schon murmelt herüber verworrener Lärm.
Es gilt! Die Sporen dem Pferde,
Der Bauchgurt berührt fast die Erde.
Herunter vom Gaule, wir sind am Ort,
Und stehen in Rauch und Qualm.
Das Feuer frißt gierig: das Kraut ist verdorrt,
Vom Sommer vertrocknet der Halm.
Doch mitt' in der dampfenden Pußta, o Graus,
Steht hell in Flammen ein einzelnes Haus.
Und aus dem sengelnden Schilfe
Ruft's markerschütternd um Hilfe.
Sechshundert Mann gruben den Graben breit
Und geboten dem Feuer Haltein,
Sechshundert Mann sind zum Retten bereit
Und schauen verzweiflungsvoll drein:
Unmöglich ist es, zum brennenden Haus
Sich durchzukämpfen, vergeblicher Strauß,
Denn kaum sind im Torfe die Sohlen,
So rösten sie schon wie Kohlen.
Das Schreien wird schwächer, dann hat es ein End',
Die Kathe ist abgebrannt.
In der Heide züngelt es, zischelt und brennt,
Doch nur bis zum Grabenrand.
Im Osten zeigt sich ein purpurner Streif,
Auf Aehren und Blumen und Gras fällt der Reif.
Und ruhig im alten Bogen
Kommt die Sonne heraufgezogen.
[100]
Und nun heran! Wer hat es gethan,
Wer weiß wie das Feuer enstand.
Wer hat es entzündet mit flackerndem Span? –
Doch Niemand die Spuren fand.
Kein Junge hütete Kuh und Schaf,
Die Heide lag gestern im Sonntagsschlaf.
Und wie noch die Frage besprochen,
Da kommt was den Sandweg gekrochen.
Es humpelt heran ein kümmerlich Weib,
Sie stützt sich schwer auf den Stock.
Viel Jahre drücken den alten Leib,
Von Erde beschmutzt ist der Rock.
Das ist Wiebke Peters, und Wieb ist gefeit,
Der gehörte die Kathe, so ruft es und schreit.
Mit Jubel umringt sie die Menge,
Doch Wieb steuert aus dem Gedränge.
Und stellt sich gerade vor mir auf,
Und blinzelt hin übers Moor.
Und alle die Leute stehn zu Hauf,
Ein gestikulirender Chor.
So steht sie lange, ich lass' sie in Ruh,
Zuweilen schließt sie die Augen zu.
Ich kanns vom Gesicht ihr schon lesen:
»Herr Hardesvogt, ich bins gewesen.«
»Wiebke Peters, erzähle, was weißt Du vom Brand,
Wie kam das Feuer so schnell?«
Die Thränen fallen ihr auf die Hand,
Ihr Schluchzen klingt wie Gebell.
Dann wieder lacht sie vor sich hin,
Und ganz verwirrt scheint plötzlich ihr Sinn.
Und, wie nach genossener Rache,
Läßt sie höhnisch aus sich zur Sache.
[101]
»Die Kathe, in der ich geboren war,
Die abgebrannt diese Nacht,
In der hatt' ich an achtzig Jahr'
Mich mühsam durchs Leben gebracht.
Mein Mann starb früh, ein Sohn blieb nach,
Der ließ mich im Stich, als ich krank und schwach.
Oft hab' ich ihm bittend geschrieben,
Doch stets ist er weggeblieben.
Vergangen Jahr endlich kehrt' er zurück,
Und fordert, ich solle hinaus,
Und dann, ein altes, verbrauchtes Stück,
Verwelken im Armenhaus.
Ich bat die Gerichte, die halfen mir auch,
Zum Schornstein zog wieder der einsame Rauch.
Da kam nochmals vor einigen Tagen
Mein Sohn mit Weib und mit Wagen.
Und gestern, Herr, gestern um Mittagszeit
– Ich konnte doch nichts dafür,
Daß meinetwegen Zank und Streit –
Sie warfen mich aus der Thür.
Ich schlug mir die alten Knochen wund,
Und liegen blieb ich wie der Hund.
Dann trieb mich ein heißes Verlangen,
Und ich bin zu Nis Nissen gegangen.
Dort kauft' ich Zündhölzer, Petroleum,
Und ging aufs Feld hinaus.
Und als am Abend alles stumm,
Schlich ich mich an das Haus.
Ich horchte am Laden, an Ritz' und Spalt,
Daß Alles im Schlafe, ich merkt' es bald.
Und eh' sie erwachten beide,
Entzündete rings ich die Heide.
[102]
Vom Walde schaut' ich den Feuerschein,
Es lachte mir das Herz.
Den Angstruf hört' ich, das Hilfeschrein,
Es lachte mir das Herz.
Und als die Kathe zusammenschlug,
Meine Seele zum Himmel ein Amen trug.
Das, Herr, ist meine Geschichte,
Hier stell' ich mich dem Gerichte.«

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TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Adjudantenritte. Der Heidebrand. Der Heidebrand. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EDBD-4