[68] Friedrich Matthisson
Am Dessauer Philanthropin
(1781–1784)

[69] [71]Naturgenuß

Im Abendschimmer wallt der Quell
Durch Wiesenblumen purpurhell,
Der Pappelweide wechselnd Grün
Weht ruhelispelnd drüber hin.
Im Lenzhauch webt der Geist des Herr'n!
Sieh! Auferstehung nah und fern,
Sieh! Lebensodem, Schönheitsmeer
Und Jugendfülle ringsumher!
Ich blikke her, ich blikke hin,
Und immer höher schwebt mein Sinn!
O Tand sind Gold und Pracht und Ruhm,
Natur, in deinem Heiligthum!
[71]
Von dir gedrükt ans Mutterherz
Hebt sich die Seele sonnenwärts!
Des Himmels Ahndung den umweht,
Der deinen Liebeston versteht!

Der Abend

An Sander.


Wie lieblich sinkt aus unbewölktem Blau
Des goldnen Abends süsse Ruh' herab!
Ein sanftes Rosenlicht umfließt den Hain,
Mischt mit des Baches Silberwelle sich,
Bepurpurt Berg und Thal und Wiesenflur!
Wie still ist Gottes Schöpfung ringsumher!
Nur dort im blühenden Gesträuche singt,
Mit sanfter Klage, noch die Nachtigall
Dem hingeschiednen Tag' ein Sterbelied!
Ich hebe freudig meine Augen auf,
Und siehe! du bist überall, o Gott!
Du bist es, Unerschaffner, der im Hauch
Des Abendwindes mir vorüberwallt,
Und frohen Schauer seiner Gegenwart
In meine tiefgerührte Seele geußt!
Du bist es, der dies Veilchen, welches hier,
Der Demuth Bild, im niedern Grase blüht,
Aus mütterlichem Schooß der Erde rief,
[72]
Ihm Farbenglanz und süsse Düfte gab.
Doch auch des Wurmes Vater bist du, Gott!
Der dieses Veilchens, seiner Welt, sich freut!
O wie sind deiner Wunder viel, o Herr!
Mein Geist, im Schranken seiner Endlichkeit,
Ermißt sie nicht! Wohin mein Auge schaut
Ist alles Kette, Ordnung, Harmonie,
Und deiner Herlichkeiten Wiederglanz!
O du, der war und ist und seyn wird! Du,
Auf dessen Machtwink Welten untergehn
Und Welten werden! Unbegreiflicher!
Der Mensch, was ist er, daß du sein gedenkst?
Anbetung dir und Preis und heisser Dank!
Im Tempel deiner herlichen Natur
Steigt mein Gebet, o Weltgeist, stillvereint
Mit dieser Wiesenblumen Opferduft,
Zu dir, zu dir aus trunkner Seel' empor!

An eine Leidende

1782.


Arme Verlaßne! dein harren die Hütten des ewigen Friedens!
Schon schwebt näher der Ruh' lächelnder Genius dir.
Weine, du Liebende, nicht! bald tönt der Vollendung Triumphlied,
Bald der Engelgesang, der dich, Schwester, begrüßt.
Ueber den Sternen, Geliebte, am Urquell der Kraft und des Lebens,
Grünt die Palme, die dann dich unter Himmlischen kränzt!

[73] An Laura

Wann der Abend die Gefilde röthet,
Alles sich im Dämmerlicht verschönt,
Wann die Nachtigall im Grünen flötet,
Und des Dorfes Glocke tönt;
Wann mit Golde sich die Wolken säumen,
Wann des Baches Stimme leiser hallt,
Und von duftbewölkten Gartenbäumen
Blüthenregen niederwallt;
Oder wann, mit hoher Ahndung Schauer,
Die verschwiegne Nacht vom Himmel sinkt,
Und voll Sympathie und stiller Trauer
Jeder Stern herunterblinkt;
Wann der volle Mond, mit bleichem Strale
Schwermuthsvoll wie ein getrennter Freund,
Auf die frühen moosbewachs'nen Maale
Himmlischer Geliebten scheint:
Dann erwache, mit dem Himmelsklange
Der Begeisterung, dein Saitenspiel,
Dann, o Laura, werde zum Gesange
Süsser Schwermuth dein Gefühl!

