[42] Ich war so glücklich

(Ausflug.)

Mittsommertag.
Um sieben Uhr früh schon
Spritzen die Sprenger
Das glühende Pflaster.
Und um sieben Uhr früh
Bin ich unterwegs
Nach dem Bahnhofe.
Die schönste Rose, die zu erlangen ist
In der Stadt,
Eine mächtige Marschall Niel,
Kauf' ich mir im Blumenladen.
Daß sie nicht welkt,
Umschlägt sie die Verkäuferin
Mit weißem Seidenpapier.
Und nun glänzt es
Durch die zarte Umhüllung
Wie schmelzende Butter.
Welcher Wirrwarr
Auf dem großen Bahnhofe.
An allen Schaltern Gedränge;
Viele Sprachen umtönen mich;
[43]
Rote Reisebücher stechen aus allen Händen.
In den Hallen und Sälen und Fluren
Wartende,
Sich Treffende,
Schwatzende,
Sich Durcheinanderschlingende,
Schuppsende,
Entwirrende.
Und im Mittelbau
Wart' auch ich,
Umbrandet
Von Menschenwogen.
Und meine Augen
Wandern immerfort wieder
Nach dem Haupteingange:
Jetzt, jetzt muß sie kommen.
Mit schrillem, durchdringenden Tone
Schlägt eine Uhr drei Viertel.
Nur noch sieben Minuten
Und – da ist sie, da ist sie.
Ihr gelbbraunes Jäckchen
Erkenn' ich aus tausenden.
O Glück, ich fing dich, ich halte dich,
O Tag, du bist so schön.
Rasch steckt die Rose
An der Brust des liebsten Mädchens.
Nun die Fahrkarten,
Und in's Koupe.
Dem Schaffner ein Trinkgeld,
Wir bleiben allein.
Nicht fern unsrer Thür,
Steht der dicke, rotmützige,
[44]
Biergesichtige Zugführer.
Er spielt mit seiner elfenbeinernen Pfeife,
Sie ab und zu
An die Lippen bringend, in die Lippen setzend,
Ohne das Zeichen zu geben.
Er schielt zuweilen nach uns hin
Und lächelt,
Lächelt ein wenig malitiös,
Und gutmütig zugleich.
Hol' ihn der Kuckuck.
Jetzt giebt er den Befehl zur Abfahrt.
Endlich!
Die Lokomotive schreit.
Langsam setzen wir uns in Bewegung.
Haltepunkt um Haltepunkt verliert sich hinter uns.
Wir nähern uns dem Ziele.
Vor'm Spiegel wird Alles in Ordnung gebracht:
In's zerzauste Haar
Die verloren gegangene
Und wiedergefundene Nadel geheftet;
Das Hütchen zurecht gerückt.
»Nichts vergessen?«
Und: »Bitt' schön, möcht'st du mir net g'schwind
Den Handschuh zumachn?«
Wir steigen aus.
Arm in Arm, o die Seligkeit!
Im fremden Städtchen
Ist Jahrmarkt.
Wir besuchen den Trödel:
Wir reiten im Carroussel
Auf Löwen und Schwänen;
[45]
Wir bestaunen »die Wunderdame«;
Wir lassen uns photographieren:
»Immer herein die Herrschaften;
In zwei Minuten ist Alles fix und fertig.«
Die Bilder sind herrlich;
Nur das linke Auge
Des Mädchens fehlt;
Statt dessen zeigt sich ein weißer Fleck,
Erbsengroß.
Und nun in den Wald.
Welch ein wundersamer der ist:
In gleichen Zwischenräumen
Stehn uralte Eichen,
So weit auseinander,
Daß die äußersten Spitzen jeder
An die äußersten der nächsten stoßen.
Englischer Rasen, merkwürdig: hier,
Breitet sich zwischen ihnen.
Wie ein anderweltlicher Hain
Mutet er mich an.
Und unter einem dieser Riesen,
Beim Eintreten ist's natürlich schon,
Schlag' ich um des Mädchens Schultern
Den Arm.
Sie beugt das Haupt zurück.
Und ihr den Strohhut
In den Nacken schiebend,
Küss' ich sie lang, lang und innig.
Was geht den Frauen und Mädchen
Über »die Landpartie«?
Nichts.
[46]
Selbst dem kleinen Herzensintrabbringer,
Der sonst so zärtlich behandelt wird,
Wird dann der Rücken gekehrt.
Doch nicht ganz:
Am sanften Abhange,
Am Saume der Hölzung,
Ruhen wir.
Wohlriechender Wegerich,
Hundszunge und Ehrenpreis,
Zittergras und Salbei
Sind unser Teppich.
