Die Meerfahrt des Bacchus

Ehrt den Genius kühner Taten,
Höhnet seiner Milde nicht!
Schiffer wollten einst verraten
Jenen Gott, der Fesseln bricht;
Aber daß er sie auch flicht,
Mußten die Verruchten bald gewahren,
Als sie auf dem Meere waren.
[145]
Ihn nach Naxos hinzuführen,
Hatten sie mit Mund und Hand
Zugesagt in hohen Schwüren;
Aber als der Tag entschwand,
Ließen sie das Inselland –
Alle Segel schleunigst aufgezogen –
Seitwärts liegen in den Wogen.
Sie berieten sich im Kreise
Und erwogen her und hin,
Wie sie wohl zum höchsten Preise
Ihn verkaufen möchten, ihn,
Der so hold und sanft erschien.
Gold in Fülle würden selbst die Scythen
Für den schönen Jüngling bieten.
Drauf nach Asien hin das Steuer
Lenkten sie, gewinnbetört;
Doch da zückten ringsum Feuer,
Denn er hatte sie gehört
Und von edlem Zorn empört
Die verräterischen Raubgenossen
Zu bestrafen schon beschlossen.
Sieh! es biegen sich die Stangen,
Mast und Ruder krümmen sich
Und verwandeln sich in Schlangen;
Wo die Segel abendlich
Kaum vorher der Wind bestrich,
Winden um den Kiel und um die Planken
Reben sich und Efeuranken.
Immer stärkre Zweige packen
Einen nach dem Andern fest;
Strauchelnd sehn sie Arm und Nacken
In der Bande Joch gepreßt,
[146]
Horch! und wie zu frohem Fest
Tönen unsichtbar dazu Gesänge,
Cymbeln und Oboenklänge.
Das Verdeck wird von Mänaden,
Panthern und Bacchanten voll,
Wo den Trauben hochgeladen
Überall nun Wein entquoll;
Aber Jene, schreckentoll,
Stürzen, an den Ranken fortgezogen,
Sich kopfüber in die Wogen.
Doch als Schwärme von Delphinen
Tauchen sie sogleich empor,
Tummeln, wie dem Gott zu dienen,
Nach den Tönen sich im Chor.
Einer eilt dem Schiffe vor,
Um die Andern schlingt mit hellem Liede
Triton sich und Nereide.
»Deiner Macht soll innewerden,
Siegesheld Dionysos,
Was im Meer lebt und auf Erden!«
Klang es aus dem Wellenschoß;
Strahlend Licht herniederfloß
Von dem Zwiegestirn der Dioskuren,
Dem sie froh entgegenfuhren.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lingg, Hermann von. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. 8. Hellas und Rom. Die Meerfahrt des Bacchus. Die Meerfahrt des Bacchus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-F204-E