[74] An Lauras Bildniß

Wann Dunkel meinen Pfad umhüllt,
Werd' ich mit heiligem Entzücken
Und ahndungsvoller Ruh', o Bild,
An die beklommne Brust dich drücken!
Dann wird, wie Frühlingsmorgenschein,
Des Glaubens Klarheit mich umgeben,
Und mächtiger durch mein Gebein
Des Himmels Vorempfindung beben.
Dich soll einst, o geliebtes Bild,
In der Verwesung stillen Gründen,
In meines Herzens Staub gehüllt,
Der Auferstehung Morgen finden!

An Laura, als sie Klopstocks Auferstehungslied sang

Herzen, die gen Himmel sich erheben,
Thränen, die dem Auge still entbeben,
Seufzer, die den Lippen leis' entfliehn,
Wangen, die mit Andachtsglut sich malen,
Trunckne Blicke, die Entzückung stralen,
Danken dir, o Heilverkünderin!
Laura! Laura! horchend diesen Tönen,
Müssen Engelseelen sich verschönen,
Heilige den Himmel offen sehn,
Schwermuthsvolle Zweifler sanfter klagen,
Kalte Frevler an die Brust sich schlagen
Und wie Seraph Abbadona flehn!
[75]
Mit den Tönen des Triumphgesanges
Trank ich Vorgefühl des Ueberganges
Von der Grabnacht zum Verklärungsglanz!
Als vernähm' ich Engelmelodien
Wähnt' ich dir, o Erde, zu entfliehen,
Sah' schon unter mir der Sterne Tanz!
Schon umathmete mich Himmelsmilde,
Schon begrüßt' ich jauchzend die Gefilde,
Wo des Lebens Strom durch Palmen fleußt!
Glänzend von der nähern Gottheit Strale
Wandelte durch Paradiesesthale
Wonneschauernd mein entschwebter Geist!

An Lauras Geist

Wenn im Irrgang dieses Lebens,
Ohne Freund,
Kummervoll mein Auge weint,
Und der Erdenwonnen keine
Mich erfreuen kann:
O erscheine
Tröstend mir, du engelreine,
Gottgeweihte Seele dann!
Wenn ich müd' und trostlos wanke,
Ach! verkannt,
An des Kummers kalter Hand,
Durch verwachs'ne, wilde Haine,
Ohne Stab und Bahn:
O erscheine
[76]
Leitend mir, du engelreine,
Gottgeweihte Seele dann!
Wenn mein Geist einst, gleich der Sonne
Goldnem Licht,
Durch des Todes Wolke bricht,
Und, daß er sich dir vereine,
Schimmert Himmelan:
O erscheine
Liebend mir, du engelreine,
Gottgeweihte Seele dann!

Lauras Quelle

Chiare, fresche e dolci acque

Ove le belle membra

Pose colei, che sola a me par donna;

Date udienza – –

Alle dolenti mie parole estreme!

Petrarca.


Quelle! dich grüßt mein Blick mit Sehnsuchtsthränen,
Seit am Blumenaltare deiner Ufer,
Seit im Tempel deiner Gesträuche, Laura
Weinend mit Gott sprach!
Geister des Himmels müssen dich umschweben,
Stille Stäte, wo Laura betend hinsank,
Wo die Zukunft über der Gruft sich ihren
Blicken enthüllte!
Huldigend schmiegten sich des Frühlings Kinder
Um des weissen Gewandes Saum, die Lüfte
[77]
Wehten Purpurblüthen auf ihres Hauptes
Wallenden Schleier!
Ueber ihr Antliz war die Ruh' des Himmels,
War der Friede der Engel ausgegossen,
Und verklärend hellte des bessern Lebens
Hoffnung ihr Auge.
Siehe! da wallte Gott, im sanften Säuseln,
Durch die Stille des Hains, Erhörungswonne
Floß, wie Thau in schmachtende Rosenkelche,
Ihr in die Seele!
Quelle! dich grüßt mein Blick mit Sehnsuchtsthränen!
Jede Blume, worauf die Holde kniete,
Will ich sorgsam pflücken, und ihre Urne
Weinend bekränzen!

Grablied

Auch des Edlen schlummernde Gebeine
Hüllt das Dunkel der Vergessenheit,
Moos bedeckt die Schrift am Leichensteine,
Und sein Name stirbt im Lauf der Zeit!
Wann erwacht die neue Morgenröthe?
O wann keimt des ewgen Frühlings Laub?
Niedrig ist der Todten Schlummerstäte,
Eng' und düster ihr Gemach von Staub!
Noch umkränzen Rosen meine Locken,
Liebe lächelt alles um mich her;
Nach dem lezten Klang der Sterbeglocken
Denkt kein Mensch des guten Jünglings mehr.

