27. Der Hahnhof.

Zu dem Dorfe Herleshausen an der Werra, in welchem die Landgrafen von Hessen-Philippsthal ein schönes Schloß besitzen, gehört ein Hof, der s.g. Hahnhof. Vor vielen Jahren bewohnte denselben eine Familie, welche durch Unglücksfälle aller Art in ihren Vermögensverhältnissen sehr zurückgekommen war. Wirthschaftsgebäude, Speicher und Tennen waren dem Einsturz nahe, allein [22] der Bauer hatte nicht die Mittel, sie erneuern zu lassen. Eines Abends, als er in düsterm Brüten über seine unglückliche Lage vor seiner Hausthür saß, trat der böse Feind zu ihm und sprach: »Ich will dir ein Haus bauen in dieser Nacht und ehe der Hahn zum ersten Male kräht, soll es fertig dastehen, so du mir versprichst, was du an verborgenen Schätzen besitzest.« Der Bauer besann sich eine Weile und dachte, was können dir Schätze nützen, von denen du nichts weißt. »Topp«, sagte er, »ich gehe den Pakt ein!« Der Böse ließ sich eine Verschreibung von ihm geben und verschwand. In der Nacht erhob sich ein entsetzlicher Lärm auf dem Hofe, als sollte die Welt umgekehrt werden. »Was ist das für ein Getöse, Mann?« rief die Bäuerin, welche erschrocken aus dem Schlafe auffuhr. »Fürchte dich nicht«, erwiederte der Bauer, »ich habe mit dem Gottseibeiuns einen Pakt geschlossen und ihm verschrieben, was ich an verborgenen Schätzen besitze; dafür baut er uns ein neues Haus, das muß fertig sein, ehe der Hahn zum ersten Male kräht.« Wie entsetzte sich aber der Bauer, als die Frau ihm gestand, daß sie guter Hoffnung sei, und die Befürchtung aussprach, daß der Böse keinen andern Schatz gemeint habe, als das Kind, welches sie gebären werde. Doch setzte sie tröstend hinzu, daß vielleicht eine List sie noch retten könne. Sie kleidete sich an und schlich nach dem Hühnerhause, und als sie sah, daß das Gebäude in Dach und Fach fast fertig da stand, rief sie mit so gut verstellter Stimme »Kikirikih!« daß alle Hähne auf dem Hofe und in der Nachbarschaft sich täuschen ließen und mit lautem Krähen antworteten. Alsbald fuhren der Teufel und seine Gesellen tobend von dannen. Das Gebäude war fertig bis auf ein Gefach und das Kind war gerettet.

Der Bauer erholte sich nachmals wieder aus seiner Armuth und zur Erinnerung an diese Begebenheit erhielt sein Gehöfe den Namen »Hahnhof«.

Mündlich.

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TextGrid Repository (2012). Lyncker, Karl. Sagen. Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. 27. Der Hahnhof. 27. Der Hahnhof. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2761-8