Beim »Alten«
Es war in Dessau, im Jahre eintausendsiebenhundertsechsundzwanzig, und zwar am sechzehnten Trinitatis-Sonntage früh halb acht Uhr. Der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau saß in seinem Arbeitszimmer und frühstückte, um sich zum heutigen Kirchgange zu stärken. Er war gewohnt, seinen gewaltigen Baß wie eine Posaune durch die Räume der Kirche ertönen zu lassen. Leider hatte sein musikalisches Talent nur für eine einzige Melodie zugereicht, nämlich für diejenige des »Dessauer Marsches«; eine andere zu erlernen, war rein unmöglich gewesen, und so sang er alle Kirchenlieder rundweg nach dieser tapfern Weise. Dabei kam er natürlich stets in großen Conflict mit der Orgel und dem Gesange der Gemeinde, und er mußte sich sehr wacker halten, um nicht umzuwerfen. Das gab natürlich jeden Sonn- und Feiertag eine eminente Anstrengung seiner Lunge, vor welcher sich jedoch der gewaltige Kriegsheld nicht im Mindesten fürchtete. Und wenn der Organist alle Register zog, um seine Stimme zu übertäuben, und wenn die versammelten Andächtigen noch so laut sangen, um sein »So leben wir, so leben wir« zum Schweigen zu bringen, es gelang doch niemals, denn dann erhob er seinen Baß zu einer dreifachen Stärke; seine Gestalt richtete sich siegreich empor; seine Augen blitzten kampfesmuthig, und seine unwiderstehlichen Töne schmetterten wie die Posaunen von Jericho jeden Widerstand darnieder.
War es da ein Wunder, daß er vor jedem Kirchenbesuche ein ganz besonders kräftiges Frühstück zu sich nahm? Auch heute lag vor ihm ein festes, hausbackenes Brod, ein angeschnittener Schinken, eine riesige geräucherte Schlackwurst, ein Käse von sechs Zoll Höhe und zwei Spannen im Durchmesser, dazu einige frische Zwiebeln, mehrere saure Gurken und allerhand Kleinzeug, das zwar nicht besonders aufgeführt zu werden braucht, aber auf dem Frühstückstische eines alten Knasterbartes doch nie fehlen darf.
Nach dem leisen, vergnügten Brummen zu urtheilen, welches er beim Kauen hören ließ, schien es ihm ganz ungewöhnlich zu munden, und er hatte eine außerordentliche Verwüstung unter den Vorräthen angerichtet, als er endlich die Reste von sich schob und sich erhob, um zur Unterstützung der Verdauung das Zimmer einige Male mit langen Schritten zu durchmessen.
Dann klatschte er laut in die Hände, und der Diener erschien. Der Fürst zeigte nach einem auf dem Tische liegenden Zettel.
»Es kann losgehen!«
Der Diener ergriff den Zettel und kehrte nach dem Vorzimmer zurück. Er mußte die dort Harrenden nach der Reihenfolge eintreten lassen, wie ihre Namen auf dem Papiere verzeichnet waren. Aber diese Namen zu lesen, war keine Kleinigkeit, da der Fürst eine Hand schrieb, die er selbst sehr oft nicht wieder zu enträthseln vermochte. Und wirklich zog der Lakei bereits bei dem ersten Namen die Brauen ganz bedenklich in die Höhe und bewegte rathlos die Lippen, um den Hieroglyphen einige Buchstaben zu entlocken. Es gelang ihm nicht, und er befand sich somit in einer höchst fatalen Lage. Der Fürst wartete bereits und durfte unmöglich nach der Bedeutung seiner Krähenfüße gefragt werden, wenn er nicht in einen fürchterlichen Zorn versetzt werden sollte.
Der Diener blickte im Kreise umher und trat zu einem Herrn, dessen Tracht einen Geistlichen in ihm vermuthen ließ.
»Herr Feldprediger, bitte, lest mir doch einmal diesen Namen herunter!« bat er ihn.
Der Prediger nahm das Blatt und buchstabirte.
»Hm!« meinte er. »Wer kann das lesen! Das Erste ist ein G, der zweite Buchstabe ein O, der dritte ein L und der vierte ein D. Das heißt also Gold. Dann kommt – – hm, das kann nur wieder ein G sein mit einem R. Nun kommt entweder ein A und ein U, oder ist es ein verspritztes D, denn es ist ein Kleks darauf. Das Folgende ist unbedingt ein hartes P, und die zweite Silbe würde also ›graup‹ heißen. Zuletzt folgt ein N, ein E und ein R. Der Name heißt Goldgraupner.«
»Wißt Ihr das gewiß, Herr Feldprediger?« frug der Diener.
»Es ist nicht anders möglich.«
»Na, wird's bald!« klang von drinnen heraus die scheltende Stimme Leopold's. Der Diener drehte sich schnell im Kreise herum und frug die Anwesenden: »Ist Jemand hier, der Goldgraupner heißt?«
Es erfolgte keine Antwort, und er trat in das Zimmer des Fürsten zurück.
»Nun?« frug dieser, als er ihn allein kommen sah.
»Excellenz, Entschuldigung! Dieser Goldgraupner ist noch nicht da.«
»Goldgraupner? Welcher?« frug Leopold stirnrunzelnd.
»Der hier auf dem Blatte steht.«
»Auf welchem Blatte?«
»Welches Excellenz mir gegeben haben.«
[9] Dem Lakeien stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Er sah an den zuckenden Bartspitzen seines Herrn, daß ein Gewitter im Anzuge sei.
»Zeige es einmal her!« gebot dieser, die Hand ausstreckend.
Der Diener reichte ihm den Zettel entgegen, und der Fürst warf einen Blick darauf.
»Wo soll dieser Hallunke, der Goldgraupner, stehen?«
»Es ist der erste Name.«
Das Auge des Fürsten leuchtete unheimlich.
»Der erste? Obenan?«
»Zu Befehl, Durchlaucht!«
»Kerl, bist Du verrückt, oder kannst Du nicht lesen?«
»Keines von beiden, wie ich glaube, Excellenz!«
»Halte den Schnabel, Mensch! Alles beiden ist der Fall! Du kannst nicht lesen und bist auch übergeschnappt. Hier hast Du den Wisch zurück, und lies den Namen noch einmal!«
Der Lakei zermarterte sich an den Schriftzügen, doch vergebens.
»Nun, wie heißt es?«
»Goldgraupner, Excellenz.«
»Kerl, ich lasse Dich so lange fuchteln, daß Du diese Goldgraupen schwitzen sollst! Will der Hallunke mein Diener sein und kann meine Schrift nicht lesen!«
»Gnade, Durchlaucht! Der Herr Feldprediger da draußen hat das Wort auch nicht anders gelesen.«
»Der Feldprediger? Der? Was hat denn der mit diesem Zettel zu thun?«
»Ich bat ihn um seine Hülfe, weil ich den Namen nicht lesen kann.«
»Das ist ja ganz wundervoll! Also der Herr Feldprediger kann das Wort auch nicht lesen? Grad dieses Wort?«
Er lächelte höchst verheißungsvoll und trat selbst an die Thüre, um sie zu öffnen. Der Diener kannte dieses freundliche Lächeln: es endete allemal mit einem Donnerschlage. Der Fürst winkte dem Prediger.
»Trete Er doch einmal ein!«
Der Gerufene folgte diesem Befehle mit einer tiefen Verneinung.
»Er ist Prediger?« frug der Fürst mit dem mildesten Tone seiner Stimme.
»Zu Befehl, Durchlaucht!« antwortete der Gefragte, nicht wenig erstaunt über diese sonderbare Einleitung.
»So ist Er wohl auf der Schule gewesen?«
»Allerdings.«
»Und auf der Universität?«
»Ja.«
»Und was hat Er denn da getrieben, he?«
»Ich habe mich dem Studium mit allem Fleiße gewidmet.«
»Dem Studium? Das glaube ich, aber was Er da studirt hat, das ist die Frage. Er hat doch noch viel weniger gelernt als hier in Dessau der allerkleinste Schuljunge!«
»Excellenz!«
»Na, excellenze Er mich nur nicht etwa so an! Da, nehme Er doch einmal dieses Papier in die Hand, und lese Er mir das erste Wort vor!«
Der Prediger nahm das Papier und erkannte es als dasselbe, welches er bereits vorher in der Hand gehabt hatte.
»Nun, wird's bald!« trieb Leopold.
»Goldgraupner.«
»Schön! Jetzt sehe ich allerdings, daß Er lesen kann. Aber wie! Da mag der Herrgott ein Einsehen haben! Buchstabire Er mir doch einmal das Wort!«
»Der erste Buchstabe ist ein G – – –«
»Ein G? So, hm! Ja! Wunderschön! Weiter!«
»Der zweite ein O – – –«
»Natürlich!«
»Der dritte ein L – – –«
»Versteht sich!«
»Der vierte ein weiches D – – –«
»Hm! Er kann am Ende doch noch lesen!«
»Der fünfte ein G – – –«
»Weiter!«
»Der sechste ein R – – –«
»Schön!« nickte der Fürst mit sehr zufriedener Miene.
