[114] Ulrich von Coßheim
Deutsche Idylle.
Am Hang eines düsteren Bergwaldes ritt Ulrich von Coßheim, Kaiser Heinrichs des Vierten Schildträger und Freund. Verirrt in sternenloser, tiefer Nacht, sucht er durchs Gesträuch die Anhöhe zu erreichen, ungewiß, ob das Rauschen im Tale des Rheins oder der Nahe wäre. Da schwimmen ihm nun des Morgens lang gehoffte, lang gewünschte süße Strahlen entgegen. Froh, Gott dankend, hält der edle Ritter auf seinem schnaubenden Roß, hebt die stählernen Hände gen Himmel, denn in seiner Faust trug er Kraft und Mut um seines lieben Kaisers Glück und Ehre: Sei mir gelobt, Gott, für dein Licht! Ha, du Flammenschiff Sonne, die nun über herbstliche Nebel wie über ein Feuermeer hinstreicht – schneller, schneller vor mir her und zeige mir die gerade Bahn, daß ich über sie komme, daß ich sie niederschmettre mit Schrecken, alle die Verruchten, die einen Edlen betrübten!
Tränen schmolzen nieder auf seinen Harnisch, da der edle Ritter dies sagte, denn er liebte Heinrich aus voller Seele. Noch niemals hat ein Freund an seinem Freunde so gehangen, nie ein Diener für seinen Herrn so viel gewagt, als Ulrich für seinen Kaiser. Die Schmach, die die Fürsten des Reichs ihren Oberherrn angetan, erfüllte lebendig seine Heldenbrust:
Du sollst gerächt werden, mein Heinrich, gerächt werden vor ganz Deutschland. Klinge, hüpfe du selbst aus der Scheide, wenn ich mich niederstürze wie ein Adler auf seinen Raub, Klinge, Klinge, auf die ein Edler Tränen geweint!
Schnell drückt er in des Rosses Seiten den Sporn – ihm war's, als wenn alles neu beseelt im Bunde der Rache mit ihm stünde, Himmel und Erde, Schrecken und Verderben den flüchtigen Fersen seines Kampfrosses folgen müßte.
Aber von Hunger und langer Arbeit ermüdet, stand das Roß. Unmutig sprang der Ritter ab, warf sich verzweifelnd an des Rosses Hals, schaute umher, Weide zu suchen. Da sah er auf dem Felsen einen Greis schlummernd liegen, oben auf der grünen Ebene weidende Stiere und Rosse.
Am Zaum nimmt nun der Ritter sein Roß und führt es hinauf.
Weidmann.
Gibt seine Flasche.
Dank, Dank, alter lieber Vater. Kann mich nicht so lang aufhalten, will nur einen Augenblick meinen Falk dort verschnaufen lassen, dann weiter. – Liegt dort unten nicht Bingen?
Weidmann.
Setzt euch doch, setzt euch doch einen Augenblick, junger Rittersmann, warum wollt ihr denn so eilen?
Das fröhliche Gebrüll dort unten am Ufer, wie Alles unter der Sonne erwacht, eine herrliche Glorie dort unten, wie die Nah in Schimmer sich herdrängt und in den Rhein fällt, wie der große, feuerreiche Strom dort den kleinern hineinschlingt und stolzer vorübereilt! – Ich seh ja den Mausturm nicht.
Nun fang ich an, wieder hierum mich zu kennen, schon lange war ich in dieser Gegend nicht mehr. – Aber sagt doch, Vater, jener sonnige Hügel, woran eure Ziegen klettern, oben auf steht ein Fels, den die Natur nicht hingesetzt ...
Nun, so setzt euch zu mir. Hab's schon manchem guten Ritter erzählen müssen.
Und Ritter Coßheim läßt sich auf freundliche Bitte des alten Mannes auf einen Moosfelsen nieder, seinen rund polierten Schild, auf dem grell die Sonne zurück blitzte, legt er vor sich nieder ins Gras, dazu sein Schwert und die scharfe Streit-Axt. Begierig horcht er dem Greise.
