[184] Kain

(Schlußfolge der Idyllen: Adams erstes Erwachen und erste selige Nächte.)

Das Herz des Paradieses, eine schöne Insel. Adams erster Genuß der Erdfrüchte. Adam und Kain

Adam:


Ich durchging die blühenden Fluren aufmerksamer, stand bald am angenehmen, rauschenden, über Goldsand hinrollenden Pison stille. Schön war sein Lauf, harmonisch sein Klang, am grün beschilften Ufer herunter. Jetzt ging ich weiter hinaufwärts, wo sich der Strom stillte, wo hohe Erlen, Gebüsche, Weiden, Pappeln, Nüsse und allerlei wohlriechende Sträuche sich dicht überwölbten, ihren Schatten hinunter in den Spiegel warfen. Gar ein angenehmer, lieblicher Platz zum Ruhen war hier, die Seele lachte beim frohen Anblick. In der Mitte des Flusses erblickte man die so anmutige, schöne Insel, das Herz des Paradieses genannt. Gar herrlich lag sie da. Der Goldstrom wand sich um sie herum wie eine schöne Schlange und umfing sie von beiden Seiten. Zwei Zugänge, von Gott bereitet, führten durch die Flut auf diese schöne Insel hinüber; sie waren von gediegenem Golde, das Wasser floß leicht darüber weg, benetzte kaum die Sohlen im Gehen. Sie spielten in die Ferne durch die Wellen herauf wie zwei klare Bogen und schossen lebendige Strahlen von sich.

Auf dieser so anmutigen Insel grünten nun allerlei der herrlichsten Bäume. Alles, was die Sinne ergötzen, den Menschen im Leben erquicken konnte, stand in herrlichster Fülle. Früchte tausenderlei, gelb, blau, rot, grün, in mannichfaltigen gemischten Farben und in mancherlei reizenden Formen. Hier reifte die kernhafte Granate, die würzreiche Ananas, die süße Pomeranze, die liebliche Zitrone, der wollige Pfirsich. Apfel und Birne und Kirschen und Aprikosen glühten untereinander, die Äste überladen, daß jeder sich tief zur Erde bog. Feigen, Zwetschgen, Mandeln, Datteln, Kastanien, Nüsse, Melonen und tausenderlei Stauden und Erdfrüchte standen [185] in schönster Ordnung und erhoben einander also durch ihre Nachbarschaft. Fast an allen Baumstämmen krochen Rosintrauben hinan und überschütteten so die schon beladenen Äste mit doppeltem Segen. O des Reichtums! Erquickender Duft zog weit und breit umher, berauschte Geruch und Sinne und ließ einen nicht von der Stelle los.

Hinter den fruchttragenden Bäumen nun war rund ein kühler Gang von Palmen angelegt, unter denen immer die wohlriechendsten Blumen jeder Jahreszeit aufschossen; er schloß einen runden, grünen Platz ein, in dessen Mitte der Baum des Lebens und des Todes sich erhob.

Entzückt stand ich jetzt eine Weile, also betrachtend diese wunderschöne Pracht. Innere Sehnsucht, Verlangen nach dem Genusse dieser himmlischen Früchte zog meine Augen und mein Herz hinüber, ja bemächtigte sich aller meiner Sinne so ganz, daß ich nicht anders konnte: ich sprang durch die Flut hinunter in die Wellen, versank in den Wellen. Ich schwamm herauf, ward erquickt. Noch naß tropfend, über meine eigene Kraft jauchzend, stieg ich nun am andern Ufer hinauf, ging unter die Bäume, beschaute die schöne Frucht, lachte, pflückte begierig eine ab, hielt sie in der Hand, o Freude! besah sie, brachte sie zum Mund, roch, aß, aß begieriger, riß noch eine herunter, noch eine, und noch eine. O unaussprechliche Wonne, die neu wieder über mich hereinstürzte! Heilige Gottheit! Liebe, die alles dem Menschen in Liebe gegeben, in jedem Sinne Wollust, so süßes, heiliges, reines Entzücken bereitet! O meine Kinder, fühlet diese Wohltat mit mir, ihr, die ihr so innig euch freuet auf das reifende Jahr, euch schon freuet, wann die Rede kaum Knospen gewonnen, kaum die Bäume in Blüte aufgehen. Ihr singet der Freude, dem künftig werdenden Genusse entgegen. – Dank mit mir, ewigen Dank dem Geber! Dank mit euch, ihr Geliebten! Dank, in euerm unschuldigen Dank, dem Geber! Wer wollt' ihm nicht danken, sich nicht ganz überlassen der Freude beim Anblick seiner väterlichen Sorge, beim Genusse seiner Wohltat! Wer ist so ein rauhes, unbarmherziges Herz, das nicht in Liebe entflammen zu ihm, nicht einstimmen wollte mit mir in seine Liebe? Nicht der Sonne mildes Lächeln verdient er, nicht den Anblick des seligen Segens, den Gott über uns ausgießt. – Ha! Wo ist Kain? Wo ist Kain, mein Erstgeborener? Wende Gott den Fluch ab, der mir jetzt über die Lippen fuhr! Wo ist er denn, Mutter? Wenn Adam von Gott spricht, bleibt er niemals, zu hören. O Eva, schlinge deine teuern Arme nicht fester um meinen Hals! Ja, Mutter, ich sah schon lange das Herzeleid voraus, das in ihm über uns kommen würde, wenn er fruchttragende Stämme zerriß, aß und trank ohne zu danken, ohne sich einmal darüber zu erfreuen, was selbst die Tiere unter dem Himmel nicht tun. O trotz deinen mütterlichen Auslegungen ward bald alles wahr. Sieh, der Unmut des Bären, der Grimm des Tigers sitzt tief in seinem Herzen, er flieht menschliche Gesellschaft, ist undankbar und ehret Vater und Mutter nicht mehr!''

[186] Holdselig errötend, aber tiefen Gram im Herzen, nimmt Eva freundlich das Wort: »Adam, mein Vater, beruhige dich, laß in dieser süßen Erzählung keinen traurigen Gedanken dich stören. Muß denn alles dich auf deinen armen Sohn reizen? Kain ist seit kurzem viel anders geworden, er ist milder, fühlt oft tief den Jammer, den er uns beiden verursacht. Er glaubt sich immer gehaßt von dir. Gestern erst hielt ich ihn am Brunnen drunten; da gestand er mir's. Dicke Tropfen fielen dabei aus seinen Augen. So glaubte er auch, Melboe liebe ihn nicht zärtlich, und ist unausstehlich in diesen Gedanken. O Liebster, sein Unmut soll bald nachlassen, wenn ihn jetzt die sanfte Melboe in ihren Schoß aufnimmt. Das ist mein einziger Trost, Gott, der über uns ist, weiß es; das ist mein einziger Trost in seinem und meinem bittern Leiden«. Also tränend Eva. Sie lehnt ihr Haupt nun an Adams Schulter, und da sie wahrnimmt, daß nachdenkend der Vater der Menschen, sucht sie ganz seinen Zorn zu mildern, durch süßes Schmeicheln sein Herz zu rühren, und spricht wehmütig weiter:

»Oft seh' ich ihn an, wie er so ganz deine Züge hat, Adam, gottgeliebter Mann, so ganz deine Gestalt, deinen Ton der Stimme, deinen Gang, und er wird mir immer lieber darum. Auch wenn er trübsinnig aus meinen Armen flieht, kann ich ihn darum nicht hassen, er ist ja unglücklich genug. Ach, dort geht er am Hügel, sieh Vater, dort an den Weiden; ein trauriger Gedanke peinigt ihn wieder. So sahst du aus, trauriger Mann, als wir Eden verließen, du am Abend vor Eva hergingst, einen Ort auszuspähen, einen Baum, unter dem das kummervolle, ermattete Weib ausrasten könnte. So zitternd, doch edler Mannheit voll, standest du vor dem Engel des Fluchs, als Kain vor dir steht, wenn du ihn ausschiltst. Glaub' Vater, er ehrt dich, horcht auf dich allein, er liebt dich mehr als uns alle. Hab' Mitleid mit ihm, wie Gott mit uns. Er ist doch mein Erstgeborener, der erste, auf dem schwerer Sündenfluch ruht«.

Adam ermannt sich und faßt schnell Eva, küßt sie und drückt ihr die Hand: »Was sprichst du, teure Mutter? Wolle Gott nicht, daß ich so je meinen Erstgeborenen hasse. Keins von all meinen Kindern liebt' ich mehr als ihn, glaub' es; aber Ungerechtigkeit, Ungerechtigkeit duld' ich nicht an Kain. Er ist oft ungerecht. Ist das Liebe des Bruders, Liebe des Bräutigams, die er hier meiner Melboe erweist? Verhüte Gott, daß ich's noch einmal sehe! Gestern! Er höhnte das zarte Mädchen vor meinen Augen, gab ihr falsche Blicke, wenn sie liebvoll ihm entgegenging.« – Teure Mutter, trockne deine Tränen; ich weiß, daß er dein Liebling ist, auch meiner sollt' er sein. Adam würde Kain unaussprechlich lieben, wenn ihm seines Vaters Liebe teurer wäre. Sieh', nun hab' ich wieder dein liebend Herz schmählich verwundet; du wirst traurig bleiben, diese Nacht wieder in Tränen hinfeufzen. Edles, teures, segenreiches Weib, ich liebe wahrhaftig deinen Sohn, Gott, der [187] über mir ist, weiß es. Müßt' ich ganz aufhören, ihn zu lieben, ich wollte ja eher des Sonnenlichts, eher der Freude des Lebens entsagen. Bring ihn zu mir, morgen, bring ihn diese Nacht noch, ich will ihm alles vergeben. Wir wollen uns miteinander aussöhnen, als Vater, als Sohn. O laß doch alle betrübenden Gedanken aus deinem Herzen fahren! – – Aber sehet, meine Lieben, bereits ist der Abend über meinem Erzählen hinuntergesunken, jene purpurnen Streifen, die dort am Westen sich sammeln, winken schon der braunen Nacht herauf, sie fleucht mit siebenfachen Flügeln zwischen Erd' und Himmel, jeder Flügel entschwingt Tau der trockenen Welt herunter. – Kommt, laßt uns jetzt zur Laube zurückkehren, im kühlen essen, ehe die schwache Dämmerung gar über uns verlischt und schwerere Dunkelung uns umhüllt und unsere Freude des fröhlichen Anblicks beim Mahle uns raubt. Früher wird heute der Mond herauftreten. Wir wollen dann nach dem Essen unter jenen begeisternden Linden uns wieder niederlassen; dann will ich meine angefangene Erzählung euch weiter vollenden«.