»Der siebente ein A – – –«
»Ja, ja!«
»Der achte ein U. Etwas Anderes kann es nicht sein.«
»Warum denn nicht, he?«
»Weil kein anderer Buchstabe in das Wort hereinpassen würde.«
»Prächtig! Herrlich! Das ist der triftigste Grund, den es geben kann! Nun sehe ich allerdings, daß Er sich dem Studium mit allem Fleiße gewidmet hat!«
»Verzeihung, Durchlaucht! Es ist ja wohl möglich, daß es ein anderer Buchstabe hat werden sollen, aber – – –«
»Werden sollen! Donnerwetter!« Wenn der Königlich Preußische Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau einen Buchstaben machen will, so wird es dieser Buchstabe auch! Ich wollte es dieser Kanaille von Buchstaben nicht rathen, ein anderer Buchstabe zu werden! Und was will Er mit Seinem Aber?«
»Aber die Feder hat gespritzt, und es ist leider ein – – –«
»Nun, ein – – –? Heraus damit!«
»Es ist leider ein – ein Klecks geworden, mit Ew. Durchlaucht gnädigster Permission.«
»Was? Ein Klecks mit meiner Durchlaucht gnädigster Erlaubniß? Er hat wohl Ratten unterm Dache? Dieser Klecks hat den Teufel nach meiner gnädigsten Erlaubniß gefragt. Die Feder spritzte, und der Kerl saß da, auf dem Papiere. Pasta! Aber Er, wenn Er Lust hat, Er selbst kann ein Klecks sein, mit und meinetwegen auch ohne meine allergnädigste Permission. Versteht Er mich? Buchstabire Er weiter!«
Der Geistliche befand sich in einer schauderhaften Verlegenheit. Er wußte ganz genau, daß dieses ominöse Wort nicht Goldgraupner heißen solle, und doch war es menschenunmöglich, [10] es anders zu lesen. Mit bebender Stimme meinte er weiter:
»Der neunte Buchstabe ist ein hartes P – – –«
»Natürlich!«
»Der zehnte ein N – – –«
»Freut mich sehr!«
»Der elfte ein E – – –«
»O, ja!«
»Und der zwölfte ein R.«
»Nun zusammen – – –?«
»Zusammen bilden diese Buchstaben also das Wort Goldgraupner.«
»Goldgraupner! Prächtig! Und der Kerl ist nicht da?«
»Nein!«
»Sapperlot! Bin ich denn blind oder ist Er es?«
»Mit Ew. Durchlaucht allergnädigster Permission möchte ich – – –«
»Bleibe Er mir mit Seiner allergnädigsten Permission vom Leibe!« herrschte ihn der Fürst an. »Ich habe Ihn gefragt, ob Er blind ist?«
»Ich glaube, daß ich sehen kann, Durchlaucht!«
»So! Glaubt Er das wirklich? Das ist ja recht schön von Ihm! Trete Er doch einmal hierher!«
Er faßte den Prediger und schob ihn vor den Spiegel.
»Wenn Er wirklich sehen kann, so blicke Er einmal hier hinein! Wen sieht Er da?«
»Mich,« antwortete der Gefragte schwitzend.
»Sich? Hm, eigentlich ja. Aber Er sieht zugleich auch diesen Hallunken, den Goldgraupner, von dem Er denkt, daß er nicht da ist. Drehe Er sich wieder herum! Jetzt werde ich Ihm einmal dieses Wort vorbuchstabiren. Passe Er auf!«
Der Fürst riß ihm den Zettel aus der Hand und begann:
»Der erste Buchstabe ist ein F. Versteht Er?«
»Aber, Excellenz, ein F ist ja ganz anders. Ein F ist – – –«
»Wa – wa – was! Er will mir sagen, ein F sei ganz anders, Er – Er – – Er – – – Er selber F und Doppel-FF! Das Wort heißt F–e–l–d = Feld, p–r–e–d = pred, i–g = ig, e–r = er, also Feldprediger. Versteht Er mich, Er Goldprediger oder Feldgraupner Er?«
»Excellenz, kein Mensch konnte vermuthen, daß – – –«
»Daß Er nicht lesen kann! Da hat Er sehr Recht! Und weil Er eine so löbliche Selbsterkenntniß besitzt, so will ich einmal über den Bock den Er geschossen hat, hinwegsehen und Ihn im Besitze meiner Gewogenheit bleiben lassen, mit Seiner allergnädigsten Permission nämlich.« Und zum Diener gewendet, setzte er hinzu: »Hier ist der Zettel wieder. Mache, daß Du fortkommst, und bringe mir keinen solchen Graupner wieder herein. Sonst jage ich Dich zum Teufel!«
Der Lakei verschwand augenblicklich, und Leopold wandte sich wieder zu dem Prediger:
»Ich habe Ihn aus Halle hercitirt, daß Er mir heute einmal eine rechte Extrapredigt halten möge. Versteht Er mich?«
»Haben Excellenz die Gewogenheit, mich von Dero Mensis gnädigst zu unterrichten!«
»Mensis? Was ist das für ein Kerl?«
»Das Wort ist ein lateinisches und bedeutet so viel als Absichten oder Meinungen.«
»Warum wirft Er da mit solchen fremden Brocken um sich, wenn Er weiß, wie es auf Deutsch zu heißen hat? Ich glaube gar, Er will dicke thun! Da kommt Er bei mir an den Unrechten! Ein deutscher Bengel ist mir zehnmal lieber als ein lateinischer Flegel. Merke Er sich das, und rede Er in Zukunft ganz so, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist! Ich habe keine Zeit, für Jeden, der zu mir kommt, eine andere Sprache zu lernen. Giebt es doch schon in der Muttersprache Leute genug, die über die eigene Zunge stolpern und gar nicht wissen, was sie sagen sollen. Von Ihm aber weiß ich, daß Er ein guter Redner ist, und daher will ich mir heut einmal ein Gaudium anthun. Nämlich die Herren Väter von der Stadt scheinen den Gehorsam verlernt zu haben, und es soll ihnen einmal so recht tüchtig der Kopf gewaschen werden. Dazu taugt mir aber der Hiesige nicht. Will Er die Aufgabe übernehmen?«
»Ich gehorche!«
»Das wollte ich Ihm auch rathen, Er Schwerenöther! Sage Er den Kerls Seine Meinung nur so recht von der Leber herunter!«
»Dann wäre es mir lieb, einige Punkte zu erfahren, in denen die besagten Väter der Stadt sich das Mißfallen Ew. Durchlaucht zugezogen haben.«
»Das ist nicht nothwendig. Glaubt Er, daß ich wegen einer Kanzelrede Ihm erlaube, seine Nase in meine Töpfe zu stecken? Er braucht weiter nichts zu wissen, als daß sie schwerhörig und hartmäulig sind. Will ich hüh, so wollen sie hott; sage ich ja, so sagen sie nein; fluche ich, so beten sie; will ich ein Graupelwetter, so wollen sie Sonnenschein. Das ist ja hundsföttisch; das ist geradezu zum aus der Haut hinausfahren! Was giebt es denn heut für eine Epistel oder für ein Evangelium?«
»Wir haben den sechzehnten Trinitatissonntag. Da wird gepredigt entweder über Epheser 3, Vers 13 bis 21, oder über Lucas 7, Vers 11 bis 17.«
»Was steht denn in diesem Lucas?«
»Die Auferweckung des Jünglings zu Nain.«
»Und in diesem Epheser?«
»Daß Christum lieb haben besser sei als alles Wissen.«
»Das ist ganz richtig. Das kann Er sich auch selbst zu Herzen nehmen, denn Christum lieb haben ist auch besser als seine lateinische Großthuerei. Hat Er es verstanden. Aber sein Evangelium paßt ebenso wenig für meinen Zweck wie seine heutige Epistel. Eine Strafrede muß kräftig sein und dazu ist auch ein kerniger Text nothwendig. Ich werde Ihm einen solchen Text aussuchen.«
»Ich bin ganz zu Ew. Durchlaucht Befehl.«
»Das versteht sich ganz von selbst, denn ich bin hier Landesherr, und wer nicht reden will, was ich befehle, der kann sich zum Kukuk scheeren. Kennt Er die Geschichte von dem Teufel, der unter die Schweine gefahren ist, daß sie in's Wasser liefen und alle ersaufen mußten?«
[11] »Ja.«
»So predige Er über diese Stelle.«
»Excellenz erlauben mir gnädigst die Bemerkung, daß diese biblische Erzählung denn doch nicht wohl als Predigttext zu behandeln ist.«
»Nicht?« frug der Fürst, die Stirn runzelnd. »Warum nicht? Hat Er etwa kein Geschick dazu?«
»Sie dürfte wohl etwas zu kräftig sein.«
»Mohrenelement, das ist es ja grad, was ich haben will! Die Säue, das sind die Hallunken, die mir nicht pariren wollen, und der Teufel, das bin ich. Ich werde unter sie fahren, daß es eine Art hat, und es ist mir dabei ganz und gar egal, wenn sie alle mit einander ersaufen.«
»Und wer soll da der Besessene sein, Durchlaucht?«
»Der Besessene, aus dem der Teufel eigentlich ausgetrieben wird? Hm, das ist natürlich die Stadt Dessau, das Rathskollegium, der Bürgermeister. Sinne Er sich das selbst aus! Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, wer heut besessen sein soll oder nicht.«
»Aber Durchlaucht, ich erlaube – – –«
»Papperlapapp! Bringe Er mir kein Aber, sonst werde ich Ihn beabern, daß Ihm die Schwarte knackt! Er hat Ordre zu pariren, weiter nichts! Gehe Er jetzt hinaus. Draußen steht mein Page, der Lindow, der Ihn zur Kirche bringen soll. Später darf Er bei mir zu Mittag essen. Macht Er seine Sache gut, so wird es Ihm schmecken; macht Er sie aber nicht gut, so stehe ich für nichts! Er kennt mich. Ich bin die Liebe selbst; man kann mich um den Finger wickeln. Aber versuche Er ja nicht, mich von der andern Seite kennen zu lernen, denn dann könnte es sehr leicht passiren, daß ich Ihn trotz seines Lateins als gemeinen Soldaten unter die Grenadiere stecke. Für jetzt sind wir fertig!«
Eben als sich der Prediger, dem nicht ganz wohl zu Muthe war, entfernen wollte, trat der Diener wieder ein.
»Was giebt's?« frug Leopold. »Kannst Du wieder nicht lesen?«
»Ich wollte mir nur die Frage gestatten, ob die auf dem Zettel bezeichnete Reihenfolge beizubehalten ist, da eben jetzt ein Offizier angekommen ist.«
»Wer?«
»Der hannöversche Premierlieutenant von Hartegg.«
»Der Hartegg! Was will denn der?«
»Weiß nicht. Er bittet Excellenz sprechen zu dürfen.«
»Kommt mir grade recht! Befinde mich grad in der Laune, diesen Hannoveraner auszuhannovern, daß er seine Lüneburger Haide für einen Ziegenkäse halten soll. Machen diese Menschen einen Heidenskandal, wenn einer meiner Werber einmal über die Grenze läuft und aus Versehen einen Rekruten mit herüber bringt! Ihr Kurfürst, der sich König von England nennen läßt, hat deshalb sogar bereits bei Seiner Majestät dem deutschen Kaiser Beschwerde erhoben. Schicke ihn herein und jage die Andern fort. Sie mögen morgen wieder kommen, denn ich glaube nicht, daß mir heut viel Zeit für sie übrig bleibt!«
Der Lakei entfernte sich, und gleich trat der Angemeldete ein.