Weidmann.
Otto, heißt's, der Rheinbewohner, und Philipp, der Franzose, schwuren lange Tod und Verderben einan der. Drunten [116] an der Stromklippe, wo wir Schäfer die Heerde schwemmen, der Jäger die Lanze schärft, rannten sie wild auf einander: der Franzose sank, blieb mit dem Beine im Bügel hangen, mit dem Leibe verwickelt im Zaum. Also gefangen schrie er, flehte Otto'n um's Leben. Ihm schenkt' es der tapfre Rheingraf, aber gefesselt lag er im Turm zum Lösegeld, seine schöne Rüstung im Saal, ein Lächeln uns Deutschen.
Aber einmal, als wie gewöhnlich im Blumenmonat unter grünender Linde die Mädlein getanzt, führte Anima, Otto, des Rheingrafen einzige Tochter, den Reigen heraus. Sie saßen nun auf dem Altane der Burg in Freuden; da hörte das Fräulein weinen das ihr gleich tief in's Herz hinein drang. Traurig schleicht sie herbei, zu sehn, woher die Stimme komme, da hört sie nun kläglich einen schönen, jungen Ritter weinen, ungefähr also:
Ach wie lange soll ich noch im Gefängniß schmachten? Spatzen, die ihr hier am Turme spielet auf dem Dach, ach! an meinen öden Fenster eure Jungen ätzt! Enten, die ihr auf dem Weiher freudig scherzt und lacht! Hören kann ich euer Spiel, aber sehen nicht, – o wie glücklich seid ihr All', glücklicher als ich! Freiheit habt ihr, Glückliche, ach! Die fehlet mir! Seufz' ich doch im Turme tief, Niemand blickt herab. Was hilft mir der Schlösser Menge, was mein Ahnenglanz, was mir Jagd und Reiterspiel? Unter Gram und Schmerzen flieht meine Jugendzeit.
Gerührt geht das Fräulein vom Gitter weg. Ei das gute Mädchen, sie hatte mit geweint in des Fremdlings Kummer. Sie sah ihn, er gefiel ihrem Herzen und tief in der Seele blieb ihr sein Bildnis. Nachts, als alles schlief, stand sie hier am Altane, dachte an ihn, den gefangnen Ritter, und wie er so traurig durchschmachtete die Jugendzeit: ach, ihn zu retten aus mühseliger Gefangenschaft, war ihr süßester Wunsch und das Herzchen klopft ihr bange. – Einmal Nachts öffnet sie den finstern Turm. Eine Lampe in der Hand, grüßt sie den traurigen Gefangenen gar freundlich; ein Wörtchen von Freiheit und Hilfe entfällt ihrem Mündlein. Da kniet zu ihren Füßen der Franzmann hin, schwört und weint auf ihre Hände. Mit Küssen hält er das zarte Mädchen gefangen, daß sie verspricht, mit ihm zu entfliehen aus ihres Vaters Hause. Sie schließt ihn los, führt zitternd ihn in ihre jungfräuliche Kammer, dort verbirgt sie ihn drei Tage vor ihres Vaters grimmigem Suchen, sorgte, wachte immer über ihn, daß ihn Niemand im Schlummer entdecke. Ei, das gute Mädchen lief so oft an's Fenster, winkte den Mond hinunter: O du neidischer Mond! Was blickst du so hell herunter? Hinter die dunkelste Wolke lauf doch geschwind! Willst du mich Zitternde verraten, verraten, mein Schätzchen, das in meinen Armen ruht? Des Regenvogels Geschrei ist mir zuwider, aber doch wollt' ich, daß er heut sänge, daß es stürmte hinter den Gebirgen hervor und Wetter brausten und man nicht hörte die knarrende Pforte! Weit will ich mit meinem Schätzchen entfliehn! [117] Da, wo er geboren ward, wo er der frohen