Adams Hütte. Mahlzeit. Kains Rauhigkeit. Adams und Evas Kummer

Jetzt standen sie auf und gingen miteinander. Einfältig war Adams Sommerhütte gebaut, schön und lieblich gelegen. Vier Lindenbäume, einander gleich an geradem Wuchse, standen in der Ebene, nahe an einem Felsen: die sah sich der Vater der Menschen zur Sommerwohnung aus. Jetzt fällte er am Hügel schlank aufgeschossene Tannen, behieb sie gleich und zog sie durch die untersten Gabeln des Lindenstammes gegeneinander über. Er befestigte sie dann mit starken Weiden, ließ hernach von allen Ecken schwanke Stämme hinaufwärts gehen. Oben liefen aber alle in eine Spitze zusammen; die durchflocht er nun mit jungem Gereisig, Binsen und Rohr, und belegte sie mit Eichenrinden und Baummoos zum leichten, bequemen Dache. Die untere Seite durchstach er mit starken Pfählen, durchzäunte sie sorgfältig und verstopfte sie gegen Wind und Regen fest mit Moos; belegte sie unten mit Wasen, leitete einen Graben rund um die Hütte und schaufelte die Erde abwärts, daß der ungestüme Regen dahinein abliefe. Nur von der Morgenseite, wo der Eingang der Wohnung war, blieb der Graben geteilt. So standen die Linden halb in der Wohnung, halb außen. Wenn also der Frühling kam, grünten sie gar lieblich, und die Zweige und Blätter schossen herüber und umwölbten das ganze Dach; aber die Vögel sangen herunter und brüteten hie und da in den Wipfeln. Schattig war's hier am heißen Tage und kühlende Winde wehten hier leise hin und her. Gar sicher stand die Hütte. Kam der Sturm von Mitternacht, so konnt' er sie nicht greifen, denn der Fels beschützte sie von hinten; schlug der Regen vom Abend her, so zogen sie an einer Weide die Öffnung zu, von welcher Licht in die Hütte herein fiel, und auch die andere, wo der Rauch des Herdes [188] seinen Ausgang nahm. Hinter der Wohnung aber lag ein schöner, von Adam angepflanzter Garten, und jenseits am Fels sprang ein herrlicher Brunnen, der Winters und Sommers nicht versiegte. Er rollte als ein geschwätziger Bach dahin und floß unten durch die Wiese in einen schwarzen, fischreichen Weiher hinab. So segenvoll wohnte Adam, der Vater der Menschen.


Also treten nun alle zufrieden hinein in die Hütte, wo auf Blättern und holzgeschnitzten Schüsseln sie ein ländlich Nachtmahl erwartet: frische Früchte von Bäumen und Pflanzen, dann gedörrte Rosinen, Feigen und Mandeln standen neben Honig, Milch und Rahm aufgetischt. Der Trank aber ging in einer reinlichen, holzgeschnittenen Schale von Mund zu Mund. Solche zu schnitzen verstand Adam der Erzvater vortrefflich, und Abel, sein Jüngster, übte sich in aller Freude ihm nach. Kleine Muscheln waren ihre Werkzeuge dazu, die sie mit aller Kunst zu brauchen wußten; unschuldig war dabei ihre Freude und nützlich der Gebrauch davon. Alle ihre Speisen waren schon von der Hand der Natur bereitet. Nicht selten genossen sie auch von einem reinen Lamme, das Adam der Vater schlachtete. Dann buk Eva, die erste Mutter, Kuchen dazu und bereite sie aus Semmel und Honig. Jetzt standen alle um den Tisch freundlich; der Vater der Menschen aber stand oben. Er faltete jetzt die Hände, hob andachtsvoll die Augen gen Himmel und sprach also: »Allmächtiger, ewiger Gott! Sei gelobt für deine Wohltaten, für alles, was du gibst, für Speise und Trank, für Arbeit und Ruhe, für alles, was du mir und den Meinen erweisest. Sei gelobt in alle Ewigkeit!« Nun saßen alle wieder, jedes an seinem bestimmten Platz. Oben saß der Vater der Menschen, zur Rechten ihm die schöne Mutter, dann von Adams linker bis zu Evas rechter Seite die Kinder, Kain zuerst – doch selten kam der nach Haus. Adam nahm also seinen jüngsten Sohn Abel zu sich herauf. Sehr liebt' er den Jüngling seiner Frömmigkeit wegen – seitdem dies geschah, betrat Kain nicht mehr die Laube, noch saß er mit seinem Vater zu Tische. – Hier Melboe, weiter die schwärmerische Tirza. Schön saßen so alle in seliger Eintracht, lobten Gott den Geber alles Guten im freundlichen Genusse. Nur Tirza allein saß einsam, voll war ihre Seele noch von hohen, trunkenen Bildern. Ähnlich einer Verliebten unter ihren Blumenfreundinen, krank von innerm Sehnen, träumt sie sich immer ferne mit ihren Gedanken zum Ort ihres Verlangens hin; das Herz ist ihr gezogen wie von süßen Banden aus ihrem Busen und zieht jetzt gewaltig verlangend ihre Seele nach. Ihre geschickte Hände ruhen an köstlicher Arbeit. Ihre emporgerichteten, von innerer Glut gebrochenen Augen sehen nicht mehr. Ferne, ferne über Tal und Hügel schwebt sie dann ganz, schwingt sich ganz in die glücklichen Inseln, in die seligen Gärten der Liebe hinüber an grünen Gestaden, zu den Seen und Flüssen dahin. Dort warten Kähne, geflügelt wie singende Schwäne. Schon steigt sie ein in Gedanken, schneller segelnd als [189] Kraniche im hohen Fluge über die stürmenden Wellen, durch die hängenden Klippen, vorbei an heulenden Grotten und wilden geborstenen Gebirgen, an unwirtbaren Haiden, vorbei an finsterbangen, klagenden Wäldern. Sie hört die nächtliche Stimme der Angst am Rande des Todes oftmals, oftmals wähnt süße betrogene Hoffnung den seligen Stern zu schauen, der dem Ziele sie nahet. Endlich aber nach teuer überstandenem Leiden, nach Kummer, Trübsal und Weh, findet sie sich im Schoße der Anmut, wo sicher der Strom schlägt, harmonisch in ewiger Liebe, wo nichts sie verrät, wo alles wartet im Lächeln, im Frieden auf sie. Da umfaßt sie ganz ihr Glück, genießt sie der Liebe, weint sie, daß ihre Fülle zu schwer ihr nun wird. Ihre Freundinnen staunen verwundernd sie an; weggeblaßt in des Todes Armen wähnten alle sie schon, vrrriet' nicht oft ein Seufzer, tief aus dem Herzen gezogen, die Tränen, am Augenrande gereift, das bange Lächeln noch Leben.

So saß jetzt Tirza, Adams jüngere Tochter, genoß weder Speise noch Trank. Sie wandelte in Gedanken zum Himmel; engelrein zu werden, war ihr einzig Bestreben, dann noch einmal aufzuschließen das Paradies in seiner Schönheit. Ihre Schwester stößt sie sanft, spricht leise: »Geliebte, warum issest du nicht?« Jetzt nimmt sie ihre zarte Hand, drückt sie sanft an ihren Busen und spricht weiter: »Du machst dir immer Sorgen und quälest unablässig dein armes Herz mit Gedanken an Dinge, die nicht zu ändern sind. Iß deß süßen Honigseims, er ist lieblich, meine Taube; Kain, mein Geliebter, hat ihn jüngst heimgebracht. O Gott, wo wird der jetzt einsam sitzen, der arme Traurige, unterm weiten Himmel! Wir essen jetzt, und er ist fern, als wäre er unser Bruder nicht.« Als sie das gesagt, dreht sie ihr Antlitz auf die Seite und weint ungesehen die Fülle ihrer Schmerzen aus.

Liebreich umfing sie nun Tirza, sie sah ihren Schmerz. »Teure Schwester, stille doch deine Tränen, was trauerst du! Viel vermag Melboe über Kain, ihren Bruder, du wirst seinen Felsensinn mildern. Auch Adam, unser teurer Vater, hat ihm heute vor uns allen vergeben. Morgen wollen wir ihn mit Sonnenaufgang aufsuchen und ihm das alles erzählen. Das wird Licht in die Dunkelheit seines Busens bringen. – Sitze herum, Schwester, meine Liebe; Adam möchte sonst leicht deines Kummers inne werden.«

Melboe faßt sich nun wieder, das harmloseste Geschöpf unter der Sonne. O, ein schönes, liebes Herz! Immer der Freude geneigt, immer wohlwollend, ganz obwaltende Güte, auslassende Liebe; ruhig ihre Mienen, ihre Augen stillen allen Gram. Der rauhe Kain stand oft gerührt davor und wußte sich nicht zu helfen. Ein ewiges Spiel von Unschuld, ein Gewebe von Liebe war ihr Leben. War der rauhe Kain freundlich, o wer war glücklicher als sie! Das genoß sie so ganz im Überflusse, alle Wesen mußten teilen mit ihr; vergaß dann alles wieder, vergaß gestrigen Kummer, gestrige Tränen gern an heutiger Freude, träumte, fühlte dann kein [190] größer Glück. Sie weiß auch sonst von nichts, als was sich so täglich ihr gibt: ihren Kain zu lieben, ihre Eltern, ihre Geschwister zu lieben, ihrer Blumen zu warten, ihre Schafe zu weiden, ist alles, was sie Seliges kannte. Jetzt trocknet sie ihre Augen wieder. Voller Hoffnung spricht sie zu ihrer Schwester leise: »Gott segne dich, teure Schwester! Ja wenn ich Kain einmal zufrieden wüßte, wie selig sollte dann mein Herz mir im Busen hüpfen.«

Also sprachen die liebenden Schwestern untereinander. Adam aber nahm am Tische das Wort. Er dreht sich ernsthaft nach Evas Seite und spricht gelassen leise also: »Ich fühl's, wir sinken immer tiefer zum Fluche hinab. Eva, meine Teuerste, warum kommen nun die Tiere nicht mehr, uns zu besuchen, wie in den ersten Jahren unserer Verbannung? Allemal beim Anfange des Frühlings kamen sie sonst, hielten sich eine Zeit lang um unsere Hütte mit ihren Jungen auf, zeigten sie freundlich und holten für sie ihren Segen vom Menschen. Der sanftmütige Elefant, wie er mit seinem Weiblein gegen unsere Hütte zum erstenmal wiederkam, jetzt in der Mitte ein Kleines führte, erinnerst du dich's, Liebste, wie wir uns freuten und sie sich wieder freuten, uns ihren Segen zeigten und uns entgegenschrien? Du hattest eben Kain, deinen Erstgeborenen, auf dem Schoße. Du sprangest mütterlich auf und zeigtest auch ihnen deinen Segen, auch ihnen deine Freude. Im fünften Jahre nachher, als du unsern Abel gebarst, kam schon eine kleine Heerde, immer die ältern voran und dann ein junger und noch ein jüngerer und wieder ein jüngerer, Teuerste! Jetzt bekümmern sie sich nicht mehr um uns. Das kommt alles von Kains Flüchen, von der Uneinigkeit zwischen Bruder und Bruder und Vater und Sohn, wovor auch die Tiere selbst einen Abscheu tragen. Alle Reinheit in unserm Umgange ist schon ausgetilgt. Wie wird es im zunehmenden Alter noch ergehen?«

