[217] Neueste Lieder der Griechen

Die Mainottenwitwe

Sieben Wunden vor der Stirne und drei Wunden auf der Brust,
In der Faust das rothe Eisen und im Auge Siegeslust –
Also lag er auf dem Felde, und im Kreis eng' um ihn her
Lagen seiner Feinde Waffen, Dolch und Büchse, Schwert und Speer.
Aber ihrer Träger Leichen lagen ihm so nahe nicht,
Abgewendet von dem Helden barg im Staub sich ihr Gesicht.
Tochter, hole mir das Kränzlein, welches hängt in meinem Schrein,
Aber saß' es sanft – es wird wohl dürre zum Zerbrechen sein.
Damit will ich heut' mich kränzen, wie an meinem Ehrentag,
Will auf diesem Felde feiern noch einmal mein Brautgelag.
Schaff' auch schöne, frische Blumen für den Bräutigam herbei,
Daß das Lager weich und duftig meinem edlen Schläfer sei,
Einen Rosensenker steck' ich ihm in jedes offne Mal,
Daß sie einst aus seinem Hügel sprießen im Eurotasthal;
Und von diesen Rosen wind' ich dir den Kranz, mein Töchterlein,
Wenn einmal ein Heldenknabe wird um Deine Liebe frein,
Einer, der zum Werbegelde so viel Türkenschädel gab,
Als blutrothe Rosenstöcke blühn auf deines Vaters Grab.
Aber morgen in der Frühe, wenn mein Bräutigam nun ruht,
[218]
Zieh' ich aus die Festgewänder, nehm' den Kranz von meinem Hut,
Und im grauen Witwenhemde schleich' ich durch den grünen Wald,
Nicht, zu lauschen, wo im Dickicht Nachtigallenschlag erschallt,
Nein, um einen Baum zu suchen ohne Blüth' und ohne Blatt,
Den die Turteltaubenwitwe sich zum Sitz ersehen hat,
Und dabei die frische Quelle, die sie trübe macht zuvor,
Eh' sie trinkt und eh' sie badet, seit sie ihren Mann verlor.
Da will ich mich niederlegen, wo kein Schattendach mich kühlt,
Wo der Regenguß die Thränen kalt mir von den Wangen spült,
Und mit meiner Turteltaube geh' ich einen Wettstreit an,
Wer am jämmerlichsten klagen, wer am frohsten sterben kann.

Konstantin Kanari

Konstantin Kanari heiß' ich, der ich lieg' in dieser Gruft.
Zwei Osmanenflotten hab' ich fliegen lassen in die Luft,
Bin auf meinem Bett gestorben in dem Herrn, als guter Christ:
Nur ein Wunsch von dieser Erde noch mit mir beerdigt ist:
Daß ich mit der dritten Flotte unsrer Feind' auf hohem Meer
Mitten unter Blitz und Donner in den Tod geflogen wär'.
Hier in freie Erde haben meinen Leib sie eingesenkt –
Gieb, mein Gott, daß frei sie bleibe, bis mein Leib sie wieder sprengt!

Halt fest!

Halt fest, halt fest, der Freiheit Hort, o Hellas, halt ihn fest!
Dein ist er! Wehe dir, wenn je du wieder von ihm läßt!
Weh dir! Dir wäre besser dann, du hättest nie die Hand,
Nach ihm zu greifen, losgedreht aus deinem Sklavenband!
Halt fest, halt fest, wie Jener einst gethan, dein Heldensohn, 1
Als aus dem Feld von Marathon die Perserhorden flohn.
[219]
Da faßte der ein volles Boot hart an des Meeres Strand,
Und hielt es an dem Schnabel fest mit seiner starken Hand;
Die rechte ward ihm abgehaun, da griff die linke zu,
Die link' auch fiel zu Boden hin, und flugs in einem Nu
Packt' er die Beute, wie ein Leu, mit seinen Zähnen an,
Und biß sich ein, und wankte nicht, bis daß er sie gewann.
So halte fest der Freiheit Hort mit Herz und Mund und Faust,
Wenn auf dich ein der Heiden Schwarm in wilden Wogen braust!
Halt fest, halt fest, und muß es sein, wirf deinen wunden Leib
Ganz über ihn und blute dich zu Tod, als freies Weib!