Goldamseln umhüpfen uns.
Und Alles ist wie ein Traum.
Auf dem Rückweg
Entdecken wir im Holz
Eine offen stehende Kapelle,
Das Kirchlein »Maria Eich.«
Wir treten ein in die Kühle,
In das Halbdunkel.
Geheimnisvoll leuchtet die ewige Lampe.
Das Mädchen
Verneigt sich und bekreuzt sich
Vor der schwertdurchbohrten Mutter Gottes.
Und unsere Sünden
Sind uns vergeben.
Wir hängen ein selbstgeflochtenes Kränzel
Um den Ringgriff der Eingangspforte,
Und pilgern dann
In's Städtchen zurück.
Im Garten unseres Gasthauses
Ist Concert.
[47]
Wir sitzen abseits, unbemerkt.
Kastanien, die vor unserer Laube
Ihre dicken Stämme zeigen,
Strecken ihre Dächer über uns.
Durch sie durch sehn wir,
Im Sechsuhrnachmittagssonnenschein,
Gärten und flache Wiesen,
Hinter ihnen vereinzelte Häuser,
In denen das Nachtessen
Bereitet wird:
Gradauf steigt bläulicher Kaminqualm.
Plötzlich nehm' ich das Mädel
Auf meine Arme, meine Hände,
Und halte sie hoch:
Wie Salome das Haupt des Täufers
Auf der emporgehobnen Schüssel;
Wie ein eiliger Kellner,
Der die dampfende Terrine:
»Heiß, heiß!« durch die ihn einkeilende Menge
Steuern will;
Wie einer, der ein krankes Reh trägt,
Das die Meute, mit gereckten Köpfen,
Mit hängenden, schwitzenden Zungen,
Mit an ihm hinaufstrebenden Pfoten
Gierig umläutet.
Euch, ihr Götter, bring' ich das Opfer nicht,
Ihr neidischen!
Gelt, ihr möchtet das bischen Glück
Mir gerne nehmen!
Bleibt's g'sund, sagt der Münchener;
Da lur up, sagt der Holsteiner;
Begegnet mir im Mondschein, sage ich.
[48]
Das Mädchen lacht und zappelt, zappelt und lacht.
Vor uns liegt
Die ruhige, bescheidene,
Schornsteinrauchfriedliche Landschaft.
(Kleine Reise.)

Keine Seele heut,
Im bösen Regenwetter,
Besucht das Schloß.
Nur von einem uralten, weißhaarigen,
Papageiisch plappernden Diener begleitet,
Wandern wir,
Das Mädel und ich,
Durch die hallenden Säle.
Hat der Greis solch Vertrauen zu mir:
Auf meine Bitte, geht er.
Nun sind wir allein.
Und ich zeig' ihr die Wunder:
Verschossene und immer noch prächtige Gobelins,
Schlachten- und Jagdbilder,
Kaiserinnen, Fürstinnen,
Prinzen, Marschälle, Würdenträger,
Einen verewigten Hofnarren;
Alles in Reifröcken, Perrücken, Zöpfen,
Mit Zierdegen und Kniehosen,
In Schmuckpanzern des achtzehnten Jahrhunderts.
Und selbst ein Lieblingsmops
Ist abkonterfeit.
Einmal, in einem weiten Saale,
Den sich die Einsamkeit der Einsamkeiten
Zum Schlaf erkoren hat,
[49]
Verweilen wir länger:
Zwei verblichene, winziglehnige, weiße
Seidensessel stehn hier, auf einer Erhöhung,
Nur diese beiden, sonst ist's leer.
Ihnen gegenüber, von Pesne gemalt,
Spannt Amor den Bogen.
Wir setzen uns.
Dann spring' ich auf, und auf dem eisglatten Täfelboden
Tänzel' ich,
Ein wenig den Spielhahn nachäffend,
Schuhplattlerartig;
Dann, zur Abwechslung, im ernsten, gemessenen,
Höchstwohlanständigen Menuettschritt.
Und Alles vor ihr.
Und sie lehnt sich,
Nur der Fächer fehlt,
Erst lächelnd, dann lachend zurück,
Und hält das Köpfchen schief,
Und ist ganz, ganz eine junge Durchlaucht,
Und ich bin ganz, ganz ihr Affe-Kammerherr.
Und Amor kichert und hat,
Seit wie langer Zeit,
Wieder »a Freid.«
Nun haben wir Alles beschaut,
Zuletzt mit andächtigem Staunen
Die riesigen, wurmstichigen Prunkbetten.
Genug der Herrlichkeit.
