Rhins Klage.


Neuntes Lied

Nun da ich dich verloren,
Luitberta, Luitberta!
Erkenne ich erst die Treu', die Huld,
Die mir dein süßer Mund so oft beschworen.
[62]
Mit jedem meiner Seufzer wächst auch meine Schuld!
Ich sehne mich nach dir voll Ungedult.
Keine Ausflucht steht mir weiter offen,
Geltar, Geltar!
Nur von deiner Lanze Spitze mag ich Frieden hoffen.
Vor meines Bogens Gewalt musste sinken
Der Kronmarschall;
Das Blut seiner Knechte all'
Ließ seine eigne Lanz' ich trinken.
Mit solcher stieß ich noch darnieder
Den Kanzelar, sammt seiner Söhne drey;
Von ihrer Mutter Klaggeschrey
Hallt – hört ihrs wohl? – der Berge Gipfel wieder.
Doch bin ich müde, harmvoll, nicht des Kummers frey.
Keine Ausflucht steht mir weiter offen,
Geltar, Geltar!
Nur von Deines Schwertes Schärfe kann ich Ruhe hoffen.
Vergeblich such' ich dich im Lindenschatten,
Luitberta, Luitberta!
Auf der Aue, auf den Blumenmatten; –
Nie will begegnen mir,
So weit nach der Ferne hin meine Blicke eilen,
Dein holdes Bild, wie in reinster Zier
Im Jungfrau'n Kreise du pflegtest oft zu verweilen;
Ach wie sehnet sich mein müder Busen nach dir.
Keine Aussicht stehet mir weiter offen,
Geltar, Geltar!
Nur von deiner Lanze Spitze mag ich Frieden hoffen.
Wer seyd ihr, die ihr dort über die Auen
[63]
Herschreitet geschmückt im Lilienkleid?
»Wir sind die trauernden Jungfrauen,
Wir klagen um die holdeste Gespielin unser Leid,
Zum Tempel wir tragen,
Luitberta, Luitberta!
Die der unseelige Gatte erschlagen.« –
Warum eilet ihr so in der Stille,
Ohne Trauergesang noch Glockenschall mit ihr fort? –
»Wir eilen mit der theuersten Hülle,
Damit wir sie geleiten sicher zum Ruheport.
In Raserey ist gefallen
Geltar über der Tochter Verlust,
Den Leichnam hielt er in seinen Hallen
Fünf Tage an seiner gemarterten Brust.
Zweymal schon waren wir beflissen,
Zur Erde ihn zu bestatten in tiefer Nacht,
Zweymal hat er ihn uns wieder entrissen
Und zurück ihn aufs Trauerbette gebracht;
Jezt schlummert er. – Eilen wir müssen,
Zu vollenden das fromme Werk, bevor er erwacht.« –
Stellet nieder die Bahre, o ihr Jungfrauen!
Decket auf den Leichnam, rücket her ihn an die Luft,
Daß ich noch einmal dessen Schönheit mag schauen,
Bevor auf immer ihn verschließet die Gruft. –
O Schmerz! da liegst du – darf dem Anblick ich trauen?
Geschlossen ach nun der Augen holdes Paar,
Abgeblühet, so kläglich! – der Wangen frische Rosen!
Schmucklos der Glanz vom sonnigen Haar!
Verstummt der Lippen holdseliges Kosen,
Verloren mein Lieb'! – der Schöpfung Zierde dahin!
Die Sonne wird ihresgleichen nicht mehr bescheinen,
[64]
Unglücklicher – ach unglücklichster Rhin,
Dir bleibt nichts übrig, als ihren Verlust zu beweinen. –
»Siehest du die Wunde noch offen?
Von dieser Seite schaue! hier,
Wo der Unglückspfeil ihr Herz getroffen.« –
Ich sehe sie, ihr Jungfrauen, sie tödtet mein Hoffen,
Verzweiflungsvoll zieht sie die Seele aus mir.
Luitberta, Luitberta!
Rhin hatte mit dem Pfeil nicht gezielet nach dir!
Fahre wohl denn, weil geschieden es doch seyn muß,
Nimm auf diese Lippen den lezten Kuß;
Auf diese Augenlieder, diese zarte Wangen.
Ruhe sanft, o du der Frauen Schmuck und Zier!
Ruhe sanft, du einst meines Lebens Prangen!
Daß ich ruhen dürfte zur Seite dir,
Wäre ach! mein innigstes Verlangen.
Jedoch ein Trost noch blitzet
Durch meines Schmerzes Nacht:
Kein Andrer nach Rhin besitzet
Deiner Schönheit siegende Pracht.
Doch keine Ausflucht steht für mich mehr offen,
Geltar, Geltar!
Nur von deines Schwertes Schärfe soll ich Ruhe hoffen.
Meinen Gang wird bald kein Auge mehr bespähen,
Schreit' ich gleich jezt noch ohne Scheu
Unter Feinden einher – wie Stoppeln und leichte Spreu
Werden meine Spuren nächtliche Stürme verwehen.
Meine Wunde trage ich mit Jammer,
[65]
Mein Urtheil verschlossen tief in des Herzens Kammer:
Da ist gegen mich der Ausspruch gethan.
Was lieb mir weiter war noch im Leben,
Falke, Roß und Hund, trauern nun auf fremder Bahn:
Daß ohne sie enden soll ihres Herren Streben.
Keine Ausflucht stehet mir weiter offen,
Geltar, Geltar!
Nur von deiner Lanze Spitze mag ich Frieden hoffen.
Ich stoße ins Silberhorn, das du verloren im Streit,
König Geltar!
Zieh heran mit deinen Wehren, zum Kampfe bin ich bereit;
Deiner Tochter Blut hab' ich vergossen, –
Vernimmst du's? deiner einzigen Tochter Blut –
Sie liebte den Mörder noch, der sie erschossen;
Räche sie, wenn übrig geblieben dir tapfrer Muth.
Ziehe heran, umringt von tausend Vasallen,
Allein stehe ich, trotzend deiner Macht,
Wo der Strom über den Fels braust, im Dunkel der Nacht,
Fern von Tages Glanz mag Rhin deiner Rache fallen.
Keine Ausflucht stehet mir weiter offen,
Geltar, Geltar!
Nur von deines Schwertes Schärfe kann ich Frieden hoffen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Nachlese. 24. Zehn Lieder von der Liebe Rhins. Neuntes Lied. Neuntes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-51E8-B