[12][25] Er war ein junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren, hoch und breit gewachsen, mit blondem Haar und treuen, blauen Augen. Er avancirte drei Schritte, schlug die Fersen zusammen, daß die Sporen klirrten und stand dann kerzengrad und unbeweglich, als sei er aus Stein gehauen.
Die drohend emporgezogenen Brauen des Fürsten senkten sich langsam nieder. Er schien Wohlgefallen an dem Hannoveraner zu finden und musterte ihn mit Kennerblick vom Kopfe bis zu den Sohlen herab. Der Offizier hielt diese Musterung ruhig aus. Keine Wimper zuckte an ihm; kein Fingerglied wich um die Breite eines Haares aus seiner Lage. Seine Uniform saß wie angegossen. Nicht das leiseste Fältchen war zu bemerken, und das Metallzeug glänzte, als ob sich der Sonnenstrahl drin spiegelte. Aber das erste Wort des Fürsten war dennoch ein Tadel:
»Er ist nicht gepudert!«
»Wäre ich Offizier in dem berühmten Regimente Ew. Durchlaucht, so würde ich pudern,« klang die ruhige Antwort.
»Was will Er?«
»Ew. Excellenz Erlaubniß, mich verheirathen zu dürfen.«
Leopold trat einen Schritt zurück.
»Meine Erlaubniß? Meine? Sich verhei – – – Donnerwetter! Wie kommt Er mir vor? Was habe denn ich dabei zu thun, wenn Er, ein Hannoveraner, seinem Mädchen den Kopf verdreht hat?«
»Sehr viel, Durchlaucht!«
»Erkläre Er sich!«
»Das Mädchen ist eine Liebau und hier im Lande ansässig.«
»Ah! Das ist etwas Anderes!«
»Der Vater hat nichts gegen unsere Verbindung, aber er will seine Einwilligung nicht eher geben, als bis er überzeugt ist, die Genehmigung Ew. Durchlaucht zu besitzen.«
»Warum kommt er nicht selbst?«
»Er ist unwohl.«
»Unwohl? Ja, dieses Unwohlsein kenne ich! Angst hat er vor mir: das Herz ist ihm in die Hosen gefallen, weiter Nichts! Er mag für einen Groschen Dammbecker Pflaster auflegen; vielleicht zieht es ihm den Herzbeutel wieder in die richtige Lage! Ich wollte sein Gut haben, und er wollte es nicht verkaufen; da zwang ich ihn, es mir für die Taxe zu lassen, und nun mag er nichts mehr mit mir zu thun haben. Der alte Schlucker schmollt wie ein Hamster, dem man die Körner genommen hat. Aber er sollte doch wissen, daß er damit nicht vorwärts kommt. Ich bin sein Souverain und frage den Geier darnach, was er mir für Gesichter schneidet. Wo hat Er das Mädchen kennen gelernt?«
»In Magdeburg.«
»Ja, ich weiß, sie ist dort gewesen. Sie hat eine Muhme dort, ein altes Felleisen, dem bereits schon einige Riemen und Schnallen abhanden gekommen sind. Ich glaube, das Weibsen muß bereits über Sechzig zählen. Habe sie in Dresden kennen gelernt. Stammt aus einem gräflichen Hause und trug deshalb die Nase so hoch, daß sie recht gut als Wetterfahne dienen konnte, wenn man einen Stiel hindurchgesteckt hätte. Kann solche Leute sehr gut leiden, sehr gut! Aber was sagen Seine Vorgesetzten dazu, daß Er sich so jung bereits verheirathen will? Er darf sich ja als Lieutenant noch gar keine Frau nehmen! Hat Er Hoffnung, das Hauptmannspatent zu erhalten?«
»Ich nehme den Abschied.«
»Was? Ist Er bei Sinnen! Ein Kerl wie Er? Gewachsen wie eine Eiche, gesund wie ein Hecht, und den Abschied!«
»Ich habe das Ding satt.«
»Satt? Wird er schuriegelt? Will man Ihm nicht wohl?«
»Im Gegentheile! Grad das zu große Wohlwollen paßt mir nicht!«
»Höre Er, Er hat wohl ein gelindes Fieber?«
»Möglich, denn der Aerger geht in's Blut.«
»Erkläre Er sich!«
»Ich habe mein Mädchen; ich mag keine Andere und soll doch eine Andere nehmen.«
»So nehme Er sie doch in Gottes Namen! Gehauen oder gestochen, das ist ja ganz egal. Es ist Eine so schlimm wie die Andere!«
»Dann will ich mir doch lieber die Schlimme nehmen, die ich mir selbst heraussuche!«
»Das klingt allerdings nicht unverständig! Wer ist denn die Andere?«
»Die Tochter meines Regimentskommandeurs.«
»Aha! Eine Heirath aus dienstlicher Rücksicht! Alt?«
»Neunundzwanzig.«
»Alle Wetter! Man kennt das. Wenn so Eine neunundzwanzig sagt, so ist sie eigentlich achtunddreißig oder sechsundvierzig! Hübsch?«
»Sehr! Uhu oder Schleiereule!«
[25] »Bombenelement, Er scheint sich auf Gleichnisse zu verstehen! Reich?«
»Sie ist seit ihrem vierzehnten Jahre jede Stecknadel schuldig geblieben.«
»So sind viele Geschwister da?«
»Fünf Schwestern und ein Bruder. Sie ist die Jüngste.«
»Auch noch! Sage Er Seinem Oberst einen Gruß von mir, und er soll seine Venusse dem Sultan schicken. Der kann sie als Derwischinnen an seine Mamelucken verschenken! Er thut mir wirklich leid; aber ich kann Ihm nicht helfen.«
»Durchlaucht!«
»Ein Hannoveraner bekommt die Liebau nicht!«
»Ich quittire ja den Dienst!«
»Bleibt sich gleich! Ich kann das Volk da drüben nun einmal nicht leiden. Sein Kurfürst schreit sich heiser um eines armseligen Rekruten willen. Trete Er über!«
»Das ist nicht Ew. Excellenz Ernst.«
»Warum nicht? Er gehört einer guten Familie an, die auch bei uns begütert ist, und hat sich im Dienste bereits einige Meriten erworben, wie ich gehört habe. Ich glaube, Er würde bei mir nicht lange Lieutenant bleiben.«
Das Auge Hartegg's leuchtete auf. Er wußte, welche Ehre es für einen preußischen Offizier war, in dem Musterregimente des Dessauers zu dienen. Dennoch aber antwortete er:
»Ein Ueberläufer ist unter allen Umständen ehrlos!«
»Freut mich, daß Er diese Ambition besitzt! Aber, so lasse Er sich doch einmal fangen!«
»Das dürfte bei den jetzigen Verhältnissen unmöglich sein. Und wer sich mit Absicht fangen läßt, ist ja auch Deserteur.«
»Gut, so mag Er seinen Willen haben, und ich behalte den meinigen.«
»Ist dies Ew. Durchlaucht letztes Wort?«
»Ja.«
Das offene Angesicht des Offiziers wurde um einen Schatten bleicher; aber er beherrschte sich.
»So ist die private Angelegenheit beendet, und ich bitte um die Erlaubniß, zur dienstlichen schreiten zu dürfen.«
»Er ist auch im Dienste hier?«
»Zu Befehl!«
»Und bringt das Dienstliche erst nach dem Privaten vor! Mann, wenn Er zu meinem Regimente gehörte, so fuchtelte ich Ihn!«
»Ich kenne die Sünde, die ich begangen habe, aber ich glaube, Ew. Durchlaucht Verzeihung zu erhalten. Ich wollte die Erfüllung meiner Bitte nicht gleich von vorn herein unmöglich machen.«
»So hat das Dienstliche wohl einen üblen Beigeschmack?«
»Ja.«
»Das konnte ich mir denken. Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Schieße Er einmal los!«
»Königliche Hoheit, der Kurfürst Georg Ludwig von Hannover, mein allergnädigster Landesfürst und Kriegsherr, haben geruht, in Sachen des Werbewesens eine Beschwerdeschrift an Kaiserliche Majestät nach Wien gehen zu lassen – –«
»Das danke ihm der Teufel!«
»Kaiserliche Majestät haben geruht, dem Kurfürsten ein freundliches Handschreiben zuzustellen, in welchem gemeldet wird, daß an den königlich preußischen Hof ernstliche Vorstellungen ergangen sind, die hannöverschen Landesgrenzen in Zukunft zu respectiren und das preußische Heer nur innerhalb der preußischen Länder und Besitzungen zu rekrutiren. Trotz dieser kaiserlichen Verwarnung aber – – –«
»Verwarnung? Himmelelement, menagire Er sich, sonst gebe ich Ihm eine Verwarnung, die bessern Nachdruck haben soll als die kaiserliche, von der Er hier redet!«
»Durchlaucht halten zu Gnaden. Ich muß grad so sprechen wie mir befohlen worden ist! Also trotz dieses Hortamentum ist – – –«
»Halt! Hortamentum, wer ist das?«
»Das ist lateinisch und heißt Warnung oder Vermahnung.«
»Reitet Euch denn alle zusammen heute der Henker? Da schlage doch ein Graupelwetter drein! Heute kommen alle diese Himmelhunde, die einmal einen lateinischen Fetzen weggeschnappt haben, um ihn mir hier um das Gesicht zu schlagen. Wenn Er mir mit Seinem Hormentum oder Hermuntarium oder wie das Ding geheißen hat, noch einmal kommt, so behormentire ich Ihn, daß es Ihn nicht blos lateinisch, sondern auch griechisch und chinesisch vor den Augen flimmert! Hält Er mich etwa für ein Karnikel, das lateinische Zwiebeln frißt? Fahre Er fort, aber nehme Er sich in Acht, damit ich Ihn nicht etwa bei den Ohren kriege!«
Er war jetzt ernstlich in Zorn gerathen: seine Augen blitzten, und die Adern seiner Stirn begannen zu schwellen. Dies war allerdings eine Mahnung für den Oberlieutenant, vorsichtig zu sein. Dieser fuhr fort:
»Trotz der besagten Vermahnung nun ist es zum Oeftern wieder vorgekommen, daß preußische Werber die Grenze überschritten und hannöversche Unterthanen molestirt oder gar mitgenommen haben, um sie unter die Fahne zu stecken, und so haben sich kurfürstliche Hoheit bewogen gefühlt, einen Kurier nach Berlin mit dem Bescheide zu senden, daß von jetzt an Repressalien erhoben werden, wenn weder die Grenze des Landes noch der Wille des Kaisers respectirt wird.«