Also sprach der harmvolle Vater und trank; die Mutter aber legte ihre zarten Wangen auf seine männliche Hand. Der fromme Abel ergriff jetzt am Tische schnell das Wort. Er wollte das treue Mutterherz gern wieder aufrichten und sprach also: »Das ist wohl Honigseim, den jüngst mein liebster Bruder aus dem Walde mit heimgebracht? Gut ist er und wohlschmeckend. Beste Mutter, versuch' ihn auch einmal.« Es nahm ihn freundlich die wohlgestaltete Mutter, bot auch Adam, ihrem Herrn, davon. Freundlich nahm der es aus ihren schönen Händen an und genoß es vor ihren Augen. Dann spricht er lächelnd: »Mein Erstgeborener hat eine gute Tat vollendet, daß er diesen süßen Honig nach Hause brachte. Mutter, das will ich ihm wieder freundlich gedenken«. Jetzt schloß sich Evas ganzes Herz auf in Freude, da sie Adam also sprechen hörte. Vertraulich legt sie ihre Hand auf die seine und schaut ihm mit wohlwollenden Blicken unter die leuchtenden Augen. Da sie nun so liebreich sitzen, noch untereinander also sprechen, kommt Kain zur Laube herbei. Jetzt tritt er unter die Tür und schaut [191] wie ein Fremdling herein. Eva, ihn erblickend, ruft liebevoll ihm gleich also zu: »Komm' herein, mein gesegneter Sohn, soeben sprachen wir von dir. Du hast Honigseim nach Hause gebracht aus dem Walde, den auch der Vater gekostet und wohl befand. Komm', mein Gesegneter, sitze nieder zu mir, du bist müde und hungrig«. Sorgsam macht sie ihm an ihrer Seite jetzt Platz; aber Kain nickt ihr und spricht zur Seite: »Tu nicht soviel, Mutter; laß sein, ich bin nicht müde, hab' auch keinen Hunger«. Adam spricht jetzt auch: »Kain, mein Erstgeborener, komm herein, sitze zu deiner Mutter oder dort zu deiner Geliebten oder hier neben mir, wenn du willst, Abel wird dir Platz machen.« Schnell winkt Eva die Mutter ihrem Sohne Abel; da rückt Abel freundlich hinunterwärts und spricht: »Lieber Bruder, komm', sitze wieder einmal zu mir her, komm', mein gesegneter Bruder!« Aber Kain schießt trotzige Blicke aus seinen Löwenaugen auf ihn und geht murmelnd wieder, ohne umzuschauen, zur Türe hinaus. Da seufzt Eva laut.

Und Adam goß nun in eine Muschel süßen, aus Aepfeln gepreßten Trank ein und spricht zur bangen, niederblickenden Mutter also: »Besorge nichts, teure Mutter, besorge nicht Adams Zorn gegen deinen wilden Erstgeborenen. Rauh wie die Felsen ist er. Du siehst, wie er uns ehrt und seine Geschwister liebt. Aber dennoch ist er mein Sohn. Euch allen befehl' ich's, daß ihr ihn ehrt als euern ältern Bruder. Solange Kain, gegen sich selbst grausam, die Liebe seiner Eltern wegwirft, unglücklich ist, weil er's sein will, bedauere ich ihn; aber dann, wenn er tückisch mehr noch vergißt Kindespflicht und Bruderliebe, wenn er, Gott vergessend, seiner heiligen Wunder spottet, dann will ich mich über ihn aufmachen, ihm entgegenstehn wie ein Fels dem Strome. Fühlen soll er dann des Vaters Gewalt unter mir, ja er soll dann fühlen, daß er mein Sohn ist. Erblasset nicht so meine Kinder, meine Teure, erblasse nicht so – ich hoffe mit euch allen noch, hier Melboe, meine sanfte Tochter, soll ihn in ihren Armen wieder zurechtbringen, ihm Freude und Ruhe wieder über die Seele gießen. Ich hoffe das.« Also Adam, der erste Mann. Er suchte seine Kinder zu beruhigen, obgleich im selbst tiefer Gram im Herzen saß. Eva beugt sich nun über ihre Jüngste weg und flüstert zu Melboe also: »Geh hinaus, sieh, daß du mit Kain sprichst, du vermagst viel über sein Herz; bitt' ihn, daß er jetzt auch bei des Vaters Erzählen bleibe. Verweis' ihm sein finstres, wildes Betragen; nur bitt' ich, alles in Liebe.« Melboe, die liebreiche Tochter, steht jetzt auf, gehorsam ihrer Mutter Worte. Ihrem Herzen war das ein erwünschtes Zeichen. Jetzt stehet sie und betet für sich allein. Dann wusch sie ihre Hände in einem großen, hölzernen Becken, das Adam und Abel miteinander an drei Sommerabenden verfertigt und das, immer angefüllt mit reinem Wasser, am Eingange der Laube stand. Jetzt eilte sie leise davon, Kain, ihren Geliebten, zu finden und nach der Mutter Geheiß freundlich mit ihm zu sprechen.

[192] Kain im Mondschein allein. Melboes Liebe. Adams und Evas Ankunft

Nicht weit von der Laube stand der rauhe Kain auf einem Steine. Wild stieß er den Stab auf die Erde und blickte durch die Nacht nach seinem Sterne. »Wo bist du, Kain, Kain, trotzig Gestirn? Ha! Schön funkelst du dort oben, schöner als alle anderen; du flimmertest liebreich, trügst du nur Kains Namen nicht. Kain! Kain! Finster überall – Ha! Wie lange Melboe jetzt bleibt! Verwünscht die Schwätzerin, die Träumerin! Wo sie jetzt bleibt? Wo sie jetzt sitzt, zu liebeln mit dem Laffen, dem schönen, zartlockigen Bruder? Uh! – Geh aus der Nacht, aus der Nacht, schöner Stern! du bist Kain, dich wird der Himmel ausstoßen wie mich die Erde! Kain ist verstoßen überall – Herunter, Verbannter! Herunter, ich will dich aufnehmen, wohn' bei mir, bei mir im kühlen Walde. Melboe! Melboe! Melboe! wo bleibst du? Ist mein Nacken braun, die Sonne hat mich verbrannt im Felde; ist meine Stimme so rauh, ha, ist Kraft auch in meinem Gebein. Melboe, komm'! komm'! komm'! Die Ferse brennt mich, ich verglühe, in Ungeduld verglühe ich, komm', oder ich kehr' zurück in den Wald, meinen Grimm auszulassen am Eber. Ha! sie kommt nicht – kommt sie denn gar nicht? Schwarz ist die Nacht, schwarz mein Mädchen, dunkel der Bergquell, dunkel ihr Auge. Verbleiben im kühlen Walde will ich. Kain allein – mit dir wohnen im kühlen Walde das warme Jahr, das kalte Jahr. Ha! dort kommt sie endlich einmal! O daß ein Sturm mir sie herunterjagte! Hu! mein Zorn braust ihr entgegen, entgegen der Langsamen, der Zaudernden. Woher du? Kehre heim, schwätz' dich zuvor satt! Was verlangst du bei Kain? Kenne dich nicht! Will nichts um dich wissen – allein will ich bleiben, allein in schwarzer Nacht. Du bist meine Geliebte, schwarzbraune Nacht – Melboe läßt Kain verschmachten!«

Schon lange gewöhnt an Kains rauhes Anfahren, gewöhnt des brausenden Wintersturms, ging jetzt Melboe geduldig zu ihrem Bruder hin. Seine Hand berührt sie nun und spricht zärtlich also: »Du bist auch heute wieder gar zu wild, Kain, mein Geliebter. Wer wagte zu dir herzukommen, wenn du immer so aufbrausest! Drehe dein holdes Angesicht nicht von mir weg, Kain, du Teurer, du Bester; deine Melboe spricht ja mit dir, Melboe, die dich liebt! Wie begegnest du mir immer so hart. Verdien' ich wohl das an dir? Höre vielmehr, was durch mich die Mutter dir sagen läßt. O, so sehr leidet sie deinetwegen; deine Düsterkeit benimmt jetzt alle Freude ihrem mütterlichem Herzen. Glaub's, Lieber, sie ist dir so gut. Noch kürzlich hat sie Adam auf's neue gegen dich besänftigt. Durch mich bittet sie dich, diesen Abend in unserer Gesellschaft zu verweilen. O schlag' ihr das, um ihrer Schmerzen willen schlag' ihr das nicht ab! Adam wird unter jenen Linden eine angefangene Erzählung dann vollenden. Wie schade, daß du nicht da warst beim Anfange!« So Melboe. Aber Kain stößt, stirnerunzelnd, [193] knirschend mit den Zähnen, tiefer seinen Stab in die Erde. »Ha! besänftigt hat schon wieder die Mutter den Vater, besänftigt wegen mir. Warum das? Was will denn mein Vater? Was hat er immer gegen mich? O weh mir, der verräterische Junge, Abel, betrog mich wieder, hat mich meinem Vater verraten, mich der Lämmer wegen verklagt. Gelt, Adam will über mich her? Fort in den kühlen Wald will ich, nicht länger mehr unter euch bleiben.«

An seinen Hals stürzend, ihn fest umklammernd mit ihren Armen, schreit Melboe: »Nein, du mußt bleiben, bei uns bleiben! O Mond, tritt hervor! Erhelle die Tränen an Melboes Wangen, daß der hartherzige Mann Kain sie alle zählen kann. Du Schmerzenfroher, bleibe! Wie wollt' er dich kränken, da ihm dein Trotz so wehe tut? Bester, Teuerster, besinne dich nur ein einziges mal: hat Melboe dir nicht immer Treue bewiesen? O, Liebe wird dir tausendfach einfallen, wenn du nachdenkest, aber niemals, niemals Untreue gegen dich. Grausamer Mann, gib mir dein Angesicht, dein teures Angesicht wieder! Ja, du bleibst bei uns heut, mein Herz, dein stark klopfendes Herz sagt's mir zu!« Mit solchen Worten hielt Melboe jetzt Kain, den Rauhen. Sie war allein das Mädchen, das ihn lieben konnte. Im Sturme tobender Leidenschaft schlang sie sich fest und liebevoll um sein Herz, wie Efeu um die Ulme, und wich da nicht, bis alles vorüber war. Jetzt konnte der rauhe Mann nicht ganz ihren Bitten widerstehen. Er reicht ihr seine Hand; sie aber spricht weiter also: »Auch Abel, Teurer, bittet dich durch mich, Abel, der so treu dich liebende Bruder. O, du weißt nicht, wie sehr er auf dich hält, wie sehr ihn die harte Begegnung von dir schmerzt. Gestern Abend, als ich in meinem Garten Blumen begoß, kam er doch so traurig zu mir. Er weinte von Herzen, ich mußte mitweinen. Er verklagte dich nicht bei Adam, glaube mir, Lieber, er beklagt nur, daß er deine Bruderliebe verloren.«


Kain wieder auffahrend:


»Der Bube! Nein, er wird mir immer unerträglicher. Bringt er ein Lied oder was dumm Geschnitztes herbei, nicht der Mühe wert zu beschauen, da ist ein Lobens beim Vater, alles wird zusammengerufen; warum Ochsen und Kälber nicht mit? Müssen hinstehen, beschauen, bewundern, und der Bube im Kreis dann, dümmer noch als seine Schafe, senkt, als schäm' er sich, die Augen nieder und wartet aufs letzte Wort sein Lob aus. Pfui! Ich bin doch sein Herr, der Erstgeborene, werd' ich gleich nicht geachtet, nicht gerühmt! Mir ein Lamm zu versagen! Ein Lamm, das ich meiner Melboe bringen wollte.« »Hat er dir ein Lamm versagt, das du mir bringen wolltest?« spricht sanftmütig Melboe. »Müßt's ihm vergeben, er ist ein Schäfer. Schäfer lieben ihre Schafe und Lämmer, wie wir Mädchen unsere Blumen. Geh, laß ihn jetzt brüderlich dich umfangen. Er versagt dir gewiß nichts, warum du ihn freundlich bittest.«


Kain:


