Capri

1.

Und spinnt des Südens Hexerei
die purpurblauen Spinneweben
um deine Stirn, dann ist's vorbei:
zu eigen bist du ihr gegeben.
Das Stumme in dir wacht und spricht
und singt die unerhörten Prächte,
und siedend küßt das Sonnenlicht
die tiefsten Saaten deiner Nächte.
Vom Felsgestein im Klippenmeer –
horch du! wie die Sirenen locken!
Bang – wie den Opfern des Tiber –
fliegen die Pulse dir erschrocken.
Und meine Hand liegt schwer und heiß
auf deiner Stirn und bricht mit Beben
für dich das blühende Lorbeerreis,
für dich das wundervolle Leben.
Aus toter Tempel Trümmern sprießt
die knospenschwere Geisblattranke –
und schimmernd um Amalfi fließt
des Lichtes göttlicher Gedanke.
Das ist des Südens Hexerei
die dich mit Seel und Leib entrückte:
das Ewige in dir macht sie frei,
das deines Nordens Nacht erdrückte.

[243] 2.

Flirrend spielt der Mondenschein
über dem Balkone –
in den roten Capriwein
preß ich die Limone.
Lachend bis zur Rebenfirst
schleuderst du den Becher:
meiner Küsse Herbheit wirst
du noch kosten, Zecher!

An sonnigen Borden

[241][243]

Flimmernde Tiefen

Ich schau durch die schimmernden Wasser
in die flimmernden Tiefen hinein:
da schläft eine tote Hexe
auf einem grünen Flutgestein.
Noch liegt die lächelnde Lüge
um den schmalen, gepreßten Mund . . .
ihre roten Haare lodern
wie Flammen aus dem Grund.

Santa Madonna di Capri

Ein grauer Nebel flattert durch die Luft,
auf Schattenarmen trägt er Myrtenduft,
und allen Wohlgeruch der Inselau
streut er zu Füßen unsrer lieben Frau
Santa Madonna di Capri!
Scheu durch den Nebel schleicht sich, schlangengleich,
ein Wallfahrtszug. Dem Bilde, süß und bleich,
vom Licht umkränzt, von jedem Makel frei,
dem Bild dort oben tönt die Litanei:
Santa Maria di Capri!
[244]
Dem Stern der Meere! Und ein Priester hebt
die blasse Hand. Auf allen Lippen bebt
ein frommes Lied. Die Stirnen neigen sich . . .
ich fahr vorüber und grüße dich,
Santa Maria di Capri!
Du heilige Frau, du Weltentragende,
Erlösende und Nieversagende,
Tausende beten –, und dich kennt allein
mein Herz, die Rose und der Sonnenschein,
Santa Maria di Capri!

Monte Solaro

Des Solaro Königsstirne
decken graue Tränenschleier:
in der klippenreichen Wildnis
spielt ein Weib auf einer Leier.
Ihre blassen Hände beben
wie von niegestilltem Hoffen,
ihre schwarzen Haare flattern
sturmgepeitscht um Fels und Schroffen –
Möwenschrei, durch Schaum und Woge
schmale weiße Schwingen sausen –
und des Weibes heißer Herzschlag
übertönt der Brandung Brausen.

[245] La Sirena

Olivenbäume am grauen Meer . . .
aus silberschimmernden Schatten her
grüßt, von des scheidenden Tages Glut
rosengekrönt, ein Traum der Flut:
Capri.
Aus den Grotten tönt verwehter Klang,
der schlummernden Brandung Nachtgesang.
Wie ein Schatten schwimmt lautlos und weich
unsre Barke durch das Klippenreich
von Capri.
Meine Lippen liegen auf deinem Mund . . .
Still du! – wir gleiten auf falschem Grund.
Sirenen lauern im Mondenschein,
und die Toten schlafen in leuchtenden Reihn
um Capri.

Thyrrenische Nacht

Küsse mich, du! Der Himmel blüht
wie lauter Granaten und Rosen.
Flugfeuer von Lippe zu Lippe sprüht,
und der Berg der ewigen Gluten glüht –
die Tiefen kochen und tosen.
Und über das blaue thyrrenische Meer
wandelt schweigend und düfteschwer
sternenbekränzt in losen
Gewanden die Nacht einher.
[246]
Ihr Schweigen tönt. Ich trage im Schoß
die Ernten kommender Tage.
Die Berge umspann ich leuchtend und groß,
bin stark wie das Meer und fessellos
wie das Ewige, das ich trage.
Mein Haupt umlodert der Lavaschein,
der Weizen reift, und es schwillt der Wein –
der soll von Kälte und Klage
der Welt ein Erlöser sein!

