99.
An die Fichte auff meinem Gute

Als offt ich sagen kan, daß ich, du edle Fichte,
Deß Sommers meinen Gang zu deinem Schaten richte,
So offte muß ich mir auch beichten meine Schuld,
Daß ich dich nicht geehrt, wie billich ich gesolt.
Der Attes wirstu seyn, den Jupiter geneidet,
Den Rhea lieb gehabt und hat in dich verkleidet;
Die hat dich, wo du stehst so hoch, so frey gesetzt,
Auff daß sie nah und fern an dir ihr Aug ergetzt.
[183]
Da, wo das schöne Kind, vom Vratislav geboren,
Der alte Guttalus hat seiner Seit erkoren,
Da, wo das theure Blut, das uns Piastus gab,
Hat, weil es lebt, sein Haus und, wann es stirbt, sein Grab,
Am reichen Oder-Strom; auch wo in einen Namen
Für Zeiten Monden, Stern und Berg zusammen kamen
Und nanten eine Stadt, da, wo Zabothus Hand
Zeigt an, was Juno meint auff uns und unser Land,
Wo Roy-de-vall sein Haus den Wolcken beygesetzet,
Wo sich Tuiscons Reich mit Lechus Kindern letzet,
Da, wo deß Chzechus-Stamm mit Bergen sich gegürt,
Da, wo das reinste Gold den Deutschen nützlich wird,
Und ihr so lieber Safft am stärcksten wird geschmecket,
Wo unser Land sein Haupt den Marcomannen recket:
Dahin nun und so weit ist für dein krauses Haupt
Zu strecken dein Gesicht ein offner Paß erlaubt
Auß Ordnung und Befehl der Mütter aller Götter.
Dein Fuß ist so gesetzt, daß Æolus sein Wetter
Zu schanden an dir wird; ein harter Fels und Stein
Muß dir in seinen Leib zu bauen zinsbar seyn.
Pan ist dir auch geneigt, und unter deinen Aesten
Hat er das liebe Volck der Nymphen offt zu Gästen;
Kein unter ihnen ist, die iemals um dich war,
Die heimlich nicht gedächt: O, wären wir ein Paar!
Dir aber liebet nicht das unbefreyte Freyen,
Und deiner selbst zu seyn, wilstu dich nicht verzeihen;
Du hast genug an dem, wann dein Thun der gefällt,
Die da dich, wo du bist, hat ehrlich hingestellt.
Zu mehren derer Preis, die deine Kräfften mehret,
Steht eintzig nur dein Sinn; drum ist dir auch verehret
Zum Zeichen deiner Treu das immer-grüne Kleid,
Das seinen Schmuck behält, das nimmer nie bestreit
Noch Boreas sein Eiß, noch Sirius sein brennen,
Dadurch du den machst roth, der schwerlich wil bekennen,
Wie er so gröblich irrt, wann er den Mantel schickt,
Wann Jupiter zörnt so, und so wann Phœbus blickt,
[184]
Der von Bestand nicht weiß, der sich von allen Zeiten,
Wohin man ihn begehrt und ihm nur winckt, läst leiten.
Ein solcher Monden-Sohn ist weit noch unter dir;
Du stehst ihm oben an und gehst ihm billich für;
Das macht Beständigkeit. Der freye Mut deßgleichen
Schafft, daß dein Ruhm wie du muß an die Wolcken reichen.
Mit dir ist freyer Tag, du scheuest nicht das Licht
Der Sonne; du stehst da, für iedermans Gesicht;
Kein Berg ist, der dich birgt, kein Wald, der dich verstecket,
Und dein gerader Leib bleibt immer auffgerecket,
Kennt keine Krümme nicht. Mars hat dir offt geflucht,
Wann du von fernen hast dem, der dich hat besucht,
Sein Häufflein nutzbar Vieh für dessen Hinterlisten,
Wo gäntzlich nicht bewahrt, doch vielmals helffen fristen;
Dann dir gefiel niemals und niemals war dir lieb
Ein diebischer Betrug und ein betrieglich Dieb.