»Bitten? Ich? Warum soll ich denn bitten? Der Ziegen wegen, die ich gefangen und gezähmt und dem Laffen in seine Heerde [194] schenkte? Melboe, als der Wolf gestern dein Lamm stahl, er begegnete mir unten an der Wiese. Ich lief nach, schleuderte meinen schweren knotigen Stock ihm in die Lenden. Heulend lies er's am Wald dort fallen, aber zerbissen in der Kehle lag es. In Abel's Heerde ging ich nun, dir ein anderes zu wählen. Da hättest du nur hören sollen, was für kluges Gewäsch mir der Junge vormachte von Arbeit und Mühe, Warten und Pflegen bei Tag und Nacht, und das mit so gescheiten Geberden, als wollte der unbärtige Milchbube mir weismachen, er habe seine Lämmer, seine Schafe habe er mit vieler Mühe selbst gemacht. Aber ich kriegt' ihn, zwei der schönsten nahm ich ihm mit Gewalt, zwei braune, braun wie ich und du. Eingesperrt habe ich sie, drüben in die Waldhöhle. Liebchen, wann soll ich dir sie bringen? Komm' herunter, Melboe, dir bin ich gut, dir allein. Bald ziehen wir in den kühlen Wald miteinander und verlachen alles umher. Im Wald ist's lieblich. Komm' herab ins Grüne zu mir, bei dir will ich verbleiben, bis der Mond dort über die Waldecke hinunterschreitet, bis aus dem kalten Ost dort die wärmere Sonne hervorsteigt; aber sprich nichts mehr von Abel, sprich von mir und deiner Liebe.«


Vertraulicher ließen jetzt Kain und Melboe sich auf das frischbetaute Gras nieder. Eben traten Adam und Eva, die schönen, gottgeschaffenen Aeltern, aus der Laube hervor und gingen näher den Linden zu. Abel und Tirza folgten Hand in Hand, voll traulicher Eintracht, hinter ihnen her. Die seelenschwärmende Tirza aber nahm also das Wort (doch sprach sie leise, daß Vater und Mutter nicht hörten): »Geliebter Abel, daß Kain unser Bruder so unbeweglich ist! Sahst du auch des erhabenen Vaters entbranntes Antlitz über Tische? Groß, wie Gott aus Wettern, spricht Adam im verhaltenen Zorn. O des teuern, gottgeliebten Mannes! Ja Bruder, laß stündlich uns für unsere teuersten Eltern beten, unsere Hände aufheben zum Himmel, auch das abzubitten, wo schuldlos unser Herz etwa teuere Pflichten verletzt. Ach, öfters verzag' ich, wein' ich darüber, denk' ich, daß wir Menschen so ganz in Unart, in Sünden geboren sind.« Ihr antwortet der fromme, junge Hirt liebreich: »Du wirst noch ganz selig hier auf Erden, meine liebe, teure Schwester, dann nicht mehr weiter unter uns Sündern wandeln wollen. O dein beklommenes, ängstliches Herz! Glaube, wer unwissend fehlt, dem verzeiht der Vater, Gott selbst verzeiht ihm gerne. Anderer Jammer, Jammer meines geliebten Bruders Kain wegen schlägt mein wundes Herz; der scheucht oft des Nachts den Schlummer von meinen Augenlidern weg. Heut' Nacht seufzt' ich um ihn. Ich konnte nicht mehr auf meinem Lager bleiben, brach auf mit der Morgenröte und ging in den Garten. Dort vor deiner Kammer stieg ich auf den dichten Hollunderstrauch, den Adam und Eva einst an einem schönen Abend gepflanzt. Ich dacht', ich wollte so mein Herz erleichtern, dich mit meiner Rohrflöte wecken, vielleicht, daß du mit mir über die Aue gingst, den schönen, herrlichen [195] Morgen zu genießen. Ein gottempfundenes Lied, das ich jüngst bei der Schaftränke gedichtet, wollt' ich dir dann vorsingen. Ich weiß, Liebe, daß dies deine einzige Freude ist. Jetzt, da ich leise meine Flöte zum Mund brachte, sah ich Kain. Früh durchstrich er schon die Haiden, finster unter sich blickend wie einer, der Unruhe und schwere Qual im Busen trägt. Da fiel mir seine gestrige harte Begegnung wieder ein. O und die freundlichen Knabenjahre, wo er, mich weniger hassend (denn geliebt hat er mich niemals ganz, niemals brüderlich am Herzen getragen, wie ich ihn) mich dann oft zum freundlichen Spiele ließ – sieh, darüber vergaß ich jetzt alles. Heiße Tränen brachen aus meinen Augen hervor, und ich verzweifelte bei mir selbst, ob er jemals anders gegen mich werde. Für ihn laß uns beten, teure Tirza. O wie glücklich könnten wir leben, wie gerne wollt' ich ihm gehorchen, ihm, Adams Erstgeborenen; aber er stößt mich weg, ich bin ihm zu weich, ein verächtliches Weib, o Tirza!« Tirza, seinen Kummer unterbrechend (sie sah, daß er ihm nun auf einmal zu schwer ward) pflückt vom Geländer eine spätblühende Rose und reicht mit zarten Fingern und holden Mienen sie ihm dar. Abel empfing sie voll Lust aus ihrer Hand, bog sich jetzt über den Zaun hinunter und brach auch zwei Sommerlevkoien und steckte die liebreich an ihren Busen.

Also die Kinder. Die ersten Eltern aber gehen jetzt auch vertraulicher nebeneinander dahin. Eva, die Mutter, sucht Adam, ihren Geliebten, immer mit angenehmen Gesprächen aufrecht zu halten. Das tat sie Kains, ihres Erstgeborenen, wegen. Sie hoffte, Melboe werde ihn bewogen haben, dazubleiben. Dann sann sie hin und her, wie sie ihm sein hartes Verfahren verweisen möge, daß er so unempfindlich für ihre Liebe war. Jetzt sah sie die beiden Liebenden, Melboe und Kain, im Grünen vertraulich sitzen, wie sie Arm an Arm verschwenderisch einander Schätze der Liebe zuteilten. Da erfreut sich die zarte Mutter, freut sich, daß Melboe, ihre Sanfte, also den stolzen Löwen hielt. Näher drückt sie sich jetzt an Adams Seite und spricht also: »Was doch Liebe vermag! Vater, sieh einmal, dort ist der Kain, der Trotzige, den Melboe so süß umschlossen in ihren Armen hält und der ihr so fröhlich wieder am Busen liegt. Ei sieh doch! wilde, ausgeraufte Blumen streut sie ihm jetzt auf das dunkle Haupt; er küßt sie vielmal dafür auf ihre freudenreiche Brust. Vater, wer hätte wohl geglaubt, daß unser trotziger Sohn so zärtlich zu lieben wüßte? Noch hören sie uns nicht einmal näher kommen, so sehr hat Freude beider Herz eingenommen und alle ihre Sinne trunken gemacht.« Adam, der erste Mensch, drückt lächelnd jetzt der treuherzigen Mutter die Hand: »Gebe Gott seinen Segen dazu, Mutter! Wir wollen sie bald miteinander vermählen, sobald ich und Kain vor dem Opfer dann mit einander ausgesöhnt sind.«

Jetzt traten alle näher hinzu, umfingen die Liebenden freundlich und wünschten heimlich der sanften Melboe Segen und Glück. [196] Adam saß nun neben Kain, seinem Erstgeborenen, ins Gras nieder. Schön saßen sie nebeneinander: zwei gleiche Gemälde, von zwei trefflichen Künstlern verfertigt. Eins ist das Urbild, ganz geschöpft aus der Fülle der Phantasie, ganz im Fluge himmelentrissener Flammen; es ruft aus allen Zügen: ich bins', des Meisters Werk! Das andere, Nachbild, mehr Werk des Kampfs, dem Zufall des Geratens unterworfen, verloren alle göttliche, erhabene Einfalt. Eher wird man den Tag mit der Nacht verwechseln, eher die Nacht mit dem Tage, als des Kenners Herz in der Auswahl beider hintergehen. So saßen jetzt Vater und Sohn, einander ganz ähnlich und doch einander ungleich; einerlei Züge und doch verschieden im Ausdruck und Leben. Der hohe Vater der Menschen aber nahm das Wort und fing seine Erzählung also wieder an.

Baum des Lebens. Hymnus der Engel. Sonnenuntergang. Schwere Einsamkeit. Mondaufgang

»Als ich nun meine Begierden auf Pisons schöner Insel im Genusse der lieblichen Früchte genug gesättigt, ging ich, alles zu beschauen, viel tiefer in das Inwendige hinein. Viele tausend Schönheiten traf ich bei jedem Schritte da an. Sie alle zu erzählen, meine Kinder, sie alle zu nennen, würde diese Nacht nicht ausreichen. Mich aber zog vor allem neugierige Lust zum Baume des Lebens hin.

Hoch schwebte der in die Lüfte, seinen Gipfel oben bedeckten Wolken, die bald tiefer herunter-, bald höher hinaufstiegen, je nachdem sie die vier Winde trieben; sie drehten sich aber immer auf des Baumes Äste und ließen beständig lebendigen Tau durch die Zweige niederträufeln. Dunkelgrün waren seine Blätter, dick und breit. Gerade aufgeschossen sein Stamm. Seine Äste glichen schönen Bogen, die übereinanderstiegen und sich immer in schöner Ordnung bewegten. Herrliche Früchte glühten unter seinem Laube hervor. Heiliger Schauer überfiel mich, da ich hinaufschaute, denn Gott der Allmächtige pflanzte selbst diesen Baum am siebenten Tage; da er von aller Arbeit hier geruhet, pflanzt' er ihn. Damals ward erst diese schöne, liebliche Insel um ihn, sie entfloß der lebenweckenden Kraft des Schöpfers, denn Ruhe ist Schöpfung bei Gott.

Und da ich unter den Baum kam, rauschten seine Äste stärker. Ich sah unter seinen Schatten hin. Da saßen heilige Engel, nicht deutlich zu schauen, nur wie sie sich drehten, bemerkt' ich am Schimmer ihre Gestalt. Jetzt sangen sie, und ich vernahm Lieder, zu selig für das sterbliche Ohr – sangen die Schöpfung in heiligen Chören. Hoch in die Wolken drangen die Stimmen hinauf:

Heilig, Jehova, mein Gott! Allmächtig in deinen Werken! Die seligen Engel beten entzückt, die Zähre der Freude rinnet darüber! Die Woge braust nieder, die Erde erhebt sich, die Sonne läuft, Wolken schweben auf dein heilig Wort! – Erzählet die Wunder Gottes, Meere, mit euern Zungen! Erzählt, erzählt! – Hoch stehen die saphirnen Gewölbe des Himmels; des Luftmeers [197] Wogen hallen auf beiden Enden hinauf! – Erzähl' die Wunder Gottes, Erde, mit deinen Gebirgen! Erzähl', erzähl'!

Der Nacht gegeben hat er die schwarzen Schattenflügel. Sie schwebt im heiligen Grauen wohl zwischen Welt und Himmel, breitet auf Erd' und Wasser herab ihr düsteres Haar! – Bald prangt im klaren Reihen der Sterne, Mond, dein Antlitz, heiliger Andacht Leiter, du Geber süßer Ruhe! Schön ist dein Gang und glorreich; die scheue Nacht erblindet, sie läßt vor deinem Licht sich tief hinab ins Meer! Erzählet die Wunder Gottes droben den Himmeln, ihr Sterne! Erzählt, erzählt! Halleluja Jehova! Ehr' und Preis sei dem Herrn, er hat alles wohl geschaffen, alles herrlich vollendet durch sein Wort!

