Die Tugend. Dem Grabe Elisas geweiht

Heil dir, Vollendete! du hast den Kranz errungen
Den dir die Tugend wand; durch trübe Dämmerungen
Drangst du mit Himmelskraft empor zum ewgen Licht,
Dich schreckte selbst die Nacht am Scheidewege nicht;
Ein Schimmer jenes Heils, das dort am Wonneziel
Der guten Seelen stralt, erhob dich zum Gefühl
Der Unvergänglichkeit.
[104]
Und dies Gefühl vor dem das wüthende Getümmel
Der Erdenstürme schweigt, das einen ganzen Himmel
Stillheitrer, sanfter Ruh' in edle Seelen gießt,
Ist der erhabne Lohn der aus der Tugend fließt!
Wo diese Gottheit wohnt, blüht Engelseligkeit,
Wallt spiegelrein und still der Strom der Lebenszeit
Durch Paradiesesau'n!
Es mag umschwärzt von Nacht und grausen Ungewittern,
Vom Donnersturm umras't, des Erdballs Axe zittern,
Der Elemente Kampf Tod und Vernichtung dräu'n,
Und stolzer Flotten Macht wie dürres Laub verstreun:
Wo diese Gottheit wohnt, erheitert sich die Luft,
Die Fluren sind Gesang, und Kühlung weht und Duft
Aus stiller Haine Grün!
Es mag, am jähen Rand verlaßner, wilder Küsten
Auf rauher Felsenbahn, in menschenleeren Wüsten
Der müde Wandrer gehn; schon brach sein Pilgerstab,
Schon dünkt die Schöpfung ihm ein immeroffnes Grab:
Wo diese Gottheit wohnt, verschönt sich jeder Pfad,
Wo ihres Lieblings Tritt voll Zuversicht sich naht,
Zum Schattengang der Ruh'!
[105]
Es mag des Todes Arm, im Vollgenuß der Freuden
Erhabner Sympathie, den Freund vom Freunde scheiden,
Der sanft und fest und treu, am Abgrund der Gefahr,
Wie auf der Bahn des Glücks, ihm Alles, Alles war:
Wo diese Gottheit wohnt, Verlaßner, da erhellt
Der Zukunft Mitternacht ein Stern der bessern Welt
Mit sanfter Hofnung Glanz!
Es mag, wenn ringsumher die Rosen sich entfärben,
Des Jünglings Scherze fliehn, des Mannes Freuden sterben,
Der lezte süsse Ton der Liebe selbst verwehn
Und jedes goldne Bild der Täuschung untergehn:
Wo diese Gottheit wohnt, reicht die Erinnerung
Dem Allvergeßnen noch den lezten Labetrunk
Wenn schon sein Auge bricht!
Kein Stundenschlag ertönt, kein Tropfen Zeit entfluthet,
Wo nicht ein edles Herz um edle Herzen blutet,
Kein Abendstern erscheint, kein Morgenroth beginnt,
Wo nicht der Wehmuth Schmerz auf frühe Gräber rinnt:
Wo diese Gottheit wohnt, hebt über Grab und Zeit
Und Trennung das Gefühl der Unvergänglichkeit
Des Dulders Geist empor!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Gedichte. Wanderjahre in Deutschland. Die Tugend. Dem Grabe Elisas geweiht. Die Tugend. Dem Grabe Elisas geweiht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2B4E-B