Im Vorort

Frühwinternacht, Sprühregen stäubt
durch Vorortstraßen, stumm und leer;
ein leises, dumpfes Donnern treibt
der Nachtwind nur vom Bahndamm her.
Durch blätterlose Pappelreihn
die blassen Nebel brau'n und ziehn –
im Osten loht's wie Feuerschein:
Da liegt Berlin.
Wie Feuerschein die ganze Nacht!
Der Menschheit Wesen scheint vertauscht,
wie hab ich oft, vom Traum erwacht,
das ferne rote Licht belauscht!
Das sang mir durch die Zeit der Ruh
die Mär vom ewgen Widerstreit,
den Lockruf aller Lüste zu –
und singt das alte Lied vom Leid.
Und durch den roten Dämmer schaun
mich irre Augen heischend an:
im Federhut erloschne Fraun,
im Efeukranz der trunkne Mann,
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und Kinder, zitternd, frostdurchbebt, –
das stöhnt und kichert, schluchzt und braust:
und aus dem Hexensabbat hebt
sich hammerhart die Arbeitsfaust!
Frühwinternacht. Der Regen sprüht
durch Vorortstraßen, tot und leer;
ein funkelnd Höllenauge, glüht
das Haltsignal vom Bahnhof her.
Durch blätterlose Pappelreihn
die nächtgen Nebel westwärts ziehn –
im Osten flammt's wir Frührotschein:
Das ist Berlin!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Gedichte. Gedichte. Wintersaat. Im Vorort. Im Vorort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-52AF-9