Suschens Vogel

Ich hatt ein Vöglein, ach wie fein!
Kein schöners mag wohl nimmer sein:
Hätt auf der Brust ein Herzlein rot,
Und sung und sung sich schier zu Tod.
Herzvogel mein, du Vogel schön,
Nun sollt du mit zu Markte gehn! –
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Und als ich in das Städtlein kam,
Er saß auf meiner Achsel zahm;
Und als ich ging am Haus vorbei
Des Knaben, dem ich brach die Treu,
Der Knab just aus dem Fenster sah,
Mit seinem Finger schnalzt er da:
Wie horchet gleich mein Vogel auf!
Zum Knaben fliegt er husch! hinauf;
Der koset ihn so lieb und hold,
Ich wußt nicht, was ich machen sollt,
Und stund, im Herzen so erschreckt,
Mit Händen mein Gesichte deckt',
Und schlich davon und weinet sehr,
Ich hört ihn rufen hinterher:
»Du falsche Maid, behüt dich Gott,
Ich hab doch wieder mein Herzlein rot!«

Notizen
Entstanden 1837, Erstdruck 1838.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Mörike, Eduard. Suschens Vogel. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4161-7