596. Siebenschön.

In einem Dorfe wohnten ein paar arme Leute in einem kleinen Häuschen, die hatten eine einzige Tochter. Das Mädchen besorgte ihnen [407] den Hausstand, sie wusch, fegte, kochte und schaffte alles, was zu tun war; das Gärtchen vor dem Hause war immer wohl bestellt, im Hause aber war alles so blank und reinlich, daß es eine Lust anzusehen war. Es gab auch kein Mädchen in der ganzen Gegend, die geschickter im Nähen und Sticken gewesen wäre, und damit verdiente sie ihren armen Eltern das Brot; denn feine Arbeit wird immer gut bezahlt. Weil das Mädchen aber schöner war, als sieben andere zusammen, so nannten die Leute sie Siebenschön. Sie war aber so sittsam, daß wenn sie Sonntags zur Kirche ging, was sie fleißig tat, sie immer einen Schleier vor dem Gesichte trug, damit die Leute sie nicht angaffen sollten. Da sah sie nun einmal des Königs Sohn und sie war so schlank wie eine Esche, da verliebte er sich in sie und hätte herzlich gerne auch einmal ihr Gesicht gesehen, aber das konnte er nicht vor dem Schleier. Er sprach zu seinen Dienern: »Warum trägt Siebenschön immer einen Schleier, daß man ihr Gesicht nicht sehen kann?« Die Diener antworteten: »Das tut sie, weil sie so sittsam ist.« Da sandte der Königssohn einen Diener mit einem goldenen Fingerreif zu Siebenschön und ließ sie so sehr bitten, heute Abend bei der großen Eiche zu sein, er hätte was mit ihr zu sprechen. Siebenschön ging hin, denn sie dachte, gewiß will der Prinz bei dir ein Stück feine Arbeit bestellen. Als aber der Prinz sie nun sah, da verliebte er sich noch viel mehr und verlangte sie zur Frau. Aber Siebenschön sprach: »Du bist so reich und ich nur so arm; dein Vater wird sehr böse werden, wenn er hört, daß du mich zur Frau genommen.« Aber der Prinz bat so viel und sagte, wie lieb er sie hätte; da sagte Siebenschön endlich: »Wenn du noch ein paar Tage warten willst, so will ich mich darauf bedenken.« – Am andern Tage schickte der Königssohn seinen Diener zu Siebenschön, der brachte ihr ein paar silberne Schuhe und bat sie, sich heut Abend wieder bei der Eiche einzufinden, denn der Prinz wollte mit ihr sprechen. Siebenschön ging hin und als der Prinz sie sah, so fragte er, ob sie sich nun schon besonnen hätte. Da antwortete Siebenschön: »Ich habe mich noch nicht bedenken können, denn meine Tauben und Hühner wollten gefüttert, der Kohl mußte geschnitten und die Hemden sollten genäht werden; aber was ich dir sagte, ich bin so arm und du so reich, dein Vater aber wird böse werden, darum kann ich nicht deine Frau werden.« Da bat sie aber der Prinz wieder so viel, daß sie endlich sagen mußte, daß sie sich ganz gewiß bedenken und mit ihren Eltern sprechen wolle. Am andern Tage schickte er ihr durch einen Diener ein prächtiges goldenes Kleid und ließ sie bitten, heute Abend wieder zu der Eiche zu kommen. Siebenschön ging Abends auch wieder hin und der Prinz fragte, wie sie sich denn nun besonnen hätte. »Ach«, sagte Siebenschön, »ich habe mich nicht bedenken können und meine Eltern habe ich auch noch nicht gefragt, es gab den ganzen Tag wieder so viel zu schaffen in und außer dem Hause, daß ich nicht dazu kommen konnte; aber was ich immer gesagt habe, dabei muß es doch bleiben, ich bin viel zu arm und [408] du zu reich und dein Vater wird sehr böse werden.« Nun ließ der Prinz aber gar nicht mit Bitten nach und stellte ihr vor, daß sie endlich Königin werden sollte, er würde ihr auch ganz gewiß treu bleiben und keine andre heiraten, was da auch kommen möchte. Da Siebenschön nun sah, wie lieb er sie hatte, so sagte sie endlich ja.

Von nun an trafen sie sich jeden Abend bei der Eiche und waren ganz glücklich, denn sie liebten sich wirklich so sehr, doch der König sollte es nicht wissen. Aber da war da eine alte garstige Dirne, die sagte es ihm endlich doch, daß sein Sohn immer mit Siebenschön jeden Abend spät zusammenkäme. Da ward der König ganz grimmig und schickte seine Leute hin, Siebenschöns Haus in Brand zu stecken, damit sie darin verbrenne. Siebenschön saß am Fenster und stickte; als sie aber merkte, daß das Haus brenne, sprang sie geschwind hinaus und gerade hinein in einen leeren Brunnen; ihre armen Eltern aber verbrannten beide mit dem Hause.