Jugend Tage durchlebt, im Frühling in Blüten gespielt hat, soll mein Vaterland sein. – So seufzt das gute Mädchen. In der vierten Nacht steigt ein Wetter auf, Regengüsse stürzen herab, verschwistert mit Donner und Blitz, schlagen, plätschern nieder von den Dächern der Burg, und im Turmloch heult und pfeift gräßlich der Wind. Da erwacht Fräulein Anima, mit Küssen weckt sie den lieben Schlummernden: Auf! auf, Liebchen! Du schläfst an meinem Busen noch lange; hörst du, wie angenehm es draußen stürmt? Laß uns fliehen, Liebchen, Sturm und Dunkelheit schützen uns jetzt. – Sie flohen. Vor ihm her geht das liebe Mädchen, leitet im Dunkeln des unsichern Schritt, der väterlichen Wohnung fern, Wälder und Haiden durchflohen sie, bis aus dem trüben Himmelmeer sich der Morgenstern hebt. Da steht der Franzmann stille: Kehr' heim, Fräulein, zur jungfräulichen Kammer, darfst weiter nicht mehr fliehn. Ach! mein Liebster! ach! Umsonst! die sich Anklammernde stößt er unwillig zurück, sie fällt, glitscht in die Woge hinab, und unbarmherzig eilt der Ritter davon. An Sträuchen hilft sich das arme Mädchen hervor, folgt weinend mit nassem Gewande ihrem unbarmherzigen Ritter nach, wie ein treues Hündchen, das durch die Flut seinem falschen Herrn nachschwimmt, der es verlassen will. Schluchzend steht sie am Schiff, in das der Ritter gestiegen, die Hände gefaltet, und sucht mit heißen Tränen sein Herz zu bewegen. Da zieht der Feige das Schwert: Kehr' um, Fräulein, heim, heim, oder vermähle dich mit meinem Schwert, herein darfst du nicht zu mir, ich liebe dich nicht. – Ritter, ach Ritter, was tust du? Sei nicht so grausam, verstoße mich Arme doch nicht, tat ich doch Alles um deiner Liebe willen, ach! ließ Freunde und Heimat willig. Wer schützt mich nun, ach wer, vor meinem zürnenden Vater? Laß mich, Liebster, an deiner Seite entfliehn! – Vor drängt sie sich in seine Arme, die Spitze des Schwertes steht ihr entgegen. Sie sinkt, Blut färbt ihr flachsenes Haar und sprengt wie frühe Mairöschen ihr blaß Gewand. Ferne über Flut und Land floh der Verräter. Fluch verfolgt ihn. Noch weint jedes Mädchen, wenn es zum Schäferkranz an diesem Hügel Thymian und Maßliebchen pflückt.
Coßheim.
Könntet mit euern süßen Reden mich an die Nacht hinfesseln, triebe mich nicht ein so heiliges Geschäft davon. – Ruhe sanft, armes Mädchen, in kühler Erde, sanft schlummre, daß keine Herzensangst dich mehr wecke. O der Verräter! Gott im Himmel, daß du solchem Schurken Liebe noch vergönnst. – Hilf mir doch mein Pferd fangen, alter Mann. Ist kein Quell da herum? Will's tränken und wieder fort.
Schadet nichts, ich schöpfe mit dem Helm.
Und der Ritter Coßheim nahm seinen Helm vom Haupte, schöpfte dreimal und hielt es seinem durstigen Pferde vor, daß er's tränkte. [118] Naß hingen seine Blicke immer über Animas Grabhügel, und nun schwang er kräftig sich in den Sattel, drückt dem alten Manne freundschaftlich die Hand: Fühlt' ich's nicht gewiß, Alter, daß ich euch in Kurzem wieder hier sähe, der Abschied von euch machte mich traurig. Gott mit euch, Vater, grüßt mir eure Kinder!