Fußnoten

1 Cynegirus, der Athenienser. S. Justin. Lib. II. c. 9 (Nst. G).

Achelous und das Meer

»Achelous, Achelous, sag', was toben deine Wellen?
Haben Pindus weiße Gipfel dich berauscht mit jungen Quellen?
Rissen wasserschwere Wolken sich an seinen scharfen Spitzen
Von einander und entluden sich mit Donnern und mit Blitzen?
Sag', woher der wilde Taumel, welcher häuptlings deine Wogen
Stürzt in meine stillen Fluthen, die kein Wind hat überflogen?«
Keine junge Wasserquelle hat berauscht mich alten Zecher,
'S ward kein Wasserschlauch zerrissen von dem jähen Wolkenbrecher.
Was ich taumle? Was ich stürze? Was es tobt in meinem Bette? –
Vater Ozean, o daß ich warmes Blut für dich noch hätte!
Warmes Blut hab' ich getrunken, warmes Blut in vollen Zügen,
Warmes Blut der freien Griechen, die an meinen Ufern liegen,
Hingestreckt auf Lorbeerzweigen, überweht von Siegesfahnen,
Hoch umrauscht vom Geisterreigen ihrer Brüder, ihrer Ahnen.
[220]
Solches Blut hab' ich getrunken heut' von den Agräer Fluren –
Fragst du auch nach Sklavenblute? – In Morästen such' die Spuren
Seiner Ströme; jeden lauen Tropfen hab' ich ausgespieen:
Freies Griechenblut nur trank ich, kannt' es wohl an seinem Glühen.
Vater Ozean, da fing ich an von alter Zeit zu träumen
Und von junger Freiheitswonne brausend mich emporzubäumen,
Also daß des Ufers Bande mich nicht länger konnten halten,
Daß erzitterten die Ebnen und die Berge wiederschallten.
Nimm mich auf, du Weltumarmer, trage meine hohen Wogen
Ungemischt und ungebändigt, mit dem Blut, das sie gesogen,
Fort gen Norden und gen Westen, daß sie an die Ufer schlagen,
Und den Felsen und den Menschen laute Kund' aus Hellas sagen!

Mark Bozzari

Öffne deine hohen Thore, Missolunghi, Stadt der Ehren,
Wo der Helden Leichen ruhen, die uns fröhlich sterben lehren!
Öffne deine hohen Thore, öffne deine tiefen Grüste,
Auf, und streue Lorbeerreiser auf den Pfad und in die Lüfte!
Mark Bozzari's edlen Leib bringen wir zu dir getragen,
Mark Bozzari's! Wer darf's wagen, solchen Helden zu beklagen?
Willst zuerst du seine Wunden oder seine Siege zählen?
Keinem Sieg wird eine Wunde, keiner Wund' ein Sieg hier fehlen.
Sieh auf unsern Lanzenspitzen sich die Turbanhäupter drehen!
Sieh, wie über seiner Bahre die Osmanenfahnen wehen!
Sieh, o sieh die letzten Werke, die vollbracht des Helden Rechte
In dem Feld von Karpinissi, wo sein Stahl in Blute zechte!
In der schwarzen Geisterstunde rief er unsre Schaar zusammen,
Funken sprühten unsre Augen durch die Nacht, wie Wetterflammen,
[221]
Über's Knie zerbrachen wir jauchzend unsrer Schwerter Scheiden,
Um mit Sensen einzumähen in die feisten Türkenweiden;
Und wir drückten uns die Hände und wir strichen uns die Bärte,
Und der stampfte mit dem Fuße, und der rieb an seinem Schwerte:
Da erscholl Bozzari's Stimme: »Auf, in's Lager der Barbaren!
Auf, mir nach! Verirrt euch nicht, Brüder, in der Feinde Schaaren!
Sucht ihr mich, im Zelt des Pascha werdet ihr mich sicher finden –
Auf, mit Gott! Er hilft die Feinde, hilft den Tod auch überwinden!«
Auf! und die Trompete riß er hastig aus des Bläsers Händen,
Und stieß selbst hinein so hell, daß es von den Felsenwänden
Heller stets und heller mußte sich verdoppelnd wiederhallen;
Aber heller wiederhallt' es doch in unsern Herzen allen.
Wie des Herren Blitz und Donner aus der Wolkenburg der Nächte,
Also traf das Schwert der Freien die Tyrannen und die Knechte;
Wie die Tuba des Gerichtes wird dereinst die Sünder wecken,
Also scholl durch's Türkenlager brausend dieser Ruf der Schrecken:
Mark Bozzari! Mark Bozzari! Sulioten! Sulioten!
Solch ein guter Morgengruß ward den Schläfern da entboten.
Und sie rüttelten sich auf, und gleich hirtenlosen Schafen
Rannten sie durch alle Gassen, bis sie an einander trafen,
Und bethört von Todesengeln, die durch ihre Schwärme gingen,
Brüder sich in blinder Wuth stürzten in der Brüder Klingen.
Frag' die Nacht nach unsern Thaten! Sie hat uns im Kampf gesehen –
Aber wird der Tag es glauben, was in dieser Nacht geschehen?
Hundert Griechen, tausend Türken, also war die Saat zu schauen
Auf dem Feld von Karpinissi, als das Licht begann zu grauen.
Mark Bozzari, Mark Bozzari, und dich haben wir gefunden,
[222]
Kenntlich nur an deinem Schwerte, kenntlich nur an deinen Wunden.
An den Wunden, die du schlugest, und an denen, die dich trafen,
Wie du es verheißen hattest, in dem Zelt des Pascha schlafen.
Öffne deine hohen Thore, Missolunghi, Stadt der Ehren,
Wo der Helden Leichen ruhen, die uns fröhlich sterben lehren!
Öffne deine tiefen Grüfte, daß wir in den heil'gen Stätten,
Neben Helden unsern Helden zu dem langen Schlafe betten!
Schlafe bei dem deutschen Grafen, Grafen Normann, Fels der Ehren, 1
Bis die Stimmen des Gerichtes alle Gräber werden leeren.