[78] Die Unsterblichkeit

An Elisa.


Lehnst du deine bleichgehärmte Wange
Immer noch an diesen Aschenkrug?
Und beweinst den Todten, den schon lange
Zu der Seraphim Triumphgesange
Der Vollendung Flügel trug?
Siehst du Gottes Sternenschrift dort flimmern,
Die der bangen Schwermuth Trost verheißt?
Heller wird der Glaube nun dir schimmern,
Daß hoch über seiner Hülle Trümmern
Walle des Geliebten Geist!
Seelen, die den Kelch des Glaubens tranken
Wann ihr Pfad in Dunkel sich verlor,
Steigen aus der Schwermuth finstern Schranken,
Wie auf Adlersflügeln, zum Gedanken
Der Unsterblichkeit empor!
[79]
Wohl, o wohl dem liebenden Gefährten
Deiner Sehnsucht, er ist ewig dein!
Wiedersehn, im Lande der Verklärten,
Wirst du, Dulderin, den Langentbehrten
Und wie er unsterblich seyn!

An eine Leidende

Auch für dich, du liebe Hofnungslose,
Ob dein Fuß auch izt im Dunkel irrt,
Blüht im Hain der Zukunft manche Rose
Die kein Erdensturm entblättern wird.
Wenn sich je zu jenen Seligkeiten
An des Kampfes Ziel dein Glaube schwang,
O so ehre selbst in Dunkelheiten
Der Vollendung stillerhabnen Gang.
Bis du einst im Ueberwinderkranze,
Dieser Dämmrung im Triumph entfleugst,
Und von Stern zu Stern, von Glanz zu Glanze,
Von Entzückung zu Entzückung steigst.

Vergessenheit im Grabe

Dämmrung hüllt die Gestalt des Todten dem Auge des Freundes,
Eh' noch das Sterbegeläut über dem Grabe verhallt;
Wann seinen Hügel das Laub des ersten Frühlings umsäuselt,
Schwebt die Vergessenheit schon um des Entschlafnen Gebein.

[80] Todtenfeier am Grabe Elisas

Ein Jüngling.

Still wandeln wir, bei Sternenschein
Zum dämmernden Zypressenhain,
Dir Blumen auf die Gruft zu streun,
Gebrochen mit der Liebe Sehnen,
Beträufelt mit der Liebe Thränen!
Ein Mädchen.

In froher Eintracht giengen wir,
Im goldnen Schein des Abends, hier
Vor wenig Tagen noch mit dir,
Wo wir den ersten Kranz des Maien
Nun deinem stillen Grabe weihen!
Chor der Mädchen.

Du blühtest am Staube nur kurz, aber schön!
Umsonst war der weinenden Zärtlichkeit Flehn!
Nun blühst du in himmlischen Hainen,
Wo Freundschaft und Liebe nicht weinen!
Ein Jüngling.

Auf welcher Sphäre wandelst du?
Flogst du dem stillen Monde zu?
Nur einen Tropfen deiner Ruh',
Verklärte, geuß ins Herz der deinen
Die hier an deinem Grabe weinen!
[81] Ein Mädchen.

Dort blinkt ein Sternchen rein und mild
In Silberwolken halb verhüllt,
Ist da das liebliche Gefild,
Wo wir, bei lindrer Lüfte Wehen,
Einst unsre Freundin wiedersehen?
Chor der Jünglinge.

Es wohnt auf des Sternchens Gefilden voll Licht,
Es wohnt auf dem Monde die Glückliche nicht,
Schon wandelt, hoch über den Sphären,
Sie unter der Seligen Chören!
Ein Jüngling.

O Selma! heitre deinen Thränenblick!
Beginne den Triumphgesang, der Ruh'
Und Himmelstrost in unsre Seelen goß,
In jener bangen, schauervollen Nacht,
Da der geliebte Geist der Erd' entfloh.
Mit jungen Rosen wollen wir indeß
Des Hügels Grün umpflanzen und den Kranz
Der Himmlischen zum Todtenopfer weihn.

Selma.
(Ein Lied mit Harfen.)