Wir steigen die reichbreite, reichgeländergeschmückte
Marmortreppe hinab.
Ritterlich biet' ich meiner Schönen die Hand.
Und sie geruht,
Auf meinen hingehaltenen Zeigefinger
Ihr Händchen zu legen.
[50]
Acht Pagen halten ihr
Die schwere gold- und silberdurchwirkte Schleppe.
Tief, sehr tief neigen sich
Die zu beiden Seiten der Stufen stehenden
Kavaliere vor uns.
Hinter uns: das »Cortège«
Bis auf den fantastisch gekleideten Leibmohren,
Der das Schoßhündchen trägt.
Im Haupteingange
Ist die Wache in's Gewehr getreten.
Der Osffzier, mit der Blechhaube,
Streckt sein Sponton.
Der Trommler wirbelt.
Wir aber, wieder Menschen des neuen Jahrhunderts,
Das Mädel und ich,
Gehn im Regen zurück
In unsern Gasthof,
In den Gasthof »Zum teutschen Dichter.«
Den Namen so einladend findend,
Wählten wir den »teutschen Dichter.«
Hier unterdessen ward uns ein Zimmer bereitet.
Das Essen wartet:
Eine Hirnpflanzlsuppe,
Zwei Kalbshaxen mit Erdäpfeln
– Sonntags genannt Kartoffeln –
Und mächtige Schüsseln, so war es gewünscht,
Mit Preißelbeeren und Gurkensalat.
»Wohl bekomm's!«
Und sehr wohl bekommt es uns.
Roter Tirolerwein
In hübschen Krystallflaschen,
Ist nicht vergessen worden.
[51]
Der Abend brachte die Sonne.
»Wollen wir ausgehn? Kommst du mit?«
»»Scho recht, scho recht.««
»Scho recht, scho recht.«
Könnt' ich die Worte noch einmal hören,
Von ihr gesprochen.
Welche Hingabe lag in ihnen,
Welcher Eifer,
Welche fröhlichste, unbedingte
Bereitwilligkeit zu Allem:
Dies Ichgehmitdirdurchdickunddünn,
Dies Sofortbeiderhandsein,
Dies »Ja, ja, i thu glei mit.«
Könnt' ich die Worte noch einmal hören,
Von ihr gesprochen:
»Scho recht, scho recht.«
Der Abend brachte die Sonne.
Hinaus, und unser Gang
Gilt dem Garten des Schlosses.
Wie am Morgen,
Sind wir auch nun allein.
Kaum etwas auf der weiten Erde
Birgt solche Poesie,
Wie ein verlassener,
Halb verwilderter,
Lindenverwachsener,
Vögeldurchsungener Sommergarten.
Die Wasser sprangen.
Für wen?
»Siehst du, uns zu Ehren, nur für uns.«
[52]
Hingerissen von den Linien
Des im italienischen Stil
Ausgeführten Palastes,
Erklär' ich sie meiner Begleiterin.
Sie aber, dies für außerordentlich
Langweilig erachtend,
Ruft plötzlich in hellster Freude:
»A Goas, a Goas; kumm, Lisi.«
Und kniet,
Fast verschwindend im wuchernden Grase,
Neben die einsame, angepflockte Ziege,
Die den Störenfried erst verwundert betrachtet,
Dann die Hörner einsetzt.
»Der Teifi, der Teifi,«
Und das Mädchen sucht,
Halb in Angst, halb im Scherz,
Schutz in meinen Armen.
Und noch einmal bückt sie sich im Grase,
Feldblumen pfiückend.
Ablassend von der Bestaunung
Des tief mein Schönheitsgefühl
Befriedigenden Linienschwungs des Schlosses,
Wend' ich mein Auge
Dem Dirnlein zu,
Das im Auf- und Niedertauchen
Nacken, Hals und Haupt hebt,
Nacken, Hals und Haupt untersinken läßt.
Dann schreiten wir
– Sie trägt den vollen Strauß,
Aus dem ich mir nur
Eine Taglichtnelke erbeten habe –
In die dunkelnden Baumgänge hinein.
Immer schwächer tönt zu uns
[53]
Das Plätschern und Plauschen der Springbrunnen;
Immer lauter wird das Lärmen
Der Amseln.
Und wir schreiten zu,
Mit kräftigem Schritt,
Blutlebendig, lebenbeglückt.
Leben, hurra!
Keiner begegnet uns;
Kein abscheuliches, hingeworfenes, verfaulendes
Butterbrotpapier stört uns.
Wir sind wir allein,
Wie sich's gehört:
Der König und die Königin!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Haidegänger. Ich war so glücklich. Ich war so glücklich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EE31-5