Fußnoten

1 Mark Bozzari wurde neben der Gruft des in Missolunghi gestorbenen Grafen Normann Ehrenfels beigesetzt (Lc).

Die letzten Griechen

Wir fragen nichts nach unserm Ruhm, nach unsrer Namen Preis.
Was frommt's, ob Welt und Nachwelt einst von unsern Thaten weiß?
Wenn Hellas sinken muß in's Grab, was soll der Leichenstein
Auf unsern Hügeln? Laßt sie leer! Wir woll'n vergessen sein.
Die Namen unsrer Väter gehn den Fremden durch den Mund,
Sind ihnen in der Schule recht, für Alt und Jung gesund.
Ach, wenn kein freier Grieche mehr euch griechisch nennen kann,
Miltiades, Leonidas, was ist eur Nachruhm dann!
Dann steigt ihr gern mit uns hinab in die gemeine Gruft,
Auf welcher keine Sage steht und schöne Namen ruft.
Barbaren, ihr versteht sie nicht! Sie klingen euch in's Ohr,
Hinein zum einen und heraus alsbald zum andern Thor;
Doch ewig taub wird euer Herz für Hellas Namen sein,
Er sog von unsrer Väter Geist nicht einen Tropfen ein.
[223]
Ein Tropfen nur in euer Herz, und Hellas wäre frei,
Und umgestürzt der morsche Thurm der stolzen Tyrannei.
Was habt ihr, Völker, denn gelernt von Hellas alter Kunst?
Frei sein! So heißt ihr erster Spruch. Blast weg den eiteln Dunst,
Den ihr euch als hellenisch preist, seid ihr so frei noch nicht,
Zu helfen frei mit Wort und That, von Freiheit Ketten bricht!
Wir fragen nichts nach unserm Ruhm, nach unsrer Namen Preis.
Was frommt's, ob der Barbaren Schwarm von unsern Thaten weiß?
Wenn Hellas sinken muß in's Grab, wir wollen keinen Stein
Für unsre Gruft. Laßt ungenannt die letzten Griechen sein!

Hellas und die Welt

Ohne die Freiheit, was wärest du, Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?
Kommt, ihr Völker aller Zonen,
Seht die Brüste,
Die euch säugten
Mit der reinen Milch der Weisheit! –
Sollen Barbaren sie zerfleischen?
Seht die Augen,
Die euch erleuchteten
Mit dem himmlischen Strahle der Schönheit! –
Sollen sie Barbaren blenden?
Seht die Flamme,
Die euch wärmte
Durch und durch im tiefen Busen,
Daß ihr fühltet,
Wer ihr seid,
Was ihr wollt,
Was ihr sollt,
Eurer Menschheit hohen Adel,
Eure Freiheit! –
Sollen Barbaren sie ersticken?
[224]
Kommt, ihr Völker aller Zonen,
Kommt und helfet frei sie machen,
Die euch alle frei gemacht!
Ohne die Freiheit, was wärest du, Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Neueste Lieder der Griechen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-56EB-0