Das Kloster

Der Westgewölke Purpursaum ergraut,
Aus Tannendunkel steigt der Mond empor,
Die Winde seufzen bang im Haidekraut,
Der Elfen Tanz webt leis' am Weidenmoor.
Des hohen Pharus trübe Leucht' entglimmt
Am schroffen Vorgebirg' im Abendduft,
Des Eilands weisse Klippenreih' verschwimmt,
Gleich einem Nebelstreif, in Wog' und Luft.
Die Thürme der verödeten Abtei
Entragen schauervoll im bleichen Licht
Dem wildernden Gesträuch der Felsenbai,
Wo dumpfig sich die matte Woge bricht.
Wo Rüstern dort ein heilig Dunkel streun,
Und um des Doms Portal sich Efeu dehnt,
Weilt die Melancholei im Vollmondschein,
An Grabmaltrümmer sinnend hingelehnt.
Durch Eiben blickt ein Beinhaus halb zerstört;
Die Distel wankt am grauen Tempelthor,
Das längst nicht mehr dem Flug der Eule wehrt;
Im Bildwerk baut die Schwalb' am hohen Chor.
[209]
Kaum deuten in der Bögen Düsternheit
Geschwärzter Scheiben Reste, dort und hier
Im Blei der Fenster sparsam noch verstreut,
Der Glasgemälde gothischfromme Zier.
Der Hochaltar, von dürrem Gras' umrauscht,
Die Stufen ausgerundet vom Gebet,
Zeugt noch wie oft, von Seraphim belauscht,
Der Andacht Flammenseufzer hier geweht.
Nun flüstern einsam nur die Wind' im Dom;
Der Beichtstuhl trauert von der Spinn' umflort;
Die Orgel wälzt nicht mehr der Töne Strom
Durch die Gewölbe majestätisch fort.
Der Hymnen Feierjubel sind verhallt;
Kein Marmorbild glänzt mehr vom Opferduft
Der Weihrauchwolke festlich überwallt,
Und jene Beter sanken in die Gruft.
In dieser Blende flimmte schwermutsvoll
Die heilge Lampe, wenn der Chorgesang
Der Jungfraun durch die Mitternacht erscholl,
Und sich ihr Herz dem Weltgefühl entrang.
Dann wähnte, seiner Nebelhüll' entflohn,
Ihr Geist, hoch über Schmerz und Sinnenwahn,
Im unbewölkten Glanz der Gottheit schon
Die Krone der Vergeltung zu empfahn.
Der Tempel schwieg, wenn dumpf die Glock' erklang;
Gehemmt sank erdwärts der Gedanken Flug;
Der Hallen weisse Grabsteinwänd' entlang
Verschwand im Dunkel der Vestalen Zug.
Noch soll der Schiffer, wenn Orkane dräun,
Am alten Dom sie warnend schweben sehn;
Ein matter Feuerglanz zuckt am Gestein
Wo Meteoren gleich die Schleier wehn.
[210]
Die Blumenkette der Geselligkeit
Durchschlang, o Jungfraun, eure Pfade nicht!
Euch spendete des Lebens Rosenzeit
Nur welke Kränze wie der Gram sie flicht.
Der Muttername, für ein zärtlich Ohr
Der Stimme der Natur noch unentwöhnt,
Der höchste Zauberklang im Schöpfungschor,
Hat nie den Himmel euch ins Herz getönt.
Vernichtung dräute schon, als euer Loos
Euch zum Altar der Opferweihe rief,
Dem Funken der vielleicht in euerm Schooß
Zu Luthern und Timoleonen schlief.
Wie mancher Heloise glühend Herz,
Im Kampf mit Pflicht und Leidenschaft erkrankt,
Hat bis zum lezten Schlag mit Todesschmerz
Hier zwischen Abelard und Gott geschwankt!
Ihr, längs dem finstern Kreuzgang hingereiht,
Bemooste Zellen! vom Gesträuch umbebt,
In deren Oede der Vergangenheit
Gebild' erstehn und Geistersäuseln schwebt:
In euern Mauern starb der Jugend Reiz
Eh' seine Fülle noch der Knosp' entschwoll,
Und auf der Dulderinnen Todtenkreuz
Goß Liebe nie der Zähre lezten Zoll.
(Die Alpenros' auf Bernhards wilden Höhn
Glüht einsam oft an schwarzer Klüfte Moos
Und senkt der Schönheit Purpur ungesehn,
Vom Sturm entwurzelt in der Fluten Schooß.)
Beim Klosterthurme schlummert ihr Gebein,
Wo scheu des Uhus träger Fittig streift,
Und graunvoll, statt geweihter Kerzen Schein,
Am hohen Schilf des Irrlichts Flamme schweift.
[211]
Die Rose, die der Unschuld Farbe trägt,
Sah' jeder Lenz vor Alters hier entblühn,
Und Sinngrün von der Freundschaft Hand gepflegt
Verwebte sich mit Mirth' und Rosmarin.
Auch bebt' es oft, wie die Legende lehrt,
Gleich Engelstönen durch die Abendluft;
Die Kirchhofmale glänzten wie verklärt,
Und jedem Grab' entwallt' ein goldner Duft.

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TextGrid Repository (2012). Matthisson, Friedrich von. Gedichte. In der Fremde. Das Kloster. Das Kloster. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2C07-1