»Er hat Seine Lection sehr hübsch auswendig gelernt; daß muß ich Ihm bezeugen,« meinte der Fürst ironisch. »Aber warum kommt Er zu mir?«
»Der Kurier hat gar keine Antwort erhalten, und einige Tage nach seiner Rückkehr wurde von den Preußen ein ganzer Trupp Hannoveraner über die Grenze geholt. Da nun Ew. Durchlaucht so zu sagen der Wächter der besagten Grenze sind – – –«
Leopold unterbrach ihn:
»Wächter der besagten Grenze? Hm! Nicht übel ausgedrückt! Das ist auch beinahe lateinisch und heißt eigentlich zu deutsch ›Kettenhund‹. Ja, ja, das bin ich auch, mein Herr Oberlieutenant; aber sein Georg Ludwig mag nur nicht [26] etwa denken, daß ich nur mit dem Schwanze wedle: ich kann auch brummen, bellen, beißen. Versteht Er mich? Nun weiter!«
»So ist mir der Auftrag geworden, Excellenz in directer Weise die Entschließung Seiner Kurfürstlichen Hoheit zu übermitteln und vor allen weiteren Eingriffen zu warnen. Derjenige preußische Werber, welcher auf hannöverschem Gebiete ergriffen wird, wird sofort aufgehenkt – – –«
»Sage Er doch Seinem Georg Ludwig, er möge selber baumeln! Wenn einer unserer Werber sich hinüber verirrt, was bei Nacht und Nebel leicht geschehen kann, so habt Ihr ihn uns einfach auszuliefern. Wird ihm nur ein einziges Haar gekrümmt, so kommen wir hinüber und treiben Euch zu Paaren; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«
»Würden Excellenz einen ergriffenen hannöverschen Werber auch ausliefern?«
»Ja.«
»Ew. Durchlaucht haben das noch nie gethan, sondern die Leute stets in den preußischen Rock gesteckt.«
»So steckt doch auch Ihr den Kerl, der so dumm ist, sich von Euch erwischen zu lassen, in den hannöverschen Kittel! Uebrigens hat Er soeben zugegeben, daß auch Eure Werber herüber kommen. Was raisonnirt Er denn da über die unserigen, he? Was dem Einen Recht ist, das ist dem Andern billig. Noch in der vorigen Woche haben Eure Schlingels einen Klempner aus Betzendorf über die Grenze hinübergelockt, und nun muß er drüben exerziren nach Noten. Und bei einem solchen Stande der Dinge rennt Sein Kurfürst von Pontius zu Pilatus, um sich über uns zu beschweren! Sogar dem Kaiser ist er unterthänigst vor die Füße gekrochen. Mag er nicht vielleicht auch noch zum römischen Papst und zum türkischen Großmufti gehen, um seine sechs Schnurrbarthaare an ihren Pantoffeln abzureiben? So ein Millionenhund hat selber Werg genug am Rocken und will wegen irgend eines Lumpazi Vagabundus, der zu uns herüberläuft, den Kaiser und das Reich auf uns hetzen! Da schlage doch der Blitz die ganze Sippe auseinander!«
Er hatte sich selbst immer mehr in die Wuth hineingesprochen und stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und nieder. Sein Haarzopf wackelte vor Aerger; die langen Seitenlocken hingen ihm wie aufgeregte Schlangen in das von Pulver geschwärzte Gesicht herein, und seine Arme gestikulirten wie Windmühlenflügel in der Luft herum.
»Durchlaucht,« bat der Offizier; »erlauben – – –«
»Halte Er sein Maul, sonst läuft mir die Galle über und ich gebe Ihm ein Memorandum mit auf den Weg, von dem das Memo nach Salz und das Randum nach Pfeffer schmecken soll! Sieht Er, daß ich auch lateinisch conjugiren oder insultiren oder dolmetschiren kann? Wir haben das Unserige auch gelernt; versteht Er mich? Man hat sein Herz, sein Gefühl und sein Gemüth; man ist mild und nachsichtig in allen Stücken; man verletzt keine Fliege und tritt nicht gern das kleinste Lindwürmchen todt; aber wenn man solche Botschaften erhält, so läuft Einem die Laus über den Kopf, und der Spektakel ist fertig. Wenn Sein Georg Ludwig nicht aufhört, uns zu infamiren, so reite ich ihm Gottstrambach vor die Bude und haue ihn, das es flunkert!«
Da richtete sich der Offizier etwas höher empor.
»Durchlaucht erlauben mir die Bitte, in meiner Gegenwart nicht in dieser Weise von meinem Monarchen und Feldherrn zu sprechen!«
Der Fürst blieb stehen und sah ihn ganz und gar erstaunt an.
»Wie? Wa – wa – wa – waaas!«
»Einen König von England, Kurfürsten von Hannover und Erzschatzmeister des römischen Reiches deutscher Nation ›haut‹ man nicht, Excellenz! Ich als hannöverscher Offizier darf solche Worte nicht hören!«
»Mensch, um Gottes willen, ist Er den geradezu übergeschnappt?«
»Ich glaube vielmehr, daß ich sehr bei Sinnen bin!«
»Ja, das ist doch eben das Unglück, daß jeder Verrückte denkt, er sei bei Sinnen!«
»Durchlaucht!« donnerte der Lieutenant und trat einen Schritt weiter vor.
Leopold fuhr empor. Seine Augen funkelten unheimlich wie diejenigen eines Panthers, und seine Lippen öffneten sich, um die weißen Zähne sehen zu lassen.
»Was! Will Er mir etwa drohen?«
»Das kann ich nicht wagen; aber ich muß mir jede Beleidigung ernstlich verbitten!«
»Verbitten? Er? Er Knirps? Da soll doch gleich ein Himmeltausenddonner und Doria – – – wo habe ich denn nur meinen – meinen Stock hingelegt? Ich werde – –«
Er rannte wie besessen in der Stube hin und her, um den Stock zu suchen. Er sah ihn nicht liegen, so wurden seine Augen von der Wuth geblendet. Sein Gesicht bot einen schrecklichen Anblick dar; es war dasjenige eines Menschen, der vor Aufregung einen Mord begehen kann.
»Mir so etwas zu sagen!« rief er. »Hier in meinem eigenen Zimmer! Ein Hannoveraner! Ein Lumpenhund, ein Lausewenzel, der – – –«
»Durchlaucht, meinen Sie mich?«
Hartegg trat abermals einen Schritt vor und legte die Linke an die Scheide seines Säbels.
»Ja, ja, hundertmal ja und tausendmal ja! Mich in dieser Weise zu molestiren, mich – mich –mich! Luft muß ich haben, Luft! Ich muß Ihn massacriren, wenn ich nicht vor Wuth zerplatzen will! Ah, endlich! Da ist der Stock!«
Dieser Stock war gar oft mit dem Rücken eines Bürgers, eines Soldaten in Berührung gekommen; hohe Beamte und selbst Offiziere hatten ihn gefühlt, ohne etwas dagegen machen zu können. Jetzt holte Leopold zum Schlage aus.
»Zurück!« rief der Lieutenant und trat bei Seite, indem er nun auch die Rechte an den Griff seines Säbels legte.
»Kerl, Hund, Du wagst es, die Hand an die Waffe zu legen! Hundsfötter, da nimm!«
Der Stock sauste nieder.
[27][41] Der furchtbare Hieb mußte, wenn er traf den Oberlieutenant zu Boden schmettern. Aber in demselben Augenblicke fuhr der Säbel desselben blitzesschnell aus der Scheide und der Stock wurde in zwei Hälften zerhauen, von denen die eine in der Hand des Fürsten blieb, während die andere gegen die Wand flog. Leopold stand ganz erstarrt.
»Durchlaucht, ich werde Sie fordern!« sagte Hartegg ruhig, indem er den Säbel schlagfertig in der Hand behielt.
Der Fürst warf das Bruchstück seines Stockes zu Boden und ballte die Fäuste. Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als ob er sich auf den Gegner stürzen wolle. Die Stirnadern schienen zersprengen und die Augen aus ihren Höhlen hervortreten zu wollen. Aber plötzlich und ganz unerwartet drehte er sich mit einem raschen Rucke auf der Ferse herum und trat zum Fenster. Sein Blut kochte, und seine Lunge athmete hörbar; aber sein Gesicht glättete sich nach und nach. Da endlich drehte er sich wieder herum.
»Er will mich fordern lassen?«
»Ja, Durchlaucht können meinen Cartelisten nicht zurückweisen. Ich bin ein Offizier und Edelmann, an dessen Namen kein Makel haftet.«
»Er wagt es wirklich, Er, der Lieutenant, sich mit mir, dem Feldmarschall und Sieger in so viel Schlachten und Belagerungen, schlagen zu wollen?«
»Ich verlange Genugthuung. Excellenz haben mich mit Wort und That so schwer beleidigt, daß ich auf Satisfaction bestehen muß!«
»Hartegg, Er hat ja neunundneunzigtausend Teufel im Leibe! Glaubt Er denn wirklich, daß ich Seine Forderung annehme?«
»Durchlaucht sind dazu gezwungen, wenn Sie nicht selbst als ehrlos gelten wollen.«
»Aber ich werde Ihn ja in Grund und Boden schlagen!«
»Das wird sich finden! Man weiß den Säbel auch zu führen!«
»Den Kukuk werde ich! Versteht Er mich? Er ist ein ganz prächtiger Himmelelementer, der sich nicht einmal vor mir und vor dem Satan fürchtet, und es sollte mir leid thun, wenn ich Ihm die Haut ritzen sollte. Wie habe ich Ihn denn genannt, he?«
»Ich mag die Worte nicht wiederholen.«
»Na, es wird wohl so etwas gewesen sein wie verrückt, Knirps, Lumpenhund, Lausewenzel und so weiter. Ist Er zufrieden, wenn ich es Ihm jetzt abbitte?«
Der Lieutenant blickte überrascht empor.
