Milesisches Mährchen

Χαλεπον το μη φιλησαι.

Χαλεπον δε χαι φιλησαι.

Αναχρ.


Ein milesisches Mährchen, Adonide!
Unter heiligen Lorbeerwipfeln glänzte
Hoch auf rauschendem Vorgebirg' ein Tempel.
Aus den Fluthen erhub, vom Pan gesegnet,
Im Gedüfte der Ferne sich ein Eiland.
Oft, in mondlicher Dämmrung, schwebt' ein Nachen
Vom Gestade des heerdenreichen Eilands
Zur umwaldeten Bucht, wo sich ein Steinpfad
Zwischen Mirthen zum Tempelhain emporwand.
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Dort, im Rosengebüsch, der Huldgöttinnen
Marmorgruppe geheiligt, fleht' oft einsam
Eine Priesterin, reizend wie Appelles
Seine Grazien malt, zum Sohn Cytherens,
Ihren Kallias freundlich zu umschweben
Und durch Wogen und Dunkel ihn zu leiten,
Bis der nächtliche Schiffer, wonneschauernd,
An den Busen ihr sank. Ein schöner Jüngling!
Werth Endymions Göttertraum zu träumen.
Liebe säuselte Zephyr; Liebe stralte
Luna durch die Platanen; Philomele
Sang, in Tönen der Nachtigall von Lesbos,
Auf den Mirthen ein Brautlied; Amorn woben
Einen magischen Flor um die Vermählten.
Veilchen blühten und starben; an der Quelle
Schlossen Rosen sich auf; im Aehrenkranze
Grüßte Ceres die goldne Flur, und immer
Kam und kehrte der Nachen. Den Beglückten,
Gleich den seligen Herrschern des Olympus,
Fern vom Künftigen und Vergangnen, strömte
Der Entzückungen Fülle. Arethusa
Wallt im Scheine des Morgenroths nicht heller
Als die Stunden der Liebe; doch sie rauschen,
Adonide! wie Pfeile von Apollons
Silberbogen dahin. Olympiaden
Schwinden Amors Geweihten mit dem Eilflug
Eines Tages im Lenzhain, wenn den Chortanz
Lied und Flöte begeistern und mit Epheu
Holde Mädchen den Kelch von Thasos krönen.
Agerochos der alte Zaub'rer brannte
Für die Priesterin, und zu ihren Füssen
Schmolz sein ehernes Herz in wilder Flamme.
Doch sie spottete sein, wie des Cyklopen
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Galatea die Nymph', und ihr Gedanke
Flog zur seligen Insel, wo der Nachen,
Wenn die Sonne meeruntergieng, dem Ufer
Auf gerötheter Spiegelfluth entrauschte,
Von Tritonen umschwärmt und Nereiden.
Bläulich schimmert' auch oft (ein schaurig Wunder!)
Wenn sie festlichbekränzt den Opferhymnus
Am Altare begann, durch Weihrauchswolken,
Am Gewölbe des Heiligthums die Gluthschrift:
"Lieb', o Schöne, den Zaub'rer Agerochos!
Seit Deukalions Fluth gebeut der Zepter
Seiner Göttergewalt den Elementen,
Hüllt die Scheibe des Monds in Rabenschwärze,
Hemmt den brausenden Stromfall, heißt Palläste
Von Rubinen und Gold der Erd' entschimmern,
Winkt die Geister der Todten aus versunknen
Sarkophagen empor, verwandelt Menschen
Bald in Blumen der Flur und Haingestäude,
Bald in schuppichte Wasserungeheuer,
Bald in flammenbeschweifte Nachtphantome.
Herrsch' auf stralendem Thron im Schooß der Bergkluft!
Lieb', o Schöne, den Zaub'rer Agerochos!"
Eine wächserne Tafel an der Felswand,
Wo des Tempels Gebüsch an wilde Spalten
Und volkanische Bergruinen grenzte,
Gab dem schrecklichen Freyer drauf zur Antwort:
"Wenn die Fichten der Oede von der Goldfrucht
Der hesperischen Wundergärten schimmern,
Wenn gesprenkelte Pardel mit Delphinen
Und des wipfelumrauschten Aetnas Gluthen
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Mit kaukasischem Eise sich vermählen,
Wird dem Herrscher der Bergkluft und Glyceren
Hymens Fackel am goldnen Torus lodern."
Wuth entfunkelte drob des Unholds Nachtblick.
Einst als Kallias, in des Zaubermondes
Lauer Dämmerung an Glycerens Busen
Traulich kos'te, da scholl's, wie dumpfes Donnern
In den Tiefen des Aetna, eh' der Gluthstrom
Seine Wogen emporwälzt, aus den öden
Felsenschlünden der hohen Berggehölze:
Wetterwolken umlagerten den Vollmond;
Durch die sausenden Lorbeerwipfel zuckten
Blaue Leuchtungen und es rauscht' urplözlich,
An zersplitternden Zweigen, ein umflammter
Drachenwagen herab. Glycera bleicher
Als penthelischer Marmor, und den Jüngling,
Wie die Rebe den Ulmbaum, fest umschlingend,
Glaubt' in stygisches Dunkel zu versinken;
Denn mit Grausen erkannte sie im schwarzen
Drachenlenker den Zaub'rer Agerochos.
Als, umwunden vom Schwanenarm der Schönen,
Die Adonisgestalt sich ihm enthüllte,
Da, im Krampfe des Zorns, berührt' er beide
Mit dem Zepter der Rache. Donnerwolken
Bargen mystisch die Scene. Blize flammten
Furchtbar über des Meeres grausem Abgrund.
Bald verstummte der Nachtorkan; die düstern
Wolkenheere verflogen und der Vollmond
Schwebt' in freundlicher Herrlichkeit am Himmel.
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Doch er leuchtete nicht wie sonst dem holden
Paar im Rosengebüsch; der Plaz war öde.
Beide grünten als Mirthen, dicht am Wäldchen
Wo der Grazien Marmorgruppe glänzte.
Amor heiligte die verschränkten Zweige,
Wo die Nachtigall gern, im Rosenmonde,
In der Dämmerung sang, zum Laub der Liebe.
Ein ephesischer Priester, der zu Kuma
Mir dies Wunder erzählte, sah' als Knabe
Oft, mit heiligem Grau'n, des weitberühmten
Tempels prächtige Trümmer und die Waldbucht
Wo der Nachen des kühnen Jünglings ruhte.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Gedichte. In der Fremde. Milesisches Mährchen. Milesisches Mährchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2BAF-F