So lobten die Engel. Zwar blieb nur das Irdische davon in meinem Gedächtnis zurück, das Himmlische entfloh mir wieder, stieg bald dem Fluge der Engel nach. Nun kamen alle zu mir herbei in sichtbarer Gestalt, umfaßten mich voll Liebe, wandelten mit mir in den schönen, kühlen Palmengarten. Dreierlei Engel waren's, ein Erzengel in ihrer Mitte. Alle gingen erfreut an meiner Unschuld, lehrten mich viele Wunder Gottes, viele von ihren Geheimnissen schlossen sie mir auf, von ihrem Berufe und ihrer Liebe. Sie sprachen mit mir oft durch Mienen, und ich verstand sie deutlich, und sie verstanden mich wieder, ehe ich winkte. Viel sprachen wir miteinander und schnell, sie teilten in einem Augenblicke Gedanken, Begriffe mit, woran ich jetzt tagelang euch zu erzählen hätte. Ich schaute nur und sah. Mächtig hat Gott mich geschaffen, zum Berufe vollendet, in aller Kraft der Sinne, ihn, den Schöpfer, zu fühlen, ihn zu schauen in seinen Werken; aber mein Denken überließ er mir selbst. Oft stiegen dann heilige Engel zu mir hernieder. Sie leiteten mich über Klippen und Abgründe hin, halfen mir Verirrtem wieder auf, wenn ich in die bodenlose Tiefe des Nachforschens versank. Lange sprachen wir also, bis wir wieder an den Baum des Lebens zurückkamen. Die Sonne warf jetzt tiefer durch die Gebüsche ihre Strahlen. Da segneten sie mich, zwei und zwei reichten mir immer die Hände, trennten sich dann in zwei hellen Chören, jeder von einem größeren Engel geführt, und gingen so zu zwei verschiedenen Seiten der schönen Wunderinsel hinaus. Weit über die goldenen Ausgänge sah ich ihrem Fluge nach, und ihre Klarheit schimmerte von ferne wie ein seliger Stern. Jetzt brach ich auch auf, traf auf einen der goldenen Ausgänge. Schöner schimmerte der jetzt bei der Abendglut und durchschoß gewaltig die Wellen mit Feuer. In der Mitte des Stromes blieb ich jetzt entzückt stehen, sah, in mir selbst emporstrebend, umher. Jenseits am hohen Ufer standen schon die Tiere und erwarteten sehnsuchtsvoll meine Ankunft. Ich konnte mich jetzt nicht halten drüben. Der herrliche Abend, die schöne Gegend, die himmlische Glut umher durchdrang mich jetzt, hielt mich jetzt: ich mußte, mußte bleiben! Geöffnet meine Seele, meine [198] Kehle, sang ich jetzt meine Freude, sang stehend im Strome aus vollem Herzen zum Schöpfer aller Dinge empor. O der lieblichen Anmut! Schön liegt der Wald überm Meer, schön der Abend, seine Glut spielt herunter in die Meergrotte! Wie sich die Büsche bewegen! Wie die Bäume rauschen drüben auf der Insel jenseits am Ufer, wie die Staare schwärmen, wie die Elstern fliegen, sich spiegeln in dem Wasser!

Aber die Sonne sank tiefer, die Schatten verlängerten sich, verkündigten den Abend.

Du mußt fliehen, fliehen mußt du, schönes Licht! Sinke herunter, Sonne, sink' im Segen hinunter! Zögere länger nicht! Ja verweile, Schöne, ja verweile, du bist auch im Verweilen so schön! Warum mußt du denn fliehen, verbergen so dein leuchtend Antlitz? Du mußt fliehen, so will es Gott der Herr. Er hat dich, Sonne, erschaffen, erschaffen die finstere Nacht auch – sinke, Sonne tiefer, sinke hinunter; was zögerst du lange?

Nicht mehr soll Adam erschrecken. Bald gehen hervor die Sterne in süßem, vertraulichem Schimmer. Dann tritt in ihren Reihen hervor der glorreiche Mond, von dem die Engel sangen in hohen, heiligen Liedern. Komm' zu mir, schöner Bewohner der einsamen, dunkeln Nacht!

Ich ging nun weiter, jenseits hinüber. Der Löwe kam brüllend vom Ufer herunter und watete durch die Fluten mir entgegen. Jetzt stand er neben mir, schmeichelt' und hieß mich mit Brüllen willkommen. Aber hohe Wolken stiegen vom Meer auf, blau, rot und licht besäumt, ein erhabener Anblick. Wie Felsen, wie Gebirge stehen sie, türmen sich übereinander, dehnen sich so hoch über die Sonne wie eine Felsenkluft auf, umschlingen nun, verschlingen nun die Sonne ganz. Ha! die Erde ward dunkler, ich fuhr auf. Meine Faust auf des Löwen Haupt gestemmt, die andere vor der Stirn, stand ich, auszuharren den lebendigen Streit am Himmel. Lange schien sie mir verloren, als auf einmal, o welche Freude! welch Frohlocken! durch zerrissene Wolken ihr holdseliges Haupt wieder hervorsiegte und, als ob lebendig Feuer vom Himmel regnete, alle ihre Feinde, alles um sie her in Glut aufschmolz, also verherrlichend ihr letztes glorreiches Prangen im Abend.

Nun stieg ich am Ufer hinauf, die Tiere folgten mir bis auf den Hügel. Dort saß ich unter wilden Reben, gefaßt, in freudigerem Mute wieder die finstere Nacht zu erwarten.

Aber die Sonne sank am Walde hinunter, eine der höchsten Zedern empfing sie. Jetzt stand sie noch über dem Gipfel, schon auf ihm. Nun hing sie, ein Strahlennest, in den wehenden Zweigen. Jetzt kroch sie tiefer und tiefer am dunklen Stamme hinunter, und Blitze schossen überall ihr nach und verrieten durch die Blätter ihren Gang, bis sie sich endlich unten im Dunkel verlor. Wie ein Kind sah ich nun, die Augen in Freuden noch immer auf den Ort geheftet, wo sie, die so schöne, verschwand.

[199] Da stand ich auf, tröstete die Tiere, tröstete die Welt: Trauert nicht, o trauert nicht! Wiederkommen wird das schöne Licht, herrlich geht es am Abend des Schöpfers Rufen nach, herrlicher kommt es am Morgen wieder. Trauert nicht darüber, ihr Tiere, traure nicht, einsame Welt!

Eine Weile dauerte die Glut des Abendrots. Bald aber erkaltete der Himmel, und die Nacht mit ihren grauenvollen Gefahren brach abermals ein. Schneller flogen nun die Vögel auf, eilten in der Luft. Die Tiere der Erde regten sich, versammelten brüllend sich wieder. Ich gab ihnen ihren Segen; nun fuhren alle der Tränke zu, ließen mich abermals allein.

Morgen wird auch sein, er wird kommen, der schöne Morgen, in aller Kraft wird er kommen, meine Tiere mir wieder zuzuführen, die mir der Abend raubte. Alles ist geflohen, alles hat mich verlassen. Wer treibt sie, die mich lieben, von mir? Bin ich am Tage ihr Herr nur, nachts der traurige, einsame Mann? Wie sie dort heerdenweise in die Wälder ziehen; hier und dort nur auf der Heide ein einsam sitzendes Paar.

Komm', freundlicher Mond, komm' du mit deinen Sternen, tröste die bange Welt, tröste den einsamen Mann! Schnell über die Fluten schweben Meeradler dahin. Die Rohrdommel beginnt schon unten im Sumpf ihr langweiliges Lied. Komm', schöner Freund der Nacht, den Engel lieben, besingen; komm', zeige dein Antlitz am Himmel, winke mir Einsamen zu!

Der Odem der Luft ist kühl, erquickt meine Gebeine. Wo brüllst du, starker Löwe? wo bleibst du, der Tiere Meister? Ihr seid die Stärke der Wälder, wo eilt ihr jetzt in der Nacht? Kein Tier auf Erden so groß, so klein, es geht niemals allein, hat immer seinesgleichen. Warum ich denn allein? – Düster war's, schon hier und da glomm ein Stern am Himmel. Jetzt nahm ich mir vor, auszuspähen, wohin sich die Tiere versteckt. Einsam ging ich umher. Nicht weit von mir im Busche sah ich den Hirsch liegen mit seinem Reh, freundschaftlich lagen die. Man sah wohl, daß sie nicht Zufall zueinandergebracht; etwas Geheimes zog und hielt sie so liebevoll nebeneinander. Nicht weit davon hielten auf einem Felsen zwei Störche; der eine saß, der andere stand über ihm und schaute scherzhaft herab. Ich wollte eben mich ihnen nahen, aber ein süßes, zärtliches Gurren zog mich von ihnen weg. Hinten am Fels stand eine Eiche, unter deren hoher Wurzel Tauben sorgsam ihr Bette gebaut. Wie fand ich sie wonnevoll darin, ein Seelenanblick! Sie teilten so willig, so gern, deckten so freundlich mit schirmenden Flügeln einander. O volles Gefühl des einfältigen, doch so sehr ans Herz redenden Anblicks! Ich konnte mich nicht satt sehen an der Unschuld, nicht satt weiden mein Herz an ihrer Liebe. Ich fühlte ihr wonnevolles Gurren so nahe, wie jedes abgibt von sich selber, mit dem andern teilen zu können. Ihr Bett so klein, ihr Wesen so selig. O Gott, was zieht sie so zueinander? [200] Hast du sie so gelehrt, oder paaren sie sich aus eigenem Triebe? Nein, du bist's, du hast's vollbracht, dein Finger, deine Spuren! O Adam, warum du allein? O ewiges schweres Ermangeln! Ja, tausendmal schwerer und unausstehlich ward auf einmal die Einsamkeit mir. Ich trug ein Bild im Herzen. Der heilige Anblick unschuldiger Liebe hatte ganz mein Herz entflammt, die Sterne quollen über mir auf – ach! sie regten nur noch mehr meine Sehnsucht, heiterten das Trübe meiner Seele nicht. Jetzt schwang sich auf brünstigen Flügeln meine Seele hinauf zum Himmel, verlor sich unter den Sternen und sucht' ihr Verlangen droben. Da strömte Gesang aus meinen Lippen, also daß ich anfing, aus meinem Herzen zu beten, zu jauchzen von Liebe Gottes zu dem Menschen:

Schön glänzt ihr Sterne ohne Zahl, glänzt ihr am Himmel droben! Ihr Blumen am Gestade, wo weht des Lebens Odem! Schön sinkt die Nacht herunter, herunter in die Fluten. Es quellen tausend Funken herunter in das Meer.

O großer, ewiger Schöpfer, warum bin ich allein? auf der Erde, in deiner weiten Schöpfung ganz allein? Hoch an dem Himmel flimmern die Sterne immer schöner, die Sterne immer heiterer. Sie lächeln, winken zu einander, sie fühlen nicht mein Leiden. Wo bleibst du, Mond, mein Freund? Der Herr der Schöpfung trauert, dem Auge ist das Dunkel nicht schwerer als dem Herzen – so schwer Einsamkeit. Der Herr der Schöpfung trauert, ihm fließen heiße Zähren. Ach, Adam ist allein! –

So stand ich, heiße Tränen weinend. Über mir brach jetzt zum ersten mal der stille Mond auf. Wie deine weiße Taube von deinem Schoße aufstieg, Melboe, du Liebe, so stieg aus Gottes Schoße jetzt freundlich der Mond und säuselt' in der Nacht auf. O liebreich ist sein Kommen, seelentröstend sein Blick! Ihm jubeln die Tiere nicht nach; aber das kummervolle, gedrückte Herz fühlt wohl sein Ergehen, findet lindernden Trost und Ruhe in seinem Blicke. Zu leisen, zärtlichen Klagen mildert er tiefen, unergründlichen Jammer.