»Das kann ich ja kaum erwarten!«
»Warum nicht? Einen Andern beleidigen, das kann ein Jeder, aber eine übereilte Beleidigung wieder abzubitten, das ist ehrenhafter, als mit dem Froschmesser zu renommiren und zu der Beleidigung auch noch den Todtschlag fügen. Hier hat Er meine Hand. Verzeihe Er mir und schlage Er ein. Er ist weder ein Lumpenhund noch ein Lausewenzel, sondern ein himmelsakkermentscher Spitzbube, ein Heidenkerl, vor dem man Respect haben muß. Für Seinen Georg Ludewig gebe ich keinen Pfennig; für Ihn aber würde ich ein schönes Sümmchen zahlen, wenn Er Handgeld nehmen wollte. Doch da Er nicht will, so mag Er es bleiben lassen!«
»Es geht nicht, Durchlaucht!«
»Na, schon gut! Hat Er Hunger?«
»Nein!« antwortete der Oberlieutenant lächelnd.
»Sonst hätte Er hier essen können. Aber Er wird wohl noch Appetit bekommen, und so gehe Er her und schneide Er sich ab. Er kann es unterwegs verzehren.«
»Excellenz, es giebt ja unterwegs Schänkhäuser genug, um – – –«
»Papperlapapp! Will Er wohl Ordre pariren! Nehme Er seine paar Groschen zusammen! Komme Er her. Ich will Ihm abschneiden. Das kann Er einstecken. Unterwegs setzt Er sich auf einen Feldrand und lebt unter freiem Himmel wie der Herrgott in Frankreich, das der Teufel holen mag.« Der Fürst trat an den Frühstückstisch und riß mit dem Messer ein Stück Brod herunter, an dem sich drei Tagelöhner hätten satt essen können. In den dicksten Theil dieses Fladens grub er ein Loch, welches er mit Butter füllte. Dazu that er Käse, Schinken und Wurst in Fülle, eine saure Gurke, einen Rettig, eine Zwiebel, eine Knolle Knoblauch und eine tüchtige Portion Salz, Pfeffer und Kümmel. Dann trat er an den Schreibtisch und suchte in den dort sich befindlichen Papieren.
»Jetzt wollen wir das Futter gehörig einpacken. Da liegen ein paar Schreiben vom Minister v. Grumbkow und von dem österreichischen Gesandten, General Graf Seckendorf. Diese Wische sind eigentlich noch viel zu schlecht für die Zwiebel und den Knoblauch; aber ich will die Geschichte doch damit einwickeln und diese beiden Ehrenmänner in meinem nächsten Briefe davon benachrichtigen. So, da hat Er sein Packet, und nun scheere Er sich dahin, wo der Pfeffer wächst!«
[41] »Ich danke, Excellenz! Auf meine Privatbitte darf ich wohl nicht noch einmal zurückkommen?«
»Das wage Er ja nicht, wenn Er mich nicht wieder in Harnisch bringen will. Ich habe Ihm bereits gesagt, daß ein Hannoveraner die Liebau nicht bekommt, und dabei hat es sein Bewenden. Pasta!«
Er gab mit der Hand das Zeichen des Abschiedes, und der Oberlieutenant sah sich gezwungen, mit seinem Speisepackete unter dem Arme sich zu verabschieden.
Dann öffnete der Fürst die Thür. Das Vorzimmer war jetzt leer. Nur der Lakei befand sich noch da.
»Der Feldwebel Goldschmidt hat den Dienst?«
»Zu Befehl, Excellenz!«
»Soll sofort kommen!«
Nur zwei Minuten später trat der Genannte bei ihm ein. Er war eine jener Gestalten, welche von Friedrich Wilhelm dem Ersten oft mit mehreren Tausend Thalern bezahlt wurden. Er maß sicher seine achtundsiebzig Zoll und war dieser Länge ganz proportional gebaut. Das Auge Leopold's ruhte mit besonderem Wohlgefallen auf ihm, und es war beim ersten Blick zu bemerken, daß er ein Liebling des Dessauers sei. Auch er trat vorgeschriebener Weise drei Schritte vor, und stand dann stramm und starr wie eine Bildsäule. Das Auge des Fürsten musterte ihn. Auch ihm wurde sofort ein Tadel, wenn auch nicht in einem harten, beleidigenden Tone.
»Donnerwetter, Feldwebel, Er ist ja ganz ungeheuer lüderlich geworden!«
Der Angeredete wurde roth, aber er sagte kein Wort.
»Mit vierundzwanzig Jahren bereits Feldwebel in meinem Regimente, das ist viel! Nicht?«
»Zu Befehl!«
»Das hat Er seiner Tapferkeit, seiner Schlauheit bei aller Ehrlichkeit und seiner Ordnungsliebe zu verdanken. Jetzt aber steht Er vor mir grad so lüderlich und schladderig wie ein Rekrut!«
Auch jetzt sagte Goldschmidt kein Wort.
»Weiß Er, warum? Die linke Spitze seines Schnurrbartes steht wenigstens um einen Messerrücken breit tiefer als die rechte. Drehe Er sie sofort in die Höhe!«
Der Feldwebel erhob die Hand und gehorchte dem Befehle.
»Jetzt ist sie zu hoch,« meinte der Fürst. »Schaffe Er sie um ein Haar breit nieder!«
Auch dies wurde befolgt.
»So! Jetzt steht Er da als ein exactes Muster für – – Alle Wetter, was ist denn das?« Der Fürst trat näher und besah sich den Schnurrbart genau. »Da rechts ist ein Haar schneller gewachsen als die andern. Es steht ganz gewiß einen Zehntelzoll hervor, und das sieht Er nicht, Er Schwerenöther! Soll ich Ihn Spießruthen laufen lassen? Ich stelle Ihn bei jeder Gelegenheit dem Regimente als Norm und Beispiel hin, und da kommt Er herein, so schlendrig und schlumprig wie ein Kesselflicker! Wenn das noch ein einziges Mal arrivirt, so nehme ich Ihm das Portcépée und gebe Ihm dafür drei Monate lang Lattenarrest. Das merke Er sich! Hat Er mich verstanden?«
»Zu Befehl!«
»Na, schön! Und damit Er dennoch sieht, daß der Dessauer kein Wüthrig ist, werde ich Ihm seinen Bart selbst curiren.«
Der Fürst ging zum Schreibtische, holte eine riesige Papierscheere, die mehr einem Garteninstrumente glich, und knipp mit derselben das subordinationswidrige Haar hinweg.
»So, jetzt ist Er parademäßig hergestellt!«
Der Fürst betrachtete den Feldwebel noch einmal von allen Seiten, konnte aber nicht das Geringste entdecken, was ihm Veranlassung zu einem weiteren Tadel hätte geben können.
»Accurat und sauber: grad wie jetzt erst aus der Schachtel!« lobte er. »So will ich meine Jungens haben; dann schlage ich die Welt mit ihnen todt! Feldwebel, es giebt wieder einmal einen Coup!«
Das dunkle, intelligente Auge Goldschmidt's blitzte auf; aber er stand noch immer in Achtung und durfte also nur sprechen, wenn er gefragt wurde.
»Will Er?« frug Leopold.«
»Zu Befehl!«
»Er soll nicht zu Bef – – – Ah so! Trete Er los und mache Er es sich bequemer! So! Also, es giebt wieder einen Streich auszuführen, bei dem ich Ihn brauche. Will Er?«
Der Feldwebel hatte jetzt die strenge Haltung aufgegeben und konnte daher auch auf die Unterhaltung eingehen. Wenn Leopold bei guter Laune war oder einen Menschen vor sich hatte, dem er wohl wollte, so ließ es sich ganz prächtig mit ihm verkehren; nur mußte man dabei sehr vorsichtig sein, denn er glich auch dann einem Vulkane, der an jedem Augenblicke ausbrechen konnte. Uebrigens zeigte sich selbst seine beste Laune oft in einer Weise, die dem Andern qualvoll wurde. Er konnte dann dem Knaben verglichen werden, der zu seiner Unterhaltung den Käfer am Faden zappeln läßt.
»Na, und ob, Durchlaucht!« antworte der Feldwebel.
»Aber es kann gefährlich werden!«
»Desto besser!«
»Schön! Ich kenne Ihn und weiß, daß ich mich auf Ihn verlassen kann. Ich will Ihm einmal etwa vorlesen.«
Er langte in die Tasche seiner grauen Leinwandhosen und zog ein zu einem Knäul zusammengeknittertes Papier hervor, welches er auseinander faltete und auf dem Knie glättete. Er las:
Liebwerther Serenissimus!
Wie Uns in Erfahrung gekommen, ist von Hannover eine Scriptura nach Wien expediret worden, des insipiden Inhaltes, daß Unsere Werber als Raub- und Mordgesellen dahingestellet und conterfeiet werden. Hierauf wurde Uns ein kaiserliches Documentum donniret, in welchem Wir ermahnet werden, dieses Wesen zu remaniren und dem Kurfürsten Reparation zu leisten. Eine solche Reparation aber können Wir unmöglich goutiren, [42] zumalen ihr Scopus sowohl eine Reprehensio als auch eine Deprimio enthält und Wir zu gleicher Stunde erfahren, daß die hannöverschen Conquisitores einen Klempner aus Betzendorf fortgeführet haben. Daher ersuchen Wir Ew. Liebden, Eure Bureaux d'afféage so zu stellen, daß wir von diesen hannöverschen Bengels gleich eine tüchtige Zahl saisiren und unter unser Vexillum stecken, wasmaßen Wir Euch ersuchen, Uns zwei oder drei große Kerls zu envoyiren, die Wir nothwendig für Unsere Garde nöthig haben.
Indem Wir Ew. Excellenz Unserer Affection und Declination versichern, zeichnen Wir
Euer gnädigster Freund und Bruder
Friedrich Wilhelm.
König von Preußen etc. etc. etc.
Nachdem Leopold dieses ganz im Style der damaligen Manier abgefaßte Schreiben vorgelesen hatte, ballte er das Papier wieder zusammen und warf es zornig zur Erde.