Kaiser Heinrich sollt' ich nicht kennen? O den kenn' ich wohl, mit seinem Vater war ich in Italien; er selbst ist der freundlichste, wackerste Herr, hab' ihn noch kürzlich zu Worms gesehn. Gott erhalt' ihn fröhlich.
Coßheim.
Gehört viel dazu, lieber Mann. Du weißt also nicht, wie übel's im Reich mit deinem lieben Kaiser steht?
Du hältst mich auf. Du weißt es doch, daß die sächsischen Fürsten und Bischöfe sich schon lange wider Heinrich empört?
Noch mehrere, schwülere wälzen sich nun auf, ballen sich zusammen, um Schlag auf Schlag über Heinrichs Haupt loszubrechen. Wie ein Fels im Sturm, den die Donner splittern, aber nicht bewegen können, steht er in sich selbst fest, und teilt die vorüber ziehenden Wetter auseinander. Sieh, seine getreusten, liebsten Freunde, seine Lieblinge, die er immer vorzüglich geehrt, Rudolf von Schwaben, der sein leiblicher Schwager ist, dem er sein Herzogtum verliehn, und Berchthold von Zäringen stehn nun gegen den Helden auf. So lang er als Mündling unter ihnen gespielt, sich alles gefallen ließ nach ihrem Willen, war er ein wackrer, trefflicher Herr und seine Majestät war die Amme, an deren wohltätigen Brust sich jeder getränkt und gelabt; aber nun, da der kaiserliche Jüngling heranwächst, im Harnisch kühner um sich schaut, in die Höhe richtet den gesunknen Zepter, sich gürtet mit Recht und Gerechtigkeit und ausüben will die von Gott ihm anvertraute Gewalt, stehen die übermütigen Zöglinge gegen die nämliche Majestät, die sie so groß gemacht, und schlagen wie undankbare Kinder auf ihrer Ernährerin Brust. Solch einen Bubenstreich macht der schwäbische Rudolf. Gedungen haben sie da mit einander einen verräterischen Hund, Regginger genannt, der aussagen mußte vor der Fürsten Versammlung, als hätte ihn und andre mehr Kaiser Heinrich gedungen, zu Würzburg etliche Fürsten hinterstelliger Weise zu ermorden; und sieh, unter dem Vorwand kündigen sie ihrem frommen, [119] wackern Kaiser Treu und Gehorsam auf. Die Krone ist der Apfel, nach dem die Schlange mit giftigen Augen sticht, herunter stoßen seinen Kaiser vom Stuhle möchte Rudolf der Schwabe gern und sich selbst darauf schwingen.
Weidmann.
Die Hölle wird ihn eher verschlingen, als er darauf sitzen soll! – Wo ist doch der Regger? Lebt der noch?
Coßheim.
Das hoff' ich! Bei Mainz, auf der Rhein-Insel, Morau genannt, kommen wir Stirn' an Stirne zusammen, Regginger der Verräter und ich, um Wahrheit und um Ehre zu kämpfen, ich für Gott und meines Kaisers Unschuld, er für die Hölle und ihren lügnerischen Anhang, unter deren schwarzer Fahne er geschworen. An den Tag will ich da bringen alle Bosheit und Verleumdung, wenn ich ihm das Schwert an's tückische Herz setze und jubelnd zu allen Teufeln jage seine vermaledeite Seele. Wenn ich an die Tränen gedenke, die Held Heinrich bei dieser Beschuldigung geweint! Mit der Klinge wollte mein heldenmütiger Kaiser im Zweikampfe selbst über den ruchlosen Schwaben her, aber wir knieten um seinen Thron, neun Waffenträger, alle zum Streiten und Siegen bereit, so lange, bis er dem Entschluß entsagte, und vor Allem gab Gott die Gnade mir, daß ich ausersehn ward, dies edle Werk auszustreiten. Das ist nun mein Ritt. Bin ich nicht beneidenswert?
Weidmann weinend.
Bei Gott, ihr seid ein wackrer Ritter, Gott ist auf eurer Seite, ihr werdet gewiß siegen. Hält ihm die Hand.
