Der Abend
(Grabmal des Lorenzo v.M.)
Sah ich dich nicht schon einmal,
lichtloser Sinnierer? ...
Sah ich dich nicht schon
viel vielemal? ...
Wenn ich des Tages Straße
hinabgegangen
und im Dämmer,
trauriger Träume schwer,
saß und hinaus sann
in Blut und Schatten
und in die brechenden Blicke
erstarrenden Lebens ...
Lagst du da nicht
am Wegrand,
den Rücken
am letzten Meilenstein,
schwer-lässig den Leib
ellbogengestützt,
aus überernsten, verschatteten Augen
über des Irdischen Wandel
brütend? ...
Warf ich mich da nicht
[43]vor dich hin
und vergrub mich
in deine Augen
und ward mit dir eins
und brütete selber
aus ihren Höhlen
hinaus in die Landschaft? ...
Und dann sah ich
noch einmal im Geist
die langen Menschenzüge des Tags
des Weges wallen,
wie sie dem Goldtor des Morgens
fröhlich entsprangen,
Blumen im Haar
und sorglosen Lachens voll;
wie der und jener
zu Staube dann glitt
und immer mehr
sanken, stürzten –
bis endlich der heiße Mittag
müdrastender Völker
schläfrige Lager fand.
Dann wieder Aufbruch,
klingendes Spiel,
neue Siege der Kraft,
neue Opfer.
[44]Wohin zogen sie aus,
die Morgenscharen?
Wo winkt ihr Ziel?
Wohin leuchten
aufblitzende Sterne?
Dort liegt es –:
Ein dunkles Tor,
drin alle verschwinden,
langsam,
auf ewig.
– – –
Laß mich!
Aus deinen kalten,
unsterblichen Augen
kann ich nicht länger schaun;
denn unendliches Weinen
drängt mir empor, –
und es sinken erbarmungsvoll
Tränen der Schwermut
wie Schleier
zwischen den Sterblichen
und das Bild
seines grausamen Schicksals.