An meine Mutter

Ein Maitag war's, doch trüb und tot,
Schwer auf den Ländern lag die Not,
Auf allen Völkern lag ein Kummer,
Da schlossest, treue Mutter, du
Die sorgemüden Augen zu
Zum langen, sorgelosen Schlummer.
Um dein so ernstes Angesicht
Wie Glorie schien das bleiche Licht
Der schwarzumflorten Trauerkerzen.
Wie schön du warst, wie trüb der Tag!
Des Frühlings erste Blume lag
Auf deinem stillgewordnen Herzen.
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Du kaltes stilles Herz, das mich
So warm geliebt, so mütterlich,
Vor Weh oft fast für mich gebrochen,
O muß ich's glauben, bist du fort?
Kein Blick, kein Gruß! Dein letztes Wort
War für die Ewigkeit gesprochen.
Sonst sahst du jeden Schmerz und Wahn
Von ferne meiner Seele nahn
Mit deinen Augen, deinen frommen;
Wie machte stets mein Glück dich reich!
Wie wurde stets bei dir ich weich!
Und all das soll nicht wiederkommen?
Um dich – es sei mein letzter Schmerz.
Fortan wird für mein lautlos Herz
Die Erde nichts mehr sein als Erde;
Schlaf wohl, o Mutter! Mein Trost ist,
Daß, wie's auch kommt, nach kurzer Frist,
Wo du jetzt bist, auch ich sein werde.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lingg, Hermann von. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. 4. Vermischte Gedichte. An meine Mutter. An meine Mutter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EFFE-4