Vergeßt mich nicht, wie ich eurer nicht vergesse. Immer soll mein Gebet euch begleiten.
Und der Ritter Coßheim ritt an Animas Hügel hinunter, vierzehn Tage und noch vierzehn Tage hielt er auf der Insel Morau bei Mainz und wartete seines Gegners, aber umsonst, denn Regginger kam nicht. Das böse Gewissen peinigte diesen und die Reue und Angst einer solchen unredlichen Tat an seinem getreuen Oberherrn marterte ihn so stark, daß er in Unsinnigkeit verfiel und sich selbst an einem Baum erwürgte. Unmutig zog Ulrich von Coßheim zurück. Tief stand schon die Sonne im Abend, als er vor Weidmanns Wohnung hielt. Eine schöne Hütte hatte dieser sich über eine kühle Felshöhle gebaut, die rundum mit Weinreben und grünen Gesträuchen bedeckt war und ein lebendiges Dach zur Kühlung ließ. Mit seinen Kindern saß der fromme Greis darunter, verrichtete[120] sein Abendgebet, als er das Schnauben von seines lieben Gastes Pferd erkannte. Fröhlich sprang er hervor: Gott sei Dank! Wieder da, Herr Ritter? Frisch, ihr Jungen, zieht das Pferd hinein und nehmt die Waffen und hängt sie in die Laube. Geht, bereitet schnell den Tisch und bringt was zu essen und trinken her, der Herr Ritter wird hungrig und durstig sein.
Das taten die Knaben. Sie bereiteten in der kühlen Laube einen Tisch, besetzten ihn mit Brot, Obst und Käse und einem herrlichen Trunk Most. Der Held saß nieder, aß und trank.
Weidmann.
Nun, lieber Herr Ritter, wie ist's euch seither ergangen? Ihr seid lang ausgeblieben. Der Regginger ist doch tot.
Darum zögertet ihr so lange! Laßt euch das nicht betrüben, Herr Ritter, eßt und seid munter, die Schelmen mögen sich grießgramen und grämen. Grau wird der doch nicht werden, und was macht's? Eine Handvoll Schelmenblut mehr oder weniger in der Welt oder nicht! Von was Freundlicherem. Hab' ich nicht drei hübsche Jungen da, von sechzehn bis vierundzwanzig? Habe ihnen halt seit der Zeit neue Kittel machen lassen, hab' sie für den Kaiser groß gezogen, sollen nun mit euch reiten, wenn's Not ist und ihm dienen.
Mein, wo ist denn's Mädel? Ruf doch einer eure Schwester hervor, der Ritter mag vielleicht gern singen hören, weil er zum Plaudern zu müd' ist. Ich weiß nicht, ob ihr auch so ein Liebhaber von Liedern seid, Herr Ritter, als von Märchen.
Coßheim.
Ihr tut mir einen Gefallen. – Ist das nicht eure Tochter?
Und Agnes, Weidmanns Tochter, tritt herein, wie eine Braut, der der schönste Freier lange mit Liebe nachgestellt und die nun in die Laube gefordert wird, wo der willkommne Gast sich mit der Mutter bespricht. Sanft errötend, die fleißige Spindel in der Hand, geht sie zur fragenden Mutter hin, die Augen immer aus ihre Arbeit geheftet, strauchelt sie fast, indem sie naht, und sie fürchtet nun frei aufzublicken und dem in die Augen zu sehn, den sie doch, verborgen hinter Blättern, mit süßen Blicken verschlang. Ein einzig Wort von seinen Lippen jagt ihr Zittern durch alle Glieder und die Spindel fällt aus den unsichern Händen hin: so trat Agnes bei des Ritters freundlichem Gruße unter den Ranken her, bescheiden sitzt sie auf ihres Vaters Wink auf einen Schemel dem Ritter gegenüber nieder; immer die Augen niedergeschlagen, saß sie, nur dann und wann gleiteten ihre Blicke und blieben an des Ritters edler Gestalt hängen.
