Abendgemälde

Durch Birkenlabyrinthe
Malt abendliche Glut
Mit warmer Zaubertinte
Des Rohrbachs leise Flut;
Bepurpurt fliehn die Wellen
Hinab zum Gartenteich,
Umhegt von Steinkornellen
Und glattem Nußgesträuch.
Gebirg und Hain verschmelzen
Im rötlichen Gedüft;
Der Mühle Flügel wälzen
Sich an umzäunter Trift;
Aus dunkler Fichtengruppe
Wallt am beschilften Moor
In dichtgedrängtem Truppe
Das leichte Wild hervor.
Die alte Ritterveste
Hebt kühn im goldnen Glanz
Des Thurms bemooste Reste
Aus finstrer Ulmen Kranz;
Matt glüht, im bleichern Strale,
Von Eppich halb verhüllt,
Am gothischen Portale
Der graue Wappenschild.
Wann Feyn und Geister walten,
Erstehn, wie Nebelduft
[197]
Im Mondlicht, die Gestalten
Der Helden aus der Gruft.
Die Dunstgebilde wallen,
In düstrer Majestät,
Im öden Raum der Hallen,
Vom hohen Gras umweht.
Fern ob dem blauen Strome,
Am Felsen wild und schrof,
Winkt, unterm Schattendome
Der Eich', ein Fischerhof.
Die Quell' entschäumt der Klippe,
Mit Funken blaß bestreut,
Vom alten Baumgerippe
Romantisch überdräut.
Umgrenzt von Hain und Matten,
Wie Yoriks Meierei,
Blikt aus Platanenschatten
Ein ländlich Sorgenfrei.
Hier grünen Thyrsusstäbe
Bey Wies' und Gartenland;
Dort ringelt ihr Gewebe
Die Bohn' an weisser Wand.
Am Fenster glüht die Nelke,
Um Rosen schwärmt der West;
In Ruh baut am Gebälke
Die treue Schwalb' ihr Nest;
Dumpf schwirrt am Brunnentroge
Der kleine Bienenstaat;
Des Aehrenfelds Gewoge
Rauscht leis' am Hügelpfad.
O selig, wer sein Leben
Der Selbstgenügsamkeit,
Umgrünt von eignen Reben,
Am Vaterheerde weiht!
[198]
Auch mir, auch mir, vom Schwarme
Der Narrenbühne fern,
Blinkt einst am Freundesarme
Der Dämmrung schöner Stern.
Dann mag in Spiegelsälen
Der Maskenball sich drehn,
Auf trüben Lustkanälen
Die Gondelflagge wehn,
An starren Taxuswänden
Des Indus Flora blühn,
Und matt aus Marmorblenden
Der Quelle Silber sprühn.
Mich lokt zum Wiesenplane
Der Mädchen Abendreihn;
Mich reizt im leichten Kahne
Des Vollmonds milder Schein;
Mich labt der Weste Fächeln
Am Hainquell; mich entzückt
Ein Veilchen, das mit Lächeln
Adelaide pflückt.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Gedichte. In der Fremde. Abendgemälde. Abendgemälde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2AD9-8