[179] Kreuzweg der Liebe

Ganz leise gehst du nächtens durch mein Zimmer,
ich höre deine Schritte nicht. Ich fühle
nur deines Atems welke Rosenschwüle
und seh von deiner Stirn den fahlen Schimmer
sich phosphorleuchtend in die Nacht ergießen,
und seh von deiner Stirn wie Blutrubinen
die dunkeln Tropfen auf die Diele fließen . . .
Wo kamst du her? – ich hatte doch die Tür
zur Nacht geschlossen, und kein Fenster klang,
und durch die Scheiben schaut, die vorhanglosen,
der scheue Mond, – wo kamst Du nur herein
mit deinem wehen, wunden, schleppenden Schritt,
mit deinem Kranz von abgeblühten Rosen?
O komm denn, komm!
ich will dich nicht verstoßen!
O komm du! meine Sehnsucht schrie nach dir
und suchte dich auf unentdeckten Sternen,
im Märchenwald, in blauen Inselfernen,
ging fehl und irr . . .
und heut kommst Du zu mir
und weilst bei mir und bist mir selig nah!
Und wie ich flehend meine Arme breite,
weichst du zurück und siehst mich seltsam an,
und deine Augen schaun in eine Weite,
die meine Seele nicht ermessen kann, –
und schaust mich an und wandelst stumm vorüber
und gehst – auch du! – den Weg nach Golgatha.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Gedichte. Gedichte. Sturmlieder vom Meer. Kreuzweg der Liebe. Kreuzweg der Liebe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5253-4