Weidmann.
Siehst du, liebe Tochter, dies ist der Herr Ritter [121] Ulrich von Coßheim, er ist keiner von denen, die Landmanns Kost verschmähen und eines schlichten Mannes Herz verachten, ob er gleich unserm lieben Kaiser immer am nächsten steht. Hoffe doch, daß ihr diese Nacht bei uns bleibt, Herr Ritter.
Die Sonne ist nun drunten. Nun Agnes und du Peter, singt ihr indessen, bis es Zeit Schlafengehens ist, dem Herren Ritter Ulrich noch ein paar Lieder. Ich denk', das von Genoveva der Keuschen im Turm genannt. Peter du mußt Golo sein, Agnes singt die Genoveva, ich will euch sagen, was dazwischen hin gehört. Ihr werdet da sehn, Herr Ritter, wie der listige Golo allerhand aussinnt, als Schmeichelei der Schönheit, Versprechen von Gaben und grausames Drohen, die keusche Pfalzgräfin zu erweichen, bis er endlich ... ihr werdet's am besten selbst hören. Gebt acht, ihr Kinder, ich fange nun an:
Das Innere eines dunkeln Turmes; Genoveva sitzt in Ketten mit ihrem Kinde auf dem Stroh, Golo schließt die Tür auf.
Golo stampft mit dem Fuß, Knechte treten herein, bringen blutige Waffen, legen sie auf den Boden vor Genoveva nieder, gehen ab.
Genoveva sieht wild umher, fällt mit dem Antlitz in ihre Arme, die Linke hält Golo und steckt ihr einen Ring an den Finger; küßt ihr die Hand.
Golo hebt fürchterlich das Kind in die Höhe, es schreit überlaut, heulend stürzt ihm die Mutter in die Arme.
Sie fällt über ihr Kind auf das Stroh, Golo schlägt sich auf die Brust, geht verzweifelnd von dannen. –
Coßheim.
Ei mein liebes Agneschen, ihr habt gesungen wie ein Engel des Himmels, aber eine solche Genoveva würdet ihr nie sein können, das sanfte Herz würde erkalten, ehe der Räuber sich nahete, dies Auge, wenn es nicht in milde Tränen das Herz schmelzen ließ, würde schwerlich dem Anfall Trotz bieten und den verwegnen Frevler wegzürnen. Aber ihr solltet fast glauben müssen, mein Mädchen, es gäbe nur schlimme Ritter, die die Treue verfolgen. Ach Anima! Er sitzt zu Agnes nieder, nimmt ihre Hand. Nein, Agnes, der treuen, zärtlichen Jünglinge gibt's wohl noch, die Redlichkeit und Ehre fühlen, und glücklich wären, ein treues Herz zu finden. Hört einmal dies Liedchen von einem beklommenen, Liebe suchenden Ritter:
So sang der Ritter Coßheim. Unbeweglich schaut' ihn das Mädchen immer an und vergaß sich in seinen redlichen, schwarzen Augen. Der volle, wahre Ausdruck, das Schmachten und Sehnen, geliebt zu sein, zu lieben, eine auszufinden, die an ihm hinge mit voller Seele, mit ihm teilte Herz und Leben, Freuden und Kummer, öffneten ihre Brust, und ein banges, zitterndes Verlangen durchdrang sie, diejenige aus Allen zu sein, die an ihrem Busen, an ihrem Herzen dem Ritter all die Fülle geben könnte, die ihn schadlos hielte all des langen Herumirrens und Suchens. Wie Feuer lief es durch ihre Adern. Plötzlich stand sie auf und entfernte sich, auch ihre Brüder entfernten sich und ließen den werten Gast bei ihrem Vater allein.