Ach, ich fühlt' ihn auch ganz, ganz sein segnend Wandeln über meinen sich sänftigenden Busen, fühlte sein Kommen durch alle klopfenden, sich schon beruhigenden Adern. Ja, du bist's, du, du bist's! Spät ist dein Kommen, o Mond! Aber ein liebreicher Zeuge, bringst du Hoffnung und Ruhe dem Herzen mit. Was ist's, das unergründlich tief in mich sinkt, lindernd wie die Erscheinung eines Engels? Seliger Trost wehet um ihn. Ich will's nicht ergründen, was mich so wunderbar stärkt. Du bist gekommen, liebreicher Mond, Engel sangen von dir, du bist gekommen, dem Menschen ein seliger Trost.«

[201] Adams Schlummer. Gott zeigt ihm Eva im Traum, erweckt Sehnsucht und Liebe nach ihr in seinem Herzen

»Erquickender Hoffnung sank ich jetzt im Mondglanz zur Ruhe; kaum aber schloß Schlummer meine Augenlider, da umfaßt' auch gleich heiliger Traum wieder meine Seele. Siehe, Gott stand über mir in erhabener, menschlicher Gestalt, in Gestalt eines herrlichen Mannes stand er mir jetzt nah, ewige Kraft ging von ihm aus. Schöpfung wehte in des Allmächtigen Barte, der Tag fuhr von seiner Stirn, und in der Schwere seiner Locken lag die Nacht; aber in seinem Gewande brausten die Elemente, das Meer. Jetzt hob er mich auf von der Erde und führte mich. Ewige Liebe redet' aus seinen Augen; aber die zwei starken Brauen der Stirne richteten Sonn' und Mond in ihrem Lauf und befestigten die Erde. Jetzt gingen wir über Pisons goldenen Eingang auf die anmutige Insel hinüber. Wo der Baum des Lebens blüht, da ließ mich Gott. Aber eine Stimme rief über mir: Schau' um dich! Ich schaute, und siehe, Menschen wandelten im Garten vor mir, Menschen an Bildung mir gleich. Da ging ich unter ihnen fröhlich; ich führte sie zu den Bäumen, woran die edelsten Früchte reiften. Zweimal genoß ich nun Edens Lust, da ich jetzt geben konnte, zeigen konnte all meinen Reichtum, der von Gott mir beschert war.

In des Baumes Schatten aber, nahe bei Gott, sah ich jetzt ein Gebild stehen, das war kein Engel, obgleich himmlisch gestaltet, voll klarer, lauterer Unschuld, wie eine schöne Hyacinthe. Der lieblichste Frühlingsmorgen hat sie der Erde entlockt. Liebend hängt über ihr der laue Mittag, haucht ihre süßen Blüten sanft auseinander. Überlassend sich der Wonne, schließt sie sich jetzt auf, zieht mit ihrem reinen Atem jedes Herz an. So stand das schöne Bild! O, meine ganze Seele floh ihr entgegen! Sie stand wie eine, die freudig zum Himmel betet, verwundernd die Hände zusammendrückt und über sich schaut. Ein frommes Lächeln hing an ihrem Munde. Die krausen Haare liefen ihr schimmernd am Rücken herunter und ließen von der Luft sich treiben, wie ein edler Brunnen im Grunde oder am Felsen. Vater und Kind schöpfen aus ihm, aber je mehr man schöpft, je mehr quillt nach. Also das schöne Bild. Tausend Seligkeiten zog ich aus ihrem Anblick, aus ihrer Freude hierüber; tausend Seligkeiten entquollen von neuem ihr. O ewiger Gott! Ich vergaß alle anderen Gestalten, noch einmal ward ich geschaffen, fühlte mich erst jetzt vollendet, vollendet ganz in ihren Armen, an ihrem Busen ganz Mann zu sein. Ich sprang hin zu dem Bilde unter dem Baume, ich sah sie von neuem. Es war das Bild, nach dem ich mich so lange gesehnt, zu dem mein Inneres geschrien – sie war's, die ich in meinem Herzen gefühlt, in meinem Herzen getragen und doch mir nicht hervorbilden konnte.

Gott stand in all' seiner Pracht. Sichtbare Klarheit entsprang vor ihm, als stünd' er vor sieben Sonnen. Da neigt' ich mich, da rief ich: Herr, sie ist's! Dies ist das Bild, das du in mein Herz [202] geschaffen, du zogst's aus meinem Busen hervor. Ach, mein ist es, mein, ich habe lange geseufzt darnach, ich habe sie lange gewünscht, diese, diese lange getragen unter Schmerzen an meinem Herzen. O Mutter Eva! Dein Bild war es, du standest da, dein Reiz entfaltet im schönsten himmlischen Flor – so schön, als Gott nachmals dich mir gegeben, standest du jetzt vor mir da! O, wie sehr sehnt' ich mich an dich hin. Alles fand ich nun, was bisher mir ermangelt. Wie fühlt' ich jetzt, daß du so lange, so lange mir ermangelt, daß du für mich allein, für mich allein geschaffen warst!

Gott freute sich meiner unschuldigen Freude. Jetzt führt' ich dich in die Fluren unter die Blumen, schmeichelte dir, bat dich, beschwor dich, immer, ewig bei mir zu bleiben. Ich bot dir die herrlichsten Früchte der Bäume, ich führte dich ans Ufer, zeigte dir den schönen, blauen Fluß, die goldenen Eingänge, zeigte dir meine Tiere, die jenseits am hohen Ufer versammelt standen, sich neugierig hervordrängten, Adams Geliebte zu sehen. Du aber lächeltest, holdselig lächeltest du, als ich deine langen, glänzenden Haare bewunderte und so freudig in meinen Händen wog. Da brachst du Blumen und warfst sie über mich hin, nanntest sie schnell Tulpe, Rose, Hyacinthe: süße Namen, die sie jetzo noch tragen. O seliges, reinstes Entzücken, das ich in diesem Schlummer genossen! Jetzt umfing ich dich, schloß mich ganz an dich, verwuchs in deinen Armen, an deinem schönen, freudenreichen Busen – O ewig unvergeßliches, ja in tiefsten Kummer und im Tod mir noch erfreuliches Erinnern! O höchste Schmerzen auf höchste Wollust, als ich nun, nun meine schmachtenden Lippen deinen holdseligen Lippen entgegenbrachte, du mir begegnetest auf halbem Wege jetzt, jetzt meinen glühenden Mund dem deinen genaht, ewige Wonne! – Verzweiflung! Schrecken! als du jetzt im Erwachen mir entführt!

Mein erster Blick in's Licht war ein Schrei: Eva! Eva! Teure Geliebte, himmlisches Bild, wohin? Wo bist du? Wo? Wo? O Meere, Berge, ihr Auen! wo ist sie? wo find ich sie wieder? Ich sprang von der Erde auf, sah um mich, jetzt lief ich durch die Büsche, schrie, rief nach dir, suchte dich überall, überall dich Verschwundene, dich Geflohene, dich mir Entrissene! Wie war mir doch so wehe, wie ward mir doch so bange! Sonne, du schienst damals vergebens so lieblich auf Adam herunter; vergeblich grüßtet ihr damals mich, wohlwollende Tiere. Du menschenfreundlicher Hund, mein treuester Gefährte im Segen, im Fluche – du, dessen ganzes Wesen an den Menschen geknüpft ist, dessen ganzes Glück in den Befehlen seines Herrn liegt, der du sehnsuchtsvoll über mir standest, auf mein Erwachen lauertest – umsonst, umsonst, dein freundlich Bemühen! Ihr Enten und Schwäne und alles, was als Paar und paarweise zu mir her kam – ach, Adam hörte damals eure Grüße nicht. Zum ersten mal ging er jetzt eigenen Pfades in die Wälder, durch die Fluren, wohin ihn die Liebe trieb.

Bild, seliges, in meinem Herzen loderndes, all' meine Adern anflammendes [203] Bild, das Himmel um mich her schuf, jetzt durch sein Fliehen mir die Schöpfung verflucht, o wo bist du? Wenn du mich hörst, meinen tiefen Jammer weißt, ach Teure, Teure, so kehre zurück! – Nein Eva, teure Mutter, ich kann den Jammer nicht sagen, nicht aussprechen das Bange meines Innern damals. – Ja ich will hin auf die schöne Insel, wo ich sie zuerst gefunden, die ihre liebreichen Füße betreten, wo an allen Blumen, an allen Bäumen noch ihre Lieblichkeit schwebt; ich will sie suchen, will sie finden, umfangen, ihr all meinen Jammer klagen, all mein Leiden nach ihr, sie festhalten, ewiger Gott! nicht mehr lassen, daß sie nimmer, nimmer meinen Armen wieder entfliehe. – Ja gewiß, meine Kinder, liebet einander! Was ist doch seliger als lieben, das reinste Gefühl, in dem sich der Mensch über die Erde zu Gott erhebt, zu Gott, dem Ursprung aller Liebe! Kain, mein Erstgeborener, Melboe, liebet euch, seid glücklich, wie Adam und Eva einst waren, seid glücklich, wie Adam und Eva noch sind! Ja du meine holdselige, teuer erbetene Eva, süße Mutter, küsse Adam den Vater, laß fließen unsere Tränen zusammen! O selige Liebe, edelste Gefährtin durchs mühsame Leben, Glück, das dem Mann im Weibe ward, mehr Reichtum, zu teilen an ihrer Brust, als allein zu tragen des einsamen Genusses schwerere Last! Ach, ohne dich, Eva hätt' ich länger ohne Qual durchirren mögen Edens holdergötzliche Fluren? Dich umarmen laß mich, ausweinen über dir. Mein Herz fühlt noch einmal kräftig alle die Sehnsucht, alles was in leerer Einsamkeit ich damals ertrug. Liebe Geliebte, die Tränen, die aus deinen Augen brechen, süße Kinder genossener Freude sind sie. Du Wonne meines mühseligen Lebens! Disteln und Dornen ward unser Teil, und saurer, saurer Schweiß des Tages; dennoch ward dem Mann des Weibes Liebe, ward Liebe des Mannes dem Weibe gelassen. Zu sorgen für einander, einander zu ertragen, ist süße Pflicht. Ach ewiger, wohltätiger, erbarmungsreicher Gott! Du gabst viele der Tränen, aber der Freuden, der Freuden ließest du mehr: des Mannes Sehnen nach seinem Weibe, des Weibes Hoffen auf ihn, des Säuglings Stammeln am Busen der Mutter. Weib, letztes, teuerstes Geschenk des Schöpfers, edler als Wärme, süßer denn Licht sind wir zusammen gegangen durch die Fluren der Jugend; noch stehen wir in starker Blüte, genießen des Lebens Fülle. Entweht das Alter die Blüten, gehen wir entgegen der Grube, in Liebe zur Erde, aus der wir genommen sind!«

Also Adam; und Eva hängt schluchzend an seinem Halse. Ein ängstlicher Schauer durbebt Aller Herzen und erfüllt sie mit innerer Pein. Kain liegt an der Erde und verbirgt in Melboes Schoß sein Angesicht. Adam aber ermannt sich und spricht weiter: »Siehst du, meine Teure, meine Geliebte, Gott, der alles in Liebe anfängt, alles in Liebe vollendet, wollte dem Manne die Sehnsucht nicht rauben, die teure Qual des Verlangens, das schwere, schwere Gefühl des Ermangelns, um hernach auf einmal ganz zu geben des [204] Genusses seligere Wonne. Das Suchen, Fordern nach Liebe geht durch die ganze Schöpfung. Damals bei dem Verlangen nach dir, die du dich immer, auch ferne in meiner Seele, in meinem Herzen wie in einer Quelle gespiegelt, schwebtest du um mich durch die ganze Schöpfung auf blumenreicher Aue, im Schmelz der blauen Ferne, im Flusse, wo alles sich sanfter spiegelt, im Wehen des Abends, im verliebten Gesange der Vögel, im Sternenschimmer, in einsamer Nacht. Überall, wohin mein Herz sich wandte, ahnet' ich, fühlt' ich, hört' ich dich – das alles war nichts als das Heranreifen zur seligsten Frucht der Liebe, die mir nun bald an deinem Herzen ward.