Stille

Napoli, 10. Mai.


Die tiefen schwarzen Fluten
waren im Meer verrauscht –
und alle Stürme ruhten.
Im roten Abendscheine
leuchteten längs dem Strand
Lorbeer- und Pinienhaine.
Ein grauer Tempel stand
unter granitnen Hängen
und sah hinab ins Land,
sah weit in blühende Fülle:
über dem Feuerberg
schlief der Geist der Stille.
Sanft fiel ein Rosenregen . . .
und fest in deiner Hand
war meine Hand gelegen.

[247] Ein Lebensabschnitt

In die weitoffenen Bogenfenster
des Konsulats zu Napoli
sang der Golf.
Maisonnenbrand
glühte drüben
auf den Dächern der Straße
und tauchte in flackernden Goldschein
die Silberspitzen des Olivenbaums.
Am fernsten verblauenden Horizont
hingestreckt
lag dämmernd in träger Ruhe
Sphinx Capri –
Mir gegenüber
an dem eichgetäfelten
bücherbedeckten Bureautisch
stand ein junger, blonder, deutscher Beamter
und schrieb.
Schrieb meinen Namen
in sein Buch,
meinen Wohn- und Geburtsort
und den Tag,
an dem ich das Licht erblickt, –
und wie meine Eltern geheißen,
wo sie geboren und gestorben,
und meine Großeltern und Urgroßeltern,
und erforschte meine ganze Genealogie
bis ins dritte und vierte Glied
rückwärts hinauf.
Hinter ihm an der Wand,
– mit schwarzen Flecken besät
[248]
wie ein Typhussterbender –
hing die Malariakarte;
und darunter
auf lederbeschlagenem Lehnstuhl,
schlief
die Norddeutsche Allgemeine Zeitung.
Neben mir aber
auf leichtem italischem Rohrgeflecht,
den Caprihut auf graumeliertem Kraushaar,
in den Augen die blaue Tiefe der Ostsee,
mein Lebensglück . . .
und der junge, blonde, deutsche Beamte
fragte auch ihn,
wie er heiße,
wo er geboren
wes Ranges und Standes er sei –
und seine Eltern gewesen seien –
und er erforschte auch seine Genealogie
bis ins dritte und vierte Glied rückwärts hinauf.
Wir aber saßen
dicht beieinander
und sahen uns an,
lächelnd und stumm.
Bis die Tür sich auftat
und ein hochgewachsener Mann
im hellgrauen Sommerjacket,
die rote Nelke im Knopfloch,
auf der Schwelle erschien –
und der Herr Generalkonsul
mit tönender Stimme
uns das Protokoll vorlas
und fragte,
[249]
ob wir Mann und Frau sein wollten.
Wir sagten »Ja«.
Da brach ein mittagliches Flammenmeer
durch die Bogenfenster des Konsulats
und wob eine Gloriole
um das blonde Haupt des jungen deutschen Beamten;
über die Malariakarte
ging ein Schauer von Licht –
und in deine Augen
kam ein tiefes, blaues, seltsames Leuchten.
Du lüftetest den Caprihut
und gabst mir die Hand.
Und wir standen beide
eng aneinander,
Auge in Auge, Hand in Hand,
eines Wesens und Namens,
lächelnd und – stumm . . .

St. Posilippo 1

Um das Haupt von Posilipp
blüht ein Feuerblumenkranz,
seine Schöne spiegelt sich
in des Golfes Silberglanz.
Ihm zu Füßen Napoli,
maienhimmelüberblaut,
lichtgebadet, lustdurchgellt,
lockend: die Banditenbraut.
[250]
Um die Stirn des Posilipp
fliegt es wie ein Nebelhauch;
aus der Solfatara Schoß
ringelt sich der gelbe Rauch.
Düsterrote Orchideen
– keine Blume lockt dich so –
gleißen durch den Schwefeldampf:
fiori di diavolo!
Um den Fuß des Posilipp
geht ein Seufzen, dumpf und schwer;
ewig gleichen Schlages senkt
sich das Ruder in das Meer.
An des Ruderers Fußgelenk
klirrt das eiserne Geschmeid . . .
aus der Tiefe ruhelos
schluchzt uraltes Menschenleid.

Fußnoten

1 Villenbesäter Höhenzug bei Neapel, zur Seite die Solfatara, ein halberloschener Schwefelkrater, zu Füßen die Insel Nisida mit dem Gefängnis für Galeerensträflinge.