Kommt, Ritter, sprach der Alte, noch eins auf unsers lieben Kaisers Gesundheit, dann begleite ich euch zu Bette; ist's doch ein trefflicher Herr, was man auch tausendmal wider ihn schreit. Ha! sah ich ihn doch auf seinem Hochzeitsfeste, da überrannt' er wie ein junger Stier in seiner Kraft Alles, was ihm im Zweikampf gegenüberstand.
Nein, das müßt ihr euch nicht kränken lassen, mein guter Herr Ritter, daß der Schurke Regginger nicht kam. Kommt, ruhet ihr, und morgen weck' ich euch. – Mit so vertraulichen Gesprächen führte der Alte den Ritter in seine Schlafzelle.
Aber der Ritter konnte nicht schlafen. Freundlich war die Nacht, am Fenster steht er, betrachtend der Mondwolken Lauf, wie das Alles hervorglomm und zum Licht sich vordrängte und wuchs, dann die dämmernde Gegend, die unter dem milden Strahle geruht. Der Anblick zog ihn hinaus. Fräulein Animas traurige Geschichte fällt ihm von Neuem wieder ein, sachte geht er zu ihrem Grabhügel hin, das sanfte Mädchen stand lebhaft vor seiner Stirne, das so unglücklich war, da der einzige, auf den sie hoffte und baute, der ihrem klopfenden Herzen Ruh und Himmel einlieben konnte, sie verließ, zurückstieß am jähen, klippenvollen Ufer, im Sturm, in unbekannter Welt allein. Er kehrt sein Antlitz zum Mond: So liefst du, so hell, wenn sie am Erker stand und winkte den zu Hellen hinab, und sie konnte nicht ruhen, nicht zurückhalten die Liebe im Wachen, im Schlafen, immer zärtliche Besorgnis um den, der sie verriet! Und daß sie ihm noch nachfolgte, wie ein unschuldig geschlagen Hündlein seinem Herren gern noch nachläuft, wenn's nur [134] wieder von Neuem ein wenig Liebe hoffen darf! Schlummre sanft, zu sterben wünscht' ich mit solch einer liebevollen Seele, auf ihr Grab wollt' ich meine Wohnung bau'n, hätt' ich sie nur eine Minute im Leben gekannt. Ha, diese Liebe für mich, o wie treu, wie treu wollt' ich ihr sein.
In stillen Betrachtungen steht der Ritter, ein Schatten bewegt sich zu seinen Füßen, ein Mädchen sitzt neben ihm an Animas Grabhügel.
Sie war es, die zärtliche, sanfte Agnes, die ihren einsamen Kummer im Mondschein hier einwiegte. Ach, Sterne gingen nicht auf, gingen nicht unter, sie saß an diesem Hügel, ihr Herz auszulassen, die Fülle ihres Busens in süßen schwermütigen Klagen. Den Ritter erkennt sie nun und will entfliehen, aber umschlungen hält er sie an seinem Herzen: Bleib, Agnes, bleib, der Verstorbnen Geist, Animas Seele schwebt über dir. In dir, in dir lebt sie wieder auf: ich habe sie gefunden, die ich lange gesucht! – Lang hielt sie der Ritter noch, bis sie sanft ihr Haupt auf seine Schulter neigt. Ach, schluchzt sie, laßt mich, wir können uns doch nicht werden, und wenn ich unglücklich bin, werdet ihr bald mein vergessen und euch wieder freuen. – O dies sanfte Klopfen, das von deinem Herzen melodisch an meine Brust schlägt, o möcht' ich niemals leben, dich zu beängstigen. Bei den Sternen, die über uns brennen, nichts soll mich mehr von dir trennen!
Aber sie entflieht weinend, er folgt ihr ohne zu sprechen in die Hütte, sie wünscht ihm gute Nacht und sieht ihn an, dann geht sie in ihre Kammer und legt den Riegel vor. Lange stand er sinnend, bis der Morgen schon dämmerte; dann ging er vor das Bett des Alten, der noch im Schlafe lag. Der Ritter weckt ihn freundlich und spricht zu ihm: Seid' mir gegrüßt, und möcht' ich euch doch Vater nennen, ich liebe Agnes, gönnt sie mir zur Gattin.
