286. Die Gongers.

In Keitum auf Sylt starb einmal eine Frau vor ihrer Entbindung; da ist sie mehrere Male dem Knecht des Predigers erschienen und hat nicht eher Ruhe im Grabe gehabt, als bis man ihr Scheere, Nadel und Zwirn ins Grab gelegt. So tut man bei Frauen in Nordfriesland gewöhnlich.

Es gibt da überhaupt manche Wiedergänger oder Gongers; denn wer unschuldig ermordet ist, oder Grundsteine versetzt und Land abgepflügt hat, findet keine Ruhe im Grabe. Ebenso müssen auch die Gotteslästerer und wer sich selbst verflucht und die Selbstmörder wiedergehen. Einem solchen Gonger darf man nicht die Hand reichen; sie verbrennt, wird schwarz und fällt ab.

Wenn einer von der Verwandtschaft auf der See ertrunken ist, meldet er es nachher den Anverwandten. Wem ein solcher Gonger begegnet, der erschrickt nicht, sondern wird vielmehr betrübt. Der Gonger meldet sich aber nicht in der nächsten Blutsverwandtschaft, sondern im dritten oder vierten Gliede. In der Abenddämmerung oder bei Nacht läßt er sich sehen in eben der Kleidung, worin er ertrunken ist. Er sieht dann zur Haustür herein und lehnt sich mit den Armen darauf, geht auch sonst im Hause herum, verschwindet aber bald und kommt am folgenden Abend um dieselbe Zeit wieder. Nachts öffnet er, gewöhnlich in schweren aufgezogenen Stiefeln, die voll Wasser sind, die Stubentür, löscht mit der Hand das Licht aus und legt sich dem Schlafenden auf die Decke. Am Morgen findet man einen kleinen Strom salzigen Wassers, das dem Ertrunkenen von seinen Kleidern abgetröpfelt ist, in der Stube. Lassen die Verwandten durch dieses Zeichen sich noch nicht überreden, so erscheint der Gonger so lange wieder, bis sie es glauben. Der Gonger gibt auch andre Zeichen. Man erzählt:

Ein Schiffer mit zwei Söhnen segelte vonAmrum aus mit Saat nach Holland. Der jüngste Sohn hatte gar keine Lust zu der Reise. Er flehte seine Mutter an: »O Mutter, laß mich doch zu Hause bleiben, ich mag nicht mit!« »Ich kann ja nichts dazu tun«, sprach die Mutter, »dein Vater will es.« Der Sohn mußte also mit. Als sie auf dem Wege zum Hafen in Bosk über den Steindamm gingen, sagte er zu seiner Mutter und den andern, die ihn begleiteten: »Denket an mich, wenn ihr über diese Steine geht.« Noch in derselben Nacht verunglückten sie. Des Schiffers Schwester wohnte bei ihm im Hause. Nachts hatte sie ihr weißes [192] Brusttuch vor dem Bette liegen; am Morgen fand sie drei Tropfen Bluts darauf. Da fühlte sie, daß die Ihrigen umgekommen und sie in der Nacht bei ihr gewesen seien.

Herr Hansen auf Sylt. Lorenzen in Camerers Nachrichten I. Herr Dr. Clement. – Zum ersten Absatz vgl. Mones Anzeiger VII, 473. Thiele, Danm. Folkes. II, 135.

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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Zweites Buch. 286. Die Gongers. 286. Die Gongers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-46BC-C