»Was sagt Er zu dieser miserablen Scriblifaxerei? Kann Er sie verstehen?«
»Ja!«
»Was? Ist Er etwa auch so ein gelehrter Regenwurm, der sich nur in dem lateinischen Drecke wohl befindet?«
»Nein. Aber ich sollte Theologe werden und habe einige Classen durchgemacht. Dann starb der Vater, der nichts hinterließ, und ich griff zur Muskete.«
»Das hat Er gescheidt gemacht! Denke Er nicht etwa, daß der König diesen Wisch geschrieben hat. Den hat so ein Federfuchser verfaßt, der an seinem Latein und Französisch gewiß noch einmal ersticken wird. Da patschen diese Menschen in der fremden Tunke herum, als hätte unsere ehrliche deutsche Sprache nicht Worte genug, um mir zu sagen, daß wir dem Kaiser und dem Kurfürsten von Hannover zum Schure nun grad erst recht auf den Fang gehen werden. Da soll ich envoyiren, expediren, insipidiren, donniren, remaniren, goutiren, saisiren und noch sonst 'was -iren! – Hätte ich den Affenpintscher da, der das auf das Papier geschmiert hat, den wollte ich -iren, nämlich maulschelliren, kurbatschiren, turbiren, spießruthiren, füßiliren, stranguliren und dann zuletzt noch zum Teufel -iren! Schreibt der Hottentotte vom Vexillum! Die Werber schimpft er Conquisitores und unsere Werbestationen heißt er gar Bureaux d'afféage. Dieser Kerl hat entweder Ameisen oder Hummeln oder Ratten im Kopfe! Was heißt denn das Wort auf Deutsch?«
»Amtliche Stelle für Draufgeld.«
»Konnte er das nicht gleich schreiben, he? Sobald ich nach Berlin komme, erkundige ich mich nach diesem Wortverquirler, und dann werde ich so gut deutsch mit ihm reden, daß er denken soll, die lieben Englein im Himmel pfeifen Dudelsack! Das Beste an dem ganzen Krame ist, daß nun der Teufel erst recht losgehen soll, und daß wir dem Könige so bald wie möglich drei große hannöversche Kerls schaffen müssen. Aber woher nehmen und nicht mausen!«
»O,« lachte der Feldwebel, »mausen müssen wir sie doch!«
»Hm, ja, richtig ist's doch! Gleich drei auf einmal; das wird schwer halten!«
»Vielleicht ist es leichter, als Ew. Durchlaucht denken.«
»So? Feldwebel, ich sehe es Ihm an, Er hat einen guten Gedanken; Er hat wohl gar bereits etwas in Petto.«
»Möglich!«
»Rede Er!«
»Drei lange Kerls? Durchlaucht, das paßt mir gerade. Ich habe diese Drei schon längst gern los sein wollen.«
»Los sein? Wie meint Er das? Ich denke doch, daß wir sie nicht los sein, sondern daß wir sie bekommen wollen.«
»Und doch ist es so, wie ich sagte. Ich will sie gerne los sein, und Ew. Durchlaucht sollen sie bekommen.«
»Gleich Drei auf einmal?«
»Ja.«
»Große Kerls?«
»So lang und stark wie ich.«
»Donnerwetter! Wo denn?«
»Hm! Etwas weit von hier. Nämlich in Wustrow an der Jeetze.«
»Da unten? Er selbst hat sie gesehen?«
»Ja.«
»Wie alt?«
»Zwanzig, dreiundzwanzig und fünfundzwanzig.«
»Gesund?«
»Wie Forellen.«
»Wer ist's?«
»Der Vater heißt Hillmann und hat einen Gasthof mit Bäckerei und Fleischerei in Wustrow. Er selbst betreibt die Schänkerei und überlaßt das Backen einem Gesellen.«
»Warum nicht einem Sohne?«
»Weil keiner seiner Söhne Bäcker ist. Der Jüngste hat die Schlächterei und die beiden Andern betreiben den Viehhandel. Übrigens verkommen sie mit dem Alten nicht gar zu gut. Er gießt gern Einen hinter die Binde und ist dann geradezu unausstehlich. Und dann giebt es keinen gröbern Kerl im ganzen Deutschen Reich als ihn. Er ist wegen seiner Grobheit weit und breit berühmt, und wenn einmal ein Fremder kommt, der sucht gewiß den alten Hillmann auf, um sich von ihm abschnautzen zu lassen.«
»Alle Wetter! Er macht mich ja förmlich neugierig!«
»Ich sage nicht zu viel. Der Braunschweiger, Herzog August Wilhelm, der kürzlich mit seinem Bruder, dem Fürsten Ludwig Rudolf von Blankenburg, eine Reise nach Mecklenburg unternahm, hat extra einen Abstecher gemacht, um sich den groben Hillmann anzusehen. Wie man hört, soll er seinen Theil so bekommen haben, daß er sich in Wustrow sicherlich nicht wieder sehen läßt.«
»Hm, das wäre ja etwas für mich! Möchte mir dieses Unicum auch einmal begucken.«
»Übrigens kenne ich da unten noch mehrere Riesen, die wir gebrauchen könnten.«
»Wirklich?«
»Ja. In Lüchow hat der Schmied Peters einen Jungen, [43] dreizehn Viertel hoch und sechstehalb Viertel breit an den Schultern, und einen Gesellen aus dem Holsteinischen, der den Ambos dreimal um das Haus herumträgt.«
»Heiliger Ladestock, die müssen wir kriegen! Die Hillmanns und auch die Peters!«
»Das ist nicht leicht, Durchlaucht.«
»Glaub's schon! Müssen sie aber haben, grad diesem hannöverschen Georg Ludewig zum Trotze. Weiß Er keinen unter unsern Jungens, der in Lüchow und Wustrow genau Bescheid sagen kann?«
»O ja.«
»Wer?«
»Ich selbst, Durchlaucht.«
»Er? Hm, ja. Er sagte doch bereits, daß Er diese drei Kerls los sein wolle, und also muß Er doch Etwas mit ihnen haben.«
»Ich stand übrigens ein Jahr lang als Gemeiner auf Werbung in Lenzen und muß also auch deshalb die Gegend genau kennen.«
»Und wie kommt Er nach Lüchow und Wustrow?«
»Ich – ich – ich habe eine Liebste dort, Excellenz.« 1
[44]
[73] Der Oberlieutenant von Hartegg hatte vorhin die Stadt nicht etwa sofort verlassen, sondern war nach einem der bessern Gasthöfe gegangen, wo er ein separates Zimmer aufsuchte. In demselben saß ein junger Mann, der neunzehn bis zwanzig Jahre zählen mochte. Er war schlank aber kräftig gebaut, hatte angenehme Gesichtszüge, in denen aber ein aufmerksamer Beschauer die Spuren eines herrischen Eigenwillens leicht entdecken konnte, und zeigte in seinem ganzen Habitus gleich beim ersten Blicke, daß er wohl nicht der Sohn gewöhnlicher Eltern sei, obgleich seine Kleidung so einfach wie möglich gehalten war. Da er sich bei dem Eintritte des Oberlieutenants nicht erhob, so konnte er zu diesem wohl nicht in einem untergeordneten Verhältnisse stehen.
»Endlich!« meinte derselbe wie tadelnd. »Ihr habt mich sehr lange warten lassen, Lieutenant!«
»Es ging schnell genug, Königliche Hoheit,« antwortete Hartegg. Sein Ton war mehr abweisend als entschuldigend.
»Oho! Wollt Ihr Euch beleidigt zeigen? Ihr habt Euch noch unterwegs verweilt, wie ich sehe!«
»Woraus vermuthen Durchlaucht dies?«
»Ihr habt Einkäufe gemacht, während ich einsam wartete.«
»Nein!« erklang es kurz.
»Woher dann dieses Packet?«
»Vom Fürsten.«
»Vom Dessauer! Was enthält es?«
»Sehen Sie nach, Hoheit!«
Mit diesen sehr kalt gesprochenen Worten trat er in das Nebenzimmer. Dort lehnte er die Stirn an die Scheiben des Fensters. Sein Leben flog mit Gedankenschnelle an seinem geistigen Auge vorüber. Er war das hinterlassene, einzige Kind vornehmer und reicher Eltern – ein freier Mann, und doch durch dienstliche Rücksichten abhängig fast wie ein Sklave. Die außerordentliche Strenge und Peinlichkeit des damaligen Dienstes war es nicht, die ihn verbittern mußte; aber die Gewaltthätigkeit, welche dieser Dienst auch auf seine privaten Verhältnisse auszuüben begann, sie machte ihn mißmuthig. Er war ein ganzer Soldat und hatte viele Auszeichnungen erfahren; er war sogar Adjutant des jungen Mannes geworden, der da d'rin in dem andern Zimmer saß, dieses stolzen, aufgeblähten Jünglings, der nur seinen eigenen Willen, sein eigenes Ich berücksichtigte und alles Andere zu ignoriren gewohnt war. Diesem hatte er es zu verdanken, daß er in die Fesseln einer verhaßten Ehe geschlagen werden sollte. Er war der Protector des Obersten, dessen Tochter der Adjutant von dem Schicksale des Vergessens befreien sollte. Und weil nun Hartegg sich widerstrebend zeigte, suchte man auf alle Weise durch die Macht des Dienstes auf ihn einzuwirken. Man brachte ihn geflissentlich in schiefe Stellungen und in Lagen, denen sich kaum der Erfahrenste und Tapferste ohne Schädigung seiner Ehre zu entziehen vermochte. Man führte Gelegenheiten herbei, Verantwortlichkeiten über ihn zu bringen, denen auch der Schlaueste nicht gerecht zu werden vermochte.
»Ich habe es satt!« – murmelte er leise vor sich hin. »Dieser alte Kriegsheld, der mit seinem Lobe sicher mehr als sparsam ist, sagt mir offen und rückhaltslos, daß er Tausende zahlen würde, wenn ich übertreten wollte, und hier – peinigt man mich wie einen Rekruten, der den einfachsten Handgriff nicht begreifen will. Ich sollte ihnen wahrhaftig davonlaufen! Verdammte Erfindung, diese Ehre, die Einem anhängt wie ein Hemmschuh! Was könnte ich sein und werden, wenn ich beim alten Dessauer wäre!«
»Lieutenant!« rief es da im Nebenzimmer.
Er gehorchte dem Rufe. Der junge Mann blickte ihm hoch aufgerichtet und mit zornigen Augen entgegen.