Die du zu jenen Höhen,
Wo Himmelslüfte wehen,
Auf Seraphsflügeln schwebst,
Und nach des Lebens Nächten,
Zum Lande der Gerechten
Dein triumphirend Haupt erhebst:
Wir klagen, du Erhöhte,
An dieser ernsten Stäte
[82]
Dir stillen Geistes nach,
Wo mit des Dankes Thräne,
In heitrer Engelschöne,
Dein sanftes Aug' im Tode brach.
Im stralenden Gewande
Schwebst du dem Vaterlande
Der guten Seelen zu!
Dort schatten Siegespalmen,
Dort tönen Engelpsalmen,
Dort blüht die Heimath ew'ger Ruh'!
Des Erdentages Schwüle
Wird Abendhauch am Ziele,
Wo Himmelsblumen blühn,
Wo keine Thränen fliessen,
Wo dich Verklärte grüssen,
Drum Heil dir Ueberwinderin!
Beide Chöre.

Freundlich bebt durch düstre Thränenweiden
[83]
Auf Elisas Grab
Sternenglanz herab!
Hell're Schimmer, o Geliebte, kleiden
Deinen Geist am lichten Strom der Freuden,
Dessen Fülle keinen Wechsel kennt;
Wo von Freunden Freunde nicht mehr scheiden,
Wo kein Todeskampf mehr, unter Leiden
Welche keine Sprache nennt,
Gleichgeschaffne Seelen trennt!

An Sander

Sander, du scheidest? Jezt da immer bänger,
Immer schwüler und schwüler mir der Tag wird,
Immer steiler, dornichter, klippenvoller
Sich durch des Lebens
Nächtliche Wüsten meine Pfade winden,
Jeder Schimmer der Hofnung sich verdunkelt,
Mir kein Quell mehr Labungen strömt, kein kühler
Schatten mehr wehet;
Keines der Thale mehr, wo einst mit Liedern
Wir den rosigen Wonnemond begrüßten,
In die stille Dämmerung seiner Bäume
Gütig mich aufnimmt;
Keine der Rosenlauben mich umduftet,
Wo dem Liede der Nachtigall wir horchten,
Wenn im Schimmer wallender Westgewölke
Hesper erwachte!
[84]
Sanftes Entzücken, Ruh' und Seelenstille
Wehte, von des umbüschten Seees Ufern,
Dann des Abends thauender Purpurfittig
Zu uns herüber!
Hauche des Frühlings bebten durch die Erlen,
Beugten lispelnd der jungen Blumenwiese
Zarte Halme, wiegten sich auf des Seees
Silbernen Wellen!
Ach! so erbebten unsre Seelen, Bester!
So durchwandelt' uns leiser Ahndung Schauer,
Wann dein Flammengenius, o Begeistrung!
Nun uns umschwebte.
Wenn wir, geschlungen Arm in Arm, der Blüthen,
Und des wehenden Grases und der Saaten,
Die den grünen Hügel hinunter wallten,
Herzlich uns freuten!
Wenn uns der Thauduft und des Baches Rauschen,
Und des steigenden Mondes stilles Antliz,
Und der Sterne Reigen in Sommernächten
Himmlisch entzückte!
Wenn wir im Weidenthale dich, o Elbe!
Mit geflügelter Eil vorübergleiten
Sahn, und ahndend seufzten: Ach! so wird alles,
Alles dahingehn!
Wehe! dahingerauscht mit Wetterschnelle
Sind die Stunden der Freundschaft und der Liebe!
Keine Klage, Sander, ach! keine Thräne
Bringt sie uns wieder!
[85]
Scheidet der Winter nicht des Haines Blätter
Von dem Zweige der sie gebar auf ewig?
Kehrt zur Mutterquelle des Stromes Woge
Jemals wohl wieder?
Edler! wie war mir's wohl an deinem Busen!
Wie beseligend strömte deine Rede
Ruhe, Tröstung, Ahndungen, Himmelsfreuden
Mir in die Seele!
Kummergewölke schwanden deinem Lächeln,
Ruhe kehrte dem bangen Herzen wieder,
Wann dem trostlos Wankenden du die treue
Bruderhand reichtest!
Lachend und heiter war mir da die Zukunft,
Goldne Bilder entschwebten auf den Flügeln
Süsser Hofnung wonneverkündend ihren
Zaubergefilden!
Wehe! dahingerauscht mit Wetterschnelle
Sind die Stunden der Freundschaft und der Liebe!
Keine Klage, Sander, ach keine Thräne
Bringt sie uns wieder.

Notes
Entstanden 1781-1784.
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TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Am Dessauer Philanthropin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2B85-D