[144] Das Ewige

Die Flammen steigen stets dem ersten Quelle zu;
Die Wolken regnen hin, wo sie zuerst entspringen;
Es suchet der Magnet beim Angelsterne Ruh';
Man sieht des Meeres Salz zu seinen Brunnen dringen;
Jedweden Morgen kehrt dahin der Sonne Rad,
Wo Memnon's Mutter sie vorher geboren hat;
So, weil der morsche Mensch zur Mutter hat die Erden,
Muß, was die Wiege war, ihm auch sein Leichstein werden.
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Wie aber? schleußt dies Grab sein ganzes Wesen ein?
Soll in des Lebens Kreis', im Zirkel unsrer Jahre
Ein Nichts der Mittelpunkt, das Ende Sterben sein?
Sucht doch die Fledermaus im Lichte Tod und Bahre,
Ob sie des Tages Glanz gleich nicht vertragen kann!
Die Gluth nimmt hellern Glanz bei dem Verlöschen an.
Nein! auch der weise Mensch pflegt, muß er schon erblassen,
Den Zweck der Ewigkeit auch sterbend zu umfassen.
Hat Vielen, die gleich nicht der Seele Schatz gekannt,
Die Kern und Geist gesucht in Körpers Schal' und Aschen,
Doch nach der Ewigkeit ihr dumpfer Geist gebrannt,
Wenn sie mit Cedersaft die Leichen abgewaschen,
Mit Oel und Aloe gesalbet Leib und Haupt!
Weil aber endlich Zeit und Fäule Beides raubt,
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Der Balsam Moder wird, die Myrrhen Würmer sämen,
Muß man zur Ewigkeit wohl bessern Zunder nehmen.
Des Namens Ewigkeit und großer Thaten Ruhm
Besteht auf festerm Fuß und etwas längerm Wesen;
Doch ist der Name selbst erborgtes Eigenthum.
Man kann gelehrtes Lob zwar in den Büchern lesen;
Doch wie mag's glaublich sein, daß man unsterblich ist
Auf Leder und Papier, das selbst die Motte frißt?
Der deutschen Helden Preis, den Plinius geschrieben,
Ist mit den Büchern selbst vom Zufall aufgerieben.
Man suchet Rom in Rom, Griechen in Griechenland,
In dem die Marmel mehr, als Menschen, Griechisch sprechen.
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Cephisus hat nicht Fluth, Pactol nicht güldnen Sand;
Das reiche Sardes ist für arm und Nichts zu rechnen;
Die Schäfer hüten Vieh, wo einst Miletus war,
Ja, wir vermißten es, wie seine Hirten, gar,
Wenn nicht ein stummer Stein mit seiner Schrift entdeckte,
Daß Thales' Vaterland daselbst vergraben steckte.
Ob auch die Seelen gleich Gedächtnißtempel sind,
In denen Tugend uns zum Abgott hat erhoben;
Der Sonnenschein wird nicht zur Wolke so geschwind,
Als man verfluchen wird das, was wir heute loben.
Was Jener Wohlthat heißt, schilt Dieser Missethat;
Man legt zu höchstem Schimpf' auf Holzstöß' und auf's Rad
Das, was vor kurzer Zeit wir eingebalsamt haben,
Was unter dem Altar noch gestern lag begraben.
Zudem schätzt Tugenden für ein unsterblich Ding;
Laßt großer Thaten Ruhm so lange Zeit bekleiben,
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Als aller Jahre Lauf umzirket ihren Ring;
Laßt an de Mondes Rand gar eure Namen schreiben!
Wird von der Ewigkeit ein Schimmer übrig sein,
Wenn Alles höret auf, der Himmel schrumpfet ein?
Wo werden bleiben stehn die Götter dieser Erden,
Wann Erd' und Welt wird Graus, die Sterne Asche werden? –
Welch' andrer Pfad weist denn zur Ewigkeit den Weg,
Die keiner Zeiten Zeit ist mächtig zu vergraben?
Der Brunn der Ewigkeit will Oel ohn' allen Fleck
Und Ampeln nicht von Thon in seinem Tempel haben.
Die ihre reine Seel' anzünden ihrem Gott
Ihm Glauben, werden nicht vom Sterben haben Noth;
Die zur Gerechtigkeit den Weg hier lebend zeigen,
Derselben Glanz wird selbst die Sterne übersteigen!

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TextGrid Repository (2012). Lohenstein, Daniel Casper von. Gedichte. Gedichte. Das Ewige. Das Ewige. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-1D7B-E