»Er vergißt wohl, wen Er vor sich hat?«
»Ich weiß dies ganz genau, Excellenz. Es ist Seine königliche und kurfürstliche Hoheit, Prinz Friedrich Ludwig von England, Irland, Schottland und Hannover.«
»Dessen Adjutant und Diener Er ist. Wenn Er dies aber so sehr genau weiß, warum verhält Er sich nicht darnach?«
»Ich bin mir keiner Respect- oder Dienstwidrigkeit bewußt, Hoheit!«
»Nicht? Hat Er den Ton vergessen, in welchem Er mir antwortete? Hat Er vergessen, daß Er sich zurückzog, ehe Er von mir die Erlaubniß dazu erhielt? Wie kann Er mir zutrauen, dieses Wurst- und Käsepacket zu öffnen, mir, dem erstgeborenen Sohn des Kronprinzen und ältesten Enkel des Königs von Großbrittannien und Hannover?«
»Königliche Hoheit wollen bedenken, daß ich mich keineswegs im Dienste befinde, und daß es Angriffe giebt, denen der Untergeordnete nur dadurch entgehen oder begegnen kann, daß er sich entfernt.«
»Meint Er? Aus welchem Grunde glaubt Er, daß Er sich nicht im Dienste befindet?«
»Man trägt im Dienste Uniform.«
»Die trägt Er ja!«
»Aber Ew. Hoheit nicht. Diese Uniform legte ich nur [73] um des Feldmarschalls Leopold von Anhalt-Dessau willen an und werde sie jetzt wieder in die Reisetasche thun.«
Der junge Prinz trat ihm einen Schritt näher.
»Lieutenant, vergesse Er sich nicht, damit ich mich nicht auch vergesse!«
»Ew. Hoheit haben sich bereits schon vergessen!«
»Was? Er wagt – – –!«
»Ich wage nichts; ich thue nur Das, was ein jeder ehrenhafte Officier thun muß. Ew. Excellenz treten mir continuirlich und auch vorhin noch in einer Weise entgegen, die mich mit dem innigsten Mißmuthe erfüllen muß. Ich bin Ew. Hoheit Adjutant und militärischer Gehilfe, keineswegs aber Ihr Civilbedienter, der für Härte und ungerechtfertigtes Mißtrauen keine Empfindung haben darf!«
»Gut, gut! Mein königlicher Vater und Großvater mögen Ihr allerhöchstes Gutachten über diesen Punkt aussprechen, denn meiner Würde dürfte es wohl nicht angemessen sein, mich mit Ihm zu zanken. Jetzt aber hat Er mir von Seiner Unterredung mit dem Dessauer Bericht zu erstatten!«
»Meine Audienz beim ›Dessauer‹, wie Ew. Hoheit den Fürsten zu nennen belieben, hat ganz das Resultat gehabt, welches ich vorhersagte.«
»Erkläre Er sich deutlicher!«
»Er empfing mich so, wie man den Boten eines Feindes empfängt.«
»Wir wissen, daß er keine Sympathie für Uns hegt, aber Er kann sehr überzeugt sein, daß diese Abneigung eine gegenseitige ist.«
»Ich weiß es. Der Feldmarschall war grob, sehr grob. Er hatte bereits erfahren, daß unsere Werber den Klempner aus Betzendorf weggeführt haben, und war ganz ergrimmt darüber, daß wir unter solchen Umständen es wagen, Beschwerde über die Preußen zu führen. Sollten unsere Leute in Brohme Erfolg haben, so wird sein Grimm noch stärker werden.«
»Haha, ich hätte seine Ausdrücke hören mögen!«
»Sie waren ganz so, wie man es bei ihm gewohnt ist. Er griff endlich sogar zum Stocke.«
»Um zu schlagen?« frug der Prinz erstaunt.
»Wozu anders?«
»Ihn?«
»Natürlich!«
»Das hätte er mir thun sollen!«
»Was hätten Excellenz gethan?«
»Ich hätte ihn geohrfeigt.«
»Ew. Hoheit kennen den Fürsten nicht, haben ihn noch nicht einmal gesehen. Er ist der Mann nicht, der sich beohrfeigen läßt. Excellenz wären bereits beim ersten Schlage eine Leiche gewesen.«
»Er hat sich also die Schläge ruhig gefallen lassen?«
»Pah!«
»Was sonst?«
»Ich zog blank.«
»Donnerwetter!«
»Hieb ihm den Stock entzwei und forderte ihn.«
»Das, das hätte Er gewagt? Er, als Lieutenant?«
»Ist dieser Grad ein Grund, es nicht thun zu dürfen?«
»Was antwortete er?«
»Er wies die Forderung zurück.«
»Da hat Er es! Wenn Er zum Beispiele es wagte, mich zu fordern, so ließ ich Ihn erst Spießruthen laufen, dann aber degradiren und lebenslänglich in das Zuchthaus stecken!«
»Ich bin überzeugt davon,« antwortete Hartegg mit eisiger Kälte.
»So ist Er also mit Seiner Forderung riesig abgeblitzt!«
»Wohl nicht!«
»Was sonst? Das war wieder einmal eine Seiner jugendlichen Dummheiten, und diesmal ist es um so schlimmer, als Er damit das ganze hannöversche Officiercorps blamirt hat!«
»Gestatten mir Ew. Hoheit eine ganz entgegengesetzte Meinung. Ich bin überzeugt, diese Ehre nach besten Kräften verfochten zu haben. Der Fürst ist leidenschaftlich, grob und gewaltthätig, aber er weiß sehr genau, was ein Officier seiner Ehre schuldig ist. Er weiß, daß in dieser Beziehung ein Lieutenant sogar mit einem regierenden Fürsten ganz auf gleicher Linie steht, und würde trotz seiner Gewaltthätigkeit eine Forderung niemals mit Spießruthen, Cassation und Zuchthaus beantworten. Er hat zwar die Forderung zurückgewiesen, mir aber doch die glänzendste Satisfaction gegeben, die ich nur wünschen konnte.«
»Ah! Wie so?«
»Er hat mich für seine Übereilung mit der Hand um Verzeihung gebeten.«
»Das ist nicht wahr!«
»Excellenz!«
»Er lügt!«
»Excellenz!!«
»Ich bleibe dabei: Er lügt!«
»Excellenz!!!«
Die Augen Hartegg's blitzten zornig. Es war ihm anzusehen, daß er sich nur mit äußerster Austrengung beherrschte. Der Prinz lächelte darüber und meinte:
»Das kann er nicht gethan haben, denn das ist bei einem Fürsten niemals möglich.«
»Bei einem hannöverschen Fürsten, wollen Ew. Hoheit wohl sagen!«
»Lieutenant!«
»Schon gut! Daß es bei einem Fürsten möglich ist, hat der Feldmarschall ja bewiesen. Er sagte wörtlich zu mir: ›Einen Andern beleidigen, das kann ein Jeder, aber eine übereilte Beleidigung wieder abzubitten, das ist ehrenhafter, als mit dem Froschmesser zu renommiren und zu der Beleidigung auch noch den Todtschlag fügen.‹ Und das ist ganz auch meine Ansicht von der Sache. Er hätte es sich gar nicht beikommen lassen, nach dem Stocke zu greifen; aber ich erzürnte ihn dadurch, daß ich nicht ungebührlich von meinem Herrn reden lassen wollte.«
[74] »Ah! Was hat er gesagt?«
»Es wird besser sein, dies zu überschweigen.«
»Ich befehle Ihm, es zu sagen!«
»So muß ich es allerdings berichten,« meinte der Lieutenant mit innerlichem Vergnügen. »Er meinte: ›Wenn Sein Georg Ludewig nicht aufhört, uns zu infamiren, so reite ich ihm Gottstrambach vor die Bude und haue ihn, daß es flunkert!‹«
»Das ist stark!«
»Mir schien es auch so, und daher verbat ich mir dergleichen Ungebührlichkeiten. Er wurde darauf grob gegen mich selbst, und daher forderte ich ihn. Ich meine also, nur recht gehandelt zu haben, und zum Dank dafür werde ich von Ew. Hoheit in einer Weise beleidigt, welche mich veranlaßt, Excellenz ganz Dasselbe zu sagen, was ich dem Fürsten sagte.«
»Was?«
»Ich werde mir gestatten, Ew. Hoheit fordern zu lassen, falls der ›Lügner‹ nicht augenblicklich widerrufen wird.«
»Mensch!«
»Ich bin Ew. Excellenz Untergebener, werde aber zusehen, ob man wirklich den Muth besitzt, mich Spießruthen laufen zu lassen und so weiter.«
»Diesen Muth werde ich haben, und sogar sehr! Sein Verhalten ist ja die reine Auflehnung und Empörung! Was bildet Er sich eigentlich ein? Weiß Er, wer und was Er ist?«
»Ich weiß es.«
»Ich will noch einmal Nachsicht mit Ihm haben; aber ich verlange dann von Ihm die augenblickliche Erklärung, daß Er eine große Dummheit begangen hat.«
»Diese Erklärung gebe ich nicht!«
»Nicht?«
»Nein!«
»So befehle ich Ihm, Seine ungereimte Forderung sofort zurückzunehmen!«
»Auch das thue ich nicht!«
»Was!«
»Ich kann nicht.«
»Ich befehle es Ihm zum zweiten und letzten Male!«
»Es kann und darf mir Niemand befehlen, meine Ehre beflecken zu lassen. Ich wurde ein Lügner genannt und bestehe auf Genugthuung. Ich verlange dieselbe entweder durch die Waffe oder durch die Erklärung, daß dieser beleidigende Ausdruck zurückgenommen wird!«
»Offener Ungehorsam! Offene Widersetzung!«
»Meinetwegen!«
»Weiß Er, was Er zu erwarten hat?«
»Ich werde es erwarten!«
»Ich werde Sein Verhalten dem Könige melden!«
»Und ich werde das Verhalten Ew. Hoheit dem gesammten Officierscorps zur Kenntniß bringen. Das militairische Ehrengericht mag entscheiden, wer ehrenhaft handelte, Excellenz oder ich.«
»Kerl! Hätte ich nur einen Stock, so griff ich auch darnach!«
Da richtete sich Hartegg in die Höhe. Seine Lippen zitterten, und seine Stimme klang vor Empörung beinahe heiser: »Kerl! Nimmst Du dieses Wort im Augenblick zurück?«
Der Prinz erblaßte und wich um einige Schritte retour.