Weidmann.
Keinem so gern als euch, doch wißt ihr selbst, ich bin jetzt ein armer Mann, und rühm' mich adlicher Geburt nicht.
Dank, Herr Ritter, ich will das Mädchen wecken, und fragen; wenn sie will, in Gottes Namen.
Er ging in des Mädchens Kammer. Erwacht war sie, denn sie hatte des Ritters Worte versteckt hinter der Türe angehört, schamhaft mit roten Wangen tritt sie hervor, vor Liebe traute sie sich nicht, dem Ritter in's Gesicht zu sehn. Er nahm sie in seine Arme und küßte sie vor ihrem Vater.
Drei Tage hielten sie Hochzeit und die Schäfer der dortigen Gegend waren versammelt und der Ritter tanzte mit seiner Braut unter ihnen. Am vierten Morgen gab sie ihrem Vater den Abschiedskuß.
Bin alt, kraftlos nun – O, das letzte Mal zu [135] Trier, als – wie schon erzählt – euer Kaiser Heinrich Hochzeit hielt, ich seh' ihn noch in blauer Rüstung – das war eine Zeit!
Coßheim.
Ha, jetzt erkenne ich euch! Ihr wart's – ihr wart der Ritter Bruno – auf Welf, den Herzog, traft ihr! Ich war als Ritterknabe dabei, ihr hobt den Herzog aus dem Sattel, daß er zehn Schritte hinter seinem Pferde niederfiel ... Ihr wart's, Eberhart von Steinbachs bester Gesell!
Ob ich ihn kenne! Er war der Ritter Krone. Seinesgleichen trägt die Welt nicht mehr. Auf den Turnierplätzen in allen Schilden steht sein Name golden. Nach ihm werden Verdienste bemessen.
Seinen Körper fand man an Klippen. Wölfe sollen den Edlen überfallen und zerrissen haben. (Weidmann weint). Vater, faßt euch! Jetzt, jetzt müßt ihr mit uns an den Hof, an Heinrichs Hof! Euer Anblick, euer Name wird Helden erwecken.
Weidmann.
Dringt nicht in mich weiter. Ein letzter Abendstrahl, diese Erinnerung, ja glänzend aber ohne Macht, mich zurückzuführen .... O, ihr Jugendzeiten kommt nimmer mehr – die Heldenzeit war – und wird nicht wiederkommen. Nimm' meine Söhne mit, meine Tochter, führe sie an Heinrichs Hof, aber mich laß hier. Wenn ich sie auch suchte, fände ich die nicht mehr, die ich gekannt, und in meinen alten Tagen würd' ich zum Kind. O, dort wär' ich verbannt. Hier, wo meine Jutta liegt, die ich selbst begrubt, ist meine Heimat. Vierzig Jahre hatt' ich zurückgelegt, eh' ich meine Jutta ehelichte, und doch war sie das erste Mädchen, auf deren Wange ich einen Kuß gedrückt – herzhaft im Krieg, als immer furchtsam bei Schönen. Ihr Grab, jene Büsche, die ich aufwachsen sah – alles das hängt an mir. Bei euch, ihr unverstellten Kinder der Natur, unter eurem Schatten, ihr Eichen, laßt mich zu meinen Helden entschlummern. Im Herbst, wenn alles mit mir stirbt und ihr mit euren Blättern mich bedeckt, sollen diese Augen sich schließen, daß die Natur um ihre Edlen trauert. Geh', nimm meine Tochter – ich hab' euch zum letzten Mal gesehen ....
Segen und Wohlergehn und langes Leben wünschten nun von allen Hügeln die Hirten ihnen nach. Coßheim schwang die Geliebte zu sich auf sein Roß, ihre drei Brüder saßen auf und begleiteten ihn an den Hof – und dem edlen Heinrich waren sie alle herzlich willkommen.