Ehe

Lächelnd, – ob sie auch verblasse,
unsres Capri Rosenzier, –
durch den Alltagsstaub der Gasse
geh ich Hand in Hand mit dir.
Hart dein Schritt an meiner Seite,
fest im Kampf und leicht im Spiel!
Unsre Augen schaun ins Weite –
und sie schaun nach einem Ziel.

[251] Alte Sehnsucht

Und diese Sehnsucht nach dem grünen Meer
nach Capris duftgetränkten Trümmerfeldern,
nach seinen Vignen, schattig, traubenschwer,
nach seinen Oelbaum- und Cacteenwäldern:
Die alte Sehnsucht, die uns südwärts trieb
und nicht erlosch an Barjas Rosenborden,
die heiß lebendig uns im Herzen blieb
und ihre Netze spann im grauen Norden –
heut wird sie Herr! – Den vollen Becher Weins
bringe ich ihr. Wir wollen wieder wandern
und Südlands Sonne trinken, bis wir eins
erloschen und ertrunken sind im andern.
Dann senkt sie still das Haupt zum klaren Grund,
die bunten Muscheln schimmern ihr zu Füßen,
und den geschlossenen Sirenenmund
werden des Golfes kühle Lippen küssen.

Auf der Gotenstraße

In tausend lichten Tropfen sprühte
der Frühling durchs Tirolerland;
die blaue Anemone blühte
im Sarnetal an rauher Wand.
Aus dunkelgrüner Moose Teppich
sah ihres Kelches Sternenschein,
voll starker Inbrunst schlang der Eppich
die Arme um das Kalkgestein.
[252]
Und prangend hob auf stolzen Schroffen
die Rosenburg ihr Haupt ins Blau:
das Land der Sehnsucht lag ihr offen
des Garda wundervolle Schau.
Und ihre Grüße trug ins Weite,
in Pinienhag und Palmenhain,
die Talfer, die uns hart zur Seite
dahinschoß über Kies und Stein.
So zogen wir den Steg der Goten,
der Sehnsucht alten Pfad hinab
und brachen auf der Spur der Toten
die blaue Blume lächelnd ab.
Schon winkte den verschneiten Firnen
im Blütenschnee der junge Lenz –
und leuchtend fiel auf unsere Stirnen
der Sonnenschein Italiens.

Kap Ferrat

Tiefklare Wasser klingen
an den harten hellen Stein.
Sehnsüchtige Winde singen,
der Nebel auf weißen Schwingen
zieht trägen Flugs landein.
Uralte Oliven träumen
auf blühender Felsenflur.
Fern aus verblauenden Räumen
leuchtet in silbernen Säumen
eines Schiffes letzte Spur . . .
[253]
»Du tust ein lange Reise,
dein Schiff geht auf den Grund;
fahr' wohl, fahr' wohl –« und leise
verhallt eine wehe Weise,
verstummt ein Mädchenmund.

Beaulieu

Unter Oliven und Pinien,
wie leuchtet das Meer so nah!
In starken, reinen Linien
grüßt Cap Ferrat.
Die marmornen Villen funkeln
rot auf im letzten Licht, –
silberne Schatten dunkeln
über dein Gesicht.
Unter Oliven und Pinien
fühle, was du mir bist!
In großen, klaren Linien
läuft unsres Lebens Frist.
Rot auf lodern die Gluten
uns einmal noch durchs Herz, –
silberne Schatten fluten
lautlos erdenwärts.

[254] Friedhof im Süd

Raschelnde Rosen an Perlendraht,
Badepüppchen im Heiligenstaat,
Gruftkapellchen mit Polstersitzen,
leinene Deckchen mit Häkelspitzen,
Kreuzchen und Bildwerk, Flitter und Spiel,
gläserne Ampeln im Jugendstil,
steinerne Engel im Modekleid,
Platte an Platte dicht gereiht –
und um des marmornen Schweigens Schauer
die himmelversperrende, neidische Mauer:
das ist, von Orangen und Rosen umblüht
die Heimstatt der Toten im sonnigen Süd.
In der eisigen Oede bin ich allein.
Hart klingt mein Schritt auf dem harten Stein.
Und die Träne, die mir so rasch den Blick
verdunkelt, kriecht scheu ins Herz zurück.
Ein Windstoß kommt aus dem Pinienhain,
und die Kränze klappern wie Totenbein . . .
O du Ewige, Weltenbeschattende du,
Mutter des Lebens, zeugende Ruh,
wie haben sie dich so klein gemacht,
mit ihrer Plunder- und Flickenpracht!
Sie spielten ein gellendes Jahrmarktsstück
auf deiner heitern himmlischen Harfe
und hängen die grinsende Faschingslarve
vor deinen gütigen Mutterblick.
Nein, meine Heilige, hier wohnst du nicht!
Aufatmend grüß ich das Frühlingslicht!