Jetzt ging ich der anmutigen Insel zu, denn nirgends hatt' ich mehr Ruhe, dort mein beklommenes Herz auszulassen, dort inbrünstig in heiliger Andacht jeder Spur nachzuwandeln, zu stehen, wo du standest, zu gehen, wo du gingest, wo wir saßen, zu sitzen, dich zu suchen, dich im Traum wiederzufinden.

Ich nahte der schönen Insel, lieblich wehte der Wind. O Gott, wie kann ich's aussprechen! mein Herz empfand wieder erneut bei ihrem Anblick alle Freude, alles Weh! Noch einmal so anmutig stand alles um mich her. Mit welchem Entzücken betrat ich den Boden! O wie freute sich meine Seele, wie freute sich alles mit mir! Alle Bäume bewegten sich über mir, ihre Blüten bedeckten mich, als ich nun unter ihnen hinging, jetzt von Gott erkorener Bräutigam. Alles, die ganze Natur feierte. Ein stilles, heiteres, gotthoffendes Gefühl umgab mich und stillte das sehnliche Verlangen meines Busens. Unter dem Baume des Lebens sank ich dem Schlummer hin, süßer Schlaf umhüllte meine Augen, mich wiegten sanfte Winde zur Ruhe, mir sangen alle Wesen süße Erfüllung, Stillung meiner Wünsche entgegen. Süß drang's durch all' meine Gebeine; schlaf ein, Adam, schlaf ein, gottgeliebter Mann, deine Wonne reift schon. Wie selig wirst du morgen erwachen!«

Also Adam. Es war bereits tief in der Nacht. Er stand nun auf und Eva mit ihm. Sie nahm seine Rechte und schmelzende Tränen rannen darauf, drückte sie jetzt an ihre heiße Lippe. »Ach, Teurer! Soviel hat Eva nicht verdient, segne dich Gott für deine Zärtlichkeit!«

Auch Tirza und Abel kamen nun liebreich zum Vater hin. Tränen sprachen ihre Liebe, und Küsse redeten ihren Dank.

Kain stand auf, gerührt. »Wie ist mir doch so dumm!« flüstert' er jetzt zu Melboe; »ich möcht' weit fort, weiß nicht wohin, weit in den Wald, an den Wasserfall. Verzeih' mir, Vater, verzeih' deinem Erstgebornen! O Mutter! Vater! Nimm mich wieder auf! Morgen wollen wir uns am Altar versöhnen. Ich will einen Bock schlachten, den mir mein Bruder aus seiner Herde geben soll. Du aber laß allen Groll gegen mich aus deinem Herzen weichen, der schwer meine Seele zu Boden drückt.« So sprach er, und da er noch sprach, bog er zugleich seinen nervigen [205] Arm um seines Vaters Knie. Adam aber legt die Hand auf sein dunkles Haupt und spricht ernsthaft: »Was ist deinem Munde entfahren, Kain? So wahr meine Hand dein Haupt deckt, so komme Segen über dich und mich, wie dir mein Herz verzeiht, wie deine Mutter und ich dich lieben. Ja, morgen wollen wir opfern; ich will dich aussöhnen mit allen deinen Geschwistern und mit mir und deiner Mutter. Du sollst alle unter dem freien Himmel brüderlich umfassen. Dann begehre Melboe hier von ihrer Mutter, und so wie dich Evas Seele liebt, wird sie dir nichts versagen. Gott bringe einmal wieder Frieden unter uns.«

So sprach er. Eva hebt schnell ihren Erstgebornen auf und drückt sich fest in seine starken Arme, küßt unzählige male seine männlichen Wangen und seine leuchtenden Augen. Aber Adam spricht leise nun zu Eva: »Höre, liebe Mutter, laß uns forteilen an den Ort der Ruhe. Stark sehnt sich wieder einmal mein Herz nach dem Genusse deiner Liebe. Teure, laß mich nicht länger schmachten! Schmachten verzehrt das Leben, meine Liebe, es zerreißt die Sehnen und schneidet in's Gebein.« Eva senkt ihre Hand in die seine. Leise spricht sie: »Du hast zu gebieten; mir kommt es nicht zu, deinen Wunsch zu versagen.« Jetzt brechen sie auf und gehen in süßer, seliger Eintracht. Gott winkt ihrer häuslichen Liebe Freude und Segen zu.

Jetzt reicht auch Kain der braunen Melboe die Hand. Sie gehen Arm in Arm geschlungen über die monddämmernde Aue den Hügel hinunter im stillen Entzücken der Liebe. Abel aber begleitet Tirza bis an die Hütte und steigt dann sorgsam wieder den Hügel hinan, um unter seiner Herde zu schlafen.

Anhang

Der erschlagene Abel.


Sanft duftet der Abend. Vom trauernden Himmel sinken die Sterne gemach. Noch hält am Felsen Adam seine Tochter. Losgerissen hat er sie erst vom erschlagenen Geliebten, der vor ihr an der Quelle liegt. Sinnlos, taub, schwankt sie; kalte Tränen rinnen ihr vom Auge, und Verzweiflung sträubt ihre Haare – bis von neuem wieder auffließt ihres Jammers Quelle, sie wieder empfindet: Ewig nun nicht mehr zu sehn, ewig zu lassen nun, den sie so innig geliebt! Zurück ringt sie sich aus des zitternden Vaters Armen. Umsonst hält er sie, flehet: »Bleibe doch, Traute, ach! Du erweckest ihn nimmer. Tot! Tot! Das, meine Tochter, ist Sterben! – so – deine Klagen, ach! unsere Klagen höret mein Abel nicht mehr.« Also spricht Adam tränend. Fassen will er sie nun und zärtlich zurückziehn. Aber heulend fällt sie über den Leichnam hin. »Nein, er ist nicht tot! Nein! Nein! Nein! Gelt, mein Abel? Gelt, bist nicht so gestorben, willst nicht so [206] verlassen deine Tirza? Jammer! Jammer! schweigst du? Kennst mich nicht mehr? Soll's denn ewig währen, immer so sein? Braune, braune Locken! Willst du nicht mehr lächeln, holdseliger Mund? Nicht mehr winken, Auge, so starr und trübe?«

So schluchzet die jammernde Tirza und küßt des Geliebten kalte Hand, blickt dann auf ihre Kinder, die liebend sie aufgesucht, im Grase neben ihr saßen und lächelnd mit ihres Vaters blutigen Locken spielten. Zum Himmel starrt sie nun stumm, dann wieder auf ihre Kinder, weint, rauft sich ihr Haar und sinkt auf des Erschlagenen Busen nieder. Und ängstlich weinen ihr die Kinder nach.

Aber herabstarrend und erschauernd steht Adam, der Mann, über dieser Gruppe von Jammer, ineinandergeschlagen die Fäuste und zuckend sein Mund. Nachdenkend betrachtet er des Toten aufgebäumte Brust, sein fürchterlich niedergesenktes Auge und die geballte Faust. Schreckliche Bilder durchfahren seine Seele. »Ha, er ist grauenvoll, bitter«, heult er, »schrecklich, der Hinübergang vom Leben zum Tod! Wie er zurückgeschaudert, mein Liebling, da ihn des Todes nerviger Arm ergriff! Die Lippen verzog mein Knabe, da ihn der mächtige Tod hielt, zu trinken den bittern Trank! Ach Eva, traute, zitternde Herzensmutter, das sind wir! Wirst weinen, wirst du ihn liegen sehen, schauen deines Lieblings erblaßtes Gesicht. O Erbarmer! Da kommt sie, von der Rosenlaube, ach! wo er ihr heute noch vorsang. Gott! Gott! wie mag ich sie trösten!«

So seufzte Adam, wischt seine wunden Augen und schüttelt die Träne aus seinem silbernen Bart. Entgegen geht er nun freundlich seinem Weibe, der mildern Eva, mit ausgespannten Armen; und will er gleich lächeln, dennoch quellen ihm Tränen die Wangen herunter. Da umschlingt er sie, drückt sie küssend an sein schlagendes Herz und spricht also: »Glück zu, meine Geliebte, Glück zu! Du hast nun einen Sohn im Himmel. Der's gegeben, hat's wieder genommen; des Herrn Name sei gelobet! Weine, o weine nicht zu sehr! Dein Abel ist tot, entschlummert, der erste aus diesem ....«

»Soll ich ihn denn nicht mehr sehen?« meint Eva. »Ach Adam, wie ist er gegangen und vergaß der Traute meiner ganz? Und er kam nicht, seine Mutter zu segnen, die ihn geliebt, die ihn mit Schmerzen gebar?«

So an Adams Seite gelehnt stand Eva, und Tirza fuhr, sie erblickend, auf. »Mutter, Mutter!« schreit sie entstellt und wild, »Hier, Mutter, ruf' ihn! Weck' ihn! Gib ihm Leben! Siehst du! Sieh!«


Eva.


Mein Sohn! Mein Abel! Mein Kind! ... Blut?

Tirza.


Ewig, ewig, ewig dahin! Der Vater hat's gesagt. Ha Mutter, Mutter! Sieh, seine Hand fällt starr zurück.


Eva.


Wehe! Abel! Weck' ihn! Ruf' ihn! Schüttle ihn! Blutig! [207] Blut! Wer hat ihn geschlachtet? Wer? Ist er tot? Ist er hin, wie die Ziege, wie's Lamm?


Tirza.


Ach! Ach!

Eva.


Kalt! Still. Ha Adam, du alter Adam, sieh!

Adam.


Ach traute Geliebte!

Eva.


Ich will dir fluchen! Ich will dir fluchen, sollt ich auch .... sollt' ich auch –

Adam.


Weib! Weib, was treibst du?

Eva.


Vater du? Hast würgen lassen deinen jüngsten Sohn! Würgen lassen, nicht gewagt, ihn zu retten, dich entgegen zu stellen des Todes kalter Hand, da er gekämpft, blutig geschweißt, als ihn zurückgebogen, hingeschleudert der gewaltige Arm des Siegers!