[75][89] Der junge Prinz sah ein, daß er zu weit gegangen war, und daß es nur eines winzigen Tropfens bedurfte, um das bereits längst volle Gefäß überlaufen zu lassen.
»Hartegg!« rief er, halb zornig und halb verlegen.
»Was?«
»Was fällt Ihm ein! Ist Er bei Sinnen?«
»Sehr! Es wurde vom Stocke gesprochen. Wird das widerrufen oder soll ich die einzige Antwort geben, die darauf möglich ist?«
»Welche?«
»Ich werde öffentlich erklären, daß mir mit dem Prügel gedroht wurde, und daß ich darauf mit einer – mit einer Ohrfeige antwortete!«
»Mensch!«
»Antwort!?«
Der Lieutenant folgte dem Prinzen. Dieser sah die hühnenhafte Gestalt hart vor sich. Es war kein Entrinnen.
»Hartegg, ich bin Sein General und der Enkel Seines Regenten!«
»Bei diesem Betragen glaube ich das nicht. Also Antwort, augenblicklich!«
»Nun gut! Ich widerrufe!«
»Auch den Lügner?«
»Ja.«
»So will ich in Anbetracht der großen Jugend Ew. Excellenz und auch des Umstandes, daß wir uns unter vier Augen befinden, einmal annehmen, daß die Beleidigung nicht geschehen ist.«
Er trat mit einer sehr gemessenen Verbeugung zu rück.
Der Prinz sah sich nicht mehr eingeengt und gewann sogleich wieder den gewohnten Stolz und Muth.
»Und ich gebe Ihm grad' auch in Anbetracht des letzteren Umstandes die Versicherung, daß ich nur deshalb widerrief, weil wir allein waren!«
»Das weiß ich, Hoheit!« antwortete Hartegg mit einem überlegenen Lächeln. »Der Widerruf ist aber geschehen, und so kann ich mich zufrieden geben.«
»Ich werde dennoch Sein Verhalten melden!«
»Ich bin gefaßt darauf.«
»Was folgt, kann Er sich denken!«
»Ich habe bereits einmal gesagt, daß ich es abwarten werde!«
»Meine Freundschaft hat Er sich ein für allemal verscherzt!«
»Ich wußte nicht, daß ich sie besaß.«
»Ich sehe immer mehr, welch ein harter Kopf Er ist; aber man wird Ihn schon noch zu packen wissen. Für jetzt aber ist diese Sache erledigt, und wir können unser Thema wieder aufnehmen. Er weiß, daß ich nach Dessau ging, um mir den Fürsten einmal unerkannt zu betrachten. Wie wird das möglich sein?«
»Gehen Ew. Hoheit in die Kirche. Er wird sicherlich kommen.«
»Er wird mich begleiten, Lieutenant!«
»Gestatten Excellenz, daß ich zurückbleibe!«
»Warum?«
»Man kennt mich jetzt hier, und Ew. Hoheit begeben sich in die Gefahr, erkannt zu werden, wenn ich dabei bin.«
»Das ist richtig. Er wird mich also hier erwarten.«
»Zu Befehl!«
»Nach der Kirche reisen wir sofort ab.«
»Nach Hannover?«
»Unterlasse Er solche alberne Fragen! Er weiß, was ich vorhabe.«
»Ich muß die Warnung, welche ich bereits wiederholt aussprach, festhalten. Bedenken Excellenz, wie außergewöhnlich und auch gefährlich ein solches Beginnen ist!«
»Pah.«
»Seine Majestät vermuthen Sie in Celle. Ich habe bereits eine schwere Verantwortung auf mich geladen, daß ich Ew. Hoheit mit nach hier nahm!«
»Verantwortung? Er hat mir zu gehorchen!«
»Ich befinde mich dennoch in einer peinlichen Lage, da auch der König Gehorsam von mir fordert. Trifft uns ein Unfall, so wird man nicht Ew. Excellenz, sondern allein mich zur Rechenschaft ziehen. Und nun gar der abenteuerliche Gedanke, den Werber spielen zu wollen!«
»Grad' das Abenteuerliche ist es, was mich reizt. Hat Er nicht gehört, daß der ›Dessauer‹ oft dasselbe thut? Er geht incognito im Lande umher und soll auch bereits schon über die Grenze gerathen sein, um sich in eigener Person einige Rekruten zu holen.«
»So etwas kann auch er nur wagen; er ist der rechte Mann dazu!«
»So! Ich nicht?«
»Das, was für einen gewöhnlichen Mann etwas Ungefährliches ist, kann für einen Prinzen ein Wagniß sein!«
»Für den Fürsten von Anhalt-Dessau ebenso. Was[89] Dieser vermag, das kann ich auch. Verstanden? und überdies bin ich durch den Hof und den Dienst so abgespannt, daß mir eine Unterhaltung anderer Art einmal geboten erscheint. Ich werde Ihn nach Lenzen begleiten.«
»Ich kann es nicht verantworten!«
»Das soll Er auch gar nicht.«
»Bedenken Ew. Hoheit, daß der Auftrag schon mir nicht angenehm ist. Ich habe den Befehl erhalten, falls sich der ›Dessauer‹ nicht gefügig zeigt, sofort ein Exempel zu statuiren und den Lenzener Jahrmarkt zu benutzen, um einen möglichst bedeutenden Fang zu machen. Das ist nicht ungefährlich. Wenn man mich erwischt, so steht es mit mir Matthäi am Letzten.«
»Ah, Er fürchtet sich!«
»Pah! So lange mir freie Hand bleibt, habe ich nichts zu befürchten. Wenn ich aber auch auf die Sicherheit Ew. Hoheit Rücksichten zu nehmen habe, ist mir die Hand gebunden und ich kann für nichts stehen.«
»Ich werde für meine Sicherheit schon selbst zu sorgen wissen! Übrigens steht Ihm ja Militair zur Verfügung. Wie viel Mann hat Er?«
»Es kommen von Dannenberg vierzig Mann herüber. Zwanzig gehen verkleidet in die Stadt, und die anderen Zwanzig bleiben nach Gartow zu an der Grenze halten, um uns zu erwarten oder nötigenfalls beizuspringen.«
»Und mit diesen vierzig Mann fühlt Er sich nicht sicher?«
»Man kann die Verhältnisse nicht vorher berechnen. Ich ersuche Ew. Hoheit wirklich allen Ernstes, von dem Vorhaben abzustehen!«
»Unsinn! Ich will ein Abenteuer haben! Aber um Ihn einigermaßen zu beruhigen, werde ich Ihm versprechen, mich nicht viel in Lenzen selbst sehen zu lassen. Wohin sind Seine Leute bestellt?«
»Nach dem Gasthof ›zum Mecklenburger,‹ wo sie Einer nach dem Andern ohne Aufsehen und in verschiedener Verkleidung erscheinen werden.«
»Dann werde ich mein Absteigequartier in Lüchow nehmen.«
»In Lüchow!« frug der Lieutenant aufmerksam.
»Ja.«
»Im Gasthofe?«
»Nein. Auf dem Schlosse.«
»Incognito?«
»Versteht sich!«
Der Prinz warf einen raschen Seitenblick auf Hartegg und fuhr weiter fort: »Ich habe gehört, daß sich die kleine Liebau dort befindet.«
»Möglich!« meinte der Oberlieutenant ruhig.
»Die Liebau nämlich, an Der Er so viel Antheil zu nehmen scheint!«
»Es scheint nicht nur so, sondern es ist Wirklichkeit, Excellenz.«
»Eine kleine, vorübergehende Liaison, pah! Er hat, wenn es einmal Ernst sein soll, ganz andere Chancen vor sich. Übrigens hat mir diese Liebau, als wir uns vergangenes Frühjahr zufällig in Uelzen sahen, nicht übel gefallen. Sie ist ein Prachtmädel, der man wohl einmal eine Schäferstunde widmen könnte. Ich werde sehen, was sich auf Lüchow thun läßt!«
»Excellenz dürften auf die erwartete Schäferstunde verzichten müssen!«
»Ah! Warum?«
»Fräulein von Liebau ist keineswegs der Gegenstand eines flüchtigen Spieles.«
»Das kennt man, Lieutenant,« lachte der Prinz. »Der Enkel eines Königs ist niemals unwillkommen!«
»Hier dürfte es anders sein!«
»Pah! Sie gefällt mir, und sie wird mein!«
»Gestatten Hoheit mir die Mittheilung, daß Auguste von Liebau meine Braut ist!«
»Er faselt!«
»Ich spreche sehr im Ernste. Ich habe bereits bei ihrem Vater um sie angehalten.«
»Komödie!«
»Und das Jawort bekommen.«
»Das mache Er weiß, wem Er will, aber mir nicht! Wenn Er sich wirklich eine Frau nehmen will, so weiß Er, wo Er sie zu suchen hat. Das Hauptmanns-Patent liegt in diesem Falle schon für Ihn bereit.«
»Ich werde nur das Weib nehmen, welches ich mir selbst wähle!«
»Natürlich! Er wird Diejenige wählen, die Seinen Intentionen nahe gelegt worden ist.«
»Niemals!«
»Unsinn! Er kennt Unsere Wünsche und hat darnach zu handeln. Versteht Er?«
»Es giebt nur einen Wunsch, den ich hierbei zu berücksichtigen habe, und das ist der meinige. Ein Mann nimmt sich ein Weib, aber er läßt es sich nicht aufnöthigen.«
»Werden sehen! Er wird sich in Beziehung auf Seine Carrière nicht im Wege stehen wollen. Seine Liebau aber werde ich einmal für mich engagiren.«
»Hoheit!«
»Was?«
»Ich werde den Abschied nehmen!«
»Er wird zusehen, ob Er ihn erhält!«
»Erhalte ich ihn nicht, so gehe ich selbst!«
»Dann ist Er Deserteur, und Seine in Hannover gelegenen Güter sind für Ihn verloren. Das hat Er sehr wohl zu berücksichtigen. Also wozu das leere Geschwätz! Es hat schon längst zur Kirche gelauten, und ich muß gehen. Er erwartet mich und hat also bis zu meiner Rückkehr vollständig Zeit, darüber nachzudenken, welche Veranlassung Er mir heute gegeben hat, Ihm meine Ungnade im vollsten Maße empfinden zu lassen. Sehe Er zu, ob Er es ermöglichen kann, seine Dummheiten wieder gut zu machen!«
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