Es war ihr erst nun gewaltig gram und so traurig ums Herz, daß sie tagelang im Brunnen saß und weinte. Nachdem sie aber ausgeweint arbeitete sie sich allmählich hinauf und grub sich dann mit ihren feinen Händen etwas Geld aus dem Schutt ihres verbrannten Hauses. Dafür kaufte sie sich Mannskleider. Dann ging sie zum Könige an den Hof und bat, er möge sie doch als Bedienten annehmen, denn sie heiße Unglück. Dem Könige gefiel der hübsche junge Mensch und er nahm ihn zum Bedienten an; sie war nun immer treu und fleißig, und bald mochte der alte König Unglück von allen seinen Bedienten am liebsten leiden und ließ sich von keinem andern bedienen.

Der Königssohn aber, als er hörte, Siebenschöns Haus sei niedergebrannt, trauerte sehr, denn er meinte nicht anders, als daß Siebenschön auch mit verbrannt sei. Nachher aber wollte sein Vater, daß er sich eine Frau nehmen sollte; der alte König wollte seinem Sohn das Reich übergeben, aber dann mußte dieser auch eine Königin haben. Also freite der Prinz zu eines andern Königs Tochter und ward mit ihr verlobt. Als nun die Hochzeit sein sollte, ward das ganze Land dazu eingeladen, und als der König mit seinem Sohn hinreiste, die Braut zu holen, mußten alle Bedienten mit. Das war eine traurige Reise für Unglück und es lag ihm so hart auf dem Herzen wie ein Stein. Er hielt sich immer hinten im Zuge, damit die Leute nicht seine Traurigkeit sähen, als sie aber in die Nähe des Schlosses der Braut kamen, hub er an zu singen mit klarer Stimme:


Siebenschön bin ich genannt,

Unglück ist mir wohl bekannt.


Da sagte der Prinz zu seinem Vater, neben dem er vorne im Zuge ritt: »Wer singt doch da so schön?« »Wer sollte es wohl anders sein«, antwortete der Alte, »als Unglück, mein Bedienter?« Darauf sang er zum zweiten Male:


Siebenschön bin ich genannt,

Unglück ist mir wohl bekannt.


[409] Da fragte der Königssohn wieder: »Wer singt doch einmal da? Sollte es wirklich Unglück, dein Bedienter sein, lieber Vater?« »Ja gewiß«, sagte der alte König, »wer anders sollte wohl so schön singen, als Unglück, mein Bedienter?« Nun waren sie ganz nahe vor das Tor des Schlosses der Braut gekommen, da sang Unglück zum dritten Male:


Siebenschön bin ich genannt,

Unglück ist mir wohl bekannt.


Als der Prinz das nun wieder hörte, wandte er schnell sein Pferd und ritt hinten hin zu Unglück, und sah ihm einmal stark ins Gesicht; da erkannte er Siebenschön und nickte ihr ganz freundlich zu, dann aber ritt er wieder weg.

Als sie nun alle beisammen waren auf dem Schlosse der Braut und war eine große Gesellschaft da, so sagte der König, der Vater der Braut: »Wir wollen Rätsel spielen und der Bräutigam soll anfangen.« Da fing der Königssohn an: »Ich habe einen Schrank und vor einiger Zeit verlor ich den Schlüssel dazu; da ging ich gleich hin und kaufte mir einen neuen; als ich aber nach Hause kam, fand ich meinen alten wieder: nun frage ich dich, Herr König, welchen Schlüssel soll ich zuerst gebrauchen, den alten oder den neuen?« Der König antwortete sogleich: »Natürlich den alten!« Da hatte er sich selber das Urteil gesprochen und der Königssohn sagte: »So behalte du nur deine Tochter, hier ist mein alter Schlüssel.« Da griff er Siebenschön bei der Hand und führte sie mitten unter sie; der alte König aber, sein Vater rief: »Nein, das ist ja Unglück, mein Diener!« Doch der Königssohn antwortete: »Lieber Vater, es ist Siebenschön, meine Frau!« Da gingen allen die Augen auf und sie sahen nun erst, wie schön sie war.

Aus Puttgarden auf Fehmarn.

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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Viertes Buch. 596. Siebenschön. 596. Siebenschön. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4B0D-E