529. Die schwarze Dorte.

Der Ritter Heinrich Ranzau nahm einst eine verfolgte Frau aus Ungarn in seinen Schutz und erbaute ihr das Schloß zu Mehlbek zu einer sichern Wohnung. Man nannte sie nur die witte Dorte, denn stets ließ sie sich auf dem Turm des Schlosses sehen in einem nebelartigen weißen Gewande, so oft ein Glück oder Unglück bevorstand. Sie hat sich da lange Jahre auf dem Turm aufgehalten und war recht der Schutzgeist des Schlosses und seiner Bewohner; als aber ihr Beschützer Heinrich Ranzau starb, zeigte sie sich nur in schwarzen Kleidern, und darum nennt man sie seit der Zeit stets die swarte Dorte.

[359] Einst faßten die Bauern des Guts heimlich den Beschluß, den Gutsherrn gefangen zu nehmen und sich seiner Herrschaft zu entledigen. Ob ihr Wohlstand sie übermütig gemacht, oder der Herr durch Härte sie erbittert hatte, weiß man nicht; genug, sie stürmten alle bewaffnet aufs Schloß, und dachten den Herrn zu fangen, aber sie fanden nur das leere Haus, der Herr, gewarnt, war eben vorher abgereist. Nun fielen die Bauern über das Schloß her und wollten es zerstören; vergebens warnte und ermahnte sie ein alter Bauer, davon abzulassen und ruhig nach Hause zu gehn; sie hörten nicht auf ihn und begannen ihr Werk. Wütend tobten sie durch das ganze Schloß; als es aber gegen Abend kam und sie in den großen Saal eindrangen, trat ihnen drohend und mit zorniger Gebärde die schwarze Dorte entgegen. Voller Schrecken wichen sie zurück und flohen; aber der Fluch der schwarzen Frau folgte ihnen. Noch in derselben Nacht stand das ganze Dorf in Flammen; da liefen die Bauern eilig nach dem nahen Teiche, um Wasser zum Löschen zu holen, aber keiner kehrte zurück, denn alle wurden mit Frau und Kind in Frösche verwandelt, und wo bisher das Dorf gewesen war, steht von dieser Zeit an der Teich mitten in einer großen grünen Wiese. Die große schöne Eiche, die unter dem Namen des Pfannekuchenbaums in der ganzen Gegend bekannt ist (und sie erhielt diesen Namen, weil die Arbeiter unter ihr gewöhnlich ihr Frühstück verzehren), hat vormals auch zu dem untergegangenen Dorfe gehört. Darunter saß damals in tiefer Trauer der alte Bauer, der die andern gewarnt hatte und hindern wollte; er allein und seine Tochter waren verschont geblieben, aber Hab und Gut waren nun verloren. Da setzte sich ein wunderschönes Vöglein über ihnen auf einen Zweig und sang mit heller Stimme:


Kumm, Vatter, kumm geswinde!

Hier buten weit de Winde.

Swart Doortje hett mi hęr bestellt,

Ik sall di gęwen vęles Geld,

Du schast en nees Huus di maken,

Swart Doortje gifft di schöne Saken.

Wo ik dit wisen do,

Da, Vatter, blief un bo!


Da stand der Alte auf und folgte dem Vogel, der langsam vor ihm hin flog und bald an dem Orte sich niederließ, wo jetzt das Dorf Mehlbek steht. Sogleich verschwand der Vogel; aber unter einem Baume lag ein schwerer Geldsack, darauf stand geschrieben:Meinem treuen Helfer in der Not. Da fing der Alte an und ließ ein neues Haus bauen, und bald folgten mehr Leute seinem Beispiele in der Hoffnung, daß auch ihnen solches Glück zuteil werde. Allein die schwarze Dorte hat nur einmal ein solches Wunder getan.

Jetzt ist das alte Schloß und der Turm, den die Dorte bewohnte, längst abgebrochen, aber die Leute versichern, daß man noch oft, sobald [360] etwas Wichtiges bevorsteht, sie Nachts in einem mit vier schwarzen Pferden bespannten Wagen umherfahren sieht.


Nach einer schriftlichen Mitteilung. Der Anfang ward mir so mitgeteilt: »Einer Baumgöttin in Ungarn ward der Baum, den sie bewohnte, durch den Blitz zerschellt. Da konnte sie nicht länger hienieden bleiben, sondern ihre Königin wollte sie nach einem andern Weltkörper versetzen. Aus Furcht aber vor einer so weiten Reise ergriff sie die Flucht, die Königin verfolgte sie, bis sie ganz ermattet in Holstein anlangte, wo Heinrich Ranzau sie in Schutz nahm und ihr einen festen Turm zur Wohnung erbaute.« Es mag Echtes zugrunde liegen, ich wagte es aber nicht dafür auszugeben.

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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Drittes Buch. 529. Die schwarze Dorte. 529. Die schwarze Dorte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-49D3-B