[255] Aschermittwoch

Nun fällt der tollen Narrenwelt
das bunte Kleid in Lumpen, –
und klirrend auf den Estrich schellt
der Freude voller Humpen.
Lautkrachend springt ins Schloß das Tor,
kein Lichtschein mehr am Fenster –
ein grauer Morgen kriecht empor,
der Morgen der Gespenster.
Da ist im tiefen Straßenstaub
ein stolzes Weib gestanden –
von ihrem Odem rauscht das Laub,
des Meeres Wogen branden.
Sie reckt sich in die Frühlingspracht
mit herrischer Gebärde:
mein ist, was blüht und weint und lacht –
mein ist die ganze Erde!
Was bimmelt ihr vom Kirchenturm
und predigt Reu und Buße?
Ihr seid das Sandkorn vor dem Sturm,
der Staub mir unterm Fuße.
Was schiert mich eurer Sünde Scham
und eurer Hölle Flammen?
Ich blas den ganzen Maskenkram
mit einem Hauch zusammen.
[256]
Mir gilt die Dirne unterm Tor,
das Hündlein in der Gossen
mehr als der schönste Damenflor
in euren Staatskarossen.
Und Blumen und Konfettischlacht?
Wie jäh verstummt die Harfe,
versprüht der Witz, verblaßt die Pracht,
löst meine Hand die Larve.
Mir gilt des Bettlers hohle Hand
und gramzerfressne Miene
mehr als der Fürstenhöfe Tand
und blutige Hermeline. –
Und tobt im Ost der Schwertertanz,
und saust das Blei, das rasche –
auf aller Kronen Faschingsglanz
streu ich die Handvoll Asche!
Ob Kirchen- oder Festungssturm,
sie wanken beid auf Erden
und werden einst vom Wirbelsturm
zu Staub zerblasen werden.
Und reißt der letzten Narretei
der bunte Rock in Fetzen,
dann soll die Menschheit, nackt und frei,
sich an die Tafel setzen.

International

Der Lenztag blaute über Rom
und blaute auf uns viere,
wir saßen vor St. Peters Dom
bei echtem Münchner Biere.
[257]
Wir sahn die Menge stauend stehn
auf breiten Marmortreppen
und sahn die Kardinäle gehn
in lila Veilchenschleppen.
Und drinnen ein bleiches Angesicht
in silberflutendem Rahmen . . .
und all die Tausende neigten sich,
die funkelnden Herren und Damen. –
Wir saßen vor St. Peters Dom
vergnügt bei Bayrischem Biere –
der Lenztag sonnte über Rom
und sonnte auf uns viere:
Der eine war am Ostseestrand
in Sumpf und Moor geboren
und hatte sich ins Märchenland
geflüchtet und verloren.
Der Zweite bot ihm frei die Hand
und hob sein Lid zum Sehen –
Da sahn sie beid das Märchenland
auf Erden auferstehen.
Der Dritte sang mit trübem Sinn
am Don zu Zions Harfen;
die Vierte war Latinerin,
die lachte ob den Larven!
[258]
Wir sahn die Macht, die rings durchmißt
des Erdballs blaue Weiten –
und sahn die Macht, die größer ist
als alle Päpste und Zeiten.
Wir saßen vor St. Peters Dom
verständnisvoll beim Biere:
der Maitag lachte über Rom
und lachte auf uns viere.

Südwärts

Durch die nordische Winternacht
auf harten, hallenden Schienenwegen
fahr ich südlicher Knospenpracht
fahr ich italischem Lenz entgegen.
Tief und tiefer ins Land hinein,
scheu, wie Träume die Nacht durchgleiten.
Schon spielt ein ernster rosiger Schein
auf den weißen, schweigenden Weiten.
Und der schneeige Duft zerrinnt.
Leise will sich die Ebene heben . . .
küssend fühl ich den Morgenwind
durch das flatternde Haar mir schweben.
[259]
Und die Arme breite ich aus,
nordwärts greifen die zitternden Hände:
In das Land unserer Sehnsucht fahr ich hinaus
Und du? – Wer nur sagte, wo ich dich fände! –
Die Sonne von Capri steigt und glüht,
in den Grotten kichert es leise, lose . . .
und auf dem Monte Tiberio blüht
einsam die erste Rose.
[260]

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TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. An sonnigen Borden. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5390-3