Ein Geheimnis

Vier edle Füchse nicken mit den Köpfen,
Daß Brust und Hals und Mähnen, Zaum und Zügel,
Mit weißen Schaumgeflock getigert sind.
Die feinen Hufe scharren ungeduldig,
Den leichten Wagen, dem sie vorgespannt,
Durch weite Strecken mühlos fortzureißen.
Am offnen Schlage steht der Groom und wartet.
[125]
Die Thür des Schlosses öffnet ihre Flügel.
Und tiefgebeugter Dienerschaft vorüber
Betritt, des linken Handschuh Knöpfe schließend,
Ein großer Mann mit kurzem, braunem Vollbart,
Die Marmortreppe, steht, und steigt hinunter.
Die Haare deckt ein alter grauer Filz,
Geschmückt mit unscheinbarer Sperberfeder.
Gewehr und Tasche liegen schon im Sitz.
Der Hühnerhund springt bellend auf die Polster.
Und fort, als gält' es eine Siegesbotschaft,
Entstürmt dem Halt in Hast der Viererzug.
Dem Jäger schaut vom hohen Fenster nach
Ein stolzes, blasses, üppig großes Weib:
»Wenn ich nur wüßte, was ihn immer drängt,
Auf jener magern Heidewelt zu jagen.
Wenn einmal nur er fragte: Willst du mit?«
Und traurig läßt sie sich im Sessel nieder,
Die stillen Augen mit den Händen deckend.
Doch keine Thräne tropft ihr von der Wimper.
Indessen rollt der Wagen seinen Weg,
Und rollt und rollt drei Stunden durch die Felder
Im immer gleichen, schlanken, schnellen Trab.
Und Nord und Süd, so weit das Auge reicht,
Und West und Ost in unbegrenzter Ferne,
Gehört dem Jäger, der im Wagen sitzt,
Und freundlich rechts und links den Bauern dankt,
Wenn ehrerbietig sie die Mützen rücken.
Vor einem Heidkrug hält das Viergespann.
Die Büchse umgehangen, schlendert nun
Allein der Jäger durch das braune Kraut.
Feldmann hat Hühner in der Nase; steht.
Doch hinter ihm blitzt kein Gewehr heran.
[126]
Am Waldrand weilt der Mann vor einem Häuschen,
Bei dessen Thür ein kleiner Knabe spielt.
Und in die Arme nimmt er rasch den Jungen,
Und küßt die Lippen ihm, die großen Augen,
Die wunderbaren, dunkelblauen Augen,
Von langen, schwarzen Wimpern scharf beschützt.
Und trägt ihn dann in's Haus.
Ein Mütterchen
Tritt ihm entgegen mit Bewillkommsgruß.
Bald sitzen sie vereint am Sofatisch.
Der Jäger schaukelt auf den Knie'n den Knaben,
Und lacht und scherzt, und läßt in seinen Taschen
Den Kleinen nach Bonbons und Spielwerk suchen –
Und sieht ihm immer in die großen Augen,
Die wunderbaren, dunkelblauen Augen,
Von langen schwarzen Wimpern scharf beschützt.
Und wieder rollt im Trab, diesmal zurück,
Der Viererzug. Und hält am Schloßportal.
Die stolze, blasse, üppig große Frau
Empfängt den Schloßherrn, kalt, in Balltoilette.
Rasch ist er umgekleidet. Beide fahren
Durch gaserhellte Straßen zur Soiree.
Der Jäger wird von Hunderten beneidet,
Die heute sich begrüßen in den Sälen,
Um seine stolze, wunderschöne Frau.
Er liebt sie nicht; ja, ihre sammtne Haut,
Erregt ihm Schauder schon, berührt er sie.
Einmal, fast laut, im Lärmen eines Toastes,
Eh' noch das Glas die Lippen ihm berührt,
Flüstert er wie zerstreut und abwesend:
Ach, süßes Herz, was gingst du fort von mir.
[127]
Es schleicht die Sommernacht auf Katzenpfoten.
Des Schlosses Lichter alle sind gelöscht.
Der Herr des Hauses schläft in seinem Zimmer,
Und atmet regelmäßig, ruhig weiter.
Ganz leise, leise, leise geht die Thür,
Und seine Frau, im weißen Nachtgewand,
Setzt vorsichtig ein Lämpchen auf den Tisch,
Und dämpft den Schein durch vorgestellten Schirm.
Dann sitzt sie bald am Rande seines Bettes,
Und lauscht, und schaut auf die geschlossenen Lider.
Im gleichen Tonfall, langsam jedes Wort,
Spricht sie zu ihm, dess' Brust sich hebt und senkt,
Und hebt und senkt, hebt – senkt, und hebt und senkt:
»Rudolf.« Kamilla? »Wie war heut die Jagd?«
Und er, als spräch' er wachend, klar und deutlich:
Die Jagd, Kamilla? Nun, was soll die Jagd?
Ich war am Waldesrand bei meinem Sohn.
Schwamm ihr ein breiter Blutstrom vor den Augen?
Fiel dann der Schnee so dicht, so dicht herab?
Sie preßt die Hand auf's Herz so fest, so fest –
Und wieder fragt im selben Tone sie:
»Rudolf.« Kamilla? »Und wie heißt dein Sohn?«
Ich gab ihm meinen eignen Namen: Rudolf.
»Rudolf.« Kamilla? »Und wie heißt die Mutter?«
Die Mutter starb, als sie den kleinen Kerl
In meine Arme selig mir gelegt.
Unruhig wird der ruhig Schlafende.
Doch sie mit ihren stillen grauen Augen
Bannt ihn, daß seine Atemzüge bald
In gleichen Zwischenräumen wieder ehren.
[128]
»Rudolf« Kamilla? »Liebst du noch das Mädchen?«
Bis jeder Stern vom weiten Himmel fällt.
Die Frau steht auf. Doch bleibt sie noch am Bett.
Ein letzter, langer, schwerer Abschiedsblick
In Haß und Eifersucht und Schmerz und Weh.
In grenzenloser Liebe küßt sie dann
Die Stirne dessen, der ihr Leben war.
Ein Schwan, der seinen Schnabel tief verbarg,
Fährt plötzlich aus dem Traum.
Die stolze Frau
Glitt neben ihm in's Wasser und verschwand.

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TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Adjudantenritte. Ein Geheimnis. Ein Geheimnis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EE7A-3