Voll Wut schlägt sich Adam vor die Stirne. Knirscht: »Hab' ich retten können, Allmächtiger, und das nicht getan! Fassest du den Donner am Wirbel, schleuderst ihn wieder entgegen dem, der ihn dir zugerollt? Bin ich allmächtig, daß du mich aufrufst, den Arm zu biegen dem, der Himmel und Erde zerhaucht? Törichtes, törichtes Weib! Vor uns zieht der Tod hin. Vom Herrn gesandt, spottet er uns, seine Beute; wir alle müssen daran, ich und du, und du ....«


Eva.


Nur seinen Pfad – die schwarze Grotte, wo er schläft! Nur seinen Pfad, daß ich ihm nachspüre, abjage meines Sohns Leben. Ach sieh doch, Adam! Sieh doch, daß Gott erbarme! Wie er ihn zertreten, seine schönen Augen erloschen, abgewischt alle Lust von deines Sohnes holdseligen Wangen, mir ihn entstellt, so grausig, Adam, daß ich hinter dich spränge, stünd' er auf, ihm verschlösse meinen mütterlichen Busen.


Also Eva.


Schluchzend wälzt sie sich auf der Erde, die Fäuste voll greiser Locken. Und schlägt er also, der Tod? Und trifft er dich, Adam, und mich und alle meine Kinder und sie alle, die lieben Kleinen, alle, alle hier? – Und nun erwischt sie ihre Enkelchen und drückt sie an ihren Busen und netzt sie mit ihren Tränen.

Und der herrliche Mann Adam faßt die jammerversunkene Mutter der Menschen auf, hält sie dann zitternd empor und seufzt an ihrer Schulter also: »O wir Unglückseligen! Ach Eva, Eva! Mitgenossin in Kummer und Freuden, fasse dich! Noch blickt der Himmel auf uns. Wußtest du doch wohl, zu was du Kinder geboren. Ach schon lange war es uns vorher verkündet, als wir Hand in Hand weinend das schöne Eden verließen. Am Stamm einer Eiche saßen wir verlassen, als im hohen Wetter über uns der Richter stand und herabfuhren durch die gespaltene Wolke Todesflüche. Tod! Uns und unseren Nachkommen. Damals drücktest du deine Hand zärtlicher in die meinige, fielst zitternd an meine Brust. Sie alle, Adam, alle, die uns nachkommen, müssen sterben! Und wir saßen beide und beweinten damals schon unsere sterbenden lieben Kinder, noch ehe sie geboren waren. O ermanne dich, Traute, zum Leben! Höre, was der Erbarmende uns gelobt. [208] Nicht allein gehet dein Abel dahin: bald, bald, ein Weilchen noch, und du und ich werden ihm folgen.«

Erweicht durch Adams zärtlichen Zuspruch, schauert nun Eva empor. Ist's das letzte Röcheln meines Sohns, das mich umschwebt? Oder sind's die Seufzer der Myriaden, die kommen und sinken und fallen? Ha, zu mir, alle zu mir, der Verbrecherin! All' über mein Haupt! Und so werd' ich lange, lange noch unter Tränen genannt werden, Adam. Zweimal wird jede Mutter mir fluchen, mir, der Sünderin, dann, wenn sie unter Schmerzen den Säugling zur Welt bringt, und dann, wenn sie ihn wieder mit Tränen gesegnet. Ach mein Abel! Mein Kind! Wollte Gott, ich läg' bei dir! Adam, Adam! Sieh, seine Locke lebt!


Tirza.


Nein, nein; hoffe nicht mehr: mein Odem, mein Seufzer bewegt sie. Fühlst du die kalte Stirne, o fühlst du sie? Mutter, Mutter, es ist vorbei; ist ewig, ewig, ewig vorbei. Kennt uns nicht mehr, ach! seine Kinder. Ich will nicht länger weinen. Ich will nicht länger seufzen, Mutter. Nein, wenn der Frühling kommt und Röschen blühen und alles lebt und alles neu hervorgeht, ja, ja! dann wollen wir ihm entgegenziehen, du und ich und alle, alle meine Kinder.


Adam.


Ach meine arme, traute Verlaßne! An mein Herz, meine Tochter, mein Kind!

Tirza.


Deine Tränen! Ach er ... er, Vater, er, er, er! So bleibst du denn immer starr? Immer, immer, immerdar?


Adam.


Gott, Schöpfer!

Tirza.


Ich hab' ihn gesehen! Hab' ihn gesehen! Dort wo die Sonne sich wälzt, wo Sterne funkeln und der neue Morgen schläft, hat mir über die Wolken gewinkt mein Abel. Kommst du wieder zu mir, stark und treu, neugeboren, mich zu suchen und zu lieben, wenn die Sterne flimmern und das Abendrot welkt?


Adam.


Ach in deinen Schoß mein greises Haupt! Zum Herrn laßt mich beten, zum Herrn, der der Erbarmer ist. Richte deinen sterbende Blick zum Himmel, Tochter! Es ist vollbracht. Er ist's, der den Geschlagenen heilt, allmächtiger, großer, starker Gott! Komm', mein Mädchen, komm', laß uns beten, dulden und leiden, es wird alles zum besten sein. Ich hebe mein Antlitz zum Himmel auf. Hast mir's gegeben, hast mir's genommen! Und ich weine vor dir, Herr! Amen! Amen!« – Und der Herrliche hub die Weiblein erschauernd in seinen Armen empor. Süße Gefühle von Hoffnung und Zukunft und Wiedersehen entschwangen sich ihren Seelen, und alle Bangigkeit schmolz unter der Wonne der Tränen dahin.

Mit entflammten Herzen und glühenden Lippen stehen sie, singen dem Erschaffer und Vernichter, dem Geber und Nehmer, dem Herrlichen ein Lied, als Kain hastig aus Büschen hervortritt. Unterm Gesträuch versteckt, hatte er die ganze Scene des Jammers gesehen. Länger konnt' er's nicht aushalten; sein stechendes[209] Gewissen ängstigt ihn hervor. Und nun wollt' er mit niedergeschlagenen Augen hastig vorübergeh'n, als er seitwärts den Leichnam erblickte. Starr stehet er und beißt die Zähne zusammen und knirschet und schaudert zurück. Aber Eva ruft ihm wehwütig zu: »Kain, Kain, mein Erstgeborner! Sieh deinen Bruder Abel dort! Ach! Tot ist er!«

Mit weggewandtem Blick und faltiger Stirne spricht der Mörder: »Was geht's mich an? Hab' ich's etwa getan? Meint ihr etwa, ich sollt' um ihn trauern, he? Disteln auf sein Herz! Er hat mich stets gehaßt. Und ihr, was starrt ihr auf mich, als wollt ihr sagen: du hast ihn erschlagen!«


Adam.


Mein Sohn!

Kain.


Sohn, Sohn! Wollt', ich wär's nie gewesen. Daß ihr mich mit euren Flüchen niederschmeißen könnt, darum bin ich euer Sohn. An der Gurgel mich anfassen, niederreißen möchtet ihr mich gerne; mir's Knie aufs Herz setzen, rufen: Bekenn', du hast's getan, hast's getan!


Adam.


Kain, Kain!

Kain.


Und wenn ich denn bekenne? Fluch! Ich hab's getan! Ja, ich hab's getan, hab' ihn erschlagen mit dieser Keule. Sieh!


Adam.


Grauen und Verderben! Du?

Kain.


Kommt mir nicht! Schuld seid ihr an allem. Gelt, immer gekost und geleckt den Knaben, das habt ihr. Da war nichts als er; hintanstehen mußt ich mit meinen Kindern. Üeberall, Tag und Nachts und allezeit, habt ihr für ihn gebetet. Der Heuchler! All' meinen Segen stahl er mir, und ich war immer der Verworfene und der euer Liebster. Küßt ihn nun, so lang ihr wollt. Aber eure Gesichter will ich von nun an nicht mehr sehen. Heimgehen will ich und mein Weib und meine Kinder holen, in die wildeste Wildnis ziehen und euch und diese verfluchte Gegend auf ewig meiden. Verderben und Elend über euch!

So fluchte der erste Mörder Kain seinen Eltern. Dicke Tropfen der Verzweiflung sprangen aus seinem Auge, als er floh. Adam springt auf, streckt die Faust nach ihm, aber zitternd fällt er zurück. Die Kraft verläßt sein schwankendes Knie; sinkend schlägt er mit seiner Stirn an den Felsen und schreit.


Eva.


Mann! Mann!

Adam.


Laß mich! Weg! Weg! Herab, ihr Felsen! Rollet herunter, Hügel, begrabt den Fußtritt des elenden Mannes! So – so ... Ha, wir waren bisher noch nicht verflucht, Eva! Der Engel, der uns aus dem Paradiese stieß, Segnungen wär' sein Schelten heut. Nun! Jetzt! Dein Sohn! Weib! Weib!


Eva.


Erwürg' mich nicht, Adam! Bring mich nicht um!

Adam.


Oh! Wie lächeltest du, ha! lächeltest du, als du ihn gebarst, danktest, ich jammernd umhersah nach Trost dem unmündigen Gast, bis er, genährt von deiner Brust, fiel, lächelnd in deinem Schoß hüpfte und ich ihn aufhub wonnetrunken zum Himmel. [210] Daß er's nun lohnt, im Bruderblut seine Hände wäscht, der Mörder! Verflucht sei er vor meinem Angesicht! Keine Nuhe labe ihn nachts und am Tage! – Halte mich nicht; nach will ich ihm, erhaschen ihn, schleifen im Blute, das er vergoß – ich, aufgerufen von Gott: Vater und Richter.


Eva.


Nein! Nein! Nein! Du sollst nicht. O Adam, willst du mich kinderlos machen an einem Tag? Und hat er erschlagen seinen Bruder, o so erbarme sich der Himmel sein. Bete, wir sind alt und schwach. Nach will ich selbst, meines Sohnes Knie umfassen, bitten, daß er uns nicht so im trüben Alter verlasse. Bleibe du lieber hier.


So Eva und fliehend.


Nach wollt' ihr Adam; aber ein Engel Gottes ergriff seine Haare, senkt ihn nieder aufs Angesicht: Adam, Adam, bleib! Ueber dir wandelt der Richter, und schon rauschen und schlagen und brausen die Wetter, und die Wälder heulen und sinken und beben, und der verwundete Fels bückt sich ins schaudernde Tal. Da rollen die Donner im Aufgang, daß die Säulen des Niedergangs beben. Heilig! Heilig! Heilig! Gelobt, Jehova, dein Name! Und im schlagenden Glanz fliehet der Herr. Und nun, Adam! Am Fels steht der Richter, entblößet das Schwert, zu richten, das Blut abzuscheiden, den Tropfen, der aus dem Staube zu ihm schreit. Ach zittre! Grauenvoll, schwer und siebenfältigen Tod winkt der Ewige nun auf deinen zitternden Sohn!


Adam.


Ach Erbarmen! Erbarmen, mein Gott und Schöpfer!

Und die Gewitter entfliehen, es säuselt und duftet, und der Engel des Herrn ergreift Adam und spricht: »Stehe auf, Mann Gottes! Mit Barmherzigkeit hat der Herr gerichtet, hat mit Milde erhöret das Flehn des er sten Menschen um seines Sohnes Leben. Höre nun auch seinen Willen. Staub zu Staub, so will es der Ewige. Bereite ein Grab und senke den Leichnam hinab, daß er verwese und ihn einst herrlicher wieder hervorrufe Gottes allmächtiger Odem.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Gedichte. Kain. Kain. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5224-E