Zwar hastu mussen sehn, wie sehr es dich verdrossen,
Wie ietzt bey unsrer Zeit man hielt für Kinder-Possen
Treu, Liebe, Glaube, Pflicht. Wie die verkauffte Schaar
Hat gantz gemacht zu nichts, was vormals herrlich war,
Das hastu auch gesehn und drüber viel geweinet,
Daß noch der Threnen Gold an deinem Rock erscheinet;
Iedoch, was so geschah, kan nicht seyn nicht geschehn;
Wann du nur sihst nicht mehr, was vormals du gesehn,
So sey das alte dann in dessen Schoß vergraben,
Der drüber seinen Kerb wol halten wird und haben.
Indessen bin ich froh, wann mir vergünt die Zeit,
Daß du habst Preis durch mich, daß ich durch dich mein Leid,
Das allgemeine Leid, in etwas mag verschieben,
(Vertrieben wird es nicht.) Wann Unmut mich wil üben
In seinem engen Kreiß, so nem ich ihm den Zaum
Und suche mir für mich und mein Gemüte Raum.
Ich pflege mich dir bey in freyes Blau zu paaren
Und lasse meinen Sinn hin mit den Augen fahren;
Die purschen weit und breit, erforschen diß und das
Und haben ihre Lust an Himmel, Wasser, Gras,
An Wälden, Berg und Thal, an Felden und an Auen,
Vnd was Natur noch sonst hat künstlich künnen bauen.
[185]
Dann bin ich nicht daheim, und die Melancholey
Muß warten, biß ich sonst zu Haus und müssig sey.
Wann offt der heisse Hund mit seinen dürren Flammen
Und Phœbus göldne Glut dann feuren starck zusammen,
So komm ich auch zu dir, da hab ich, was ich wil;
Da lab ich mich bey dir durch ein erquicklich Spiel,
Daß stets um deinen Raum Astræus Kinder spielen.
Wann Ceres sehnlich wüntscht sich wieder abzukühlen
Durch ein gedeylich naß, und Jupiter verzeucht,
So seh ich bald bey dir, was den Silenus deucht,
Ob ihm sein Haupt behüllt mit einer feuchten Hauben,
Und ob er mir voran zu sagen woll erlauben,
Ein Regen zeucht herauff. Wann dann die feuchte Schaar
Der Wolcken rückt ins Feld und mehr, als nöthig war,
Den nassen Zug erstreckt, so gibstu mir zu kennen,
Ob, oder auch wie bald, ihr Ordnung wird zertrennen
Der Sonnen heisse Macht; so klärlich stellstu dar,
Theils was noch fern und weit, theils was noch gar nicht war.
Drum wärestu nun werth, hoch auff Parnassus Höhen
Und da, wo Daphne steht, zu wurtzeln und zu stehen,
Auff daß der Musen Rey um dich heg ihren Tantz,
Und brauche dich ihr Fürst für seinen Lorber-Krantz.
Indem du aber dir läst meinen Grund gefallen,
Ey, so gefällt mir auch, daß dieser andren allen
Von dir bleibt fürgesetzt. Im Fall ich was vermag
An Heliconer-Gunst, so soll kein neidisch Tag
Bezwingen deinen Ruhm; du sollst betagten Eichen
Und derer festem starck mit nichten dürffen weichen;
Der Lorbeerbäume frisch, der Cedern Ewigkeit,
Und was noch mehr macht stumpff den argen Zahn der Zeit,
Soll nicht dein Meister seyn. O, daß dich nicht verletze
Deß Jupiters Geschütz! O, daß nicht an dich setze
Noch Mulcibers sein Grimm, noch Æolus sein Trotz,
Noch sonst ein freches Beil! es leiste dir den Schutz
Die, die dich hat geliebt, die, die dich hergestellet,
Die halte deinen Fuß, daß dieser nimmer fället,
[186]
Daß du, weil dieser Grund bleibt, bleibest für und für
Sein Wächter, sein Prophet, sein Nutz, sein Spiel und Zier.

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TextGrid Repository (2012). Logau, Friedrich von. Gedichte. Sinngedichte. Salomons von Golaw Deutscher Sinn-Getichte erstes Tausend. Desz ersten Tausend achtes Hundert. 99. An die Fichte auff meinem Gute. 99. An die Fichte auff meinem Gute. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-00B8-9